Zusammenfassung
Welchen Ort kann die Religion in der zeitgenössischen Demokratietheorie einnehmen? Machen die Unterschiede zwischen verschiedenen Varianten von Demokratietheorie auch einen Unterschied für die Stellung der Religion aus? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. Die Antwort wird in groben Zügen lauten: Man muss schon recht genau hinsehen, denn die Demokratietheoretiker zeigen sich üblicherweise nicht sehr beredt, wenn es um die Religion geht (Abschnitt 2). Auf hohem Abstraktionsniveau angesiedelte Begründungen einer unbedingten Angewiesenheit auf religiöse Gewissensformung vermögen nicht zu überzeugen und kommen nicht in einen fruchtbaren Dialog mit der Demokratietheorie (3). Religion kann aber durchaus entlang bestimmter Kategorien verschiedener Demokratietheorien an einem bestimmten Ort lokalisiert werden. Sie kann dann etwa als Organisation moralischer Interessenvertretung, als Trägerin komplexer Sinnressourcen oder als Rahmen gemeinschaftlicher Mobilisierung geschätzt werden (4–6). Solcherart eine Unterkunft findend, kann es sich die Religion gleichwohl auf ihrem zugewiesenen Platz nicht behaglich machen. Denn ob sie sich an ihrem Ort so recht wohl fühlen mag, bleibt zweifelhaft (7). Das ist freilich insofern nicht verwunderlich, als dieser Ort aus einer gänzlich säkularen Perspektive zugewiesen werden wird. Denn es geht hier nicht um christliche Gesellschaftslehre, sondern um politikwissenschaftliche Demokratietheorien, also nicht um Verortung der Demokratie in der Moraltheologie, sondern um Verortung der Religion im Demokratiediskurs.
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Haus, M. (2003). Ort und Funktion der Religion in der zeitgenössischen Demokratietheorie. In: Minkenberg, M., Willems, U. (eds) Politik und Religion. Politische Vierteljahresschrift, vol 33. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80406-8_3
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