Zusammenfassung
Von Diskursen (oder Deliberationen/Argumentationen) wird erwartet, dass sie institutionalisierte Politikprozesse entgrenzen. Sie erhöhen Partizipation, indem sie mehr Akteure einschließen; sie sehen gleiche Rechte für alle Beteiligten vor und verbieten den selektiven Rückgriff auf schiere Macht; sie sind offen für alle Themen und Probleme und vervielfältigen die zu berücksichtigenden Perspektiven und Bewertungen (Habermas 1983; Elster 1998; vgl. auch van den Daele/Neidhardt 1996). Für die Technikpolitik sollte daraus folgen, dass diskursive oder deliberative Verfahren in besonderer Weise geeignet sind, moralisch begründeten Widerstand gegen die Technisierung der Welt, Ängste vor unbekannten Risiken und Ansprüche auf demokratische Kontrolle der Technikentwicklung zur Geltung zu bringen. Faktisch entwickeln diskursive Verfahren jedoch eine Eigendynamik, welche die hoch gesteckten Erwartungen frustriert. Herausforderungen des Gewissens werden politisch verharmlost, indem sie privaten Freiheitsrechten und pluralistischer Toleranz zugewiesen werden; subjektive Angst bleibt unbeachtlich, wenn ihr kein objektives Risiko entspricht; verfassungspolitische Reformen werden durch die Vervielfältigung von Grundsatzproblemen unerreichbar gemacht.
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van den Daele, W. (2001). Gewissen, Angst und radikale Reform — Wie starke Ansprüche an die Technikpolitik in diskursiven Arenen schwach werden. In: Simonis, G., Martinsen, R., Saretzki, T. (eds) Politik und Technik. Politische Vierteljahresschrift, vol 31. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80387-0_25
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