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Der Wohlfahrtsstaat

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Pflegesicherung in Europa
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Zusammenfassung

Man möchte sagen: The Welfare State means precisely whatever the user says it means.2 Der Schwierigkeit der Begriffsbildung wegen gibt es Stimmen, die von einer Beschäftigung damit im Grunde abraten. So ist Elmar Rieger der Auffassimg, dass eine apriorische Definition von Sozialpolitik das wissenschaftliche Bemühen um Verständnis und Aufklärung der gesellschaftlichen Praxis eher behindert als fördert.3 Der elegante Ausweg: Der gänzliche Verzicht auf Definitions- und Interpretationsversuche kann zu einer eigenen Strategie werden, um den methodischen Problemen bei Definitionsversuchen aus dem Wege zu gehen.4 Die Schwierigkeiten, den Begriff des Sozial- oder Wohlfahrtsstaates exakt zu fassen, liegen begründet in der ihm eigenen Normativität, mithin seiner subjektiven Dimension — Was soll der Wohlfahrtsstaat sein bzw. leisten? — sowie seiner Dynamik, also seiner historischen Dimension: Gestern hatte er andere Aufgaben als heute.5 Im weitesten Sinne geht es dem Wohlfahrtsstaat um die Beseitigung defizitärer Lebenslagen. Auf welche Weise und in welchem Maße dies jedoch geschieht, hängt von normativen Annahmen ab und unterliegt dem politischen Diskurs. Im Wissen darum wurde im Grundgesetz der Sozialstaatsbegriff nur sehr vage und formelkompromissartig niedergelegt. Dies begründet starke staatliche Gestaltungsmöglichkeiten. Das Sozialstaatskonzept ist eben ein eminent politisches (also streitbares) Verfassungsprinzip6, ja geradezu „ein politisches und ideologisches Kampfgebiet“.7

„Zwischen Gleichheit und Freiheit besteht eine Hassliebe, je nachdem, ob eine Gleichheit gefordert wird, die zur Vielfalt fasst, oder die in jeder Vielfalt eine moralische Ungleichheit sieht.“1

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Literatur

  1. Sartori 1997, S. 330.

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  2. Die von Barneth, R. J. & Cavanagh, J. verwendete Definition lautet: „Globalization (...) means precisely whatever the user says ist means” (1994: Global Dreams. Imperial Corporations and the New World Order, New York, S. 14, zit. in: Robejsek 2000, S. 62).

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  3. Vgl. Rieger 1998, S. 65; bezugnehmend auf Franz-Xaver Kaufmann.

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  4. Vgl. ebda.

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  5. Lampert schildert die subjektive (normativ zu bestimmende) und geschichtlichen Veränderungsprozessen unterliegende (dynamische) Dimension von Sozialpolitik wie folgt: „(...) für die politische Gestaltung macht es objektiv und vor allem auch subjektiv, d.h. nach dem (weltanschaulich bestimmten) Urteil einzelner und sozialer Gruppen, (...) einen Unterschied, ob Sozialpolitik als Politik für die Arbeiter oder für alle wirtschaftlich Unselbständigen oder für wirtschaftlich Schwache definiert wird, ob sie als Politik zum Zwecke der Milderung und des Ausgleichs gruppenspezifischer wirtschaftlicher Schwäche (...) oder als eine auf die Verwirklichung von Freiheit und Gerechtigkeit für alle gerichtete Gesellschaftspolitik aufgefasst und betrieben wird.“Darüber hinaus, so Lampert weiter, „unterliegt die Sozialpolitik in Abhängigkeit vom Wandel sozialer Zustände, der nicht zuletzt durch die Sozialpolitik selbst mitbewirkt wird, geschichtlicher Veränderung” (1998, S.3).

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  6. Vgl. Mayer-Tasch 1991, S. 105 f.; Politisch ist hier zu verstehen im Sinne von politics: Der deutsche Begriff „politisch“ oder „Politik“ ist weniger klar als die in der Politikwissenschaft verwendeten angelsächsischen Begriffe hierfür, die drei Dimensionen von Politik kennen. Das prozessuale Element von Politik, d.h. Konfliktaustrag und Konsensfindung unter den am politischen Prozess Beteiligten, wird mit politics bezeichnet. Dieser Konfliktaustrag findet jeweils in bestimmten Politikfeldern statt, wie zum Beispiel der Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik usw. Diese Politikfelder werden als policy — Dimension bezeichnet. Die „Lösungen“ der politischen Auseinandersetzungen, also Institutionen und Regeln (Verfassung, Rechtsordnung), sind gewissermaßen „geronnene“ Politik. Dies ist die polity-Ebene. Politikfelder (policies) geben sozusagen den inhaltlichen Korridor für den Konfliktaustrag (politics) vor, der zu veränderten oder neuen Institutionen und Regeln (polity) führt (die ihrerseits aber auch einen Handlungsrahmen darstellen, der nicht etwa zur freien Disposition steht). Freilich sind die drei Politikdimensionen nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen und bedingen sich gegenseitig: So ist zum Beispiel die politics-Dimension stark beeinflusst von bestehenden institutionellen und rechtlichen Vorgaben, d.h. von der polity-Dimension, innerhalb derer sie sich zu bewegen hat, welche sie aber gleichzeitig modifizieren oder neu schaffen kann. Theodore Lowi formulierte die Interdependenz der Politikdimensionen so: „policies shape politics” (1972: Four Systems of Policy, Politics and Choice, in: Public Administration Review 32, S. 298–310, zit. in: Rieger 1998, S. 69, Fn. 4). Moderne Politikwissenschaft ist viel stärker policy-orientiert als früher, beschäftigt sich also mehr mit den Inhalten als den formalen Bedingungen von Politik (wie zum Beispiel die Institutionenlehre). Zu den Begriffen politics, policy und polity vgl. auch: Böhret et al. 1988, S. 3 ff.; Pilz & Ortwein 2000, S. 2 ff.; Berg-Schlosser & Stammen 1992, S. 33.

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  7. Schmid 2002, S. 33.

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  8. Weber 1988b, S. 153 (Hervorhebungen im Original).

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  9. Schmid 2002, S. 34.

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  10. Vgl. Mayer-Tasch 1991; Ein prominenter deutscher Vertreter dieser Argumentation ist Ernst Forsthoff, der vor der „adjectivischen Verkleinerung“ des Rechtsstaates durch das Merkmal des Sozialen warnte (1976: Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: ders.: Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954–1973, München 2. Aufl., S. 65 – 89, zit. in: Kersting 2000, S. 11). Die Aussage nimmt Bezug auf Art. 28 I GG, wonach die Bundesrepublik als „sozialer Rechtsstaat“ bezeichnet wird. Diesem „Verfassungsdisput“ wird eine völlig falsche Prioritätensetzung bescheinigt: Die Debatte zeige, dass es Juristen mehr um „dogmatische Finessen“ als um das Verständnis „politischer Intentionen“ ginge (Mayer-Tasch 1991, S. 107).

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  11. So schreibt zum Beispiel Anthony de Jasay: „Es gibt drei glaubhafte Gründe gegen Umverteilung. (...) Zwei von ihnen führen letzte Werte ins Feld: die Unantastbarkeit redlich erworbener Rechte und die Aufrechterhaltung von Freiheiten. Der dritte Grund ist instrumental und hat mit Ökonomischer Effizienz in einem weiten Sinne zu tun” (1995, S. 19).

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  12. Vgl. Pilz & Ortwein 2000, S. 96.

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  13. Vgl. Walter 1995.

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  14. Hier setzt man — aus sozial- und finanzpolitischen Gründen — weltweit auf den Vorrang der häuslichen Pflege.

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  15. Vgl. Lessenich 1998.

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  16. Kersting 2000, S. 6; vgl. auch Prisching 2000, S. 5 f.

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  17. Kersting 2000, S. 15.

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  18. Das bedürfnisorientierte, auf dem menschlichen Subsistenzrecht fußende Minimalmodell der Daseinsfürsorge begründet die Verpflichtung des Staates zur Sozialpolitik mit deren fundamentalen menschenrechtlichen Implikationen: „Da die Voraussetzungen menschlicher Lebensführung nicht nur durch Tod, Gewalt, Verletzung und Versklavung zerstört werden können, sondern auch durch materielle Not und einschneidende Versorgungsmängel gefährdet sein können, muss der sich der fundamentalen Bedingungen selbstbestimmter menschlicher Lebensführung überhaupt annehmende Menschenrechtsschutz auf das Versorgungsinteresse ausgedehnt werden” (ebda., S. 20). Sozialpolitik als Daseinsfürsorge hebt ab auf das Subsistenzrecht des Menschen. Konkret bedeutet sie einen Leistungsminimalismus: Sozialpolitik als Sozialhilfe für Bedürftige. „Biologisch lebt der Mensch wirklich nur vom Brot allein. Daher muss ein sich der Subsistenzsicherung verpflichtender Sozialstaat über die Bereitstellung von Suppenküchen, Wolldecken und Massenunterkünften nicht sonderlich hinausgehen” (ebda., S. 22).

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  19. Deutlich anspruchsvoller im Leistungsniveau als das Modell der Daseinsfürsorge muss also ein Sozialstaat ausgestaltet sein, der sich dem Modell der Freiheitsfürsorge verpflichtet sieht. Sozialpolitik in diesem Sinne muss auf die „notwendigen Voraussetzungen für die Verwirklichung des Freiheitsrechts selbst“ gerichtet sein. Ein Leistungsminimalismus ist dann nicht mehr zumutbar, wenn er die Voraussetzungen menschlicher Selbständigkeit nicht ermöglicht. Ist die anthropologische Grundlage der subsistenzrechtlichen Argumentation der homo sapiens als biologisches Wesen, so geht es der Freiheitsfürsorge um den Menschen als Person. Der „Begriff der Persönlichkeit (ist) ein Grundbegriff der moralisch-kulturellen Grammatik unserer Selbstverständigung und von Haus aus mit normativer Signifikanz ausgestattet. (...) Daher besteht nicht nur der Quantität nach, sondern auch der Qualität nach ein erheblicher Unterschied zwischen einer biologischen Existenzsicherung zum einen und einer materialen Ermöglichung personaler und freiheitlicher Lebensführung zum anderen” (Kersting 2000, S. 24).

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  20. Das „rousseauistische“ Modell der Demokratiefürsorge bindet die sozialstaatliche Tätigkeit an die Teilnahme des Einzelnen an den öffentlichen Belangen. Am Konzept der Demokratiefürsorge übt Kersting scharfe Kritik. Die von den „Rousseauisten“ vertretene Position sei ein „illiberales demokratieethisches Dogma“, das von der selbstverständlichen Vorrangigkeit öffentlicher Autonomie ausgehe, was die private Autonomie implizit zur Sekundarität degradiere: Soziale Grundrechte werden gerechtfertigt unter der Maßgabe individueller Verpflichtung zur Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten. „Der Sozialhilfeempfänger, der sich als miserabler Diskurspartner, als Partizipationsverweigerer, als Papierdemokrat entpuppt, muss eigentlich von weiterer Zahlung ausgeschlossen bleiben” (ebda., S. 26 f.). Damit handele es sich um ein zutiefst illiberales Konzept einer bürgerethischen Funktionalisierung: „Nur darum sozialstaatlich am Leben gelassen zu werden, damit man sich an gesellschaftlichen Normenüberprüfungsdiskursen beteiligt, ist eine menschen-rechtliche Zumutung” (ebda., S. 27).

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  21. Das „egalitaristische“ Begründungsmodell der Gleichheitsfürsorge hat quasi eine Neutralisierung aller natürlichen und sozialen Ungleichheit zum Ziel. In dieser Radikalität weist es totalitäre und ethisch überaus fragwürdige Momente auf. Die Egalitaristen, deren prominenteste Vertreter John Rawls, Thomas Nagel und Ronald Dworkin seien, würden den Sozialstaat als „Instrument einer umfassenden egalitären Verteilungsgerechtigkeit“ betrachten (ebda., S. 29). Aufgabe eines gesellschaftlichen Verteilungsinstrumentes sei es, Ungleichheiten aufgrund natürlicher Fähigkeiten oder zufälliger sozialer Startpositionen „auf der Grundlage von Gerechtigkeitsregeln zu korrigieren.“ Das große Problem bleibt freilich, die „verdienten“ und „unverdienten“ Anteile am unterschiedlichen Lebenserfolg zu ermitteln: Die „Auswirkungen der Lotterie der Natur bestimmen das gesamte Entscheidungsarsenal und Verhaltensrepertoire der Individuen. Eine trennscharfe Sortierung der illegitimen und legitimen Ungleichheitsursachen ist damit ebenso unmöglich wie eine genaue Bestimmung des Redistributionsausmaßes” (ebda., S. 30). Die Egalitaristen fordern die völlige Neutralisierung aller vorgegebenen Ungleichheiten: So wird der „Egalisierungs-etatismus (...) zu einem Maßnahmestaat, in dem alle Rechtsstaatlichkeit verdampft” (ebda., S. 33). Zu Ende gedacht müsste es dem Egalitarismus sogar am Herzen liegen, die genetischen Ungleichheiten mittels vorhandener Technologien zu neutralisieren: Der Sozialstaat als „Schöpfungskorrektur“ oder „Zweitschöpfung“, in der „die moralischen Versäumnisse der Begabungsverteilung der Erstschöpfung dadurch korrigiert werden, dass die Begünstigten von den Benachteiligten in Kompensationshaft genommen werden” (S. 35; vgl. auch: Prischning 2001, S. 19).

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  22. Sartori 1997, S. 330.

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  23. Ritter 1991, S. 9. Der Begriff des Wohlfahrtsstaates — zumal dann, wenn man nicht explizit vom modernen, d.h.: demokratischen Wohlfahrtsstaat spreche — weise keine so eindeutige Beziehung zu Demokratie und Marktwirtschaft auf wie der des Sozialstaates: Das wesentliche Element des Wohlfahrtsstaates, so Ritter, sei die „Modifizierung der Marktkräfte durch sozioökonomische Interventionen des Staates“. Dies aber träfe sowohl auf autoritäre Regierungen zu als auch auf Systeme, die durch Planwirtschaft unter Ausschaltung des Marktgeschehens Wohlfahrtspolitik betreiben (ebda., S. 10).

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  24. Der Kern dessen, was das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ausmacht, lässt sich in kurzen Worten in etwa so zusammenfassen: Der Markt ist der staatlichen Steuerung überlegen und damit vorzuziehen. Damit Marktwirtschaft funktioniert, bedarf es des Wettbewerbes. Dieser konstituiert und erhält sich aber nicht selbst, vielmehr muss der Staat durch entsprechende Rahmenbedingungen Wettbewerb herstellen und sichern. Die beste Sozialpolitik ist wirtschaftliches Wachstum, da es Beschäftigung sichert und gleichzeitig hohe Sozialleistungen ermöglicht. Der Staat ist verpflichtet, die Schwachen zu schützen, auch durch entsprechende Umverteilungsmaßnahmen. Die Umverteilung hat jedoch ihre Grenzen da, wo sie das wirtschaftliche Wachstum beeinträchtigt (vgl. Grosser 1985, S. 62 f.). Die Bedeutung des Staates liegt also in seiner Funktion als starker Staat (1.) die Rahmenbedingungen so zu setzen und zu sichern, dass Marktwirtschaft funktionieren kann und (2.) da, wo die Ergebnisse der Marktwirtschaft unbefriedigend sind, diese zu korrigieren: „Jede Volkswirtschaft braucht eine Effizienz und Menschenwürde garantierende Wirtschaftsverfassung, und solch eine Verfassung entsteht nicht von alleine, sondern muss auf der Basis bestimmter Prinzipien, die als Metaregeln fungieren, bewusst geschaffen werden” (Grossekettler 1999, S. 49). Nach Walter Eucken (1891–1950), dem theoretischen Wegbereiter des Konzeptes der Sozialen Marktwirtschaft (nicht dem Schöpfer des Begriffes, der von Alfred Müller-Armack stammt) und ordoliberalem Vertreter des „starken Staates“, muss dieser, um die Freiheit des Marktes zu ermöglichen, seine Politik darauf richten, „wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktion zu begrenzen” (Oswalt 1996, S. 198). „Das Ordnungsmodell, Soziale Marktwirtschaft‘stellt nach der Intention des Schöpfers dieses Begriffes — Alfred Müller-Armack — einen dritten Weg zwischen reiner kapitalistischer Marktwirtschaft und Sozialismus dar” (Neumann & Schaper 1998, S. 33). Danach habe der Sozialstaat die „unbestrittene Aufgabe, die aus dem Marktprozess resultierenden Einkommensströme umzuleiten“ und zwar zum Zwecke vielfältiger sozialer Leistungen (Müller-Armack 1972: Die Soziale Marktwirtschaft und ihre Widersacher, in: ders. 1981: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft, Bern-Stuttgart, S. 150, zit. in: Katterle 2000, S. 220).

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  25. Vgl. Kaufmann 1997, S. 21.

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  26. So zum Beispiel, wenn Günther Schmid den „fürsorgenden Wohlfahrtsstaat“ vom „kooperativen Sozialstaat“ abgrenzt: Ersterem ginge es um „einheitliche Lebensverhältnisse“ durch „umverteilende Transfers“ mittels einer hierarchischen Bürokratie, letzterem um „gleichwertige Lebensverhältnisse“ durch „ergebnisorientierte Anreize“ in „selbststeuernden Netzwerken” (1996: Reform der Arbeitsmarktpolitik. Vom fürsorgenden Wohlfahrtsstaat zum kooperativen Sozialstaat, in: WSI-Mitteilungen 10/1996, S. 629, zit. in: Butterwegge 1999, S.13).

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  27. Baader 1995.

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  28. So der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen kritisch über das dänische Wohlfahrtssystem in seinem Buch „Vom Sozialstaat zum Minimalstaat” (vgl. Süddeutsche Zeitung, 01.07.2002: Im Profil — Anders Fogh Rasmussen: Dänischer Ministerpräsident mit Hang zum Euro).

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  29. William Temple war einer der führenden Vertreter des christlichen Sozialismus in England. Er benutzte als Erzbischof von York (1929–42), später als Erzbischof von Canterbury und Primas der anglikanischen Kirche (1942–44), den Begriff „welfare state“ in bewusster Abgrenzung zu den Diktaturen Hitlers und Stalins. Allerdings ist die positive Konnotation im englischsprachigen Raum nicht bruchlos: So lehnte Sir William Beveridge, nach dem die soziale Gesetzgebung der Labour-Regierungen von 1945–51 benannt wurde („Beveridge-Plan“), den Begriff ab und sprach selber stattdessen vom „social service state” (vgl. Ritter 1991, S. 6 f.).

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  30. Die Elemente, die den „typisch deutschen“ Sozialstaat ausmachen, sind die föderale Struktur des Staatswesens, die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, ein gegliedertes System der sozialen Sicherung, welches von rechtlich eigenständigen Körperschaften der Sozialversicherungsträger geprägt wird, die bedeutende Rolle von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, sowie die gemeinnützigen Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und private Leistungserbringer. Und: „last but not least, unter dem Vorzeichen der Subsidiarität, die Grundannahme, dass der einzelne zunächst darauf verwiesen ist, durch Erwerbsarbeit Einkommen zu verdienen und seinen und der Seinen Bedarf zu decken” (Schulte 1998a, S. 259).

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  31. Vgl. Kaufmann 1997, S. 21; vgl. auch Kowalsky 1999, S. 12, Fn. 5. Der deutsche Begriff „Sozialstaat“ geht auf Lorenz von Stein zurück, der vom Staat sowohl die Gleichheit des Einzelnen vor dem Recht, Rechtsstaatlichkeit also, sowie den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt aller Staatsangehörigen, den „socialen Staate“, forderte (1991, S. 11; nach Lorenz von Stein 1876: Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaften Deutschlands, Stuttgart, S. 215).

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  32. Die Steuerbefreiungen für Familien sind beachtlich. Deren Wert betrug in Deutschland 1995 ca. 14 Milliarden Euro (vgl. Adema 2001, S. 99). Die sozial-politische Bedeutung von Steuervergünstigungen wird oft übersehen: So weist beispielsweise die OECD auf die Situation in den USA hin, „where gross public spending actually underestimates public social effort” (OECD 2001, S. 76). Mit anderen Worten: Der Blick auf die Sozialleistungs-quote der USA bildet das sozialpolitische Engagement nur unvollständig ab.

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  33. Hinter der Formel der Chancengleichheit stehen, so Giovanni Sartori, Machtfaktoren: Gleiche Aufstiegsmöglichkeiten entsprechen der „Macht, die eigenen positiven Eigenschaften in die Waagschale zu werfen“. Mithin geht es um „eine angemessene Ausgangsmacht (materielle Bedingungen), um gleiche Fähigkeiten und gleichen Rang wie jeder andere zu erreichen” (1997 S. 335).

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  34. Vgl. Kaufmann 1997, S. 34 ff.

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  35. Ebda., S. 36.

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  36. Vgl. Mayer-Tasch 1991, S. 122.

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  37. Zwischen Sozialversicherungs- und Sozialistengesetzgebung besteht ein innerer Zusammenhang. Die soziale Absicherung der Arbeiter war ein Instrument ihrer „Beruhigung“, so sagte Bismarck in seiner Reichstagsrede vom 15. März 1884: „Bei Einbringung des Sozialistengesetzes hat die Regierung Versprechen gegeben dahin, dass als Korollär dieses Sozialistengesetzes die ernsthafte Bemühung für eine Besserung des Schicksals der Arbeiter Hand in Hand mit demselben gehen sollte. Das ist meines Erachtens das Komplement für das Sozialistengesetz” (zit. in: Lampert 1998, S. 67). Beide Instrumente — Sozialistenverfolgung und Sozialpolitik — sind also Ausdruck Bismarck’scher Bemühungen, innenpolitische Stabilität herzustellen. Es war „oberste Maxime seiner Politik, Krisen und oppositionelle Entwicklungen im Innern zu unterbinden. Neben der Zurückdrängung liberalen Einflusses und bürgerlicher Staatsauffassung (Fortschrittspartei) galt es vor allem, die durch die Industrialisierungswelle nach 1850 stark anwachsende Arbeiterschaft zu befrieden und in die angestrebte hierarchische Gesellschaftsordnung zu integrieren” (Neumann & Schaper 1998, S. 26). Bismarck schuf 1883 die Arbeiterkrankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung und 1889 die Invaliditäts- und Altersversicherung. (Die vierte und fünfte Säule des deutschen Sozialversicherungssystems entstanden 1927 mit der Arbeitslosenversicherung und — jüngst — 1995 mit der Pflegeversicherung.) Freilich wurde die Soziale Sicherung von der Arbeiterschaft nicht gerade begeistert aufgenommen. Vielmehr versuchte diese zunächst (und wegen ihrer Fragmentierung wenig erfolgreich) mittels selbst organisierter Hilfskassen und im gewerkschafts- bzw. parteifinanzierten Hilfswesen eigene Unterstützungssysteme zu errichten. Die Ablehnung kann nicht überraschen, standen „die Arbeiter doch den durch einen feindseligen Staat eingeleiteten Reformen offensichtlich skeptisch gegenüber” (Esping-Andersen 1989, S. 40).

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  38. Kaufmann 1997, S. 45.

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  39. Weber 1988b, S. 191 (Hervorhebungen im Original).

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  40. Baldwin 1997: Can we Define a European Welfare State Model?, in: Greve, Bent (Hg.): Comparative Welfare Systems. The Scandinavian Model in a Period of Change, Basingstoke: Macmillan (zit. in: Schulte 1998a, S. 255).

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  41. Vgl. zur begrenzten Leistungsfähigkeit des Makrovergleichs: Schulte 1998 a, S. 268. Praktische Ergebnisse, so Schulte weiter, seien im Hinblick auf konkrete Problemlösungen, die die gegenwärtige sozialstaatliche Entwicklung abverlange, eher von einem „Mikro-vergleich“ zu erwarten, der auf Lösungen abstellt, die eine bestimmte Staats- und Gesellschaftsordnung für bestimmte Fragen entwickelt hat.

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  42. Bordiert 1998, S. 139.

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  43. Esping-Andersen 1999, S. 19.

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  44. Ebda.

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  45. Lessenich 1998, S. 92.

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  46. Ebda. (eigene Hervorhebung).

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  47. Esping-Andersen 1990, S. 23 (eigene Hervorhebung).

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  48. Vgl. ders. 1998, S. 38.

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  49. Esping-Andersen 1990, S. 22 (eigene Hervorhebung).

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  50. Esping-Andersen 1990, S. 22.

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  51. Ders. 1998, S. 39.

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  52. Ebda. Tatsächlich stellt der „Gang zum Sozialamt“ oftmals ein großes individuelles Problem dar und wird vielfach als demütigend empfunden. Eine Tatsache übrigens, die einer der Hauptgründe für den Anstoß der Diskussion zur Einführung der Pflegeversicherung in Deutschland war, zumal Sozialhilfeabhängigkeit von Pflegebedürftigen ein Massenphänomen war (und immer noch ist).

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  53. Esping-Andersen 1990, S. 24; vgl. auch Max Weber 1980: Max Weber formuliert die notwendigen Voraussetzungen, eine funktionierende bürokratische Herrschaft aufrecht zu erhalten: „Daher bieten erfahrungsgemäß ein gesichertes Geldgehalt, verbunden mit der Chance einer nicht rein vom Zufall und Willkür abhängigen Karriere, eine straffe, aber das Ehrgefühl schonende Disziplin und Kontrolle, ferner die Entwicklung des Standesehrgefühls und die Möglichkeit der öffentlichen Kritik das relative Optimum für das Gelingen und den Bestand einer straffen Mechanisierung des bürokratischen Apparats, und er funktioniert in dieser Hinsicht sicherer als alle rechtliche Versklavung. Und zwar ist ein starkes Sendungsbewusstsein der Beamten mit der Bereitwilligkeit zur willenlosesten Unterordnung unter die Vorgesetzten nicht nur verträglich, sondern es ist — wie beim Offizier — als innerer Ausgleich für das Selbstgefühl der Beamten deren Konsequenz” (1980, S. 558).

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  54. Esping-Andersen 1998, S. 40.

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  55. Esping-Andersen 1998, S. 41.

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  56. Ebda., S. 43.

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  57. Esping-Andersen hält sie sogar für „vernachlässigbar gering” (1998., S. 44).

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  58. Da die vorgesehenen Versicherungsleistungen nicht hinreichen, alle Kosten der pflegerischen Versorgung zu decken, ist familiäres Engagement in der häuslichen Pflege notwendig und vom Pflegeversicherungsgesetz ausdrücklich gewünscht (Vorrang der häuslichen Pflege — Subsidiaritätsprinzip). Durch die Versicherung nicht gedeckte Kosten muss der Pflegebedürftige bzw. seine Familie selbst aufbringen. Erst wenn diese familiäre Leistungsfähigkeit ausgeschöpft ist, greift der Staat helfend mit der (stigmatisierenden) Sozialhilfe ein (mehr hierzu siehe Teil III, Kap. 3).

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  59. Esping-Andersen 1998, S. 44.

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  60. Ders. 1990, S. 45.

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  61. Ebda.

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  62. Ebda, S. 46.

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  63. Vgl. Rieger 1998, S. 65.

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  64. Ebda., S. 70.

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  65. Vgl. Lessenich 1998, S. 92; Schmidt 1998, S. 180.

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  66. Rieger 1998, S. 72.

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  67. Vgl. Schmidt 1998, S. 188.

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  68. Vgl. ebda.; vgl. auch: Kaufmann 1997, S. 66.

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  69. Vgl. Schmidt 1998, S. 181.

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  70. Bordiert 1998, S. 147.

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  71. Ebda.; Borchert identifiziert drei grundsätzliche Phasen von Entstehung und Entwicklung des Wohlfahrtsstaates, die von Esping-Andersens Konzept nicht adäquat erfasst werden: Erstens, die Phase der Entstehung von Wohlfahrtsstaaten vor dem Ersten Weltkrieg. Zweitens, die „kritische Ära“ der Rekonstitution nach Weltwirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg. Schließlich die gegenwärtige Phase des Um- bzw. Abbaus wohlfahrtsstaatlicher Strukturen, eine Phase der Restrukturierung also. Esping-Andersen folgt dagegen einem Machtressourcenansatz, der davon ausgeht, dass „linke“ politische Kräfte im Prinzip nach dem gleichen „sozialdemokratischen Modell“ streben. Das heißt, dass „die Variationen im realen Ergebnis auf die unterschiedlich starke Macht der Linken zurückgeführt werden“ können (ebda., S. 143). Die Macht der linken Kräfte werden begünstigt durch starke linke Parteien und Gewerkschaften, einer evtl. Spaltung des bürgerlichen Lagers und dem Fehlen eines starken politischen Katholizismus. Das liberale Modell kann sich durchsetzen, wenn die Arbeiterbewegung schwach, der bürgerliche Block dagegen vereint ist. Herrscht ein starker Katholizismus in Verbindung mit absolutistischen Traditionen vor, so begünstigt dies die Entwicklung konservativer Wohlfahrtsstaaten (Esping-Andersen 1990, S. 108 ff.).

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  72. Vgl. Borchert 1998, S. 141.

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  73. Rieger 1998, S. 77.

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  74. Borchert 1998, S. 138.

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  75. Rieger 1998, S. 76.

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  76. Zum Beispiel Schulte 1998; Butterwegge 1999; Delsen et al. 2000; WISO 2000.

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  77. Kokot 1999, S. 120.

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  78. Vgl. Kokot 1999, S. 120; vgl. auch: Pilz 2000, S. 100; Döring 2000, S. 12.

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  79. Vgl. Esping-Andersen 1990, S. 22; Kokot 1999, S. 120.

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  80. Beveridge war ein Gegner des damals vorherrschenden Sozialhilfesystems, welches lediglich eine Ergänzung der Arbeiterversicherungen darstellte. Dieses mit Bedürftigkeits-Überprüfungen („household test“) verbundene Sozialsystem war in Großbritannien überhaupt sehr ungeliebt. Beveridge veröffentlichte einen Bericht (Beveridge-Report), der großen Einfluss nicht nur auf die Politik Großbritanniens haben sollte. Der Bericht sah vor, ein allen Briten unabhängig von ihrem Erwerbsstatus zugängliches System sozialer Sicherung aufzubauen, das die Lebensrisiken Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter auf einem einkommensunabhängigen und subsistenzsichernden Niveau ohne zeitliche Limitierung absichern sollte. Der 1946 in Kraft gesetzte National Insurance Act übernahm zwar wichtige Ideen des Beveridge Reports (universale Ausrichtung, Absicherung der Lebensrisiken Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter), sah aber Kernpunkte des Beveridge-Berichtes nicht vor: Die Leistungen bei Arbeitslosigkeit fielen deutlich geringer aus und die generelle Absicherung war nicht subsistenzsichernd. Auch die von Beveridge vorgeschlagene nicht limitierte Dauer sozialer Leistungen konnte keine Mehrheit finden. Ausschlaggebend waren Befürchtungen des Missbrauchs sozialer Leistungen wie auch die hohen Kosten, die ein solches System verursachen würde (vgl. Delsen et al. 2000, S. 3 f.).

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  81. Vgl. Kokot 1999, S. 121.

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  82. Demnach würde Großbritannien zum angelsächsischen („liberalen“), Dänemark zum skandinavischen („sozialdemokratischen“) und Portugal zum südeuropäischen („nachholenden“) Typus gehören. Auch das WISO-Institut ordnet Dänemark und Großbritannien „eindeutig“ dem Beveridge-System zu (WISO 2000, S. 54), obgleich doch die „liberalen“ Regime Großbritannien oder auch Irland Leistungen auf niedrigem Niveau (Mindestsicherung) nach Bedürftigkeitsprüfungen und negativer Stigmatisierung anbieten, während Dänemark ein Staatsbürgerversorgungssystem auf hohem Niveau hat.

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  83. Diese Unterscheidung zur differenzierten Betrachtung der zwei Dimensionen demokratischer Legitimität verwendet Fritz W. Scharpf (1999) in seinem Buch „Regieren in Europa” (siehe hierzu auch Teil IV, Kap. 4.3).

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Skuban, R. (2004). Der Wohlfahrtsstaat. In: Pflegesicherung in Europa. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80470-9_5

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