Zusammenfassung
„Der Ausdruck Tabu“, schreibt Alois Hahn1, „stammt aus dem Polynesischen, wo er ganz allgemein jede Art von Verbot meint. Die ersten europäischen Besucher Polynesiens verwandten das Wort aber bereits in einem spezielleren Sinn. Es bezeichnete nämlich besondere Meidungsvorschtiften, Berührungs- oder Speiseverbote, deren Übertretung oft gravierende magische Konsequenzen nach sich zogen. So galten etwa Neugeborene, Leichen oder Häuptlinge bei den Polynesiem als tabu. Wer sie anfaßt, wird selbst tabu. Das zwingt ihn einerseits, bestimmte Verhaltensbeschränkungen auf sich zu nehmen, er darf z. B. nicht mehr seine Hände zum Essen benutzen. Verstößt er gegen diese Regeln, kann er krank werden oder gar sterben. Aber außerdem wird er selbst unberührbar, und zwar im gleichen Sinne wie die Gegenstände, die er berührt hat“. Diese Beschreibung entspricht der allgemeinen Meinung2, obwohl sie das Geheimnisvolle, Numinose, Heilige des Tabus nicht ausdrücklich, sondern nur mit Beispielen benennt. Aber daß man Neugeborene, Leichen oder Könige nicht einfach anfassen darf, leuchtet heute noch unmittelbar ein. Auch die grausame, weil distanzlose, im Verbot bereits enthaltene Gerechtigkeit leuchtet auf: „Wer sie anfaßt, wird selbst tabu“.
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Literatur
Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Studienausgabe), 5. Aufl. 1976, S. 264;
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Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1998, S. 78 ff.
Kritik der reinen Vernunft, B 574; zitiert nach Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, hrsgg. von Wilhelm Weischedel, Band II, 1963, S. 498.
Dazu Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, 2000, S. 105 ff.
Vgl. dazu Hasso Hofmann, Institution II. Rechtlich, Görres-Staatslexikon, Dritter Band, 7. Aufl. 1987, Sp. 102–105.
Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940), 6. Aufl. 1958, bes. S. 385 ff.
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Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, 1956, S. 284, 75.
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Orlando Figes, Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution von 1891 bis 1924, 1998, S. 787 ff., 792 f.
Urmensch (N 12), S. 16 bis 21.
Näher Helmut Schelsky, Soziologie der Sexualität, 1955, S. 93 ff.
Dokumentation von Christian Geyer (Hrsg.), Biopolitik. Die Positionen, 2001.
Vgl. den Versuch, Strafe durch Versicherung zu ersetzen: Henning Schmidt-Semisch, Kriminalität als Risiko. Schadenmanagement zwischen Strafrecht und Versicherung, 2002.
Niklas Luhmann, Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition, in: derselbe, Gesellschafts-struktur und Semantik, Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft Band I, 1980, S. 9–71, 10.
Religion (N 6) S. 300 ff, mit Differenzierungen, die hier nicht nachgezeichnet werden können.
Siehe auch Gerd Roellecke, Rechtsstaat — Nichtrechtsstaat — Unrechtsstaat, in: RECHTSTHEORIE 28 (1997) S. 299–314, 312 f.
Gute Übersicht bei Thomas-Alexander Hubert, Das datenschutzrechtliche „Presseprivileg“im Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht. Informationelle Selbstbestimmung als Vermeidung von Befangenheit, 1993.
Religion (N 6), S. 106. Zum Subjektivismus der Freiheitsrechte jetzt grundlegend Karl-Heinz Ladeur, Negative Freiheitsrechte und gesellschaftliche Selbstorganisation, 2000.
Vorbehaltlich einer genauen Rekonstruktion der Argumentation von Ladeur, Negative Freiheitsrechte (N 25).
Kölner Zeitschrift (N 1) 1991 S. 87.
Zitiert nach Fritz Dickmann, Renaissance, Glaubenskämpfe, Absolutismus, in: Wolfgang Lautemann/ Manfred Schlenke (Hrsg.), Geschichte in Quellen, Band III, 1966, Nr. 64d S. 161.
Damit hat auch die biologische Evolutionstheorie Schwierigkeiten; vgl. Christian Vogel, Die biologische Evolution der Kultur, in: derselbe, Anthropologische Spuren. Zur Natur des Menschen, hrsgg. von Volker Sommer, 2000, S. 43–74, 51.
Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 273 am Ende, in: G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Band 7, 1970, S. 439.
Schönes Beispiel Hasso Hofmann, Gebot, Vertrag, Sitte. Die Urformen der Begründung von Rechts-verbindlichkeit, 1993, bes. das Schema S. 16 f.
Gabriele Britz, Kulturelle Rechte und Verfassung, Über den rechtlichen Umgang mit kultureller Differenz, 2000.
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Roellecke, G. (2003). Das Geheimnis der Tabus. In: Depenheuer, O. (eds) Recht und Tabu. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80477-8_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80477-8_3
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-14065-0
Online ISBN: 978-3-322-80477-8
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