Zusammenfassung
Die folgenden Überlegungen zum Vergleich der politischen Systeme der Schweiz, Österreichs und Deutschlands knüpfen an die Hypothesen zur „Proporz-“ oder „Konkordanzdemokratie“ an, die ich vor drei Jahrzehnten entwickelt hatte (vgl. oben Kapitel 1) und später in meinen Beiträgen zur Korporatismustheorie weiterführte. Bekanntlich verdankt der Korporatis-musbegriff seine typologische Zuspitzung insbesondere Schmitter (1974), und es ist auch ist durchaus geläufig, daß unsere Arbeiten manche Vorläufer hatten — so zum Beispiel Stein Rokkan (1966) mit seinem Begriff „corporate pluralism“. Weitgehend unbekannt ist aber geblieben, daß Erich Grüner schon zwei Jahrzehnte zuvor die typologische Unterscheidung von „Pluralismus“ und „Korporatismus“ herausgearbeitet hatte. In einer Reihe bahnbrechender Arbeiten (Grüner 1954, 1956, 1959) hat er damals die Entwicklung des Schweizer Systems der Interessenverbände vor dem Hintergrund des Gegensatzes zwischen liberalen und korporativen Ordnungsvorstellungen untersucht, der die innerschweizerische Diskussion in den dreißiger und vierziger Jahren bestimmt hatte und 1947 in den Kompromiß der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung mit ihrer Aufwertung der Verbände mündete. In dem Aufsatz „Der Einbau der organisierten Interessen in den Staat“ (Grüner 1959) hieß es resümierend:
„Die organisierten Interessen entwickeln sich neben und über die bestehende Verfassung hinaus, als Tatbestände der realen Verfassung, die von der geschriebenen Verfassung nicht rezipiert werden. Von hier aus ergeben sich grundsätzlich zwei Lösungsmöglichkeiten. Entweder, man versucht die organisierten Interessen öffentlich-rechtlich als Träger des politischen und staatlichen Lebens in die Demokratie einzubauen: das ist der korporative Weg. Oder aber man läßt dem Pluralismus freie Bahn unter formaler Hochhaltung des individualistisch-liberalen Verfassungsrechts: ich bezeichne dies als denpluralistischen Weg“.
Der Begriff „korporativ“ hat hier durchaus die Konnotation des „gesellschaftlichen Koxporatismus„, wie sie dann bei Schmitter wieder begegnet. Seine — implizite — Wiederentdeckung der Typologie hat die Unterscheidung von Pluralismus und Korporatismus komparatistisch generalisiert, doch Erich Gruner hat wichtige analytische Elemente vorweg genommen.
Überarbeitete Fassung eines Aufsatzes in: Schweizerische Zeitschrift für Politische Wissenschaft 2 (1996), 1–41. Zugrunde lag ein Vortrag zu Ehren von Erich Grüner auf der Tagung „Die politischen Systeme Deutschlands, Österreichs und der Schweiz im Vergleich“, Bern, 20. Januar 1996.
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Lehmbruch, G. (2003). Die korporative Verhandlungsdemokratie in Westmitteleuropa. In: Verhandlungsdemokratie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80515-7_7
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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