Zusammenfassung
Kant verortet seinen Begriff von Gewissen in der „Metaphysik der Sitten“143 unter die „ästhetischen Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüts für Pflichtbegriffe überhaupt“ (MdS. A 35). Ästhetische Vorbegriffe — das moralische Gefühl, das Gewissen, die Menschenliebe und die Achtung — werden als „natürliche Gemütsanlagen (praedispositio)“(MdS. A 35) vorgestellt, welche durch Pflichtbegriffe affiziert werden können. In der, „Kritik der Urteilskraft“entwirft Kant zudem ein System aller Vermögen des menschlichen Gemüts, in welchem sich diese auf drei Grundvermögen zurückfuhren lassen: das Erkenntnisvermögen, das Gefühl der Lust und Unlust sowie das Begehrungsvermögen.144 Der Ausübung der Vermögen des Gemüts liegen die sogenannten „oberen Erkenntnisvermögen“Verstand, Urteilskraft und Vernunft zugrunde, welche jeweils zu theoretischen, ästhetischen und praktischen Urteilen gelangen. In dieser Systematik gehört der Begriff „Gewissen“zu der mittleren Position, er untersteht dem oberen Erkenntnisvermögen Urteilskraft, d. h. die gefällten Urteile sind ästhetisch und befinden über das subjektive Gefühl der Lust und Unlust. Was es bedeutet, dass Kant den Gewissensbegriff dem Aktionsfeld der Urteilskraft zuordnet, soll vorab anhand der ersten Fassung der Einleitung für die „Kritik der Urteilskraft“genauer erläutert werden.
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Literatur
Vgl. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, (abgekürzt KdUK.) H 59f. Alle Zitate aus der „Kritik der Urteilskraft“mit dem Buchstaben „H“finden sich in der „Ersten Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft“.
I. Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, (folgend abgekürzt mit „Idee.“) A 390f. Dass es problematisch ist, sich bei einer bildungstheoretischen Interpretation Kants ausschließlich auf seine Vorlesung „Über Pädagogik“(im Text abgekürzt mit „Päd.“) zu stützen, ist nach unzähligen Hinweisen hinlänglich bekannt. Dies berücksichtigend wird im Folgenden versucht, grundlegende Gedanken aus der Pädagogikvorlesung weitestgehend mit Zitaten aus Schriften zu belegen, die Kant selbst herausgegeben hat.
Vgl. folgendes Zitat aus der Pädagogikvorlesung: „Ob aber der Mensch nun von Natur moralisch gut oder böse ist? Keines von beiden, denn er ist von Natur gar kein moralisches Wesen; er wird dies nur, wenn seine Vernunft sich bis zu den Begriffen der Pflicht und des Gesetztes erhebt“(Päd. A 128).
Vgl. dazu W. Fischer: „Der wenig glückliche Ausdruck,Anlage’ besagt dabei nicht, daß es sich — modern gesprochen — um genetisches Material oder intrauterin Erworbenes oder etwas dergleidien Ursächliches handelt, das sich bei günstigen peristatischen Verhältnissen nach irgendeiner,Weisheit der Natur’ Bahn bricht.“In: Die Religion in Kants Begründung der Pädagogik. (1994) S.46.
I. Kant: Mutmaßlicher Anfang der Menschheitsgeschichte. [1786]. Im Text abgekürzt mit „Mut.“
I. Kant: Reflexionen zur Moralphilosophie: Conscientia § 200–205, Reflexion 6815. In: Kant’s handschriftlicher Nachlass, in: Kant’s gesammelte Schriften. Bd. XIX. Hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin, Leipzig 1934. S. 170.
I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. A 52.
I. Kant: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee. (Im Text abgekürzt mit „Theo.“).
Vgl. dazu Rousseau: „Solange wir nicht wissen, was wir tun sollen, besteht die Weisheit darin, untätig zu bleiben“(E. S. 488).
Vgl. „Weil man in der frühen Jugend nicht weiß, welche Zwecke uns im Leben aufstoßen dürfen, so suchen Eltern vornehmlich ihre Kinder recht vielerlei lernen zu lassen, und sorgen für die Geschicklichkeit im Gebrauch der Mittel zu allerlei beliebigen Zwecken, (…) und diese Sorgfalt ist so groß, daß sie darüber gemeiniglich verabsäumen, ihnen das Urteil über den Wert der Dinge, die sie sich etwa zu Zwecken machen möchten, zu bilden und zu berichtigen“(GzMdS. A 41).
Vgl. zur folgenden Problematik der Kantischen Unterscheidung zwischen allmählicher Reform der Sinnesart und Revolution der Denkungsart: W. Fischer: Zum Problem der Charakterbildung. (1956). J. Bockow: Erziehung zur Sittlichkeit. Zum Verhältnis von praktischer Philosophie und Pädagogik bei J.-J. Rousseau und I. Kant. (1984). W. Fischer: Die Religion in Kants Begründung der Pädagogik. (1994). 168 Vgl. „O Aufrichtigkeit! du Asträa, die du von der Erde zum Himmel entflohen bist, wie zieht man dich (die Grundlage des Gewissens, mithin aller inneren Religion) von da zu uns wieder herab? (…) Aber Aufrichtigkeit (daß alles, was man sagt, mit Wahrhaftigkeit gesagt sei) muß man von jedem Menschen fordern können (…). Aber jene verlangte Gemütseigenschaft ist eine solche, die vielen Versuchungen ausgesetzt ist, und manche Aufopferung kostet, daher auch moralische Stärke, d.i. Tugend (die erworben werden muß) fordert, die aber früher als jede andere bewachet und kultiviert werden muß, weil der entgegengesetzte Hang, wenn man ihn hat einwurzeln lassen, am schweresten auszurotten ist.“(Rel. B 296, Anm.).
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Weiß, G. (2004). Gewissensbildung zwischen Kultivierung und Moralisierung. In: Bildung des Gewissens. Schriftenreihe der Kommission Bildungs- und Erziehungsphilosophie der DGfE. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80612-3_5
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