Zusammenfassung
Pareto begnügt sich nicht mit einer logischen Schematik der Rationalitätstypen des Handelns. Mit der Handlungstheorie will er darüber hinaus einen theoretischen Referenzrahmen entwickeln, mit dessen Hilfe eine umfassendere soziologische Analyse des gesellschaftlichen Handelns möglich ist. Vergewissern wir uns noch einmal der zentralen Fragestellung des Trattato:
„Now we are to study human conduct, the states of mind to which it corresponds and the ways in which they express themselves, in order to arrive eventually at our goal, which is to discover the forms of society“ (Trattato, § 145).
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Literatur
Diese grundlegende Konzeptualisierung bildet den Ausgangspunkt von Parsons’ Auseinandersetzung mit Pareto und seiner eigenen Theoriebildung (vgl. 1936; 1968, Kapitel V).
Sorokin kritisiert deshalb zu Unrecht Pareto als einen Vertreter einer “Psychologischen Schule” (Sorokin 1928, S. 61). Aber Sorokin ist nur einer von vielen, deren Pareto-Deutung auf psychologis-tischen Fehlurteilen basiert (dazu gehören auch z.B. Borkenau 1936, S. 33, 166 sowie Fiorot, 1974, S. 53).
Zur italienischen Schule der positivistischen Psychologie siehe: Büttemeier 1969; ders. 1974; Marhaba 1981; Micheli 1980, S. 518f. u. 604; Nese 1993, S. 55–65). Zu erwähnen ist aber, dass der schottische Sozialphilosoph und Begründer der kognitiven Assoziationspsychologie, Alexander Bain, vornehmlich mit seinen beiden Hauptwerken The senses and the intellect (1855) und The emotions and the will (1859) in früheren Jahren einen gewissen Einfluss auf Pareto ausgeübt haben soll (siehe Pareto, Brief an Pantaleoni vom 9.12.1891 (LMP I, S. 106 und Anm. 4 sowie Pantaleoni 1938, S. 350); ferner Busino 1989, S. 21. Zu Pareto und der Psychoanalyse siehe Schienerl 1950; Busino 1989, S. 541–556.
Siehe MacDougall 1935; Murchison 1935; Creedy 1936; Eisermann 1987, S. 139ff. Die Differenzen diskutieren wir eingehend in Kapitel V.
Siehe z.B.: Weber 1976, S. 9. Dazu und zum Vergleich mit Pareto: Eisermann 1987, S. 127f. Zu Webers Auseinandersetzung mit der naturwissenschaftlich-experimentellen Psychologie, Psychiatrie und Psychopathologie: Frommer 1994.
Eine Variante des dreipoligen Modells findet sich in einem Brief Paretos an Pantaleoni aus dem Jahre 1907 (LMP III, S. 22–25).
Unbewusste Impulse, seien dies spezialisierte Instinkte oder gerichtete “Gefühlsstöße” (Gehlen) steuern das jeweilige Verhalten höherer Säugetiere im Determinationsfeld von biologisch konstituierter „Erbmotorik“ (O. Storch). Hierbei kommt eine hauptsächlich schematische Verarbeitung von Umweltreizen zur Geltung. Die Antriebsmotorik des Handelns ist fixiert und spezialisiert auf arttypische Verhaltensweisen mit in diesem Sinne „erbfest montierten Bewegungsfiguren“ (siehe Gehlen 1977, S. 125–132). Siehe dazu und vor allem mit Blick auf die konstitutiven anthropologischen Differenzen von Tier und Mensch: Lorenz 1965; Gehlen 1977.
In der Analyse dieser Wechselwirkungen sieht Pareto die Hauptaufgabe der Soziologie, wie auch aus dem erwähnten Brief an Pantaleoni aus dem Jahre 1907 unmissverständlich hervorgeht: „Die Soziologie wird erst dann eine perfekte Wissenschaft geworden sein, wenn sie diese Interdependen-zen gut kennt, und so lange sie davon nur ein oberflächliches Verständnis hat, wird sie unvollkommen bleiben“ (LMP III, S. 25; Hervorhebung von Pareto).
Paretos Analyse magischer Praktiken wurde in der bisherigen Paretoforschung — sieht man von Parsons’ (1968, S. 211) knappen Hinweisen ab — kaum Aufmerksamkeit zuteil.
Vgl. zur Ähnlichkeit mit Gehlens Begriff der Magie z.B. (Gehlen 1977, S. 235).
„Den Formalismus der Kultur befestigten die nicht-logischen Handlungen, welche die guten Sitten hervorbringen“ (Trattato, § 361, Übersetzung von Verfasser).
Auch in der neueren religionswissenschaftlichen und anthropologischen Magieforschung wird die automatische oder mechanistische Wirkungsweise magischer Rituale in den Vordergrund gestellt (vgl. Quack 1987).
Pareto zieht als weitere Beispiele für diesen Typ nicht-logischen Handelns u.a. heran: spiritistische Séancen (Trattato, § 184), Telepathie (ebd.); die weit verbreiteten Hexenglauben und Regenmacherriten (ebd., §§ 186ff.), Teufelsriten (ebd., § 915) und schwarze Messen (ebd., § 918), Eidformeln und Vereidigungsriten (ebd., § 952), Feuer- und Stadtkulte (ebd., § 1033), Reliquienkulte (ebd., § 952) sowie diverse Formen des alltäglichen Aberglaubens.
Pareto stützt sich auf Deschamps 1892.
Nach Matignon 1899.
Diesem Verständnis sehr nahe kommt Gehlens Kategorie der “darstellenden Riten” (vgl. Gehlen 1977, S. 145–156).
Siehe das Übersichtstableau im Trattato, § 888, S. 720–723.
Auch die spätere soziologische Anthropologie sieht im darstellenden Ritus und besonders bei magischen Praktiken “durchaus rationale, ja apriorische Vorahnungen von notwendigen Zusammen- hängen”, also “Spiritualität” in einem rudimentären Sinne am Werk (Gehlen 1977, S. 232–238). Siehe außerdem ders. 1963, S. 79–92.
Bei der Magie vor allem die rituell-symbolische Kombination von Ähnlichem und Entgegengesetztem, was in der neueren Forschung als sympathetische oder imitative Magie, im Unterschied etwa zu Formen kontagiöser Magie, bezeichnet wird (vgl. König/Waldenfels 1992, S. 382f.; Bertholet/Goldammer 1985, S. 367).
Dies entspricht in der Grundanlage den Thematisierungen von anthropologischen Konstanten der Umweltoffenheit und der sozialen Institutionenbildung vor allem bei Gehlen, 1977, S. 129–132; siehe auch Belohradsky 1973.
Zum differenzierteren Stand der heutigen Tierverhaltensforschung siehe z.B. Hinde 1987, bes. Kap. 20, S.524–561.
“There is a very important psychic state that establishes and maintains certain relationships between sensations, or facts, by means of other sensations, P, Q, R…” (Trattato, § 172). Diese Auffassung entspricht cum granu salis der Vorstellung Lucien Lévy-Bruhls über die Integrationsmechanismen von Sinneseindrücken und Erfahrungen des „prälogischen Denkens“ bei primitiven Völkern. Pareto schätzt zwar Lévy-Bruhls ethnologische Arbeiten, folgt ihnen aber nicht in der scharfen Trennung der “primitiven” und abendländischen “rationalen Mentalität”. Siehe dazu Lévy-Bruhl 1910; ders., 1922; Pareto, Scritti, S. 324–343, über Lévy-Bruhl, ebd. S. 340f; vgl. Evans-Pritchard, 1978, S. 78–99
Zur Bedeutung der Sprache siehe auch Trattato, § 1690; vgl. dazu Aqueci 1991.
Siehe dazu Lukes 1973, S. 6–8; zum Vergleich der beiden Theoretiker siehe Freund 1992.
Pareto zitiert (Trattato, §§ 190–217) u.a. Herodot, Cicero, Pomponius Mela (De situ orbis), Vergil, Tibulls, Pausanias, Seneca (d. Ä.), Dion Cassius, Tertullianus, Clemens Alexandrinus, Gregorius von Tours, Sankt Agobardus (Bischof von Lyon), Eunapius di Sardi, A. M. Del Rio, J. Sprenger, G. Godelmann, J. Wier, D. Augustinus und viele andere mittelalterliche sowie neuzeitliche Verfasser von Texten über Magie und Hexerei.
Pareto spricht an anderer Stelle auch von einem “need human beings feel for exercising their faculties of reasoning and logic”, Trattato, § 1641; ähnlich ebd., § 1548; § 1556.
Die englische Übersetzung des Trattato ist an dieser wichtigen Stelle mißverständlich, insofern Bongiorno und Linvingston die “gemeinsame Norm”, an der das Handeln ausgerichtet wird, auf die “Tatsachen” und nicht, wie es korrekt wäre, auf die Vorstellungen beziehen: “It is no longer a question of a single fact, but of a multiplicity of facts, following a certain rule” (Mind and Society, S. 123).
Zur Kritik von Comtes Evolutionstheorie siehe Trattato, §§ 1536–1538. Vgl. dazu Aron 1967, S. 448.
Zum Zusammenhang von sozialer Schichtung und kollektiver Repräsentation siehe auch Trattato, §§ 1533–1535; zum Aberglauben in unteren sozialen Klassen: Trattato, § 1723, § 1850.
“Witches were being burned as late as the eighteenth century, and in doing such things governments and the Church were abetting popular superstition and so contributed to strengthening it; but they certainly were not the authors of it” (Trattato, § 211).
“We may say, then, that we are to consider propositions and theories under their objective and their subjective aspects, and also from the standpoint of their individual or social utility” (Trattato, § 13).
Siehe auch Paretos Werkplan (Trattato, § 15).
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Bach, M. (2004). Sinnebenen des Handlungssystems. In: Jenseits des rationalen Handelns. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80559-1_5
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