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Strukturation von Unternehmungsnetzwerken: der strukturationstheoretische Netzwerkansatz

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Unternehmungsnetzwerke

Part of the book series: Organisation und Gesellschaft ((OUG))

Zusammenfassung

Der strukturationstheoretische Netzwerkansatz nutzt die in den letzten 25 Jahren entwickelte Strukturationstheorie des englischen Soziologen Anthony Giddens zur Formulierung einer Netzwerktheorie, mit der sich die Theorielücken bisheriger Netzwerkforschung (I u. II) schließen lassen. Im Mittelpunkt des im folgenden entwickelten Analyseansatzes von Unternehmungsnetzwerken (allgemein: sozialer Systeme) steht ein über soziale Praktiken vermittelter Konstitutionsprozeß, in dem gesellschaftsweite Institutionen und das Handeln und die Beziehungen der Netzwerkakteure gleichermaßen eine Rolle spielen:

Konstitution von Unternehmungsnetzwerken: die strukturationstheoretische Perspektive

Strukturation von Unternehmungsnetzwerken meint: Individuelle und korporative Akteure bringen über ihre Geschäftsinteraktionen und -beziehungen mit anderen Akteuren Unternehmungsnetzwerke mit ihren Geschäftspraktiken ‚hervor‘, indem sie unter Rekurs auf systemisch regulierte Geschäftsinteraktionen und -beziehungen und darüber hinausreichende Kontexte bis hin zu gesellschaftlichen Totalitäten einen dauerhaften Beziehungszusammenhang zwischen sich schaffen und/oder sich im Handeln vergegenwärtigen. Und indem sie das tun, konstituieren sie sich als Netzwerkakteure. Wenn Netzwerkakteure im Netzwerk handeln, nehmen sie also immer Rekurs auf Praktiken, wie man im Netzwerk und darüber hinaus Geschäfte macht („↓“).1 Endprodukthersteller und Systemzulieferer handeln etwa im Rahmen der im Netzwerk üblichen Geschäftspraktiken.

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Literatur

  1. Ich halte an dem von Giddens im Englischen als Neologismus eingeführten Begriff der Strukturation fest (Giddens, 1984, xvi; 1991b, 202). Strukturation bezeichnet die Strukturierung und Strukturiertheit der Prozesse der Konstitution des Sozialen. Der im Deutschen mittlerweile gebräuchliche, durch die auch in diesem Punkte eher unglückliche Übersetzung der,Constitution of Society‘eingeführte Begriff der Strukturierung, ebenso wie der zunächst von Joas (1986) vorgeschlagene der Strukturbildung, sind in meinen Augen eher fehlleitend. Begrifflich führen sie die gleich elementare Strukturiertheit der Prozesse nicht mit und leisten einer handlungstheoretischen Fehldeutung Vorschub. Der Begriff der Strukturation ist anderswo kein Neologismus. Im Französischen wird er durchaus verwendet — und zwar in dem auch von Giddens benutzten Sinne. Aufmerksam geworden ist Giddens (1979, 70) auf den Begriff der Strukturation durch Arbeiten von Piaget und vor allem durch die,La traité de sociologie‘von Gurvitch (1958, insbes. 258).

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  2. Der hier für Unternehmungsnetzwerke skizzierte Konstitutionsansatz gilt auch für alle anderen Sozialsysteme, von Unternehmungen, organisationalen Feldern über Parteien und Verbände bis hin zu Familien und personalen Beziehungssystemen. Als Konzept für die Konstitution des Sozialen bestimmt man im Prinzip identisch auch die Konstitution des Marketing, des Vertriebs, des Personalmanagements, der Organisation, des Controlling — alle typischen Gegenstände betriebswirtschaftlicher Forschung — und überwindet damit die in der Betriebswirtschaftslehre übliche einzelwirtschaftliche Betrachtungsebene. Gleiches gilt für die Topoi industriesoziologischer Forschung. Eine strukturationstheoretische Analyse untersucht die Konstitution von Arbeit oder Lohnarbeit, des Arbeitsmarktes, der industriellen Beziehungen, der Qualifikation, der Berufe usw. und überwindet darüber die kontingenztheoretische bzw. strukturalistisch reduzierte Aufnahme (genauer III-3). Begriffe aus anderen Theoriekontexten lassen sich so systematisch fortentwickeln. Ein Beispiel: Böhles (z.B. 1999) in den letzten Jahren handlungstheoretisch weiter ausgearbeiteter Begriff der Arbeit, der die fruchtbare Unterscheidung zwischen objektivierendem und subjektivierendem Arbeitshandeln einführt, wäre strukturationstheoretisch durch einen Begriff der Konstitution von Arbeit fortzuentwickeln, die handlungstheoretische Erweiterung mit den strukturtheoretischen Facetten des Marxschen Begriffs in einem erweiterten Theorierahmen zu vermitteln.

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  3. Diese Theorieanlage erweitert und verallgemeinert Webers (1976 [1921]) Forderung von Sinnund Kausaladäquanz als Minimalanforderung soziologischer Analyse, indem sie davon ausgeht, daß Akteure sich im individuellen Handeln die Strukturen sozialer Praktiken vergegenwärtigen (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) und nutzen und — wie wir gleich noch sehen — sozialwissenschaftliche Analysen als doppelt hermeneutische versteht.

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  4. Den für ein Verständnis der Strukturationstheorie grundlegenden Begriff der Bindung entlehnt Giddens von Freud (s.a. Baert, 1998, 98). Ich konzentriere mich auf einige wenige soziologische Aspekte des Begriffs. Bindungen verweisen auf die Herstellung und das Vorhandensein sozialer Beziehungen. Sie implizieren (für Freud),gute Bahnungen‘. Diese bewirken, so ließe sich übertragen, daß Widerstände gegen Übergänge von einer Aktivität in eine andere oder von einem Akteur zu anderen sich vermindern. Bindungen von Aktivitäten oder von Akteuren (auch an bestimmte Kontexte, Umstände usw.) beinhalten die von Akteuren an bestimmte Aktivitäten und umgekehrt. Die Existenz von Bindungen schließt zudem ein, daß andere Vorgänge und Fähigkeiten gehemmt oder gebunden werden — etwa kognitive Fähigkeiten zur Erklärung des sozialen Lebens. Die Existenz von Bindungen verweist zudem auf Einbindung und Ausgrenzung — man bedenke hierzu etwa beim englischen,boundary‘den Stamm,bind‘— und auf Bindung und Entbindung, auf soziale Mechanismen, die Bindungen befördern oder im Gegenteil, Zusammenhänge, Bindungen auflösen oder zerstören. Ein weiterer, wenn nicht sogar der für die Strukturationstheorie wesentlichste Aspekt von Bindung (bei Freud) ist, daß sie die Grundlage für Wiederholung, für die Konstitution von Routinen und damit für die Strukturation sozialer Reproduktion wie Transformation ist. Diese rekursive Bindung von Akteuren an die Prozesse der Konstitution des Sozialen ist einer der elementaren Gründe, warum sich die Prozesse der Konstitution nicht von Akteuren und ihrem Tun abtrennen (lassen). Das beinhaltet, so ließe sich im Anschluß an Simmel (1992 [1908], 689) hervorheben, zudem, daß Aktivitäten und Akteure sich wechselseitig,beanspruchen‘, den Raum und die Zeit zwischen sich in spezieller Weise,erfüllen‘und,beleben‘, dem,Zwischen‘zwischen ihnen eine besondere Bedeutung verleihen. Den psychoanalytischen Kontext des Begriffs nehme ich nicht genauer auf, obwohl dieser bei Giddens durchgängig mitschwingt (als Überblick über diese Begriffsebene Laplanche/Pontalis, 1973 [1967], 103 ff.). Ebenfalls blende ich die psychologische Bedeutung von Bindung für die Entwicklung des Kindes, für das Lernen des Umgangs von Kindern mit der Abwesenheit (der Mutter) und der damit einhergehenden Ausbildung von allgemeinem Vertrauen aus (hierzu Giddens, 1984, 41 ff.; sowie in einem organisationstheoretischen Zusammenhang Ortmann/Sydow/Windeler, 1997, 336 ff.).

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  5. In strukturationstheoretischer Sicht werden alle sozialen Aktivitäten rekursiv, bei weitem aber nicht alles Soziale jedoch reflexiv produziert und reproduziert — und das gilt selbst auch für die Regulation von Organisationen. Der mittlerweile im Bereich der Sozialwissenschaften eher inflationär gebrauchte Begriff der Rekursivität hat im Bereich der Mathematik — dem er begrifflich, aber nicht in seiner Bedeutung entlehnt ist — eine recht präzise Bedeutung. Auf dieser Folie läßt sich der strukturationstheoretische Begriff besser verstehen (Giddens, 1991b, 204). In der Mathematik bezeichnet Rekursivität ein Verfahren der Bildung unendlich vieler Elemente (einer rekursiven Funktion, Reihe oder Folge) auf der Grundlage eines Ausgangselements und einer feststehenden, generativen Regel. Das jeweils neue Element, zum Beispiel einer rekursiven mathematischen Folge von Zahlen, wird auf der Grundlage der Konstituentien des vorhergehenden Elements mit Hilfe der rekursiven Formationsregel gebildet. Rekursivität meint also den,Rückbezug‘auf das Vorhergehende inklusive des,Wissens‘um die Regel, wie aus dem,Alten‘das,Neue‘zu schaffen ist. Im Sozialen kann man selbstredend nicht in gleicher Weise von Rekursivität sprechen wie in der Mathematik. Im Sozialen fehlt es den Praktiken, Regeln und den Räumen an den in der Mathematik notwendigen und per Definition gewonnenen eindeutigen Fixierungen (in axiomatisch wohlgeordneten Räumen). Das hat zur Folge, daß es im Sozialen keine von Aktivitäten der Akteure unabhängigen Resultate gibt. Akteure sind eben lernfähig und vor allem: Sie können ihr Verhalten ändern. Ferner sind in der Mathematik nur ganz bestimmte Folgen, Reihen usw. durch Rekursivität ausgezeichnet. Im Sozialen ist Rekursivität dagegen ein allgemeines Merkmal: „Human social activities, like some self-reproducing items in nature, are recursive. That is to say, they are not brought into being by social actors but continually recreated by them via the very means whereby they express themselves as actors. In and through their activities agents reproduce the conditions that make these activities possible“(Giddens, 1984, 2). Nicht jede (etwa statistische) Interdependenz ist daher als rekursives Verhältnis zu bezeichnen. Was in einem rekursiven Verhältnis steht, muß über soziale Praktiken vermittelt sein. Ist dies der Fall, dann bestimmt man die rekursive Vermittlung zwischen (zwei Resultaten) X und Y, indem man die Praktiken herausarbeitet, wie X vermittelt über soziale Praktiken Y beeinflußt und umgekehrt. Rekursivität ist zudem nicht mit Zirkularität zu verwechseln: zirkulär meint Rückkehr in das Gleiche, rekursiv dagegen Rückkehr in das Gleiche oder in das durch Rekursion Veränderte.

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  6. Einblicke in die Diskussionen vermitteln die Sammelbände von Held und Thompson (1989a), Clark, Modgil und Modgil (1990) sowie von Bryant und Jary (1991; 1996). Aktuelle Überblicke über organisationstheoretische Anwendungen geben, Bouchikhi, Kilduff und Whittington (1995) sowie Ortmann, Sydow und Windeier (1997).

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  7. Unsere Studien über,Computer und Macht‘(Ortmann et al., 1990) und über die,Organisation von Netzwerken‘(Sydow et al., 1995) bilden so nach denen von Schönbauer (1983; 1987) meines Wissens die ersten und immer noch seltenen empirischen Forschungsstudien, die in der Bundesrepublik Deutschland explizit Anthony Giddens’ Strukturationstheorie als Theoriegrundlage für Analysen von Unternehmungen, Unternehmungsnetzwerken und Branchen verwendet haben. Im Bereich der Betriebswirtschaftslehre wird Giddens zudem von Empter (1988), Neuberger (1995), Walgenbach (1995), Küpper und Felsch (1999), Hahmann (2000), Ortmarin und Sydow (2001) und von van Well (2001) zugrundegelegt. 1999 hat die Strukturationstheorie als organisationstheoretischer Ansatz Aufnahme in das wichtigste deutschsprachige organisationstheoretische Lehrbuch gefunden (s. Walgenbachs Beitrag in Kieser 1999). Im Bereich der deutschsprachigen Soziologie haben zum Beispiel Kießling (1988) und Müller (1992) Arbeiten über Giddens vorgelegt.

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  8. Den Leser Giddensscher Schriften erwartet — wie Lewis A. Coser (1981, 1435) es ausdrückt -„the flight of a honey bee who dips into a wide variety of flowers.“Giddens’ (1984, 163) Selbstcharakterisierung als,circulating in and out‘weicht nicht weit davon ab. Seine Auseinandersetzung mit Theorien bezeichnet Giddens (1984, xxxv) — in impliziter Anlehnung an Hegels (1952 [1807], 11),immanenter Kritik‘— als,internal critique‘. Die äußerst komprimierte Annäherung an Theorien unterzieht diese konstruktiv einer,positive critique‘(Giddens, 1993 [1976], vii). Konzepte werden im Zuge einer,dialogical critique‘(ibid., 1) oft anderen Theorieansätzen entlehnt, aber gleichzeitig immer zumindest leicht in ihrer Bedeutung verschoben. Zudem findet sich in Giddens’ Schriften eine Vielzahl von Neologismen wie der in der englischen und deutschen Sprache neue Begriff der Strukturation. Zusammen mit seiner eher losen Exposition von Themen führt Giddens’ konzeptionelles Vorgehen dazu, daß das Erfassen seiner Theoriekonzepte in seinen Implikationen nicht ganz einfach ist (Held/Thompson, 1989b, 1 ff., Cohen, 1989; 6 ff.; Bryant/Jarry, 1991b, 1 ff.).

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  9. Theoretischer Pluralismus oder Desinteresse kennzeichnen die Positionen der Skeptiker. Einige vertreten die Ansicht, Wissenschaft sollte eher von einer Vielzahl, denn von einem einzigen, geordneten Set von Perspektiven aus betrieben werden. Andere begründen ihr Desinteresse an Sozialtheorie mit dem Argument, die Diskussion selbst über basale Definitionen belege doch nur deren Irrelevanz. Beide Ansichten sind jedoch defizitär: „[T]heoretical debates do make a difference to empirical research. […]. The best kind of empirical research is theoretically informed empirical research“(Giddens, 1996, 67; s.a. Lewin, 1945; Crozier/Friedberg, 1979 [1977]). Selbst wenn man, wie Giddens, Sympathien für die pluralistische Position hegt, muß man festhalten: „Some theories are better than others, and some perspectives are more fruitful than others.“Und: „[T]here is something essentially contestable in what it is to be a human being. There is something elementally difficult in explaining human agency, which is bound to involve us in controversies over the nature of human action. Nevertheless, that does not, and should not, lead us to a blanket approval to theoretical pluralism. The way to document the movement towards synthesis is to identify what was wrong with the orthodox consensus, and then to specify the main elements of emergent agreement“(1996a, 67 f.).

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  10. Eine Diskussion der in der Literatur vorfindlichen, von meiner Position z.T. abweichenden Vorstellungen zu Giddens’ Theorieansatz rücke ich bewußt in den Hintergrund. In der Literatur über den strukturationstheoretischen Theorieansatz wird zum Beispiel das Verständnis der Konstitution des Sozialen nur selten aufgenommen, obwohl es Giddens’ Schriften — wenn auch zugegeben eher implizit — als Modell der Argumentation zugrundeliegt (für Ausnahmen Joas, 1996 [1992]; Bryant, 1995). Die Betonung sozialer Systeme in der Strukturationstheorie zeigt auf Möglichkeiten, System- und Strukturationstheorie bei der Konstruktion der Theorieansätze füreinander fruchtbar zu machen — was in dieser Arbeit nicht systematisch verfolgt werden soll. Ebenso wenig nehme ich die weitreichenden methodischen Implikationen des strukturationstheoretischen Theorieansatzes (generell wie speziell für die Netzwerkanalyse) auf. Das bedürfte einer eigenen Erörterung. Sie hätte allgemein die von Giddens (z.B. 1984, Kapitel 6; 1979, 80) vorgeschlagene Verknüpfung einer,institutionellen‚mit einer,strategischen Analyse‚zu diskutieren und diese speziell mit den methodologischen Erkenntnissen der struktureilen Netzwerkforschung zu verknüpfen (hierzu Teil II.2). Vergleiche aber unten die Bemerkungen zu Status und Ansatz der Theorie (Abschnitte III.1.2 ff.).

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  11. Die Ausführungen beanspruchen weder, die strukturationstheoretischen Konzepte erschöpfend für Analysen von Unternehmungsnetzwerken vorzustellen, noch die Vielfalt der in der Netzwerkliteratur angesprochenen Problemstellungen strukturationstheoretisch zu reformulieren.

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  12. Vgl. Giddens (1979, 235 ff.; 1982a, 1 ff., 12 ff.; 1984, xiii f.). Mit Giddens (1996, 65) ist der orthodoxe Konsens im Anschluß an Parsons als Mainstream soziologischen Denkens durch dreierlei charakterisiert: (1) Naturalismus, das heißt durch die Annahme, Sozialwissenschaft sollte entsprechend der Naturwissenschaft modelliert werden, (2.) durch die Idee sozialer Verursachung, nach der es zwar so scheint, als ob menschliche Akteure einiges von dem verstehen, was sie tun, es aber die Rolle des Sozialwissenschaftlers ist, aufzudecken, was Soziales verursacht, weil nämlich der Akteur da ignorant ist und (3.) Funktionalismus, das heißt vor allem durch ein kybernetisches Verständnis sozialer Systeme.

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  13. Neben den im engeren Sinne theoriekonstruktiven und hier in den Mittelpunkt der Erörterungen gestellten Arbeiten hat Giddens mittlerweile mehr als 30 Bücher geschrieben, in denen er sich zuweilen auch konkreteren Problemen moderner Vergesellschaftung zuwendet (etwa Giddens, 1982b; 1990a; 1994; 1998).

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  14. Angemerkt sei, daß Giddens implizit Differenztheorien à la Luhmann als unfruchtbar klassifiziert — eine für sich bereits kaum haltbare Aussage -, dann aber implizit seine Konzepte auf Überlegungen von Derrida aufbaut (man denke an dessen Konzept der Différance und die Aufnahme dieser Theoriefigur in Giddens’ grundlegendem Theorem der Dualität von Struktur [III-6]), dessen Ansatz aber ebenfalls als,dead tradition of thought‚verwirft.

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  15. Diese Position Giddens’ trifft auf die Mehrzahl sozialtheoretischer Ansätze zu. Es finden sich allerdings auch gewichtige Ausnahmen. Zu nennen sind strukturalistische und poststrukturalistische Positionen sowie Varianten der Systemtheorie (Joas 1996 [1992], 11 ff.). Den Leserinnen und Lesern, die bei der Theoriefigur des aktiven und reflexiven Akteurs an die Theorietradition Hegels und Marx’ denken, ebenso wie jenen, die sich bei Reflexivität an Autopoiesis und die neuere Systemtheorie erinnert fühlen, sei versichert, daß sie beide im gewissen Sinne richtig liegen. Giddens’ Verständnis der Konstitution von Gesellschaft speist sich mit aus beiden Quellen.

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  16. „The idea refers to all the things that we know as social actors, and must know, to make social life happen, but to which we cannot necessarily give discursive form“ (Giddens, 1996, 69). Das sich das Wissen nicht nur aus der Vernunft speist, sondern auch aus dem, Anderen der Vernunft, fügt sich diesem Gesichtspunkt (hierzu Böhme/Böhme, 1985; Gloy, 1996).

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  17. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei angemerkt, daß, wie wir seit Hegel wissen, Reflexivität nicht gleich Reflexion ist. Ersteres meint den Rückbezug im Verhalten auf Verhalten, verweist, wie Giddens oder auch Luhmann schreiben, auf Rekursivität, während Reflexion anzeigt, was Akteuren davon im Reflexionsakt bewußt wird oder in ihm Aufmerksamkeit erlangt.

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  18. Sie ist für Wittgenstein der Ort des Entstehens spezifischer (philosophischer) Mißverständnisse der alltäglichen Sprachfunktion, die als Leerlaufsprachspiele (der Philosophie) nicht mehr sinnvoll mit der Lebenspraxis verwoben sind (Apel, 1967).

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  19. Der soziale Charakter von Sprache wurde in der Soziologie trotz des grundlegenden Einflusses der Schriften Durkheims auf die Formen ihrer Analyse lange verkannt (für Details Luckmann, 1969; 1984; Knoblauch, 2000). Einige, wie Lévi-Strauss (1981 [1947]), haben aufgrund der elementaren Bedeutung von Sprache, aufgedeckt durch die strukturelle Linguistik, in letzterer eine Leitwissenschaft für die Analyse des Sozialen gesehen, die nicht nur Analysemethoden bereithält, sondern auch substantielle Hinweise auf die Natur des menschlichen Geistes vermittelt (Giddens, 1987d, 77). Giddens schreibt den linguistischen Arbeiten ebenfalls hohe Bedeutung zu, teilt aber nicht die Position von Lévi-Strauss. Mit Wittgenstein stellt er (ibid., 78) vielmehr das rekursive Zusammenspiel von Sprache und Praxis in den Mittelpunkt seiner Betrachtung.

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  20. Für Giddens scheinen die wissenschaftstheoretischen Fragen im Prinzip zu Gunsten postpositivistischer und postempiristischer Positionen geklärt. Obwohl er offensichtlich, wie seine Schriften (insbes. 1976, Kap. 4; 1977a, Kap. 1; 1979, 242 ff.) belegen, mit den Prinzipien und den Einwänden gegen positivistisches Denken vertraut ist, hat Giddens seine Position an Sichtweisen entwickelt, die bereits in einiger Distanz zu positivistischen Ansichten stehen (s.a. Kießling, 1988, Teil I, B, D). Generell behagen Giddens die erkenntnistheoretischen Diskussionen zunehmend weniger: „Significant as these may be, concentration upon epistemological issues draws attention away from the more ‚ontological’ concerns of social theory, and it is these upon which structuration theory primarily concentrates“ (Giddens, 1984, xx). Der an der Diskussion um den wissenschaftstheoretischen Status der Strukturationstheorie interessierte Leser sei ferner auf die Diskussion zwischen McLennan (1984, 1988) und Cohen (1986) verwiesen. Eine lesenswerte Einordnung in die wissenschaftstheoretische Diskussion liefert jetzt Baert (1998).

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  21. Die positivistische Position ist zwar im Bereich der Wissenschaftstheorie in den letzten dreißig bis vierzig Jahren im Niedergang begriffen. Sie bleibt aber bis heute insbesondere, aber nicht nur in den Vereinigten Staaten eine einflußreiche und institutionell hochgradig abgesicherte Doktrin (Smelser, 1986; Cohen, 1987, 275 ff.; Giddens, 1984, xxxvi f.; Fn 1). Jedoch ist sie heute nur mehr eine Variante unter anderen.

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  22. Zu unterschiedlichen Varianten und Verwendungsweisen des Begriffs Positivismus von Saint-Simon und Comte über den Wiener Kreis bis hin zum sogenannten Positivismusstreit in der Soziologie siehe auch Adorno et al. (1972), Giddens (1995) oder Ritsert (1996). Aktuelle Varianten, die auf die eine oder andere Art auf der Position des logischen Positivismus aufbauen, sind etwa George Homans, Behaviorismus ‚Jonathan Turners, Analytic Theorizing’ und Richard Münchs aktuelle Parsonsinterpretation (für einen Überblick Giddens/Turner, 1987, 4 ff.). Auch ist ein Großteil der Arbeiten im Bereich struktureller Netzwerkforschung (Teil II.2), der Studien zum Konzept der systemischen Rationalisierung (Teil II.1) und der Managementforschung (Teil I) dieser wissenschaftstheoretischen Position zuzurechnen. Erhellende Kurzcharakterisierungen des Positivismus finden sich ferner bei Hesse (1980), Smelser (1986), Alexander (1987), Cohen (1987; 1989), Bryant (1989) und Baert (1998).

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  23. Die Kurzcharakterisierung postpositivistischer und postempristischer Positionen greift Argumente folgender Autoren auf: Adorno (1972 [1961]), Habermas (1972 [1963]; 1972 [1964]; 1988 [1981], 489 ff.), Giddens (1976; 1977b; 1989b; 1995), Hesse (1980), Alexander (1987), Cohen (1987; 1989), Giddens und Turner (1987), Bryant (1989; 1995) und Baert (1998).

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  24. Giddens (1984, xix) verweist darauf, daß die Naturwissenschaften in post-empiristischen Konzepten nicht nur nicht mehr als Ideal sozialwissenschaftlicher Forschung gelten können, sondern daß vielmehr die Philosophie der Naturwissenschaft heute mit dem Umstand konfrontiert ist, über Sprache und Interpretation als Momente naturwissenschaftlicher Erklärung nachzudenken. Siehe hierzu auch Knorr-Cetina (z.B. 1985), Lenk (1995) oder, mit einem instruktiven Überblick über die ‚eroding foundations’ traditioneller Sozialwissenschaft im Zuge wissenschaftstheoretischer Entwicklung, Baert (1998; insbes. Kapitel 8). Ob damit eine neue Version der Vorstellung der ‚Einheit der Wissenschaften‚ auf allerdings post-positivistischer Grundlage begründet werden kann, bleibt dabei eine offene Frage (Giddens, 1993 [1976], 14 f.).

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  25. Die strukturationstheoretische Position verwirft also die Inkommensurabilitätsansicht, nach der Sozialtheorien geschlossene Diskursuniversen mit inkommensurablem Vokabular bilden, die Theorievergleiche unmöglich machen. Damit optiert sie gleichzeitig gegen einen ‚Sprachrelativismus’ und für sprachspielübergreifende Rationalität und Rationalitätsmaßstäbe, für, ‚bessere’ und ‚schlechtere’ Aussagen und Theorien (s.a. Habermas, 1984 [1972]).

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  26. Einschätzungen darüber, was im Feld geschieht oder sich entwickelt, sind also mit daran gebunden, daß der Forscher nicht nur erkundet, was die Akteure im Feld wissen und intendiert gestalten, sondern daß er deren Wissen auch als Bestandteil seiner Deutung und Erklärung aufnimmt.

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  27. Die regulierte Beziehung besteht, so möchte ich mit Bezug auf die von Rorty (1984, 7 ff.) diskutierten, Theorien der Wahrheit formulieren, darin, daß theoretisch wahre Aussagen in gewisser Weise mit der Wirklichkeit korrespondieren (müssen), Akteure sie als berechtigte Behauptungen begreifen und die Aussagen Akteuren gegebenenfalls eine neue Sprache geben, neue Erklärungen sowie Kriterien für die Richtigkeit von Aussagen eröffnen.

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  28. Diese Theoriefigur stellt das Uniformitätsprinzip positivistischer Provenienz grundlegend in Frage. Sie lehnt sich an Überlegungen von Habermas (1972 [1963], 158; 160) an, der mit Bezug auf Hegel und Adorno von einer ‘natürlichen Hermeneutik’ der sozialen Lebenswelt spricht, die es dialektisch zu durchdenken gilt (s.a. Adorno, 1972 [1957], 82; Giddens, 1995, 178). Der wesentliche, wenn auch nicht der einzige Unterschied zu den Naturwissenschaften ist der, daß (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) Hermeneutik in den letzteren Wissenschaften ‘nur’ den Diskurs der Wissenschaftler betrifft (s.a. Giddens, 1989a, 251). Hermeneutik bezeichnet, im Anschluß an Heidegger und Gadamer, nicht nur eine Technik der Textauslegung im herkömmlichen Sinne, vielmehr eine universale Hermeneutik der Faktizität (z.B. Gadamer, 1993, 72; Barbaric, 1996, 229).

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  29. Verstehen bezeichnet in der hermeneutischen Philosophie den Vollzug des schöpferischen Ergreifens einer gemeinsamen Situation, während Auslegung die Thematisierung einer nicht geteilten Situation oder die Ausbildung des Verstehens bezeichnet. Davon wird als dritte hermeneutische Art des Verstehens die Interpretation eines Kunstwerkes unterschieden (s.a. Kouba, 1996, 195 f.). Das Ansetzen am Wissen und Verständnis sozialwissenschaftlicher ‘Laien’ weist Bezüge zur ‘Maxime der Voraussetzungsarmut’ auf, wie sie in der neueren französischen Sozialwissenschaft praktiziert wird (s.a. Wagner, 1993). Die Befolgung dieser Maxime erfordert jedoch in strukturationstheoretischer Sicht einen voraussetzungsreichen konzeptionellen Begriffsapparat, damit alltäglich Disparates und Institutionelles nicht auseinanderfallen.

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  30. Auch der Gehalt aller als Interpretationsschemata in Wissenschaft und Praxis verwendeten Begriffe konstituiert sich in und durch soziale Praxis (s.a. Foucault, 1981 [1973]). Die in der strukturationstheoretischen Begriffsbildung typischen Redeweisen von einem hohen Grad von Reflexivität, hoher Ausdehnung in Zeit und Raum usw. besitzen und erhalten ihre jeweilige Präzision über ihre Eingebettetheit und Einbettung in die Prozesse sozialer Konstitution. Kompetente Akteure besitzen, anders formuliert, ein durchaus präzises Verständnis über zum Beispiel unterschiedliche Grade von Reflexivität in Sozialsystemen oder über die Ausgedehntheit sozialer Praktiken in Zeit und Raum. Sie bringen ihr Wissen in ihre Aktivitäten ein und reproduzieren (oder verändern) sie gegebenenfalls damit. Zuweilen wird der Rückfluß sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis in Frage gestellt. Will man an dieser Stelle nicht anhand einzelner empirischer Befunde argumentieren und Zusammenhänge zwischen der Ausgestaltung einzelner sozialer Beziehungen und sozialen Forschungsresultaten aufweisen, so kann man auf gesellschaftliche Mechanismen des Rückflusses verweisen: Forschungsergebnisse fließen über die öffentliche Verbreitung der gewonnenen Einsichten, etwa in Form neuer Produkte und Verfahren, aber auch in Form von Publikationen, Vorträgen und der Einbeziehung der Ergebnisse in die Lehre, zumindest vermittelt in die Praxis zurück. Organisationen stellen zum Beispiel Absolventen ein, die theoretische Kenntnisse über Organisationen besitzen. Organisationsberater greifen solch ein Wissen in ihrer Beratungspraxis auf. Umsichtige Akteure halten sich über das, was geschieht, auf dem Laufenden. Die angesprochenen Mechanismen des Rückflusses beinhalten, daß der Rückfluß des Wissens selbst Medium und Resultat herrschender Diskurse mitsamt ihren Akzentuierungen und Verzerrungen ist.

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  31. Der Rückfluß sozialwissenschaftlichen Wissens ist für die Disziplin von zweischneidigem Charakter: Ihr Wissen wird, so und wie es zurückfließt, zu einem konstitutiven Bestandteil des So-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) zialen und verschwindet in ihm. Und das gilt insbesondere für moderne Gesellschaften, in denen jene Reflexivität institutionalisiert ist.

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  32. Dieser grundlegende Aspekt der Strukturationstheorie wird nahezu durchgängig in der Literatur nicht reflektiert (Ausnahmen sind Cohen, 1987; 1989, oder Kießling, 1988, 28 ff.).

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  33. Eine aus positivistischer Sicht naheliegende Ablehnung metaphysischer Spekulationen formuliert etwa Comte (1893; vol. 2, book 6, ch.3, 57), indem er diese so charakterisiert: „at once ideal in its course, absolut in its conception, and arbitrary in its application“ (zit.n. Bryant, 1995). Der Anspruch einer Sozialtheorie, sie sei eine Ontologie, oder ihr gehe es im Kern um ontologische Aspekte des Sozialen, steht gerade in einer durch die Schriften kritischer Theoretiker geschulten Soziologie im Verdacht, die Zwänge der sozialen Systeme verewigen zu wollen und in der Klassifizierung ihrer Resultate oder Erkenntnisse als universale, oberste Bestimmungen des Menschlichen schleichend ihr Einverständnis mit Gesellschaft und ihren Zurichtungen kundzutun. „Was am Ende sich Ursprung dünkt, archaisiert bloß [...] [den] Verrat an der Freiheit“, wie Adorno gegenüber Heidegger und darüber hinaus zur Ausbildung von Ontologien urteilt (Adorno, 1990 [1956], 40 f.; ausführlicher Adorno 1975 [1966]). Dieser Grundverdacht gegenüber Ontologien trifft die Strukturationstheorie nicht. Ihr geht es gerade nicht um Ursprungsphilosophie. Sie stellt diese mit ihren theoretischen Grundannahmen über die Einbettung sozialer Praktiken in die Prozesse der Konstitution und ihrer dekonstruktiven Sichtweise vielmehr generell in Frage. Die strukturationstheoretische Position ähnelt hier der Vorstellung dialektischer Vermittlung des Allgemeinen und Besonderen bei Hegel oder Adorno und — trotz Einwänden in anderer Hin-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) sicht, auf die ich gleich noch zu sprechen komme — der eines nicht-ursprünglichen Ursprungs in Derridas Konzeption von ‘différance’ oder ‘supplément’.

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  34. Siehe zur Destruktion vorkritischer Ontologie seit Kant Schmidt (1974, 1116). Die Strukturationstheorie setzt sich mit ihrer Konzeption einer Ontologie des Sozialen pragmatisch-axiomatischen Begründungen von Theorie entgegen — wie sie etwa in der ökonomischen Theorie mit der Figur des ‘homo oeconomicus’ und einer Theoriekonstruktion auf der Grundlage eines ‘Als ob’ (Vaihinger, 1911; Friedman, 1953) üblich sind.

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  35. Cohen (1989, 11) klassifiziert Giddens’ Strukturationstheorie als ‘ontology of potentials’ und hebt dabei das sozial Mögliche als Moment des Theorieprojektes hervor: „The structurationist ontology is addressed exclusively to the constitutive potentials of social life: the generic human capacities and fundamental conditions through which the course and outcomes of social processes and events are generated and shaped in the manifold ways in which this can occur“ (Cohen, 1989, 17; Hervorh. verändert, A.W.). Giddens’ Strukturationstheorie betont als Ontologie des Sozialen jedoch beides: Möglichkeit und Form. Sie ist in diesem Sinne eine Theorie der doppelten Konstitution des Sozialen. Ich ziehe es daher vor, an dem von Giddens verwendeten Begriff festzuhalten.

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  36. Die Formulierung der Maßstäbe der Kritik ist gleichwohl eine andere, zusätzliche Aufgabe. Siehe hierzu einleitend zum Beispiel Ortmann (1995, 226 ff.).

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  37. Giddens selbst ist Autor einiger substantieller Arbeiten. Zu ihnen zählt seine frühe Arbeit ‘The Class Structure of the Advanced Societies’ (Giddens, 1981) und einige seiner neueren Arbeiten wie ‘Consequences of Modernity’ (Giddens, 1990a), ‘Modernity and Self-Identity’ (Giddens, 1991a), ‘The Transformation of Intimicy’ (Giddens, 1992), ‘Beyond Left and Right’ und ‘The third way: The renewal of social democracy’ (Giddens, 1994; 1998).

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  38. Giddens bezeichnet die Strukturationstheorie daher auch als einen „theoretical approach“ (Giddens, 1984, Preface) und nicht als eine Theorie. Der Unterschied besteht für ihn darin, daß theoretische Ansätze „broad overall orientations to the subject-matter“ (1989a, 711) bezeichnen, während „[t]heories are more narrowly focused, and represent attempts to explain particular sets of social conditions or types of occurence“ (ibid.). Weaver und Gioia (1994) sprechen von der Strukturationstheorie als Meta-Theorie. Entscheidend ist jedoch, daß Theorieansätze notwendig immer Substantielles, Theorien im Giddensschen Sinne immer auch Orientierungen enthalten, die über den Einzelfall hinausweisen. Gleichwohl können Theorien primär das eine oder das andere Ziel verfolgen. Giddens selbst verhält sich ‘foxlike’ (Bernstein, 1989, 30), wenn er seine Strukturationstheorie als einen ‘theoretical approach’ kennzeichnet.

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  39. Sicher finden sich auch empirische Versatzstücke in Giddens’ Schriften. Sie dienen der illustrativen Verdeutlichung der sozial-ontologischen Konzepte, Mechanismen und Fragestellungen oder der Infragestellung ontologischer Annahmen in anderen Sozial- oder Gesellschaftstheorien. Giddens ist diesbezüglich eindeutig. So stellt er (1977c, 134) beispielsweise zur Bedeutung von Macht in Interaktionen klar: „I shall make no attempt to classify substantive forms of power relations here: the facilities that may be brought to a situation of interaction range from command of verbal skills to the application of means of physical violence.“ Oder er (1991b, 204) formuliert: „The theory of structuration is not a series of generalizations about how far ‘free action’ is possible in respect of ‘social constraint’. Rather, it is an attempt to provide the conceptual means of analyzing the often delicate and subtle interfacings of reflexively organized action and institutional constraint.“

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  40. Giddens (1977c) kritisiert die Vorstellung universeller Bedürfnisse und funktionaler Teleologien im Funktionalismus, wendet sich gegen evolutionistische Vorstellungen bei Marx und anderen Autoren (Giddens, 1981; 1984, 228 ff.; 1985; 1989a, 259 ff.) sowie gegen jegliche Formen universeller Verlaufsformen im Sozialen.

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  41. Allgemein relevant sind für Giddens, wie ausgeführt, aber nicht nur Verallgemeinerungen, nicht nur Strukturelles oder Institutionelles, sondern insbesondere auch die Arten und Weisen, wie kompetente Akteure diese aktiv und reflexiv in rekursiven Prozessen der Konstitution reproduzieren und transformieren.

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  42. Giddens verwirft dabei — unter Rekurs auf Heidegger und Mead (z.B. Giddens 1981; 1989a) — das konventionelle, lediglich parametrische Verständnis von Zeit und Raum, welches dem Messen von Nähe und Entfernung sowie der Produktion statischer Distanzen dient. Dieses Verständnis von (Ordnung in) Zeit und Raum ist zwar integraler Bestandteil der westlichen Kultur und in die Ausprägung ihrer Warenförmigkeit sowie der mit ihr verbundenen Formen der Koordination von Aktivitäten und Akteuren in Zeit und Raum über Messungen und Kalkulationen von Arbeits- und Wegezeiten, Raumwegen usw. eingebettet: Es ist aber ein historisch und geographisch spezielles. Entscheidend für eine nicht-parametrische Betrachtung von Zeit und Raum (mit Bezug auf Leibniz) ist: Zeit und Raum werden nicht als an sich ‚existent‘, sondern als etwas aufgefaßt, was nur in den Arten und Weisen zu erfassen ist, in denen Objekte und Ereignisse von Akteuren miteinander in Beziehung gesetzt werden (Giddens, 1981, 30 f.). Heidegger (1986 [1927]) verdeutlicht das: Im Handeln gehen wir anders mit Zeit und Raum um. Vor aller Kalkulation von Zeit und Raum und unabhängig von ihr konstituiert sich Zeit und Raum im Handeln als Ausweitung und Erschließung der Vermittlung von Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart imGegenwärtigenvon Zusammenhängen in Zeit und Raum. Hierbei nutzen kompetente Akteure (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) auch parametrische Bestimmungen von Zeit und Raum. Zuweilen sind sie dazu im Zusammenhang von Systemregulation auch, über den Umgang mit Zeit- und Raumplänen in besonderer Weise orientiert, angehalten.

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  43. Daß die in Zeit und Raum geordneten sozialen Praktiken die zentralen Gegenstandsbereiche sozialwissenschaftlicher Forschung sind, wird keinesfalls allgemein geteilt: In behavioristischen Vorstellungen, etwa bei Homans (z.B. 1987), ist der zentrale Gegenstand das Verhalten, da für ihn Institutionen der Gesellschaft ohne Verluste auf das Verhalten von Individuen reduziert werden können. In funktionalistischen Sichtweisen Parsonianischer Provenienz, wie sie heute etwa Münch (z.B. 1987) vertritt, ist der zentrale Gegenstandsbereich das System, da für ihn das Verhalten von Individuen systemischen Imperativen untergeordnet ist (Giddens/Turner, 1987). In strukturalistischen Perspektiven, wie der von Margret Archer (1995) oder von Günter Bechtle, den ich im Teil II.1 diskutiert habe, sind es die Strukturen, die eine ‚eigene Melodie‘ jenseits der sie vermittelnden Praktiken ergeben sollen. Die Überwindung des Imperialismus des Subjekts, auf denen interpretative Theorieansätze aufbauen, wie des Imperialismus des Objekts, wie sie funktionalistische und strukturalistische Theoriekonzepte kennzeichnen, ist eine der Ambitionen der Strukturationstheorie.

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  44. Siehe hierzu zum Beispiel Giddens (1993 [1976], 108; 1977c, 123, 129; 1984, 242). Praxis ist, worauf auch Bernstein (1975 [1971], 13) verweist, sicherlich das zentrale Konzept in den Marxschen Frühschriften. In späteren Schriften — etwa im ‚Kapital‘ — wird dieses (teilweise) verschüttet. Ein recht früher Versuch ‚Arbeit aus dem in Marx‘ Spätschriften vorfindlichen Konnex mit produktiver Lohnarbeit zu lösen, findet sich bei Marcuse (1965 [1933], z.B. 14), der „Arbeit als die spezielle Praxis des menschlichen Daseins in der Welt“ betrachtet (ähnlich Negt/Kluge, 1981; Giddens, 1984, 256 f.; Bowles/Gintis, 1990; 1993). Daß Praxis die Grundlage allen Geschehens ist, findet sich nicht erst in den Schriften Hegels, sondern ist bereits der Ausgangspunkt im Denken von Aristoteles (für einen Überblick Bien, 1989). Später wurde dieser Gedanke insbesondere in der sogenannten ‚Praxis-Schule‘ weiterentwickelt (für eine aktuelle kritische Bestandsaufnahme Joas, 1996 [1992], 148 ff.; Rütten, 1993). Eine weitere Praxistheorie ist die von Bour-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) dieu (1979 [1972]). Bourdieus Ausgangspunkt — und damit auch sein Theorieansatz — weicht jedoch insofern von dem von Giddens ab, als er das Konstrukt des ‚Habitus‘als Vermittlungsinstanz zwischen Struktur und Praxis ansieht, während Giddens dies in der Vermittlung von individueller mit den Strukturen kollektiver Praxis via der ‚Dualität von Struktur verortet (s.a. Bryant, 1995, 72 ff.). Bei aller Differenz kann man jedoch auch formulieren: Bourdieus Konzept des ‚Habitus‘führt Giddens’ Überlegungen zum ‚Schichtenmodell des Handelnden ‘und zu‚ Gedächtnisspuren‘fort, die ich gleich vorstelle. Die Strukturationstheorie liefert umgekehrt einen Theorieansatz, in dem das Konzept des Habitus in ein elaborierteres Konzept der Konstitution des Sozialen über soziale Praktiken eingebettet werden könnte. Ähnliche Überlegungen zu einer prozessualen Re-Produktion von Organisationen haben Chia und King (1998) kürzlich auf der Basis von Überlegungen von Bergson und Whitehead als Audruck eines postmodernen Verständnisses von Organisation vorgestellt — offensichtlich sind derartige Vorstellungen nicht nur auf Vertreter postmoderner Positionen beschränkt.

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  45. Giddens’ Strukturationstheorie liest sich für Hegelkenner als eine avancierte Ausarbeitung der Konstitution des Sozialen als reflexiver Vermittlung von Subjekt- und Systemreflexivität. Giddens verwirft aber den teleologischen Gehalt des Hegeischen Konzepts und schränkt die Reichweite von Reflexivität der Akteure radikal ein. Hegel ist also nicht, wie Kießling (1988) schlußfolgert, zur Strukturationstheorie zu ergänzen. Eher sind die vorhandenen Beziehungen aufzunehmen.

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  46. Auf diese Textstelle bezieht sich Giddens (z.B. 1979, 54; 1981, 1; 1984, xxi) an mehreren Stellen positiv. Diesem offen positiven Bezug auf Marx steht eine fundamentale Kritik Marxscher und marxistischer Positionen gegenüber. So sieht Giddens im historischen Materialismus letztlich einen einzigen wirklich bewahrenswerten Grundgedanken: die Theorie der menschlichen Praxis, wie sie sich in den oben aufgenommenen Zitaten andeutet (genauer Giddens, 1981, 1 ff.).

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  47. Interaktionen sind durchgängig das Basiskonzept der Strukturationstheorie, von der praxistheoretischen Grundlegung (III-2) bis hin zum Theorem der Dualität von Struktur (III-6).

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  48. Geschichte und Zukunft werden im Handeln aufgenommen. Geschichte ist vergangen. Sie ist aber nicht immer ohne Wirkung auf Gegenwärtiges. Daher auch die Rede von lebendiger Geschichte oder eines durch sie gekennzeichneten Ereignis- und Wirkungszusammenhangs. Vergangenes wirkt über das, was Akteure sich im Tun reflexiv vergegenwärtigen, im Sozialen nach oder fort, kennzeichnet für Handelnde das, woraus Gegenwärtiges, das Verhalten von Akteuren, der Verlauf von Ereignissen, die Art und Weise der Systemregulation usw. herkommt (s.a. Heidegger, 1986 [1927], 378 f.). Was nachwirkt oder dem Vergessen anheimfällt, variiert damit in Unternehmungsnetzwerken (wie allgemein: in sozialen Systemen) mit den Aktivitäten und den Zeit-Raum-Horizonten, der in ihnen handelnden, kompetenten Akteure und den Regulationen der Praktiken der Aufnahme von Zeit und Raum in ihnen. Zukünftiges wirft im gleichen Sinne seinen Schatten voraus (s.a. Axelrod, 1984). „Voraussicht haben heißt [..]: vorausnehmend sehen, was noch nicht ist, und eben damit die Spanne des Vorausgenommenen zu dem Gegenwärtigen durchmessen und es als gegenwärtig annehmen“(Gadamer 1987 [1969], 139). Das eröffnet die Möglichkeit, sich etwas vornehmen zu können, ist Voraussetzung für Planung, für eine an der Zukunft orientierte Konstruktion von Zusammenhängen und Selbstbeschreibungen, auch für intendierte und deliberate Strategien. Sie ist aber auch Voraussetzung für Entsagung im Augenblick zugunsten des zukünftigen Erfolgs, das heißt, sie ermöglicht, wie Hegel formuliert, Arbeit (ibid., 140). Sie schafft zudem Chancen, sich anders zu verhalten, als es geplant ist und geplante Veränderungen gezielt auszunutzen, was die Planung gegebenenfalls auch zunichte machen kann. Was Handelnde in den Blick nehmen, was und wem sie Aufmerksamkeit widmen, welche Relationen auf Vergangenes und Zukünftiges, welche Zeit-Raum-Konstellationen von Dingen, Ereignissen, Handlungen und anderen Reziprozitäten sie im Gegenwärtigen aufnehmen, was ihnen fern und was nah ist, ist daher nur bedingt eine Frage parametrischer Bestimmung von Zeit und Raum. Vor allem hängt sie davon ab, was und wem Akteure in Systemzusammenhängen rekursiv Aufmerksamkeit widmen. Individuen disponieren, so ließe sich im Anschluß an Gadamer (ibid., 142) strukturationstheoretisch formulieren, über Zeiten und Räume, teilen sie auch planmäßig ein und füllen sie auf, indem sie sich rekursiv auf gesellschaftliche und im jeweiligen betrachteten sozialen System als gültig angesehene Praktiken des Disponierens von Zeit und Raum beziehen. (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) Da Akteure im Handeln genauer immer drei Zeitbezüge vermitteln — sie setzen in ihrem Handeln den unmittelbaren Handlungszusammenhang mit anderen in Interaktionen in Zusammenhang, beziehen sich auf die Kontingenz ihrer Existenz (sie handeln im Anbetracht des Todes, wie Heidegger formuliert) und rekurrieren auf die langfristige Reproduktion sozialer Institutionen (Giddens, 1981, 28) — fallen die Zeit-Raum-Horizonte individueller Akteure und sozialer Systeme auseinander, ohne jedoch unverbunden zu sein und notwendig zueinander in einem harmonischen Verhältnis zu stehen. 49 Ähnlichkeiten zu Mead sind hier festzuhalten (hierzu Knorr-Cetina, 1981, 8 ff.).

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  49. Zum neokantianischen Weltverständnis bei Weber siehe zum Beispiel Weber (1973 [1904]) oder auch Prewo (1979). Die Betrachtung von Handeln als einem kontinuierlichen Fluß ist für eine Vielzahl interpretativer Ansätze kennzeichnend. Das gilt etwa für Schütz ebenso wie für Dewey (genauer Joas, 1992, 32 f.; Esser, 1993, 594).

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  50. Der Begriff des Textes ist nicht als Buch mißzuverstehen. Giddens verallgemeinert den Begriff ähnlich wie Derrida. Institutionen, politische Situationen, Körper, ein Tanz sind Beispiele für Texte, wie Derrida im Gespräch mit Rötzer ausführt (Derrida/Rötzer, 1986; s.a. Ricoeur, 1971), Texte, die zudem miteinander verbunden sind (Intertextualität). Das ist uns allen so fremd nicht, wie die geläufige Rede von Kontexten des Handelns anzeigt.

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  51. Geschäftshandlungen sind Handlungen, in denen es dominant um Ökonomisches geht.

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  52. Wir stoßen hier erstmalig (implizit wird das ab jetzt fortlaufend geschehen) auf eine in der Literatur bisher nicht diskutierte Verbindungslinie zwischen Derrida und Giddens. Giddens’ Verständnis von Konstitution als Strukturation ist durch Derrida inspiriert. Daß Giddens dessen Konzept der ‚différance‘ sozialtheoretisch fruchtbar macht, ist eines seiner Verdienste. Giddens (1979) diskutiert das Konzept der ‚différance‘ mit schwankender Haltung: Argumentiert er (1979, 46) in den ‚Central Problems‘, daß „the structuration of social systems should be based upon this threefold connotation of différence“, so klassifiziert er später (1987d; s.a. 1986) Strukturalismus und Poststrukturalismus als ‚dead traditions of thought‘ und bezieht Derrida darin mit ein — ohne sein Argument jedoch an dessen Schriften zu verdeutlichen. Die schroffe Ablehnung aus dem Jahre 1987 scheint mir unbefriedigend. ‚Différance‘ bezeichnet bei Derrida (z.B. 1988 [1972b]; 1986 [1972], 66 ff.), etwas vereinfacht formuliert, das regulierte ‚Spiel der Differenzen‘ zwischen Elementen eines Systems in einem mittelpunkt- und ursprungslosen Beziehungsnetz. Das Theoriemotiv der ‚différance‘ ist mit dem strukturationstheoretischen Verständnis der Konstitution des Sozialen nicht gänzlich kompatibel, aber auch nicht vollständig inkompatibel. Zu ergänzen sind Akteure, die wissend und mit Macht Handlungen und ‚Beziehungsnetze‘ zwischen Elementen eines sozialen Systems hervorbringen, ihr Wissen um die Zusammenhänge in ihrem Handeln zur Geltung bringen und darüber die kontinuierlichen zeitlichen und sachlichen Verschiebungen und Veränderungen der Geflechte mit ihren Ordnungen rekursiv konstituieren — ohne den Prozeß der ‚différance‘ jemals vollständig kontrollieren zu können. Gefordert ist in Kurzform formuliert: ein Verständnis reflexiver Différence, was das der nicht-reflexiven, im Sinne von Akteuren nicht reflexiv erfaßten supplementiert. Die vielleicht wichtigste Übereinstimmung und Differenz zwischen Giddens und Derrida besteht in ihrem Verständnis vom Akteur. Giddens teilt faktisch mit Derrida (1986 [1972], 70) die Ansicht, daß es „kein Subjekt [gibt], das Agent, Autor oder Herr der différance wäre,“ daß das Subjekt oder besser: der Akteur sich aber seinen Platz in der Bewegung der ‚différance‘ schafft, die selbst aber kein Zentrum besitzt (ibid., 71; s.a. den Abschnitt über die ‚Dezentrierung des Subjekts‘ auf den Seiten 190 ff.). Wie der Akteur aber dann von den beiden Theoretikern aufgenommen wird, unterscheidet sich grundlegend. Derrida, der ja nicht als Soziologe schreibt, widmet sich dem ‚Spiel der Differenzen‘ als einer Kraft, die sich selbst gleichzeitig hervorbringt und zerstört (Derrida, 1976 [1967], 9 ff.), ohne den Akteur explizit zu berücksichtigen. Er betrachtet das ‚Spiel‘ ohne sozialwissenschaftliches Interesse für das praktische Handeln. Derridas Argument unterliegt aber ein Verständnis sozialer Akteure — es erinnert an das von Lévi-Strauss. Giddens (1979; 1986; 1987d) verwirft aus diesem Grunde rigoros Derridas Sichtweisen. Das erscheint mir jedoch weder notwendig noch hilfreich und auch unpassend, versteht Giddens (1984, 16) die Konstitution des Sozialen und dessen Strukturen doch noch in seinem magnum opus, in durchaus auch derridaeskem Sinne als „intersection of presence and absence.“ Und natürlich radikalisiert Derrida mit seinem Konzept der Différance konsequent die strukturalistischen Themen — Differenz, Verschiedenheit und das Andere — und ist doch gleichzeitig weit weg vom Strukturalismus, weil für ihn Struktur niemals der Ursprung sein kann. Sind Derridas Einsichten und Konzepte, wie das der ‚différance‘, unverzichtbare Bestandteile einer jeden Sozialtheorie auf dem Stand aktueller Theorieentwicklung, so muß mit gleicher Deutlichkeit festgehalten werden: Das seinen Schriften implizite Verständnis sozialer Konstitution und insbesondere sein Handlungskonzept sind defizitär. Différance ist zwar ein subjekt-, aber kein akteursloser Prozeß (3.5). Différance ist als Melange eines durch Akteure reflexiv und nichtreflexiv konstituierten ‚Spiels‘ zu verstehen. Akteure bringen über soziale Praktiken das ‚Zeitlichverschoben-und-sachlich-anders-sein‘ der Différance rekursiv hervor. Zum Verhältnis Giddens/Derrida siehe jetzt auch Ortmann (2002b), zur differentiellen Praxis von Regelbefolgung durch Regelverletzung Ortmann (2002a).

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  53. Einiges steht dabei im Vordergrund, anderes wird eher im Hintergrund mitgefühlt oder gar ins Off verschoben. Was im Vorder- und was im Hintergrund steht, ist in Unternehmungsnetzwerken (wie in vielen anderen modernen Kontexten mit einem gewissen Grad reflexiver Koordination) stark durch die Mechanismen, Mittel und Gegenstände der Systemregulation beeinflußt. Akteure aktualisieren situativ immer hoch selektiv ihre durch Rekurs auf Systemerfordernisse konstituierten Relevanzhorizonte, greifen nur Manches aus dem Geflecht in Raum und Zeit ausgreifender, geschichteter Zusammenhänge als Handlungskontexte auf. Anderes bleibt latent. Zuweilen ist aber gerade das für ein Verständnis des Geschehens wichtig. Die Konstitution des Sinns fokussierter Interaktionen (Goffman) geschieht eben auch auf dem Hintergrund fluktuierender Beziehungen nichtfokussierter Art (Giddens, 1987e, 121).

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  54. Das ‚embeddedness‘-Konzept ist, das sei hier nur angemerkt, zudem weiter ausgearbeitet worden. Unterschieden werden heute vier Typen sozialer Einbettung: eine kognitive, kulturelle, strukturelle und eine politische (Zukin/DiMaggio, 1990b, 15 ff.; s.a. Teil I; Porac/Rosa, 1996, 364; Uzzi, 1996). ‚Kognitive Eingebettetheitmacht auf die begrenzten Fähigkeiten zu (in der Neoklassik unterstelltem) synoptisch rationalem Handeln individueller und kollektiver Akteure angesichts von Unsicherheit, Komplexität und Informationskosten sowie begrenzter Rationalität und kollektiver Vorstellungen aufmerksam, die sich in Routinen, dominanten Handlungslogiken in Industrien und technischen Paradigmen zeigen. Gleichzeitig unterstellt sie, daß Menschen schon Wissen und Vorstellungen davon haben, was ‚gut‘ für sie ist, und daß sie sich auch bemühen, dieses zu erreichen (z.B. Zukin/DiMaggio, 1990b, ‚16 f.). ‚Kulturelle Eingebettetheitverweist auf die Rolle kultureller Vorstellungen und Ideologien, als gegeben betrachteter Ansichten, durch soziale Regelsysteme orientierter Handlungsweisen und auf die Rolle von Skripten mit großer Ausdehnung in Zeit und Raum für die Ausgestaltung ökonomischer Transaktionen, Arbeitsbeziehungen und Formen der Koordination ökonomischer Aktivitäten. Die durch die Eingebettetheit ökonomischen Handelns und handlungswirksamer Motivationen in Muster interpersonaler Beziehungen, seien es Freundschafts-, Verwandtschafts- oder durch die Mitgliedschaft in Gruppen erzeugten Beziehungen, werden als ‚strukturelle Eingebettetheit‘ thematisiert (ibid., 18 f.). ‚Politische Eingebettetheit‘ bezieht sich auf die Arten und Weisen, in denen ökonomische Institutionen und Entscheidungen durch den Kampf zwischen ökonomischen und staatlichen Akteuren geprägt sind, etwa durch Auseinandersetzungen um Patent-, Steuer- und Umweltgesetze, staatliche Regulationen der Kapital- und Arbeitsmärkte und andere Politiken wie die Wirtschafts- und Strukturpolitik. Umwelt reduziert sich also nicht, wie im Kontingenzansatz und vielen industriesoziologischen Studien faktisch behauptet wird, vor allem auf das sogenannte ‚task environment‘. Umwelt besteht nicht vornehmlich aus den als Input benötigten Ressourcen, aus den für den ‚throughput‘ erforderlichen Informationen und Know-how und den für den Output wichtigen Märkten (Dill, 1958). Zudem reflektieren die strukturellen Charakteristika der Organisationen nicht primär die technischen Anforderungen dieser Umwelten (s.a. Scott, 1983).

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  55. Auch bereits umgangssprachlich bedeutet zu handeln, etwas zu können, zu etwas in der Lage sein, zu ‚powern‘. Giddens setzt den Begriff der Macht damit sehr tief an: Macht geht sowohl der Subjektivität des Akteurs als auch der Fähigkeit zum ‚reflexive monitoring‘ und der Rationalisierung voraus, da diese Ausdruck der Macht des Akteurs sind (Giddens, 1984, 15).

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  56. Diesen Gedanken entlehnt Giddens (1979, 89) aus Bachrach und Baratz’ (1962) Theorie der ‚zwei Gesichter der Macht‘. Er verallgemeinert das bei diesen (s.a. 1963) auf Entscheidungen bezogene Verständnis relationaler Macht auf Handlungen.

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  57. Giddens bindet Macht damit weder, wie Weber (1976 [1921], 28), an den ‚Willen‘ der Akteure, an das Erreichen bestimmter Ziele, noch an solche Merkmale von Gesellschaften, durch die Gemeinschafts- oder Klasseninteressen realisiert werden, wie es bei Parsons oder Marx anklingt (Giddens, 1977d, 335; 1979, 88 f.). „Blood and fury, the heat of battle, direct confrontation of rival camps — these are not necessarily the historical conjunctures in which the most far-reaching effects of power are either felt or established“(Giddens, 1984, 257). Macht ist für Giddens weiter weder logisch an Konflikt, noch an das Überwinden von Widerstand, noch an Interessendivergenzen gebunden. Macht ist für Giddens anders als Konflikt, Widerstand und Interessendivergenzen ein Merkmal allen Handelns — im Gegensatz zu Hobbes oder Hegel, aber ganz im Sinne von Webers (1976 [1921], 28) berühmtem ‚auch gegen Widerstreben‘.

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  58. Dieses Verständnis von Handeln, auf das Giddens (1993 [1976], 117; 1982a, 100 ff.) zurückgreift, ist nicht neu. Es findet sich — will man nicht die alten Griechen, etwa Aristoteles, bemühen — bei Marx in den ‚Grundrissen‘. Dieser (1953 [1857/1858], 266) charakterisiert Arbeit dort als „das lebendige, gestaltende Feuer“, das alles Soziale schafft, erhält und verändert. Er betrachtet ‚Menschen als diejenigen, die Geschichte machen‘(Marx, 1972 [1852], 115; s.a. Honneth, 1980, z.B. 189).

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  59. Pate steht selbstredend die Dialektik von ‚Herr und Knecht‘ bei Hegel (1952 [1807], 146 ff.) in der ‚Phänomenologie‘. Giddens (1990b, 313) bestätigt das. Er verweist aber darauf, daß er diese Theoriefigur in einem anderen Kontext entwickelt hat, bei seinen Untersuchungen des Suizidverhaltens. Im Gegensatz zu Hegel ist Giddens’ Theoriefigur der ‚dialectic of control‘ aber nicht teleologisch orientiert und nicht — wie bei Hegel in seinem Gegenentwurf zu Hobbes ‚state of nature‘ — logisch an Konflikte, Widerstände und Interessendivergenzen gebunden.

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  60. Eine nicht reifizierende Sozialforschung spürt den oftmals subtilen Praktiken der Konstitution möglicher Optionen, Formen wechselseitiger Anerkennung und Verteilung der Autonomiespielräume und den Mechanismen ihrer (mikro-)politischen Reproduktion nach. Sie rechnet damit, daß Charakteristika der Praktiken sich ändern oder in Widerspruch geraten, die Balancen der Kontrollen sich zwischen den Akteuren verschieben, das Wissen der Akteure über die Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von Ressourcen und deren Interessen sich in den immer politischen Prozessen der Konstitution verändern können (s.a. Giddens, 1984, 179 f.).

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  61. Es verwundert so kaum noch, daß der Herrschaftsbegriff die gleichen Merkmale wie der Machtbegriff aufweist. Er ist genauso allgemein, prozessual und relational ausgelegt und wird als Medium und Resultat sozialer Konstitution konzeptualisiert. Diese Form der Definition von Herrschaft ist zudem konsistent mit der im Teil III-6 vorgestellten Überlegungen zu Ressourcen der Herrschaft. Herrschaft setzt in einem traditionellen Verständnis die Existenz eines ‚Herrn‘ voraus (s.a. Breuer, 1991, 9). Auch für die Strukturationstheorie gibt es aber keine Einzelnen, die ‚Herr‘ der Prozesse sind. Der strukturationstheoretische Herrschaftsbegriff schließt nicht aus, daß Einzelne Herrschaft ‚über‘andere ausüben, sieht deren Fähigkeit dazu aber jenseits individueller Fähigkeiten in systemischen und institutionellen Praktiken verankert.

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  62. Macht ist für Giddens aber nicht Einfluß. Durch Macht wird Einfluß ausgeübt. Aber nicht alles, was den Verlauf eines Ereignisses oder die Handlungssituation beeinflußt, ist Ausdruck von Macht. Macht ist für Giddens Moment sozialer Praktiken. Beeinflussen können auch situative, kontextuelle Aspekte wie materielle Aspekte des Handlungskontextes, physikalische Aspekte der Handlungssituation oder etwa die physischen Kapazitäten des menschlichen Körpers (etwas, was die ‚Aktor-Netzwerk-Theorie‘ (Callon, Latour) in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt; f. e. Überblick Latour, 1996). Im Gegensatz zu Bachrach und Baratz (1963, 637) bindet Giddens Macht nicht an potentielle Sanktionen und versteht er Einfluß nicht quasi als ‚Macht ohne Drohpotential.‘

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  63. Ob das ‚Gehorsam finden‘, die ‚smoothness of power‘auf Unterdrückung oder auf Konsens beruht, ist nicht gleich klar. Giddens’ Verweis auf die ‚smoothness of power‘ verallgemeinert das von Weber diskutierte Motiv des ‚Gehorsams‘ (das Weber [1976 (1921), 122] bekanntlich auf Legitimitätsglauben und auf aktuelle, traditionelle, wert- und zweckrationale Motive begrenzt) auf nicht-hierarchisch strukturierte Herrschaftszusammenhänge.

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  64. Nur oberflächlich betrachtet bezieht Giddens damit eindeutig Stellung in der Kontroverse um Herrschaft und Herrschaftsfreiheit (aktuell Luhmann, 1997, 634 ff.; Haude/Wagner, 1999). Denn nur scheinbar widerspricht die strukturationstheoretische Position Vorstellungen und ethnologischen Befunden über segmentäre bzw. anarchische Gesellschaften und der Vorstellung von ‚Regulierter Anarchie‘ — so der Titel der Schrift von Sigrist (1979 [1967]). Dieser bindet Herrschaft nämlich an Repression. Seine Befunde institutioneller Regelungen (weitgehend) repressionsfreier Vergesellschaftungsformen sind, genauso wie hieran angelehnte Vorstellungen anarchischer Vergesellschaftung, strukturationstheoretisch als Herrschaftszusammenhänge zu klassifi-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) zieren, in denen repressive Formen von Herrschaft, die institutionell geregelt und abgesichert wären, (weitgehend) fehlen.

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  65. Dem Modell unterliegt implizit ein postpositivistisches Verständnis kontingenter Konstitution: Akteure haben immer einen gewissen Grad an Autonomie, um zu handeln, ohne jedoch vollkommen frei zu sein. Sie besitzen insbesondere die Fähigkeit, vom konkreten Geschehen zu abstrahieren und Abstrahiertes — etwa über Sprache — in das Handeln einzubeziehen.

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  66. Das Schichtenmodell des Handelnden läßt sich darüber hinaus, wie ich unten im Abschnitt III-4 zeige, als Folie für die Ausarbeitung eines strukturationstheoretisch informierten Konzepts der Systemregulation nutzen.

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  67. Das strukturationstheoretische Verständnis des kollektiven Akteurs nehme ich im Abschnit III.4 über soziale Systeme auf. ‚Akzeptabilität‘ schließt dabei mit Giddens (1977c, 129 f.) zwei empirisch nicht immer leicht zu unterscheidende Aspekte ein: „The identification or typification of ‚meaningful acts‘, and the normative evaluation of such acts.“

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  68. Zum ‚display of agency‘gehört Vieles: „These [conventions] govern control of bodily posture, gesture, modulation of voice, ‚repairing‘ slips of the tongue or bodily lapses like inadvertently knocking something over, and many other aspeas of behaviour. The display of agency, and its interpretation by others, affect not only the personality of the individual concerned, but conditions very deep-rooted features of day-to-day social life. The maintenance of what Goffman calls ‚civil inattention‘, for instance, depends upon the very subtle but extremely influential conventions in agency display“(Giddens, 1989a, 255).

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  69. Implizit modifiziert Giddens mit dem ‚stratification model of the agent‘ grundlegend Hegels Zusammenspiel von ‚Subjekt- und Systemreflexivität‘, wie es Ritsert (1981) in seiner Bedeutung für die sozialwissenschaftliche Theoriebildung herausgestellt hat. Die Modifikation ist aus dem Schichtenmodell des Handelnden (Abb. III-4) abzulesen: Verworfen wird sowohl die Möglichkeit einer gelingenden vollständigen reflexiven Erfassung des Zusammenspiels von Subjekt- und Systemreflexivität als auch die von Hegel mitgedachte Vorstellung einer teleologischen Entwicklung. Über die Einbettung von Reflexivität in die Konstitution des Sozialen liefert Giddens zudem implizit ein vertieftes Verständnis des von Simon geprägten Konzepts der ‚bounded rationality‘.

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  70. Der im Englischen übliche und von Giddens verwendete Begriff des ‚monitoring‘hat, nicht zuletzt wegen enger Verwandtschaft mit dem Begriff der ‚control‘, eine Vielzahl von Bedeutungen. Er verweist auf regelmäßige Überprüfungen und Kontrollen des Wandels oder des Fortgangs. Wobei ‚control‘im Englischen bekanntlich Fähigkeiten umfaßt, durch Macht, Leitung, Einfluß zu erreichen, daß etwas so läuft, wie man es sich vorstellt, bis hin zum Beherrschen des eigenen Selbst und des Körpers. Ich übersetze ‚monitoring‘daher als überwachen, kontrollieren und steuern. Ab und an verwende ich auch die eingedeutschte Form. ‚Reflexive monitoring‘ kennzeichnet den permanenten Rückbezug des Prüfens auf das Handeln unter dem Gesichts-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) punkt seiner Angemessenheit, Fortführbarkeit und Anschlußfähigkeit — gegebenenfalls auch seiner Verbesserbarkeit.

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  71. Giddens Begriff von Steuerung setzt, so will ich deuten, einen anderen Akzent als der Luhmanns (z.B. 1989; 1994 [1988]). Für beide Theoretiker gilt: Steuerung ist Moment reflexiver Selbstregulation sozialer Systeme und zielt auf die „Verringerung von Differenz“(Luhmann, 1994 [1988], 328), etwa zwischen einem angestrebten und einem sich abzeichnenden Systemzustand. Das strukturationstheoretische Verständnis hebt zwei Aspekte der Steuerung sozialer Systeme hervor, die Luhmann, wenn er über Steuerung schreibt, nicht direkt mitführt: daß die Verringerung von Differenz eine Orientierung und Bindung der die Systeme charakterisierenden sozialen Praktiken einschließt und daß die Steuerung sozialer Systeme durch Aktivitäten reflexiver Akteure erfolgt.

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  72. Rationalisierungen betten sich, vermittelt über die doppelte Hermeneutik, in das Geflecht in Raum und Zeit ausgreifender Handlungskontexte ein, wie auch Foucault (1981 [1973]) deutlich gemacht hat. Handlungs- oder Ereignisverläufe haben ihre eigene Geschichte und stehen in einem Verhältnis zu anderen Geschichten (White, 1992, 216). Rationalisierungen liefern alltagstheoretische Begründungen im Angesicht solcher Geschichtlichkeit. Nicht selten nehmen sie daher die Form erzählter Geschichten an. Solche ‚Stories‘ sind mitlaufende, aber konstitutive Momente sozialer Prozesse. Sie ermöglichen ‚soziologische Phantasie‘ (Negt, 1981 [1971]), verstellen aber auch Einsichten in andere Möglichkeiten. Rationalisierung besagt für Giddens nicht — ausgehend von ‚ratio‘-, daß Akteure nur der ‚Vernunft‘ genügende Gründe für ihr Handeln geben. Er meint ferner nicht die ‚Zweckorientiertheit des Lebens‘, wie Weber sie in der ‚Protestantischen Ethik‘als Rationalisierung des Lebens charakterisiert. Giddens versteht Rationalisierung auch nicht im Sinne Freuds (s.a. Laplanche/Pontalis, 1973 [1967], 418). Die Gründe, mit denen der Akteur in Kontakt bleibt, können unterschiedliche sein. Sie können sich entsprechend dem ‚Franklinschen Credo‘ an Gelderwerb oder hedonistisch orientieren; sie können versuchen, Handeln, ins Unbewußte abgedrängte Motive und anderes logisch kohärent zu machen; Akteure können sich über ihre Gründe täuschen oder nicht. Giddens’ Begriff der Rationalisierung verweist auf die ontologische Qualität von Rationalisierung. Der Begriff ist nicht substantiell ausgelegt.

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  73. Giddens bezieht sich hier vorrangig auf den in der psychologischen und psychoanalytischen Tradition verwendeten Begriff des Motivs. Webers (1976 [1921]) Motive, die bekanntlich ‚Sinnund Kausaladäquanz‘ kennzeichnen, fließen in den Begriff der Rationalisierung des Handelns ein.

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  74. ‚Reflexive monitoring‘, Rationalisierung und Motivierung des Handelns sind nur analytisch voneinander getrennt. Die Prozesse des ‚reflexive monitoring‘ und der Rationalisierung des Handelns oder der Handlung sind wechselseitig vermittelt. Obwohl jede Wahrnehmung orientiert ist (Gibson, 1982), gerät nur einiges des Geschehens im Prozeß des ‚reflexive monitoring‘ in den Mittelpunkt. Anderes wird eher an den Rand gedrängt, unter Umständen gar bis zur Unkenntlichkeit reduziert oder fällt gar gänzlich aus dem ‚Sucher‘. Es lassen sich akteursbezogene, situative, systemische und gesellschaftsweit institutionalisierte Ursachen unterscheiden. Die Aufmerksamkeit beim ‚reflexive monitoring‘ beeinflußt so die Gründe der Akteure für ihr Tun und umgekehrt. Die Prozesse der Motivation entziehen sich dagegen weitgehend der reflexiven Überwachung, Kontrolle und Steuerung ebenso wie der Rationalisierung, was jedoch mit einschließt, daß sie in ihrer Ausprägung durch die zeit-räumliche Eingebundenheit der Akteure mit geprägt werden. Für Giddens ist die Motivation und selbst das Unbewußte durchaus relevant für das Verständnis von Handeln und nicht von sozialen Praktiken der Akteure abgetrennt. Die psychologische Konstitution von Motivation und Selbstidentität kann und soll hier nicht näher diskutiert werden (hierzu Giddens, 1991a; 1984, Kap. 2 und unsere Überlegungen über ‚Organisation und Psyche‘ in Ortmann/Sydow/Windeler, 1997).

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  75. Die Frage der Zurechenbarkeit ist keineswegs immer einfach zu beantworten, wie sich etwa an der Frage der Evaluation des Netzwerkzusammenhangs illustrieren ließe. Mit Giddens (1984, 11) wird die Antwort auf die Frage, ob eine Konsequenz, ein Resultat, einem (Typ von) Handeln und damit einem (Typ von) Handelnden zuzurechnen ist, üblicherweise daran gebunden, inwieweit der Akteur den Ereignisverlauf individuell kontrollieren bzw. von ihm als kompetenten Akteur diesbezügliches erwartet werden kann. Was zugerechnet wird, variiert so je nach der Handlungssituation, der Reichweite der ‚kmowledgeability‘ des Akteurs und der Macht, die dieser mobilisieren kann. Das Wissen der Akteure aber ist nie perfekt, ‚verschwindet‘ oftmals in Kontexten, die das Alltägliche überschreiten (Giddens, 1979, 73). Gleichwohl können relevante Unterschiede sich auch für Akteure ergeben, die formal die gleiche Position bekleiden. Ferner ist zu sehen: Mächtige Akteure sind nicht selten durchaus in gewissem Maße fähig, nicht nur das ihnen intentional Zugerechnete als unintendierte Konsequenz auszuweisen. Sie können den Prozeß der Zurechnung sowie die Maßstäbe der Zurechnung, etwa den Rechtsrahmen, die ‚Regeln des Spiels‘ (North), selbst beeinflussen, ihr Wissen und ihre Macht durch Formen der Regulation von Praktiken selbst erweitern. Allgemein ist anzunehmen, daß, wenn viele andere, kontingente vom Akteur nicht kontrollierte Ereignisse zu einem Ereignisverlauf hinzutreten, man kaum davon sprechen wird, daß das der betrachtete Handelnde ‚getan‘ hat. Gleichwohl gestehen wir dem Akteur einen speziellen Zugang zu seinen Intentionen zu: „In everyday speech and action, we do not allow an individual ultimate control over the meaning of what he or she says or does; but we do accord the speaker or agent special privileges of explication“ (Giddens, 1995, 10). Wenn etwa jemand etwas Unverständliches sagt oder tut, oder dieses nicht unseren Wünschen entspricht, fragen wir nach, was der Akteur mit seinem Tun intendiert. Die Stimmigkeit seiner Aussage ordnen wir ein, indem wir die einzelne Handlung in die Handlungssequenz und den Kontext einbetten. Ob und inwieweit eine Konsequenz als intendiert oder unintendiert gehandhabt wird, ist also eine Frage individuellen Handelns und sozialer Praktiken; als was sie zu handhaben ist und wie sie gehandhabt werden kann, ergibt sich in den Prozessen sozialer Konstitution.

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  76. Giddens reformuliert also Mertons (1936) Konzept der ‚unantizipierten Handlungsfolgen‘ als unintendierte Handlungskonsequenz und erweitert Parsons’ ‚action frame of reference‘ sowohl um unintendierte Handlungsfolgen als auch um unerkannte Handlungsbedingungen (Joas, 1992, 211).

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  77. Unter intentional versteht Giddens (1984, 10): „an act which its perpetrator knows, or believes, will have a particular quality or outcome and where such knowledge is utilized by the author of the act to achieve this quality or outcome.“Für Giddens sind, ontologisch gesehen, das intentionale Handeln — zu denen ein nicht zu unterschätzender Anteil des Organisierens ökonomischer Aktivitäten etwa in Unternehmungsnetzwerken zu zählen ist — und die unintendierten Konsequenzen des Handelns für soziologische Untersuchungen gleich fundamental (zur Diskussion um unintendierte Konsequenzen Joas, 1996 [1992], 338 f. und die dort aufgenommene Literatur).

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  78. Diskursive Wissensbestände sind nicht nur ausgewählten Akteuren vorbehalten: „All actors have some degree of discursive penetration of the social systems to whose constitution they contribute“(Giddens, 1979, 5). Jeder kann, wenn er zum Beispiel gefragt wird, diskursiv etwas über die sozialen Praktiken in seinem Bereich aussagen. Insofern ist für Giddens jeder ‚Experte‘ zumindest seiner (beruflichen wie seiner privaten) Welt. Jeder besitzt Kenntnisse von den Prozessen der Konstitution, insbesondere davon, wie man in einem Kontext handelt und was als akzeptabel gilt.

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  79. Die Unterscheidung zwischen praktischem und diskursivem Wissen und Bewußtsein ist nicht so trennscharf, wie es auf den ersten Blick erscheint. „I do not intend the distinction between discursive and practical consciousness to be a rigid and impermeable one. On the contrary, the division between the two can be altered by many aspects of the agent’s socialization and learning experiences. Between discursive and practical consciousness there is no bar; there are only the differences between what can be said and what is characteristically simply done“(Giddens, 1984, 7; Hervorh. A.W.). Praktisch wechselt das oft sehr schnell, selbst im Rahmen einer Handlungssequenz, etwa einer Vertragsverhandlung, ist das zwischen einzelnen Akteuren unterschiedlich und für sie je nach Kontext anders (Giddens, 1984, 4). Akteure sind zudem keinesfalls durchgehend bemüht, alles und jedes diskursiv zu erfassen, sich selbst und einzelne Handlungsakte auf ihren Sinn, ihre Motive und ihre Vorgehensweise zu untersuchen. Es wäre zudem in den meisten Fällen viel zu aufwendig — zur Tat schreiten könnte man auf diese Weise nur all zu mühsam (s.a. Gadamer 1985 [1930]).

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  80. Giddens unterscheidet genau genommen drei Arten und Quellen von Wissen: ‚unconscious motives/cognition‘, ‚practical knowledge‘ und ‚discursive knowledge‘, die im praktischen Handeln zusammenfließen. Die erste, hier nicht gesondert diskutierte Form des Wissens ist, wie bereits im Schichtenmodell des Handelnden erläutert, zwar nur schwer zugänglich, aber für das Handeln gleichwohl von Bedeutung. Einiges ist Akteuren eben intuitiv klar und unbewußt im Handeln motiviert. Giddens (1984, 7, 41 ff.) intendiert mit den Konzepten des Wissens, daß sei hier lediglich angemerkt, die Freudsche Unterscheidung zwischen ‚Über-Ich‘, ‚Ich‘ und ‚Es‘ zu ersetzen.

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  81. Der implizite Bezug auf Wittgensteins Verständnis von ‚Sprachspielen‘ als sozialen Aktivitäten in Giddens’ ‚stratification model of the agent‘ wird damit deutlich. Selbstredend ist auch das unbewußte Wissen Medium und Resultat sozialer Interaktionen zwischen Akteuren — auch wenn die Zusammenhänge verschlungenerer Natur sind.

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  82. ‚Mutual knowledge‘ weist also enge Bezüge zu dem auf, was unter ‚common sense‘-Vorstellungen verstanden wird. Giddens (1984, 337) schlägt jedoch vor, beide zu unterscheiden: „[C]ommon sense is mutual knowledge treated not as knowledge but as fallible belief.“ Die Rede von ‚mutual knowledge‘ impliziert ferner nicht, daß Divergenzen zwischen Akteuren nicht fortexistieren oder daß, etwa über Wertkonsense, wie bei Parsons, die Erwartungen zueinander komplementär sind.

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  83. Den Begriff des transgressiven Wissens und einige Facetten der Diskussion des Konzepts entlehne ich von Nowotny (2000). Sie diskutiert diese Wissensform jedoch für Fachexperten und anhand der für diese Gruppe existierenden Notwendigkeit, enge Fachgrenzen zu überwinden. Siehe zu Netzwerkkompetenzen auch Duschek (1998).

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  84. Der Leser lasse sich hier etwa durch die Überlegungen von Foucault (z.B. 1981 [1973], 24 ff.), Giddens (z.B. 1987d, 87 ff.) oder von Hirschman (1982) inspirieren. Zur Relevanz der angesprochenen Bezugspunkte im industriesoziologischen Denken siehe Brandt (1981; 1984).

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  85. Zur einer ideengeschichtlichen Verortung der Dezentrierung des Subjekts (insbesondere ihrem Verhältnis zum Denken Heideggers) instruktiv: Frank (1984, 245 ff.).

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  86. Bei Derrick (1986 [1972], 70) heißt es: „Es gibt kein Subjekt, das Agent, Autor oder Herr der différence wäre und dem sie sich möglicherweise empirisch aufdrängen würde. Die Subjektivität ist — ebenso wie die Objektivität — eine Wirkung der différence, eine in das System der différence eingeschriebene Wirkung.“

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  87. Lesenswerte kritische Überlegungen zum Scheitern des Projekts der ‚kritischen Theorie‘, die unter anderem den Umgang mit der Theoriefigur der Dezentrierung des Subjekts betreffen, finden sich bei Brandt (1990 [1986a]) und bei Honneth (1989). Einwände gegen die Vernunftorientiertheit der ‚Dialektik der Aufklärung‘ formulieren Böhme und Böhme (1985). Umfassende Literatur, in der Einwände gegen die umfassende Reichweite kapitalistischer Prinzipien vorgebracht werden, findet sich bei Hirschman (1982).

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  88. Giddens’ Strukturationstheorie weist damit Berührungspunkte mit der Position prominenter amerikanischer,Radicals‘, Samuel Bowles und Herbert Gintis (1990, 20), auf, die ihre Forderung nach einer,Mikrofundierung der politischen Ökonomie‘ähnlich begründen: Mit der „Notwendigkeit einer mikroökonomischen Fundierung der politischen Ökonomie […] meinen [wir] einfach, daß eine adäquate Gesellschaftstheorie eine konsistente Erklärung dafür Hefern muß, wie individuelle Entscheidungen in historisch gegebenen Umständen zu bestimmten gesellschaftlichen Ergebnissen führen. Unsere Position legt uns auf wenig mehr fest als auf die Behauptung, daß Leute Entscheidungen treffen und daß diese Entscheidungen einen Unterschied machen. Nicht einmal in verkürzter Redeweise ist es nützlich zu sagen, daß Strukturen sich selbst reproduzieren, oder daß Regeln durch eine intrinsische Logik reproduziert werden; die Einschränkungen, unter denen Entscheidungen getroffen werden, und die Evolution dieser Einschränkungen [..] [sind] Resultat dessen, was Leute tun oder nicht tun. In dieser vielleicht minimalistischen Manier definiert, enthält die Behauptung, daß die Mikrofundierung wesentlich ist, kein Urteil über die womöglich rigoros zusammengestrichene Speisekarte, von der gewählt werden kann, über die vielleicht despotischen oder opaken Regeln, durch die individuellen Entscheidungen gesellschaftliche Resultate zeugen, oder über die Bedingungen, unter denen Präferenzen oder Verpflichtungen der Akteure geformt wurden.“

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  89. Die Aufgaben des,boundary spanning‘sind insbesondere für verschiedene Funktionsbereiche in der Literatur untersucht worden. Prominent gilt das für Forschung und Entwicklung (Allan/Cohen, 1969; Frost/Whitley, 1971; Keller/Holland, 1975, Tushman, 1977; aktuell s.a. Zündorf, 1994). Bradach und Eccles (1989) und Spekman (1979) diskutieren die Rolle von,boundary spanners‘für den Vertrieb. Perry und Angle (1979) betrachten die kollektiven Aushandlungen zwischen Vertretern der Personalabteilung und Vertretern der Beschäftigten. Ergänzend zu den von Guetzkow im Zitat genannten Aufgabenstellungen ist auf das Aushandeln kollektiver Vereinbarungen, die den Einsatz von Arbeitskraft regeln, hinzuweisen. Generelle Überlegungen zu,boundary spanners‘, ihren widersprüchlichen Rollenanforderungen und ihren Aufgaben und Praktiken formulieren Adams (1976), Aldrich und Herker (1977), Sydow (1992), Alter und Hage (1993, 72) und Baker (1994, xv f.).

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  90. ‚Pivot‘bezeichnet im Englischen den Dreh- oder Angelpunkt oder die Türangel. Das Bild des,pivot player macht, da die Türzapfen die Tür sowohl fest- als auch beweglich halten, darauf aufmerksam, daß Akteure wie der,marginal sécant‘eine Position innehaben, auf die verschiedene Kräfte wirken, zentrifugale und zentripetale, statische und dynamische Kräfte, im Falle von,boundary spanners‘interne und externe Interessen. Aufgrund ihrer Position als Dreh- und Angelpunkt kontrollieren sie eine für,ihre‘Unternehmung relevante Ungewißheitszone und beziehen daraus ihre besondere Machtstellung (Ortmann et al., 1990, 468).

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  91. Guetzkow (1966, 20) unterscheidet weitere Rollen des,liaision‘. So differenziert er zwischen,Vertrauensleuten‘,,Politikern‘,,Delegierten‘,,Bremsern‘,,Promotoren‘(zu diesen letzeren Rollen in Innovationsprojekten Ortmann et al., 1990, 399 ff.).

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  92. Schöne Beispiele für die Vielzahl alltäglicher Probleme der Koordination unternehmungsübergreifender Produktionsprozesse bringen die sogenannten,Störfallanalysen‘von Wehner und Endres (z.B. Endres, 1995).

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  93. Vgl. zur Bedeutung informeller, ja: illegaler Praxis an organisationalen Grenzstellen, die Ausführungen, die Luhmann schon 1964 (304 ff.) unter dem Stichwort,brauchbare Illegalität‘gegeben hat.

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  94. Die reflexive Regulation von Unternehmungsnetzwerken weist Ähnlichkeiten mit dem Organisieren bestimmter Unternehmungen auf. Das gilt zum Beispiel für dezentral geführte,Profit-Center‘-Organisationen (s. hierzu wie zum folgenden Staehle, 1999, 743 ff.) und bei Holdings (Bühner, 1986; 1992), die rechtlich selbständige, kapitalmäßig aber eng verflochtene Unterneh-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) mungen strategisch regulieren. Da die dezentralen Einheiten aber einer einheitlichen Leitung etwa durch die Holding unterliegen, spreche ich in diesen Fällen nicht von Unternehmungsnetzwerken.

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  95. Die Interdependenzannahme auf Unternehmungsnetzwerke übertragen würde besagen: alle Geschäftsinteraktionen und -beziehungen in Unternehmungsnetzwerken (allgemein: alle Elemente in Sozialsystemen) sind aufgrund des Systemzusammenhangs wechselseitig interdependent. Nicht nur strukturationstheoretisch verwirft man diese Annahme. Die Fälle, daß alle Systemelemente in Sozialsystemen in wechselseitigem Austausch miteinander oder nur mit einem anderen stehen und für ihre Reproduktion hochgradig oder nur geringfügig vom System abhängig sind, bilden die Extrempunkte (s.a. Gouldner, 1973 [1959], 206). Auch die strukturelle Netzwerkanalyse lehrt uns, daß sich in Systemen gegebenenfalls verschiedene miteinander verknüpfte, gleichwohl weitgehend voneinander unabhängige Sets von Beziehungen identifizieren lassen. Industriecluster in nationalen Ökonomien, Cluster engerer und loserer Beziehungen (Orton/Weick, 1990) innerhalb eines Netzwerks (z.B. Sydow et al., 1995, 299 ff. für Beispiele) oder Burts (1992a),strukturelle Löcher (Teil II.2) sind Beispiele. Strukturationstheoretisch gesehen wandelt sich nicht jede Geschäftsinteraktion und -beziehung notwendig, wenn andere sich wandeln, bleibt gleich, wenn andere es tun usw. Unternehmungsnetzwerke (allgemein: Sozialsysteme) streben nicht naturgegeben nach vollständiger Interdependenz, sehen vielmehr oftmals gerade (partiell) strategisch davon ab. Interdependenzen sind zudem nicht schlicht systemisch gegeben. Erst dadurch, daß Akteure sie kompetent in ihr Handeln aufnehmen, gewinnen sie Bedeutung und erlangen sie Bestand. Das schließt ein: Akteure können im Prozeß der Produktion und Reproduktion der Geschäftsinteraktionen und -beziehungen und ihrer Koordination, Interdepen-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) denzen zu einem gewissen Grad auch eigenständig erneuern, sie verändern — gegebenenfalls durchaus grundlegend. Sind Interdependenzen von Netzwerkkoordinatoren oder anderen Akteuren beabsichtigt, müssen sie dafür Vorsorgen. Interdependenzen sind daher zwar nicht ausgeschlossen, werden aber nicht als gegeben gesetzt, sondern als (strategisch) produziert betrachtet. Unternehmungsnetzwerke und die Geschäftsinteraktionen und -beziehungen zwischen Netzwerkunternehmungen (allgemein: Sozialsysteme und Systemelemente) können so, wie ja bereits Gouldner (1973 [1959], 205 ff.) in seiner Kritik funktionalistischer Theorien hervorhob, im Grad und Ausmaß sowie in der Reichweite und dem Charakter ihrer Interdependenzen variieren und sich gegenseitig unterscheiden. Einige Unternehmungsnetzwerke weisen höhere Autonomie und Eigenständigkeit auf als andere. Das kann durchaus quer zu hierarchischen und heterarchischen Formen der Koordination variieren. Geschäftspraktiken in hierarchisch koordinierten Unternehmungsnetzwerken können durchaus auch in relevanten Bereichen etwa mehr Autonomie und Eigenständigkeit aufweisen als in heterarchischen, wenn diese ihre Aktivitäten durchgängig enger aneinander binden. Die Möglichkeiten und Grenzen der Ausgestaltung von Interdependenz zwischen Unternehmen variieren zudem mit der Form der Koordination; sie sind etwa auf Märkten andere als in Unternehmungen oder in Unternehmungsnetzwerken

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  96. Abgelehnt wird ferner die weit verbreitete Annahme der Kohäsion, die Vorstellung, soziale Systeme befänden sich (zumindest im Modell) im Gleichgewicht oder strebten (bei Strafe ihres Untergangs) notwendig darauf zu. Geschäftsinteraktionen und -beziehungen (allgemein: Systemelemente) und Geschäftspraktiken besitzen in Unternehmungsnetzwerken (allgemein: in sozialen Systemen) nicht notwendig die gleiche Wellenlänge und Schwingungsart; sie befinden sich daher nicht immer im Einklang mit anderen, verstärken sich nicht durchgängig wechselseitig, löschen sich in ihrer Wirkung, wie Amplituden sich überlagernder Wellen, möglicherweise aus, stehen durchaus potentiell konträr zueinander oder einander mehr oder weniger neutral gegenüber, ohne Unternehmungsnetzwerke (allgemein: Sozialsysteme) damit notwendig im Bestand zu gefährden. Unternehmungsnetzwerke oder andere Sozialsysteme können zwar durchaus Gleichgewichte ausbilden, das ist aber für sie nicht konstitutiv. Beides, Interdependenzen und Gleichgewichte zwischen den Geschäftsaktivitäten, wird gerade in stärker reflexiv regulierten Sozialsystemen wie Unternehmungsnetzwerken vielmehr als bewußt (und strategisch) gestaltbar angesehen — mit jedoch notwendig immer begrenzten Möglichkeiten interessierter Gestaltung.

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  97. Die Definitionen sozialer Systeme haben in Giddens’ Schriften kleinere Variationen erfahren, die ich hier nicht diskutiere. Der Begriff des sozialen Systems unterscheidet sich durchgängig von denen funktionalistischer und strukturalistischer Autoren, die die Begriffe System und Struktur nicht selten synonym verwenden. Insbesondere funktionalistische Theorieansätze verstehen — im Gegensatz zur Strukturationstheorie — unter sozialen Strukturen die in sozialen Systemen geordneten, sichtbaren Muster sozialer Beziehungen oder sozialer Phänomene (Giddens, 1984, 16; 1982a, 33; s.a. Teil II.2). Auch in der Organisationstheorie ist diese Auffassung weit verbreitet -zum Beispiel in der kontingenztheoretischen Forschung (für einen kritischen Überblick z.B. Starbuck, 1982; Staehle, 1999, 547 ff.). Giddens thematisiert die Muster der Beziehungen als strukturelle Merkmale sozialer Systeme (dazu genauer III-6).

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  98. Die Bestimmung der Elemente differiert dabei grundlegend zwischen der strukturellen und der strukturationstheoretischen Netzwerkanalyse. Die strukturelle Netzwerkanalyse geht von deren Existenz aus oder betrachtet sie als vom Forscher über objektive Definitionsmerkmale definiert. In strukturationstheoretischer Sicht unterliegt die Definition dagegen einer doppelten Hermeneutik (genauer: die einleitenden Überlegungen zu diesem Kapitel).

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  99. Die Elemente sind in den Prozessen der Konstitution sozialer Systeme rekursiv miteinander vermittelt. Akteure bringen soziale Beziehungen rekursiv durch ihre Aktualisierungen in Interaktionen hervor, verleihen diesen im Prozeß ihrer Vergegenwärtigung in Interaktionen — und nur dort — soziale Bedeutung und geben diesen ihre Ausdehnung in Zeit und Raum. Sie (re-)produzieren ihre Interaktionen aber wiederum im rekursiven Bezug auf soziale Beziehungen.

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  100. Der Begriff der Supplementierung verweist auf die Dekonstruktion einer hierarchischen Opposition (Derrida, z.B. 1986 [1972]; 1979 [1967], 145 ff.). Er meint nicht Destruktion, nicht Zerstörung, Reduktion, nicht etwas Zu-Grund-Richten und auch nicht Konstruktion, Neu-Aufbau, Erschaffen. Bei Gegensätzen haben wir es mit Derrida (1986 [1972], 88): „nicht mit der friedlichen Koexistenz eines Vis-a-vis, sondern mit einer gewaltsamen Hierarchie zu tun [..]. Einer der beiden Ausdrücke beherrscht (axiologisch, logisch usw.) den anderen, steht über ihm. Eine Dekonstruktion des Gegensatzes besteht zunächst darin, im gegebenen Augenblick die Hierarchie umzustürzen. […] [Die Arbeit der Dekonstruktion bleibt jedoch unabgeschlossen,] denn die Hierarchie des dualen Gegensatzes stellt sich immer wieder her.“ Supplementierung heißt dabei nicht nur Ergänzung, sondern bezeichnet deren heimliche Drift zur Ersetzung (Derrida, 1983 [1967], 250): „Das Supplement fügt sich hinzu, es ist ein Surplus; Fülle, die eine andere Fülle bereichert, die Überfülle der Präsenz. Es kumuliert und akkumuliert die Präsenz. […] Aber das Supplement supplementiert. Es gesellt sich nur bei, um zu ersetzen. Es kommt hinzu oder setzt sich unmerklich an-(die)-Stelle-von; wenn es auffüllt, dann so, wie wenn man eine Leere füllt. […] Hinzufügend und stellvertretend ist das Supplement ein Adjunkt, eine untergeordnete, stellvertretende Instanz. Insofern es Substitut ist, fügt es sich nicht einfach der Positivität einer Präsenz an, […], denn sein Ort in der Struktur ist durch eine Leerstelle gekennzeichnet.“ Supplementierung bewirkt daher nicht schlicht eine Zerstörung, eine Verkehrung von Hierarchie, sondern eine ‚tangled hierarchy‘ (Dupuy, 1990, 117), eine mit dem Bild des Möbiusbandes zu fassende ‚verwickelte Hierarchie‘, in der sich die Hierarchie von ‚oben und unten‘ in den Prozessen alltäglichen Handelns der Möglichkeit nach permanent verschiebt.

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  101. Homöostase meint (in der Kybernetik) die Bewegung in Richtung auf ein Gleichgewicht. Die Gleichgewichte kennzeichnen nicht notwendig Ruhepunkte, können sich in Raum und Zeit ändern, bezeichnen möglicherweise sogar permanente Phasenübergänge im Rahmen der Reproduktion des Systems. Reflexive und nicht-reflexive Regulationen können Homöostase erzeugen. Giddens (z.B. 1979, 78 f.) verwendet den Begriff der Homöostase nicht durchgängig einheitlich und im Sinne der Kybernetik. Als Beispiel für einen homöostatischen Loop im Sozialen gibt Giddens (1979, 79) den sogenannten ‚Armutszirkel‘ an: Ein Mangel an materiellen Mitteln führt zu geringer Schulausbildung. Das bewirkt eine Beschäftigung auf unterem Level und zieht materiellen Mangel nach sich. Versucht ein Kultusministerium aufgrund der Kenntnis des Armutszirkels, über Anreize Kinder mit Arbeiterklassenhintergrund dazu zu bewegen, weiterführende Schulen zu besuchen, wäre das ein reflexiver Eingriff auf der Grundlage von ‚reflexive monitoring‘ und ‚Rationalisierung‘ und Ausdruck reflexiver Systemregulation.

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  102. Giddens (1979, 75 ff.) unterscheidet drei Modi der System(re-)produktion: Homöostase, Selbstregulation durch Feedback und reflexive Selbstregulation. Cohen (1989, 136 ff.) differenziert, daran angelehnt, zwischen einer reflexiven und selbst reflexiven Regulationsform der Systemorganisation und meint damit, ganz wie Giddens, im ersten Fall das intentionale Einführen von Messungen und im zweiten das intentionale Installieren von Prozeduren zur Systemorganisation. Giddens’ Unterscheidung ist allein wegen der ungebräuchlichen Verwendung des Begriffs der Homöostase unklar (s. vorherige Fn). Beiden Bestimmungen unterliegt die zwischen einer reflexiven und einer nicht-reflexiven Form der System(re-)produktion. Die von Giddens angeführte ergänzende Differenzierung erhellt das Angesprochene nicht weiter. Die Frage der Netzwerkregulation (allgemein: der Systemregulation) und der strategisch piazierten Akteure, die danach trachten, Sozialsysteme reflexiv zu regulieren, nehme ich unten genauer auf (4.3). Hier konzentriere ich mich auf die Praktiken reflexiver Netzwerk(re-)produktion.

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  103. Nur damit keine Mißverständnisse entstehen: Mit der Rede von ‚Systemmotivationen‘ ist nicht gemeint, Systeme hätten, wie Funktionalisten unterstellen, eigene Motivationen und Bedürfnisse, die Systeme verfolgen. Es sind immer Interessen, Motivationen und Bedürfnisse von Akteuren aber systemisch erzeugte und im und durch den Systemzusammenhang gesicherte: durch Pläne, Projekte und Programme.

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  104. Für andere Systemtypen, insbesondere Märkte und Unternehmungen, ist ein entsprechender Begriff der Markt- bzw. der Unternehmungsregulation zu bilden.

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  105. Zu den Strategievarianten zählen zum Beispiel die Adaption führender oder Schaffung funktional äquivalenter Modelle, das heißt die (Möglichkeiten der beschleunigten) Adaption branchenspezifischer ‚best practices‘, die gemeinsame Protektion gegenüber sich herausbildenden Performanceanforderungen externer Akteure, die Besetzung von Netzwerknischen, das heißt neue Formen netzwerkbezogener Spezialisierung, wie allgemein die gemeinsame Entwicklung funktional äquivalenter oder homogener Praktiken oder des koordinierten Zugriffs auf einen oder mehrere Märkte. Ein anderes Spannungsfeld strategischer Alternativen lautet: Homogenisierung auf ein Modell oder Sicherung von Varietät eigener, alternativer Handlungsmöglichkeiten im Netzwerk.

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  106. Die im Prozeß selektiver Filterung von Systeminformationen auftretende Asymmetrisierung als relevant angesehener Daten und Informationen werden dabei nicht in Frage gestellt, oft wird vielmehr Vorsorge dafür getragen, daß das nicht geschieht (s.a. Luhmann, 1984, 631). Das Regulationswissen speist sich aus mindestens zwei Quellen: (1.) aus dem Systemmonitoring, der Rationalisierung des Systemgeschehens und aus den erkannten und entworfenen Möglichkeiten und Erfahrungen mit den Realisierungen der verfolgten Pläne, den ‚Systemmotivationen‘. Netzwerke monitoren umsichtig (2.) auch die für sie relevanten Kontexte, wenn auch oft in einem eingeschränkteren Sinne, rationalisieren das Erfaßte und gleichen (zugeschriebene) Motivationen‘ miteinander ab. Sie haben so auch Kenntnisse über andere Netzwerke, alternative Formen der Koordination ökonomischer Aktivitäten (sei es die in Unternehmungen und/oder in Marktzusammenhängen) und über die Nutzung ihrer oder alternativer Kontexte. Unternehmungsnetzwerke können ferner zur reflexiven Auslegung der Netzwerkzusammenhänge auf Wissensbestände der beteiligten Netzwerkunternehmungen zurückgreifen. Das kann die reflexive Netz-werk(re-)produktion erleichtern, konfrontiert sie aber immer auch mit hochgradig reflexiv gewonnenen und genutzten Formen der Verwendung von Regulationswissen in den einzelnen Netzwerkunternehmungen (zum Wissensbegriff allgemein III-3.4).

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  107. Die im Zuge des Netzwerkmonitoring auf der Ebene des Netzwerks produzierten ‚files‘ sind dabei weit mehr als nur Ausdruck von Bürokratie: Sie exemplifizieren Prozeduren und Programme mit ihren selektiven Informationsbeständen, sind als solche eine der Grundlagen für kontinuierliche und geregelte Operationen (s.a. Giddens, 1984, 152) und dienen der Zuordnung von Resultaten und Erträgen zu Beteiligten. Zum Teil werden sie als Ausgangspunkt für Formalisierungen verwendet. Regulationen gehen aber — auch in Organisationen und daher auch in Unternehmungsnetzwerken — nicht in Formalisierungen auf (s.a. Luhmann, 1964, 27). Deren Bedeutung schwankt. Organisationen wie Unternehmungsnetzwerke sind entsprechend nur unzureichend über Formalisierungen zu kennzeichnen.

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  108. Die im Abschnitt III-3.4 vorgestellten Grenzen der ‚Knowledgeabiltiy‘ finden hier ihre systemische Ausprägung.

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  109. Reflexivität meint bekanntlich nicht Reflexion — wie es ja auch das Schichtenmodell des Handelnden berücksichtigt -, sondern was als Medium und Resultat sozialer Aktivitäten reflexiv durch Rückbezug (auf sich selbst) miteinander vermittelt wird. Was Akteuren davon reflexiv bewußt wird oder Aufmerksamkeit erfährt, ist voneinander zu unterscheiden. Eine Vielzahl von Beziehungen, denen Akteure ausgesetzt sind, entzieht sich ihrer Reflexion. Diese Beziehungen werden über Kausalzusammenhänge reproduziert, die sie nicht reflexiv beeinflussen, obgleich sie ihnen als unerkannte Bedingungen ihres Handelns entgegentreten, und sie diese durch ihre Aktivitäten mit reproduzieren oder verändern. Machtdifferenzen schaffen hier sicherlich bedenkenswerte Unterschiede. Sie ändern aber nichts an dem allgemeinen Sachverhalt. Nicht-reflexive Sy-stem(re-) produktion bezeichnet die im funktionalistischen und im Großteil des marxistischen Gedankenguts verbreitete Vorstellung: Systemreproduktion verläuft über Prozesse, die denen im Organismus ähneln. Angenommen werden kausale Verursachungskreisläufe, nahezu blinde Feedbackmechanismen, in die Akteure nicht oder kaum Kraft ihres ‚reflexive monitoring‘ und ihrer ‚Rationalisierungen‘ eingreifen (können), da sie aus ihrer Wahrnehmung herausfallen oder ihnen als strukturelle Zwänge entgegentreten. Diese kausalen Verursachungskreisläufe bewirken, daß sich Ausgangsbedingungen und Verbindungen sozialer Interaktionen und Beziehungen im System und darüber vermittelt die der Teilbereiche des Systems — etwa der Ökonomie und der Politik — nahezu mechanisch permanent wiederherstellen.

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  110. Parallele Aktivitäten in unterschiedlichen Nationalstaaten und Kulturkreisen bieten bekanntlich Gewinnmöglichkeiten. Gegebenenfalls sind sie aber auch — wie die Literatur über internationale Märkte lehrt (z.B. Bartlett/Ghoshal, 1990; Biggart/Hamilton, 1992; Farley/Korbin, 1995, f.e. Überblick) — Ursache für Differenzen und Konflikte. Das Verhältnis der Praktiken und Horizonte der Ausgestaltung der reflexiven Systemregulation ist dabei zwischen Netzwerkunternehmungen und dem Netzwerk als ganzem nicht notwendig konsistent und additiv.

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  111. Beispiele sind Formen kontrolliert autonomer Organisation ökonomischer Prozesse in Unternehmungen (Ortmann et al., 1990; aktuell z.B. als ‚standardisierte Gruppenarbeit‘[Springer, 1999]) oder in Unternehmungsnetzwerken oder Formen regulierter Entgrenzung zur reflexiven Erfassung und Erkundung möglicher Alternativen. Die Regulationen können zudem eher indirekter oder direkter Natur sein (z.B. Rahmenvorgaben geben oder konkrete Auflagen für die Ausgestaltung formulieren). Sie können zudem eher passiv oder eher aktiv ausgelegt sein, Formen kollektiven Handelns (etwa der Interessenvertretung) reguliert befördern oder behindern (s.a. Bovens, 1990).

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  112. Die Strukturationstheorie kann von der Systemtheorie vieles über Sozialsysteme lernen und muß es auch, soll diese bedeutsame Lücke in Giddens Strukturationstheorie geschlossen werden. Strukturationstheoretiker sind in ihrem Zugang zur Systemtheorie ihrerseits aber mit einem Problem in der Anlage dieser Theorie konfrontiert: mit der systemtheoretischen Aufnahme des Akteurs bei der Konzeptualisierung sozialer Systeme. System- und Strukturationstheorie unterscheiden sich an diesem Punkt recht weitgehend. Insbesondere gibt es strukturationstheoretisch keine vom Handeln der Akteure abgelöste, eigenständige Operationsebene oder selbstselektive Prozesse der Kommunikation sozialer Systeme, sondern nur das Zusammenhandeln verschiedener Akteure im Systemzusammenhang. Systemzusammenhänge werden also nicht über irgendwie vom Handeln abgelöste Operationen eines Systems hergestellt. Sie beruhen nicht auf der Ausübung von ‚Handlungen‘sozialer Systeme, die, wie es funktionalistische Theorien vorgeben, funktional definierte Bedürfnisse verfolgen. Ebenso unhaltbar ist für sie das strukturalistische und das in einer ganzen Anzahl marxistischer Positionen anzutreffende Systemverständnis: „Reproduction is not a mysterious accomplishment that social systems manage to carry out via the activities of their ‚members‘“(Giddens, 1979, 112). Was für Handeln ausgeführt wurde, gilt auch für Kommunikation als besondere Form des Handelns, die Luhmann bekanntlich als (emergente) Systemelemente von Gesellschaften versteht. Strukturationstheoretisch gilt: Der Handelnde kommuniziert, wenn er handelt, nicht in dem Sinne, daß das System seine Kommunikation abgelöst vom Handeln oder über vollständig der reflexiven Erfassung und Beeinflussung entzogene Aktivitäten der Systemmitglieder an andere Kommunikationen anschließt. Das System entscheidet nicht unabhängig von Akteuren die Art der Teilnahme an Kommunikation, etwa ob sie den Beitrag als den eines Anwesenden oder eines Organisationsmitglieds auffaßt. Soziale Systeme sind reflexiv so gestaltet, daß sie bestimmte Bedingungen für den Anschluß von Handlungen an Handlungen, Kommunikationen an Kommunikationen schaffen, so daß kompetente Akteure wissen, wie sie Arten der Teilnahme an Kommunikation in welchen Situationen wie im Systemkontext kompetent einordnen können. Akteure müssen das per reflexivem Systemmonitoring, Systemrationalisierung und ‚Systemmotivation‘Intendierte aber erst umsetzen und erst dadurch werden Systemanschlüsse und -zusammenhänge gegebenenfalls realisiert, unter Umständen aber auch mißachtet, verworfen. Gleiches gilt für die Relevanz von Akteuren für Kommunikationen, Kommunikationszusammenhänge und für die (re-)produzierten Resultate. Wenn Akteure kommunizieren, nutzen sie rekursiv und kompetent die Prozeduren und Techniken des Kommunizierens in sozialen Systemen, (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) setzen sie (oder andere Systemakteure) ihre Kommunikationen mit anderen unter Bezug auf Sets von Regeln und Ressourcen der Kommunikation des Systems in Verbindung, schließen sie diese an andere an, handhaben sie die Kommunikationen als mit anderen systemisch koordiniert verbundene, klassifizieren sie Kommunikationsbeiträge als solche von Organisationsmitgliedern oder Dritten, weisen sie den Kommunikationsbeiträgen in der Art und Weise, wie sie diese rekursiv aufnehmen, Relevanz zu, produzieren sie — und niemand sonst — rekursiv die Vermittlungen zwischen ihnen. Das gilt, auch wenn sie die Prozesse nie vollständig kontrollieren, Akteure immer auch unintendierte Konsequenzen produzieren und Zurechnungen mit wachsender Ausdehnung in Zeit und Raum oft an Offensichtlichkeit verlieren und problematisch werden und die Praktiken reflexiver (Re-) Produktion unterschiedliche Grade autonomen Handelns aufweisen. Kommunikationsanschlüsse und -zusammenhänge lassen sich in Sozialsystemen zwar analytisch getrennt von Handlungen einzelner Akteure untersuchen. Sie sind aber schlicht nicht ohne die Aufnahme der Aktivitäten der Akteure (auch die zur intendierten Auslegung des reflexiven Systemmonitorings, der Systemrationalisierung und ‚Systemmotivation‘), ohne die Berücksichtigung, was diese sich im Handeln (typisch) vergegenwärtigen, zu verstehen und/oder zu erklären — auch weil Systeme immer nur partiell die Prozesse der System(re-) produktion kontrollieren können. Das Absehen von diesen Zusammenhängen muß als Selbstsimplifizierung von System(re-)produktion durch Systemakteure, oder als defizitäre Zuschreibung anderer Beobachter verstanden werden. Die strukturationstheoretische Konzeptualisierung sozialer Systeme bindet die System(re-)produktion konsequent an rekursive Aktivitäten von Akteuren in Zeit und Raum. Sie vermeidet damit die Theorieprobleme der neueren Systemtheorie, die sich durch die Abdunkelung der Aktivitäten über die Interpenetration und strukturelle Kopplungen verbundenen Emergenzniveaus ergeben, ohne daß ihrerseits Systemprozesse damit in den Hintergrund, ins Off gedrängt werden. Die Theoriefigur der Interpenetration und die der strukturellen Kopplung sind ihrerseits sehr fruchtbare Konzepte. Aber die Interpenetration und strukturelle Kopplung sozialer Systeme werden nur über das Handeln von Akteuren hergestellt und sind damit auch nur über deren Aufnahme zu erklären. Zumindest läßt sich festhalten: Die über Geschäftspraktiken in Unternehmungsnetzwerken miteinander vermittelten Geschäftsaktivitäten und -beziehungen sind rekursiv mit Praktiken reflexiver Systemgestaltung und dem vermittelt, was Akteure im Handeln sich rekursiv vergegenwärtigen, da Netzwerkakteure die den Geschäftspraktiken unterliegenden Strukturen rekursiv in ihren situativen Geschäftsaktivitäten nutzen und das Geschäftsgeschehen in Unternehmungsnetzwerken über ihr Tun aktiv mit schaffen. So Theorien handelnde Akteure nicht explizit aufnehmen, produzieren sie systematisch Erklärungslücken. Das gilt offensichtlich für die strukturelle Netzwerkanalyse, die in strukturalistischer Tradition diesem Aspekt keine oder nur wenig Bedeutung schenkt. Handelnde und ihr Handeln können dagegen in strukturationstheoretischer Sicht nur aus forschungsmethodologischen Gründen zeitweilig eingeklammert werden — alles andere liefe darauf hinaus, das Handeln entweder zu marginalisieren, wie in strukturalistischen Theorieansätzen, oder idealisierte Konzepte von Akteuren, wie in individualistischen Theoriekonzepten, die typischer Weise in Studien aus der Managementforschung anzutreffen sind, zugrundezulegen oder, wie ausgeführt, systematisch Erklärungslücken zu produzieren. Alle diese Varianten sind aus strukturationstheoretischer Sicht unzureichend und daher zu verwerfen.

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  113. Der Leser beachte die weitgehend gleichlaufende Argumentation zwischen Giddens und Luhmann (1984, 270 ff.).

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  114. Allgemeiner gilt: Nicht alle sozialen Systeme sind kollektiv handlungsfähig. Eine Schlange am Taxistand oder der Theaterkasse entwickelt als kurzlebiges soziales System weitgehend wechselseitig unfokussierter Interaktionen in der Regel keine kollektive Handlungsfähigkeit, obwohl Akteure im Schlangestehen ihr Warten am Taxistand miteinander regulieren.

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  115. Siehe hierzu ganz ähnlich auch Luhmann (1984, 273): „Auch kollektives Handeln ist selbstverständlich Einzelhandeln […]. Es muß nur besonders ausgezeichnet sein durch Symbole, die verdeutlichen, daß das gesamte System dadurch gebunden wird“; gleichlautend auch Weick (1985 [1969], 53 f.). Das Problem der Repräsentation von Unternehmungen ist dabei in vielen Fällen mit von der Größe und der Besitzform der Unternehmungen abhängig. Kleinere und mittlere Eigentümer-Unternehmungen sind oft durch Entrepreneure charakterisiert, die zumeist ihre Unternehmungen recht weitgehend führen können. Aber auch in diesen Fällen gilt: um die Aktivitäten der Mitarbeiter zu binden, müssen sie Maßnahmen zur Bindung und Absicherung des Verhaltens treffen. Der von Giddens im Zitat angesprochene, aber nicht definierte Begriff des korporativen Akteurs wird in der Literatur unterschiedlich verwendet. Einmal meint er — und so scheint auch Giddens den Begriff zu gebrauchen — alle formalen Organisationen, dann lediglich solche, die eine formale Konstitution, reale Mitgliedschaft, eine (Mis-)Repräsentation von Interessen, eine mitgliedschaftsunabhängige Interessengenerierung des sozialen Systems und besondere Regelregime aufweisen (genauer Flam, 1990).

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  116. Die Redeweise von einem hohen Grad reflexiver Regulation in Organisationen schließt ein: Auch in Unternehmungen und in deren Verhältnissen zu ihren relevanten Kontexten ist nicht alles — und schon gar nicht vollständig — hochgradig reflexiv reguliert. Ein Verständnis von Unternehmungen muß daher das jeweilige Mix von Reflexivität mit bedenken, beachten, daß Unternehmungen (wie Organisationen generell) nicht monolithische Einheiten sind.

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  117. Das Festlegen eines ‚Rahmens‘für unternehmenspolitische Entscheidungen im Sinne der (faktischen, letztendlichen) Setzung von Handlungsdomänen, der Vorgabe von Budgets oder von Richtlinien für die Ausstattung mit Kapital und für die Kostenplanung begründen in der Rechtssprechung eine einheitliche Leitung. Unterstellt wird bei einheitlicher Leitung ein (faktisches) Weisungsrecht bei der Festlegung von Eckpfeilern der Geschäftspolitik (z.B. bei der Erstellung des Jahresbudgets — aber nicht notwendig in personalen Angelegenheiten, wie es der Begriff der Hierarchie unterstellt, der in der Transaktionskostentheorie zur Kennzeichnung von Unternehmungen verwendet wird). Zu den in Konzernen gebräuchlichen Mitteln der Realisierung einer einheitlichen Leitung zählen Beteiligungen (oftmals Mehrheitsbeteiligungen), personelle Verflechtungen, Verträge, konzerneinheitliche Controlling- und Informationssysteme (z.B. Intranet), Zustimmungspflichten für Investitionen und bei anderen geschäftsrelevanten Entscheidungen. Bei einer Mehrheitsbeteiligung wird das Vorliegen einer einheitlichen Leitung unterstellt. Letztere ist aber nicht notwendig an (bestimmte Prozentzahlen von) Beteiligungen gebunden. Entscheidend ist, ob faktisch einheitlich geleitet wird. Zudem variiert gegebenenfalls der Bereich einheitlicher Leitung. In einer Managementholding (z.B. dem Bertelsmann-Konzern) koordiniert die Holding typischerweise die Finanzen, das Personal sowie die Technologie über auf finanzielle und strategische Größen ausgerichtete Pläne. Bei einer Finanzholding (z.B. dem DBG-Konzern), bei denen Konzerngesellschaften weitgehend autonom handeln, die Konzernleitung auf die operative und strategische Geschäftsführung keinen Einfluß nimmt, bezieht sich die wirtschaftlich einheitliche Leitung alleine auf die an finanziellen Zielen orientierte Steuerung des Portfolios (zsfd. Theisen, 2000, oder Teubner, 2000; s.a. Hess, 2000, oder Sydow, 2001, und die dort zitierte (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) Literatur). Diese an die Rechtsprechung angelehnte Bestimmung von Unternehmungen verschiebt die „Koordinaten des kapitalistischen Betriebstyps“von Gutenberg (zsfd. 1983 [1951], 507 f.) in zweifacher Weise: Sie weist dem ‚erwerbswirtschaftlichen Prinzip‘eine übergeordnete Bedeutung unter den Prinzipien in der Ökonomie zu und reformuliert das ‚Autonomieprinzip‘und das ‚Prinzip der Alleinbestimmung‘als Prinzip einheitlicher Leitung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die Reichweite einheitlicher Leitung von Unternehmungen ist variabel — wie die Unterscheidung zwischen einer Management- und einer Finanzholding belegt. 125 Mit Wallerstein (1987, 318) gilt zudem bis heute mit Marx: „Capitalism is a system based on competition between free producers using free labour with free commodities, ‚free‘meaning is availability for sale and purchase on a market.“

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  118. Strategische Allianzen und Joint Ventures sind entsprechend dem hier vorgestellten Begriff keine Unternehmungsnetzwerke. Sie sind Allianzen zwischen zwei Unternehmungen. Entsprechend ist ein Portfolio von Allianzen von einem Netzwerk von Allianzen zu unterscheiden. Im ersteren Fall unterhält eine Unternehmung individuelle Allianzen mit unterschiedlichen Firmen, ohne Aktivitäten netzwerkförmig zu koordinieren (s.a. Koza/Lewin, 1999, z.B. 639). Giddens (1990b, 302) unterscheidet drei Typen sozialer Systeme: Kollektivitäten, Assoziationen und Netzwerke. Das konstitutive Merkmal von Netzwerken ist für ihn: „Networks can be defined as systems in which social relations are of predominant importance, rather than interconnections involving regularized interaction.“Diese Definition von Netzwerken ist für meine Zwecke zu allgemein. Sie läßt sich jedoch in dem von mir vorgelegten Sinne als Grundlage einer Definition von Unternehmungsnetzwerken verwenden. Modifikationen betreffen den Umstand, daß wir es mit Netzwerken im Bereich der Ökonomie zu tun haben, es Unternehmungen sind, die das Netzwerk konstituieren, die Beziehungen zwischen Unternehmungen in Unternehmungsnetzwerken vornehmlich Geschäftsbeziehungen sind und es die relative Dauerhaftigkeit des Beziehungszusammenhangs ist, das die Netzwerkartigkeit der Beziehungen begründet (letzteres Merkmal ist implizit auch im Begriff von Giddens angelegt). Der vorgestellte Begriff des Unternehmungs-netzwerks fußt im Kern auf einem allgemeineren Netzwerkbegriff, der dauerhafte Beziehungszusammenhänge zwischen Systemelementen als Netzwerke kennzeichnet. Er läßt sich auf andere Sozialsysteme übertragen. Akteure und Interaktionen und Beziehungen sind zu modifizieren. Industrien, organisationale Felder, regionale Produktionssysteme können entsprechend netzwerkförmig koordiniert sein.

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  119. Das schließt die Möglichkeit ein, daß in einem hochgradig dezentral organisierten Konzern die Beziehungen zwischen den Konzerneinheiten schwächer ausgeprägt sind als in einem Unternehmungsnetzwerk.

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  120. Die Pole der X-Achse lauten: Koordination ausschließlich über Marktpreise und über einheitliche Leitung. Die Pole der Y-Achse heißen: Koordination zwischen Unternehmungen ausschließlich als diskreter Tausch und über den dauerhaften Beziehungszusammenhang. Einheitliche Leitung bei annähernd diskretem Tausch kennzeichnet sehr flüchtige Unternehmungen und/oder Unternehmungen mit flüchtigen Beschäftigungsverhältnissen (Zeitarbeiter, Projektbeschäftigte usw.).

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  121. Dem Cash-Nexus kommt natürlich auch in Unternehmungsnetzwerken und Unternehmungen eine beträchtliche Rolle zu. Er ist in ihnen nur nicht dominant.

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  122. Der Begriff des Marktes ähnelt in diesem Sinne Giddens’ Systemtyp der Assoziation. Giddens (1990b, 303) definiert den Begriff der Assoziation nicht weiter, setzt ihn aber dem der Kollektivität entgegen: „Collectivities are distinguished from associations in terms of their level of coordination — associations are systems in which there is considerable fluidity.“

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  123. Aber natürlich stehen nicht alle hierarchischen oder heterarchischen Unternehmungsnetzwerke unter Generalverdacht, faktisch Unternehmungen zu sein. In hierarchischen Unternehmungsnetzwerken geschieht die Regulation stärker durch einen Netzwerkkoordinator und anweisungsnahe, weil machtgestützte Foderungen oder ‚Diktate‘, in heterarchischen stärker durch kollektive Aus- und Verhandlung zwischen den beteiligten Unternehmungen (zur Unterscheidung von Grundformen der Netzwerkregulation Teil I). In beiden Fällen begründet die Regulation jedoch per se noch keine einheitliche Leitung in wirtschaftlichen Angelegenheiten im strengen Sinne.

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  124. Die Anerkennung ist zuweilen für sich formierende soziale Systeme in stark vermachteten Kontexten besonders prekär. Gerade sich konstituierende Unternehmungsnetzwerke kämpfen hier von Zeit zur Zeit einen längeren Kampf (z.B. Sydow et al., 1995; 344 ff.). Allgemeiner sind neben der Anerkennung durch andere Akteure institutionelle Vorgaben, wie die der Politik und der Legislative, und ‚industry recipes‘(Spender, 1989) besonders zu beachten.

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  125. Teubner (1992, 193 ff.) beanstandet an dem institutionenökonomischen Verständnis von Netzwerken bekanntlich vor allem „die grundbegriffliche Einebnung des Gegensatzes von Vertrag und Organisation“(ibid., 194) und die Gleichsetzung von Austausch und Kooperation (ibid., 195) und die sich damit verbindende Einordnung von Netzwerken auf der Dichotomie von Markt und Hierarchie.

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  126. Die Rede von ‚re-entry‘nimmt das Formenkalkül von George Spencer Brown (1969) auf, den (formalen) Wiedereintritt der Unterscheidung in das durch sie Unterschiedene.

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  127. Entsprechend bestimmt man, daß in Unternehmungen die einheitliche Leitung dominant die Verläßlichkeit des Beziehungszusammenhangs zwischen den Akteuren konstituiert. Auf Märkten ist die Verläßlichkeit aufgrund der Strukturmerkmale von Märkten nicht so wichtig. Sie existiert gleichwohl auch auf Märkten, wird dort aber vor allem durch den Rekurs auf Strukturmerkmale des diskreten Tauschs und seine institutionellen Kontexte hervorgebracht.

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  128. Eine partielle Ausname bildet dabei Thorelli (1986). Er definiert Netzwerke als ‚long-term relationships between firms‘(ibid., 37), versteht sie dann aber — ohne die damit einhergehenden Theo-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) rieprobleme anzusprechen oder gar zu diskutieren — als Subtypen von Märkten und ordnet sie unter Rekurs auf Williamson in die Dichotomie zwischen Markt und Hierarchie ein.

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  129. Infolge intensiver zwischenbetrieblicher Kooperationsvereinbarungen kann Netzwerken auch ein relationaler Vertrag zugrunde liegen (Picot/Reichwald/Wigand, 1996, 52). Grundbegriffliche Unterschiede zwischen Markt, Netzwerk und Organisation sowie Vertrag werden eingeebnet. Im Extrem wird in neoklassischer Sicht keinerlei Differenz zwischen ihnen gesehen (Alchian/Demsetz, 1972, 777), in moderaterer Form wird etwa von Organisationen als ‚nexus of treaties‘(Aoki/Gustafsson/Williamson, 1990) gesprochen (zur Kritik Teubner, 1992, 193 ff.).

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  130. Neben der grundlegenden Gemeinsamkeit zwischen dem strukturationstheoretischen Begriff des Netzwerks und dem der strukturellen Netzwerkanalyse sind mindestens zwei Unterschiede zu nennen: Erstens wird nicht jeder Beziehungszusammenhang als netzwerkförmig betrachtet, sondern nur diejenigen, die sich als dauerhafte Beziehungszusammenhänge zwischen mehr als zwei Akteuren erweisen. Strukturationstheoretisch sind Netzwerke besondere Typen sozialer Systeme, sind nicht alle Sozialsysteme Netzwerke. Zweitens wird dem Beziehungszusammenhang und den Geschäftsbeziehungen zwischen den Unternehmungen über die Warhnehmung, Erfahrungen und Erwartungen eine besondere Qualität zugewiesen: Er ist das dominante Medium (und Resultat) der Koordination der Netzwerkaktivitäten (s.a. nochmals Teil H.2).

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  131. Was hier gegenüber dem Netzwerkbegriff von Powell eingewendet wurde, gilt gleichermaßen für die Vorstellung, Unternehmungsnetzwerke seien dominant durch Kooperation (Semlinger, 1991; 2000; Sydow, 1992; Beizer, 1993), durch Autonomie (Perrow, 1992) oder durch Macht (Sauer/Döhl, 1994b) gekennzeichnet. Alle genannten Merkmale sind in Netzwerkbeziehungen gegebenenfalls durchaus relevant. Erhebt man sie aber zum Definitionsmerkmal von Unternehmungsnetzwerken, dann nimmt man unnötige Verkürzungen vor. Die angesprochenen Begriffsfassungen lassen sich natürlich für spezielle Netzwerkanalysen verwenden. Die Verwendung als allge-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) meines Konstitutionsmerkmal von Netzwerken hindert indes das empirische Phänomen der Vernetzung von Unternehmungen insgesamt zu erfassen.

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  132. Da die in Netzwerken handelnden Personen und Unternehmungen zur Umwelt des Netzwerks zählen, die Natur ihrer Beziehungen untereinander und zum Netzwerk unterschiedlich sind, und schließlich die netzwerkbezogene Koordination von Aktivitäten immer im Angesicht alternativer Möglichkeiten und im Rahmen des Doppelhorizonts auf Netzwerkunternehmungen und das Netzwerk als ganzes jeweils in situativen Aktivitäten bewerkstelligt werden muß, ist die Schaffung eines Ordnungsrahmens, der die Aktivitäten der Akteure gesichert auf den Netzwerkzusammenhang orientiert und infolgedessen eine Diskussion der Praktiken, über den dieser Rahmen interessiert ausgestaltet wird und werden kann, alles andere als trivial.

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  133. Giddens’ (z.B. 1984, 27) verwendet einen allgemeinen Begriff von Regulation, der sich auf alle sozialen Systeme bezieht, also nicht vorrangig staatliche Regulation meint, wie viele neoinstitutionalistische Autoren (z.B. Leblebici et al., 1991).

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  134. Netzwerkidentitäten setzen reflexive Bewußtheit von Kontinuitäten des Selbst, der Selbstreflexion und Selbstinterpretation des Netzwerks in Zeit und Raum voraus (s.a. Giddens, 1991a). Siehe zur Frage der Identität jetzt auch den Diskurs um die Identität von Organisationen in der Zeitschrift Academy of Management Review (2000, 25. Jg., Heft 1).

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  135. Die Begriffe Management und Steuerung werden oft synonym verwandt (kritisch hierzu z.B. Sydow/Windeler, 2000). Mit Management wird zumeist ein plandeterminierter und kontingenztheoretisch gefaßter Zusammenhang von Planung, Organisation, Personaleinsatz, Führung und Kontrolle verbunden (Koontz/O’Donnell, 1955; zur Kritik Steinmann/Schreyögg, 1993; Staehle, 1999, 81 ff.).

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  136. Die Entwicklung und institutionelle Nutzung abstrakter Systeme haben ökonomisches Handeln und deren Regulation seit dem Aufkommen der Moderne grundlegend gewandelt und verändern diese(s) weiter. ‚Anwesenheitsverfügbarkeit‘(Giddens, 1984, 123) kann heute auf der Basis der Trennung von Transport- und Kommunikationsmedien in ganz anderer Weise und zu ganz anderen Kosten gewährleistet werden als das früher der Fall war: Rohmaterialien, Güter und Waren können heute über weit entfernte Orte hinweg durch schnelle und verfügbare Kommunikationsund Transportmittel in kurzen Zeiten über den Globus verteilt werden. Unternehmungsnetzwerke können Formen erkunden, die ihnen Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Mitkonkurrenten eröffnen. Zerstörte Industrialisierung die enge Kopplung mit den Rhythmen der Natur, die die Agrargesellschaft kennzeichnete, so kommt es in einigen Bereichen der Informationsarbeit heute zu einer radikalen Transformation der im Zuge der Industrialisierung ausgebildeten Muster räumlicher und zeitlicher Verteilung des Arbeitens, Wohnens und Lebens. Produktion kann sich mit Hilfe von Informationstechnologie und neuer Organisationsmodelle wie Vernetzung von einigen Zwängen, die die Industrialisierung mit sich brachte, befreien (s.a. Malone/Laubacher, 1998). Die Nutzung dieser informationstechnikbasierten Potentiale einer dezentralen Produktion in ökonomischen Kontexten setzt allerdings und sogar im verschärften Maße die Regulation des Zusammenhangs zwischen den kleineren und flexibleren Einheiten voraus — was in der Diskussion um virtuelle Unternehmungen oft vergessen wird. Unternehmungsnetzwerke sind eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem ‚Wie‘der Koordination, deren Möglichkeiten zur Regulation beruhen aber gleichzeitig wiederum auf Entwicklungen abstrakter Systeme. Die Möglichkeiten und Grenzen zur Regulation variieren zudem mit den ja auch keinesfalls konstanten Einstellungen und Entwürfen der Akteure.

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  137. Eine Vielzahl der zur reflexiven Systemregulation genutzten Mittel ist zwar nicht spezifisch für eine Unternehmung oder ein Unternehmungsnetzwerk ausgelegt. Das bedeutet aber nicht, daß sie nicht unter Umständen doch in systemspezifischer Form verwendet werden — etwa indem sich ein Netzwerkjargon in Unternehmungsnetzwerken ausbildet, Netzwerkregulationen darauf zielen, bestimmte Mitbestimmungsrechte und Tarifbindungen zu unterlaufen oder Arbeitszeiten speziell ausgelegt werden.

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  138. Die Abbildung erweitert und modifiziert eine frühere Überlegung (Sydow/Windeler, 1994, 4 ff.; 1997, 151).

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  139. Eingeschlossen sind Rhythmen und Anlässe, Prozesse, Mittel und Praktiken der Sammlung und Auswertung selektionsrelevanter Daten und Informationen, etwa der Überprüfung der Mitgliedschaft und ein reflexiver Abgleich relevanter (Entwicklungen der) Profile des Netzwerks und der Netzwerkunternehmungen mit denen der Geschäftsfelder und Handlungsräume, auf denen sie in Zeit und Raum aktiv sind oder sein wollen — wobei sich die Profile aus den Sicht-, Legitimations- und Handlungsweisen der Akteure speisen (Windeler/Lutz/Wirth, 2000).

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  140. Siehe zum strukturationstheoretischen Ressourcenbegriff genauer den Abschnitt III-6.

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  141. Die Verfahren können recht unterschiedlich sein: Allokation von Ressourcen kann Medium und Resultat ausgefeilter, vielschichtiger Verfahren und Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren sein, wie das oft in großen tief integrierten Unternehmungen der Fall ist; sie kann aber auch Medium und Resultat von Verfahren sein, wie wir es aus dem Bereich des Venture Capitals kennen, in dem Ideen, die als erfolgsversprechend eingestuft werden, Ressourcen in Form von Risikokapital und Talent zugeordnet werden.

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  142. In Frage steht, ob Unternehmungen im Netzwerk (gemeinsam) Produktionsstätten, Dienstleistungseinrichtungen wie Büros, EDV-Dienstleister, Berater und ähnliches schaffen oder vorhandene als Netzwerkeinrichtungen deklarieren, die sie dann gemeinsam nutzen und deren Kosten und Erträge sie untereinander nach einem zwischen den selbständigen Unternehmungen vereinbarten Modus verteilen. Geprüft werden muß ferner, inwiefern Praktiken gemeinsamer Kapitalbeschaffung entwickelt und erprobt sowie Formen wechselseitiger Kapitalbeteiligung (zum Beispiel der ringförmigen wechselseitigen Kapitalverflechtungen im Falle der japanischen Keiretsu [Gerlach, 1992, 113 ff.]) ausgehandelt werden sollen.

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  143. Fligstein (1990) unterscheidet für Unternehmungen zwischen einer Finanz-, Produktions- sowie einer Verkaufs- und Marketingkonzeption (s.a. Ortmann et al. 1990, 372 ff.), die auch in Unternehmungsnetzwerken Gültigkeit besitzen (Sydow et al., 1995). Die damit einhergehenden Orientierungen sind bekanntlich unterschiedlich. Im Rahmen der Finanzkonzeption der Unternehmung, der aktuell hohe Bedeutung zukommt (z.B. Fligstein, 1990, 15; Springer, 1999), besteht der Zweck der Unternehmung darin, kurzfristig Profite zu erzielen. Dementsprechend wird die Performanz zentral über Profitraten gemessen und über Diversifikationen, genauer durch Fusionen und Divestments, versucht, die relevanten Assets zu manipulieren. Seinen Ausdruck findet das auch im Credo des Shareholder-Value-Capitalism mit seiner vergleichenden Orientierung an kurzfristiger Kapitalverzinsung auf Produkt-, Kapital- und Finanzmärkten. In der Produktionsperspektive steht dagegen die Preisstabilität durch interne Kontrollen und deren Absicherung durch Einflußnahme auf organisationale Felder im Mittelpunkt. In der Verkaufs- und Marketingperspektive wiederum rückt die Fähigkeit der Unternehmungen in den Vordergrund, entsprechend der Nachfrage zu produzieren. Die Perspektiven begründen, wie auch die Studien von Ortmann et al. (1990) aufzeigen, legitime Orientierungspunkte für Abteilungsrationalitäten und für Auseinandersetzungen um deren Dominanz in Unternehmungen und, so hat es den Anschein, auch im Rahmen von Unternehmungsnetzwerken (s.a. Sydow et al., 1995, 135 ff.).

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  144. Koza und Lewin(1999, 641) sehen Vernetzung auf der Basis einer Unterscheidung von March (1991) im wesentlichen durch zwei Strategien verursacht — Exploitation und Exploration. „Exploitation refers to the elaboration and deepening of existing capabilities and to incremental improvements in efficiencies. The strategic intent of exploitation is to obtain residual revenue and enhancement of other capabilities. Exploration refers to experimenting with or establishing new assets and capabilities. The strategic intent of exploration is the discovery of new opportunities, which may have dramatic effects on a firm’s performance.“

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  145. Vergleichend evaluiert werden beispielsweise Praktiken alternativer Markteintritte: greenfield investments, Akquisitionen, Joint Ventures, strategische Allianzen und der Eintritt in bestehende oder der Aufbau eines eigenen Netzwerks. Einbezogen werden interne Ausgangsbedingungen mit ihren Entwicklungen (einschließlich ‚imprinting conditions‘[Stinchcombe, 1965], ‚structural inertia‘[Hannan/Freeman, 1977]) und eventuell auch externe Bedingungen (wie Entwicklungen von Märkten und politischen Regulierungen) sowie Möglichkeiten der Beeinflussung und Nutzung netzwerkübergreifender Vorgaben und Institutionen zur Regulation von Evaluation.

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  146. Integration bezieht sich in einem strukturationstheoretischen Sinne auf rekursiv hervorgebrachte, regulierte Verbindungen zwischen Aktivitäten und Akteuren in Zeit und Raum. Der Gegenbegriff zu Integration ist daher nicht, wie bei Parsons, Konflikt oder das Fehlen von Regulation. Er lautet: Zusammenbruch der Systemreproduktion (Cohen, 1989, 93 f.). Der Verklammerung von Integration mit Kohäsion und Konsens, die der Begriff in den Schriften von Parsons und Lockwood erfährt, erteilt Giddens eine Absage (s.a. Giddens, 1981, 29). Giddens thematisiert das (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) von mir vorgestellte Verständnis von Systemintegration als Sozial- und Systemintegration: „Social integration [means] reciprocity between actors in contexts of co-presence; system integration reciprocity between actors or collectivities across extended time-space“(Giddens, 1984, 28; Darstellung verändert und Hervorh. hinzugefügt, A.W.; s.a. Giddens, 1990b, 301 f.; 1979, 77). Er greift die Unterscheidung von Lockwood (1964) auf, reformuliert sie aber recht weitgehend. Begrifflich ist die Unterscheidung nicht sehr glücklich. Sie suggeriert, daß Sozialintegration nicht in soziale Systeme integriere und Systemintegration nicht sozial integrativ sei. Die Kopula ‚und‘verweist zwar auf deren Verkopplung, beseitigt aber nicht das Problem. Ich bevorzuge daher die Redeweise der Integration in Kopräsenz und über sie hinaus, trifft sie doch den inhaltlichen Kern der Bestimmung, ohne die angesprochenen Assoziationen zu provozieren. Archer (1995; 1996) und Mouzelis (1997) bringen eine Vielzahl ganz anderer Einwände gegen die von Giddens vorgenommene Modifikation der Unterscheidung von Lockwood vor, denen ich mich wiederum nicht anschließe. Im Mittelpunkt ihrer Kritik steht die Annahme von Giddens, Sozial- und Systemintegration könnten nicht vollständig unabhängig voneinander variieren, da sie über soziale Praktiken miteinander vermittelt seien. Für beide Kritiker gilt: Fruchtbarer ist da schon die von Lockwood vorgestellte Differenz zwischen ‚Sozialintegration‘, als ‚geordnete oder konfliktuelle Beziehung zwischen Akteuren‘, und ‚Systemintegration‘, als ‚kompatible oder inkompatible/widersprüchliche Beziehungen zwischen Teilen des Systems‘, wobei unter Teilen die von Parsons unterschiedenen Teilsysteme der Ökonomie, der Politik, der Justiz und der Religion verstanden werden. Beide Einwände beruhen auf der Vorstellung von ‚emergent properties‘im Sinne Durkheims, die Giddens begründet verwirft (eine direkte Replik auf eine frühere, ähnlich orientierte Kritik von Mouzelis findet sich in Giddens, 1993 (1976], 2 ff.).

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  147. Ich kann und will an dieser Stelle nicht die einschlägigen Verschiebungen zwischen An- und Abwesenheitsformen und die mit ihnen korrespondierenden Verschiebungen der Zeit-Raum-Pfade und Reziprozitätsformen en détail nachzeichnen, die sich mit der Trennung von Produktion und Reproduktion, von Arbeit und Wohnen und Formen medialer Vermittlungen von Kommunikationen in der Herausbildung moderner Gesellschaften oder neuer Formen der Koordination ökonomischer Prozesse verbinden (hierzu Giddens, 1984; 1990a; 1994; Berger, 1995).

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  148. Unternehmungsnetzwerke tragen so zu einer unternehmungsübergreifenden Regionalisierung von Handlungsorten (Giddens Begrifflichkeit) bei. Es bilden sich im Netzwerkzusammenhang koordiniert (typische) Zeit-Raum-Zonen (z.B. Arbeitszeiten in ihrer Verbindung mit speziell ausgezeichneten Arbeitsorten) und spezielle Geflechte von Handlungsregionen (z.B. Orte miteinander verflochtener Produktionen oder allgemeiner: Aktivitäten) heraus. Räume werden so zu bestimmten Zeiten im Netzwerkzusammenhang koordiniert wiederkehrend genutzt, Tätigkeiten, Abläufe in Zeit und Raum synchronisiert und die Geschichte sowie zukünftige Horizonte miteinander in Zeit und Raum verzahnt (s.a. Giddens, 1987a, 160 f.). Die Untersuchung der Regionalisierung von Handlungsorten in Unternehmungsnetzwerken in Form der Analyse von Zeit-Raum-Pfaden von Kapital, Geld, Gütern, Aktivitäten und Akteuren, Informationen, Technologien, Ideen, Bildern und Regulationen in Netzwerken, der durch Vernetzung erfolgenden strategisch beeinflußbaren oder pfadabhängigen Möglichkeiten und Grenzen der Verschiebung der Pfade und der durch sie bewirkten wechselseitigen Verflechtungen von Aktivitäten, Ereignissen und Handlungsorten steht heute noch aus. Mittel zu ihrer Analyse liegen seit langem vor (z.B. Hägerstrand, 1953; s.a. Harvey, 1982; Giddens, 1984, 110 ff.; Gregory, 1989; Jary, 1991; Urry, 1991).

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  149. Die Ausgestaltung der Regionalisierung von Handlungsorten besitzt viele Ansatzpunkte (Giddens, 1984, 121 ff.), physikalische und symbolische Grenzen und Praktiken ihrer Überwachung und Sicherung. Physikalische Grenzen, wie Wände zwischen Räumen, Mauern oder die Architektur von Gebäuden und Handlungsterrains als Abgrenzung von Fabrikhallen gegenüber ihrer räumlichen Umwelt, lassen sich hierbei von symbolischen unterscheiden, die durch ein Grenzmanagement bedacht sein wollen. Relevant sind ferner die unterschiedliche Dauer und Reichweite von Regionalisierungen, die produzierten ‚Vorder- und Rückseiten‘des Handlungsgeschehens, die Formen der ‚Ein- und Ausgrenzung‘sowie der ‚Ver- und Entöffentlichung‘, die strategische Verflechtung und Hierarchisierung von Handlungsregionen und die Verknüpfungen zwischen Lokalität und Translokalität.

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  150. Einbezogen ist gegebenenfalls die Einflußnahme auf forschungs- und technologiepolitische Entscheidungskorridore (Ortmann et al., 1990, 409 ff.) bis hin zu Zeitpunkten, Fahrtrhythmen und Fahrtstrecken von Transportmitteln, mit denen Akteure ihre Arbeits- und Wohnorte und Produkte ihrer Bestimmungsorte erreichen (Giddens, 1984, 78; 1979, 12).

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  151. Positionierung ist etwas Mehrrelationales. Gerade wenn Unternehmungen Mitglieder verschiedener Unternehmungsnetzwerke sind, sind Probleme vorprogrammiert. Positionierung ist ferner polyvalent. Ein Top-Manager einer Unternehmung handelt gleichzeitig zum Beispiel als Vertreter eines Unternehmungsnetzwerks, als Mitglied der Führungselite einer Branche, Verbandsmitglied usw.. (s.a. Giddens, 1984, 85).

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  152. Akteure verbinden mit Positionen ‚Erkenntnisregeln‘(Luhmann, 1988, 171): Sie zeigen ihnen die Stellung eines Akteurs an, geben Hinweise, wer zuständig ist, an wen man sich wenden kann, wer Bezugspunkt oder Ansprechpartner ist, welche Aufgaben die Positionsinhaber durchführen (können und/oder müssen), welche Netzwerkunternehmungen oder Netzwerken diese zugeordnet und zugerechnet werden, welche begründete Erwartungen an eine durch den Netzwerkzusammenhang kontrollierte Qualität der Durchführung der Aktivitäten gerichtet werden kann, ob begründetes Zutrauen in den so gesicherten Ablauf der Prozesse und der produzierten Resultate besteht und welche Reziprozitäten aufgrund der Stellung oder der Zugehörigkeit zu einer Akteurskonstellation typisch zu bedenken sind (s.a. Luhmann, 1964, 172 ff.). In Netzwerkkontexten treten Aktivitäten zwischen Positionsträgern oft an die Stelle von auf personaler Beziehung begründeter Vertrauenswürdigkeit und darüber vermittelter Anschlußfähigkeit (Giddens, 1989a, 279). Deren Bestimmung kann an den Befunden und Kategorien struktureller Netzwerkanalyse anschließen. Sie offeriert uns eine Vielzahl möglicher Klassifizierungen von Positionen und Positionskonfigurationen. Sie kann deren Gehalt aber nicht erfassen (zu den Problemen s. nochmals den Teil II.2).

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  153. Positionen lassen sich als Cluster von Verhaltensweisen und Reziprozitäten mit ihren Rechten und Verpflichtungen verstehen: „A social position can be regarded as a ‚social identity‘that carries with it a certain range (however diffusely specified) of prerogatives and obligations that an actor who is accorded that identity (or is an ‚incumbant‘of that position) may activate or carry out: these prerogatives and obligations constitute the role prescriptions associated with that position“(Giddens, 1984, 84; ähnlich Luhmann, 1988). Das Konzept der Positionierung reformuliert das der Rolle, welches Parsons bekanntlich mit dem Verständnis gesellschaftlicher Integration über das Erzielen von Wertkonsens verband (Giddens, 1984, 84). Es respezifiziert ebenso die Überlegung zur Mitgliedschaft und die zur Stelle (hierzu auch Luhmann, 1964; 1988). Die Respezifizierung besteht gegenüber Parsons darin, daß in strukturationstheoretischer Sicht die gesellschaftliche Integration über Positionen nicht, wie bereits ausgeführt, auf Werte beschränkt ist. Sie beruht in bezug auf herkömmliche Vorstellungen über Mitgliedschaft und Stellen darauf, daß deren Bedeutung an die Aufnahme in sozialen Praktiken gebunden ist. Giddens’ Überlegungen zur Positionierung weisen zudem Ähnlichkeiten zu dem im Foucaults Denken zentralen Konzept von ‚Nachbarschaft‘auf (z.B. Foucault, 1981 [1973], 298; Veyne, 1992 [1978]).

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  154. position-taking‘bezeichnet das, was Akteure unter Rekurs auf systemische Rechte und Verpflichtungen als Positionsinhaber tun, wodurch sie sich zum Positionsinhaber machen und ihre Position ausfüllen, Positionen in Zeit und Raum im Handlungskontext weiter verankern oder verändern. Die Bekleidung einer Position und deren Inhalt sind damit an die von Moment zu Moment erfolgenden Aktualisierungen von Positionen durch Akteure (Cohen, 1989, 210) und an deren Anerkennung durch andere gebunden — und nicht mit deren Kodifizierung oder offizieller Zuweisung (im Stellenplan oder Vertrag) zu verwechseln. Die Positionen, das Positionsgefüge und die Positionspraktiken können in Zeit und Raum stabil sein oder einzeln oder kombiniert variieren. So ist die Position des Netzwerkkoordinators in hierarchischen Netzwerken zumeist fix besetzt, wohingegen sich in heterarchischen Netzwerken mit parallelen und rotierenden Formen der Netzwerkregulation fluidere Formen finden. Soziale Positionen weisen insgesamt unterschiedliche Ausdehnung in Zeit und Raum auf: Sie können über verschiedene Generationen von Akteuren hinweg Bestand haben oder vergleichsweise geringere Ausdehnung erlangen (s.a. Cohen, 1989, 207 ff.).

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  155. Hierzu zählt gegebenenfalls die Abstimmung, Auswahl und Durchsetzung von Prozeduren der Positionsbesetzung (z.B. der Mitgliederrekrutierung, der Rotation von Netzwerkkoordinatoren in heterarchischen Netzwerken oder die Übernahme bestimmter Rollen wie die des Projektkoordinators in Netzwerkprojekten usw.) und der Auslegung von Karrierewegen in Netzwerken.

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  156. Recht und Rechtsprechung unterstellen hier oft mehr Trennschärfe als zu haben ist. Auch Verträge sind hier nur begrenzt aussagekräftig. Sie können als Indiz verwendet werden — nicht weniger, aber auch nicht mehr. Nicht alles ist vertraglich geregelt oder kann es werden — oft bestehen keine Verträge (Blois, 1975).

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  157. Da Grenzverletzungen Grenzziehungen supplementieren können, müssen sie nicht notwendig die System(re-)produktion mindern oder schaden — Luhmann (1964, 304 ff.) spricht entsprechend von ‚brauchbarer Illegalität‘. Vgl. zu notwendigen und funktionalen Regelverletzungen auch Ortmann (2002a).

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  158. Das Grenzproblem konstituiert sich — reflektiert man das bisher Ausgeführte — auf vielen Ebenen: Zunächst sind die beteiligten Akteure, individuelle wie möglicherweise auch kollektive, der Umwelt sozialer Systeme zuzurechnen und in der Regel, was die Qualität und Natur der Beziehungen betrifft, eher uneinheitlich an das System gebunden. Akteure agieren zudem immer in mehreren sozialen Systemen, mit potentiell heute rasch wandelnden Zeit-Raum-Horizonten und in verschiedenen Positionen mit ihren jeweiligen Rechten und Verpflichtungen. Netzwerkunternehmungen agieren in verschiedenen Netzwerken, Branchen, Gesellschaften und Kulturen. Ihr Dis- und Reembedding bewirkt eine Vielzahl möglicher, in Zeit und Raum variabler, sich überlappender und kontingenter Verbindungen. Akteure koordinieren Aktivitäten zudem unter Re-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) kurs auf eine Mehrzahl (möglicher) Orientierungen — die der Netzwerkunternehmungen, mit der sie einen Vertrag haben, Berufs- oder Identitätsgruppen, denen sie sich zugehörig fühlen, branchen- oder gesellschaftsweite Institutionen, die für sie gültig sind. Die Akteure verfügen über autonome Handlungsspielräume und verfolgen ferner verschiedene Interessen und Strategien. Akteure sind keinesfalls immer bestrebt, ihre im Systemzusammenhang hervorgebrachten sozialen Interaktionen und sozialen Beziehungen sowie die erzielten Resultate lediglich einem bestimmten System zuzuordnen. Auch verfügen sie über Möglichkeiten, die Zuordnung selbst mit zu beeinflussen. Einiges sind sie bestrebt — und Organisationen sind dafür typische Beispiele -, sogar organisiert zu externalisieren (s.a. Perrow, 1989). Sozialsysteme können zudem ihre Aktivitäten, deren Voraussetzungen und Konsequenzen immer nur begrenzt reflexiv überwachen, kontrollieren und steuern. Ferner gilt: Die Grenzziehung wird nicht in jeder Hinsicht und jedem Bereich als gleich bedeutsam eingeschätzt. Die Durchlässigkeit oder Undurchlässigkeit von Grenzen, die Bedeutung und die Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle der Grenzziehungen können daher für unterschiedliche Handlungsbereiche in sozialen Systemen variieren. Als Medium und Resultat der Systemregulation wird heute zudem ein strategischer Bezug auf die Grenzkonstitution befördert und werden Kontinuitäten sozialer Systeme potentiell stärker in Frage gestellt. Die erhöhte Disponibilität von Grenzen ist daher durchaus relevant für die Auslegung der Systemkomplexität — mit eventuell relevanten Folgen, was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft. 172 Vorstellungen über Sozialsysteme, die (wie in der managementnahen Netzwerkforschung) die Grenzen nicht näher aufnehmen oder (wie vielfach in der strukturellen Netzwerkanalyse) ihnen per Definition klare Grenzen zuweisen, sind gleichermaßen zu verwerfen (s.a. Giddens, 1984, 163 f.). Werden Systemgrenzen in der Industriesoziologie weitgehend ausgeblendet, so sind sie seit den vierziger Jahren in der Organisationstheorie Thema — wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise und zumeist in reduktionistischer Form. Stand zwischen 1940 und 1960 beim Versuch der Bestimmung von Organisationen als eigenständigem Untersuchungsgegenstand die Unabhängigkeit von Organisationen von ihrer Umwelt im Mittelpunkt, ging es sodann darum, Organisationen weder als Aggregation ihrer individuellen Mitglieder noch als abhängige Untereinheiten umfassenderer Sozialsysteme zu verstehen (March/Simon, 1958, z.B. 4), so traten seit den sechziger Jahren unterschiedliche Vorstellungen über Interdependenzen von Organisation und Umwelt an ihre Stelle. So betrachtet das Modell des ‚organization set‘Umwelt vom Standpunkt einer fokalen Organisation (Evan, 1966) und hebt die Ressourcenabhängigkeit (Pfeffer/Salancik, 1978) hervor.

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  159. Das Problem verwischter Grenzen ist vermutlich nicht so neu, wie es in der Managementliteratur klingt. Die Rede setzt nämlich auf der fraglichen Annahme auf, die Grenzen von Unternehmungen seien durchgängig einheitlich und immer klar gezogen. Dabei variieren doch auch Grenzen zwischen Unternehmungen und weisen unterschiedliche Grade von Durchlässigkeit auf (z.B. Gouldner, 1973 [1959]). Statt mit einem neuen Phänomen haben wir es also mit einer graduellen Verschiebung zu tun.

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  160. Die Handlungsorte oder Territorien müssen nicht materiell begrenzt sein, wie das etwa traditionell für die Fabrikhallen und Verwaltungsgebäude einer Unternehmung gilt. Sie können selbst zeit-räumliche Cluster von Handlungsorten unterschiedlicher Art ausbilden. Wir erhalten so ganz unterschiedliche Zeit-Raum-Cluster: auf der einen Seite den seit einem Jahrhundert an einem Ort ansässigen Betrieb, der etwa als Handwerksbetrieb nur in einer eng umgrenzten Stadt oder Region aktiv ist, und auf der anderen Seite dynamische Netzwerke oder virtuelle Unternehmungen mit einem transnationalen oder globalen Aktivitätsradius sowie mit variablen Produktionsräumen und -zusammenhängen.

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  161. Die von Netzwerkkoordinatoren getroffenen Entscheidungen über die Regulation von Netzwerken müssen nicht für alle die gewünschten sein. Netzwerkunternehmungen können sich gleichwohl hinter Ergebnissen von Entscheidungen über die Netzwerkregulation stellen, mit denen sie nicht einverstanden sind und gegen die sie votiert haben. Für die Umsetzung einzelner Maßnahmen der Netzwerkregulation im Netzwerk mag dabei die Frage durchaus entscheidend sein, wer der Hauptinitiator, wer Hauptmotor der Umsetzung und welches die Konstellation von Akteuren ist, die diesen Maßnahmen zustimmend oder ablehnend gegenüberstehen.

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  162. Zwischen, zum Beispiel, lokalen Netzwerken im Bauhandwerk und global agierenden Automobilnetzwerken gibt es dabei große Unterschiede in den Möglichkeiten des Einflusses auf diese Handlungsfelder.

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  163. Das auch in der Managementliteratur anzutreffende kontingenztheoretische, rationalistische Verständnis von Governance der Schriften von Williamson (1990 [1985]) kennzeichnet Governanceformen lediglich verkürzt, umreißt nur einige mögliche strukturelle Eigenschaften unterschiedlicher Koordinationsformen ökonomischer Systeme, die Akteure rationalistisch in ihr Handeln (bzw. die Ausgestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen) einbeziehen. Dieser Theorieansatz kann nur in einem sehr eingeschränkten Umfang die verschiedenen Governanceformen erfassen und ist ohne weiteres theoretisches Potential. Er soll hier daher auch nicht weiter diskutiert werden (zur Kritik siehe Seite 237 ff.).

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  164. Im politikwissenschaftlichen Diskurs finden sich auch mehrere Varianten des Governancekonzepts. Mit March und Olsen (1994) lassen sich mindestens zwei Versionen gegenüberstellen: eine erste versteht Politik als Aggregation individueller Präferenzen durch rationalen Tausch; die zweite, von ihnen bevorzugte und auch hier vorgestellte Variante betont als Aufgabe von Politik dagegen die Schaffung von Identitäten und Institutionen.

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  165. Vgl. auch Luhmann (1984, 182) selbst: „Wenn ein Ego ein Alter als alter Ego erlebt und in diesem Erlebniskontext handelt, weist jede Bestimmung, die Ego seinem Handeln gibt, auf sich selbst zurück“ (Hervorh. A.W.).

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  166. Dessen Netzwerkbegriff habe ich oben im Rahmen der Besonderheiten des strukturationstheoretischen Netzwerkbegriffs ja bereits vorgestellt (239 f.).

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  167. Sozial wissenschaftliche Möglichkeiten, Hegels Gedankenfigur von reflexiv miteinander vermittelter Subjekt- und Systemreflexivität zu verwenden, zeigt Ritsert (1981). Die Konsequenzen der Identitätsphilosophie und deren heutige Gestalten erhellt Schnädelbach (1993).

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  168. Obwohl, zur Erinnerung, Giddens [1984, 164] zu Recht betont, daß der Grad der Systemhaftigkeit sozialer Systeme variiert. Luhmanns (1984, 603) Überlegung zur „Kontrolle der eigenen Negationsmöglichkeiten bei der Herstellung der eigenen Elemente,“ die zudem in der Verwendung noch konditionierbar ist, deutet auf eine ähnliche Annahme. Das Verhältnis wäre aber erst noch genauer zu untersuchen. Denn autopoietische Systeme sind für Luhmann operativ geschlossen. Sie können nicht unterschiedliche Grade von Geschlossenheit aufweisen. Unternehmungen können nicht in Netzwerken, Netzwerke nicht in Unternehmungen operieren (allgemeiner: Umwelten nicht in Systemen, Systeme nicht in Umwelten). Ein Theorieproblem, wie mir scheint.

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  169. Hegels Argumentationsmodell der Anerkennung ist bekanntlich dem von Hobbes fundamental entgegengesetzt (z.B. Ritsert, 1981; Honneth, 1992).

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  170. Die Idee der Koevolution ist nicht neu. Sie findet sich im Traditionsbestand der Disziplin. Weber (1976 [1921]) spricht so von den sich im Zusammenhang von Wandlungen im Industriezeitalter herausbildenden Bürokratien, Marx (1975 [1867]) von der Genese der großen Industrie im Prozeß des sich verallgemeinernden Kapitalismus.

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  171. Angemerkt sei, daß Kappelhoff hier einen allgemeineren (insbesondere anderen) Systembegriff verwendet als Luhmann.

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  172. Für Überblicke über die Diskussion um Institutionen in der Soziologie siehe DiMaggio/Powell, 1991, Scott (1994b) oder Türk (1997). Auch in neueren Schriften ökonomischer Institutionalisten finden sich interessante Bestimmungen. North (1990), der wohl aktuell prominenteste Vertreter, betont zum Beispiel den Regelcharakter von Institutionen — unter denen er jedoch vornehmlich ‚property rights‘versteht — und die Bedeutung von Ressourcen, um Institutionen, wie Verfügungsrechte, zu definieren, zu verteidigen und Übereinkünfte durchzusetzen (ibid., 61).

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  173. Der Begriff der Institution fällt damit trotz seiner allgemeinen Bestimmung keineswegs, wie Türk (1997, 146) moniert, mit dem des Sozialen zusammen. Denn nicht nur Dauerhaftes, einzelne Personen Übergreifendes ist sozial. Auch Durkheim hat das nie behauptet. Seine Entscheidung für soziale Tatsachen als Gegenstände von Soziologie ist anders begründet (s.a. das Zitat auf der Seite 291).

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  174. Das gilt zumindest insoweit, als man, wie in der Strukturationstheorie, von aktiven und reflexiven Akteuren ausgeht, von einer immer unvollständigen Internalisierung und Regulationsfähigkeit von Institutionen und von immer begrenzten Motivationen zu und Interessen an institutio-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) nenkonformem Verhalten. Das schließt ferner natürlich nicht aus, daß bloße Gewohnheiten oder höchst rationale Interessen, die Weber von Ordnungen absetzt, in die gleiche Richtung wirken.

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  175. Strategisch intendiert wird immer nur ein gewisser Ausschnitt der Praktiken in Unternehmungsnetzwerken institutionalisiert bzw. genauer: deren Institutionalisierung via Regulation zu befördern versucht. Selbst für diesen Ausschnitt des Netzwerkgeschehens muß angesichts unerkannter Bedingungen und unintendierter Konsequenzen des Handelns Institutionalisierung nicht immer gelingen. Vieles ist ferner nicht primär durch das Netzwerk selbst, sondern etwa durch Professionen, staatliche Gesetze, Branchenrezepte oder via Kultur institutionalisiert, eventuell jedoch in relevantem Ausmaß im Netzwerk speziell ausgelegt.

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  176. Traditionell wird die Reichweite nicht zum Thema. Eine prominente Ausnahme bilden Berger und Luckmann (1980 [1966], 58), die über ihre Definition von Institution als reziproke Typisierung habitualisierter Handlungen durch Typen von Handelnden eine Begriff von Institution vorstellen, der nicht direkt an Gesellschaft als ganzer gebunden ist, als theoretischen Grenzfall sogar Institutionen zwischen zwei Personen zuläßt und daher implizit das Thema der Reichweite von Institutionen zugespitzt aufwirft. Einige aktuelle institutionentheoretische Arbeiten verstärken das Argument ungleicher Institutionalisierung (z.B. Tolbert/Zucker, 1996; Barley/Tolbert, 1997). Giddens ergänzt, daß die erste Wiederholung einer Aktivität der erste Schritt zur Institutionalisierung einer Praktik sein kann. So unterscheidet auch Giddens (1985, 10, 35 ff.) die Reichweite und die Intensität von Regeln. Ersteres bezieht sich beispielsweise auf die Fähigkeit von Vorgesetzten, weite Aktionsbereiche der ihnen Unterstellten zu kontrollieren. Die Intensität der Regel ist davon zu unterscheiden. Sie läßt sich beispielsweise an die Schärfe der Sanktionen binden, mit denen ein Mitspielen erreicht werden kann. Ein kritischer Überblick über verschiedene Ansatzpunkte von Institutionentheorien findet sich bei Roth (1991, 5 ff.; insbes. 10 ff.).

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  177. Auch gegenüber Verhaltensmustern bestehen oft empirische Zweifel, z.B. hinsichtlich der Gültigkeit, Verbindlichkeit, Widerspruchsfreiheit und der strikten Befolgung von Institutionen. Man denke etwa an die Arbeit von Salais und Storper (1992), die Zweifel in bezug auf die Allgemeingültigkeit des Paradigmas industrieller Massenproduktion vorbringen.

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  178. Daß Durkheim Vorstellungen und Verhaltensweisen im Blick hat, wenn er von Institutionen spricht, zeigt sich beispielsweise an folgender Formulierung: „Daraus, daß sich uns die sozialen Glaubensvorstellungen und Verhaltensweisen von außen aufdrängen, folgt nicht, daß wir sie passiv aufnehmen und sie etwa keiner Modifikation unterzögen. Indem wir die kollektiven Institutionen erfassen, sie uns assimilieren, individualisieren wir sie und verleihen ihnen mehr oder minder unsere persönliche Marke; ebenso denkt ein jeder von uns die sinnliche Welt nach seiner Auffassung, und die verschiedenen Subjekte passen sich auf verschiedene Weise demselben natürlichen Milieu an. Aus diesem Grunde bildet jeder gewissermaßen seine Moral, seine Religion, seine Technik. Es gibt keinen sozialen Konformismus, der nicht eine ganze Reihe von individuellen Nuancen vertrüge. Nichtsdestoweniger bleibt das Gebiet der erlaubten Variationen begrenzt. Es besteht gar nicht oder nur in sehr engen Grenzen auf dem Gebiet der religiösen und sittlichen Phänomene, wo die Variation leicht zum Verbrechen wird; ausgedehnter ist es in allem, was das wirtschaftliche Leben betrifft. Aber früh[er] oder spät[er] stößt man, selbst im letzterwähnten Falle, auf eine Grenze, welche nicht überschritten werden kann“ (Durkheim, 1980 [1895], 100, FN **). Durkheim (1988 [1893]) spricht das Problem der Entstehung einer Kooperationsmoral als Institution bekanntlich in seinem Buch über ‚soziale Arbeitsteilung‘ an, in dem er eine antagonistische Arbeitsteilung des Marktes der organisierten Kooperation gegenüberstellt.

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  179. In den substantiellen Schriften der Jahre 1985 und 1990a klassifiziert Giddens Überwachung, Kapitalismus, Industrialisierung und militärische Macht als die vier institutionellen Dimension der Moderne. In der in dieser Arbeit vorgelegten Terminologie sind diese jedoch Institutionenkomplexe (III-5.4).

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  180. Auch Durkheim kann als Referenzpunkt dafür dienen, daß Institutionen nicht nur Zwang sind. In seinen ‚Regeln‘ ist dieser Aspekt zwar vorherrschend. Später hat er das jedoch modifiziert: „It is this ‚later Durkheim‘ — who recognized that moral phenomena are both positively motivating as well as constraining in his original sense — who was the main inspiration of Parsons“ (Giddens, 1979,51).

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  181. Die Ausprägung und Widersprüchlichkeit der Institutionenkomplexe wie ihre parallele Existenz lassen sich als Ausdruck und Resultat früherer Praktiken und Auseinandersetzungen über Wege lesen, wie beispielsweise die Produktion von Gütern und Dienstleistungen unter den herrschenden oder strategisch ins Auge gefaßten institutionellen Bedingungen organisiert werden und ihre Verwaltung stattfinden soll. Sie sind daher als Medium und Resultat von Machtkämpfen interessierter Akteure auf umkämpften Terrains zu verstehen, in die die Prozesse der Konstitution eingebettet sind. Die Institutionenkomplexe sind als herrschaftlich festgezurrte ‚Ordnungen‘ Gegenstand ihrer herrschaftlich abgesicherten Fortschreibungen und Veränderungen Gegenstand politischer Prozesse — was ihre mögliche Veränderung ebenso mit einschließt wie ihre Fortschreibung.

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  182. Diese Bestimmung respezifiziert die Unterscheidung von Max Weber (1976 [1921]) zwischen ‚gesatzter‘ und ‚einverständnismäßig wirksamer Ordnung‘.

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  183. Der Objektivitätszustand von Institutionen zwischen nur zwei Personen ist mit Berger und Luckmann (1980 [1966], 62) „spannungsvoll, schwankend, fast spielerisch.“ Tritt eine dritte Person hinzu, dann „verdichtet‘ und ‚verhärtet‘“ (ibid., 63) sich die Objektivität der institutionellen Welt.

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  184. Selbst da aber, wo der obligatorische, zwingende Charakter der Durkheimschen ‚faits sociaux‘ nur indirekt wirksam ist, wirkt er doch, wie Durkheim (1980 [1895], 106) in einer bekannten Passage ausgeführt hat: „Ich bin nicht gerade verpflichtet mit meinen Landsleuten französisch zu sprechen, auch nicht, die gesetzliche Währung zu gebrauchen. Und doch ist es unmöglich, daß ich anders handle. Ein Versuch, mich dieser Notwendigkeit zu entziehen, müßte elendiglich scheitern. Nichts hindert einen Industriellen daran, mit den Methoden eines anderen Jahrhunderts zu arbeiten. Er soll es aber nur tun. Sein Ruin wäre sicher. Selbst wenn ich mich in der Tat von diesen Regeln befreien und sie mit Erfolg verletzen kann, bleibt mir doch der Kampf gegen sie nicht erspart. Und selbst wenn sie endgültig überwunden werden, spürt man ihre Zwangsgewalt an dem Widerstand, den sie einen entgegensetzen“ (Hervorh. A.W.). Das ist, was ich oben als ‚Auferlegtheit von Institutionen‘ bezeichnet hatte.

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  185. Institutionen erweisen ihre Bindungs- und Orientierungskraft nicht zuletzt im Umgang mit Abweichungen, die als etwas gehandhabt werden, das tolerierte individuelle Nuancen überschreitet. Explizite Auseinandersetzungen verbinden sich oft vor allem mit Institutionen des Rechts, etwa mit Vertragsverletzungen, die im Netzwerkzusammenhang andere Konsequenzen beinhalten als in Marktbeziehungen, weil sie den Beziehungszusammenhang zwischen mehreren Unternehmungen tangieren. Abweichungen von allen Formen der Konvention oder Sitte werden auch in Unternehmungsnetzwerken vorrangig durch Mißbilligung sanktioniert. Aber auch das Maß an Billigung schwankt, wie Goffman (1971, 18) hervorhebt. Solchen Handlungen, die mehr oder weniger niemand ‚verlangt‘, stehen — nicht zuletzt als Medium und Resultat von Netzwerk- (bzw. allgemein: System-)Regulation — ‚obligatorische‘ gegenüber, deren Nichtbefolgung drastische Strafen nach sich zieht. Dazwischen liegen die mehr oder weniger ‚tolerierten‘ Handlungen. Im Bereich der Ökonomie findet sich bekanntlich die ganze Palette von Sanktions- und Kontrollmechanismen (z.B. DiMaggio/Powell, 1983): Sie reichen von milden Ablehnungen bis hin zur Entwicklung spezialisierter Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen sowie machtvollen Sanktionen, wie sie regulative Agenturen, Webers ‚Erzwingungsstäben‘, zur Verfügung stehen. Zusammen bilden sie ein positives oder negatives Attributionsmilieu für institutionenkonformes Handeln. Zu ‚Zonen tolerierter Differenz‘ zur Regelbefolgung vgl. auch Ortmann (2002a).

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  186. Die Linien zwischen den institutionellen Dimensionen in der Abbildung zeigen Interdependenzen an (Giddens, 1979, 107). Zu den hier nicht näher diskutierten institutionellen Bereichen siehe Giddens (1984, 28ff.; instruktiv auch Thompson, 1995, 12 ff.).

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  187. Die Aufrechterhaltung der Dominanz des einen Faktors in den jeweiligen Praktiken ist zudem nicht per se gegeben. Die Überwachung, Kontrolle und Steuerung der dominanten Orientierung auf die Mobilisierung und Nutzung von Ressourcen im Sinne des sozialen Systems ist nicht nur in ökonomischen Praktiken ein wichtiger Gegenstand reflexiver Regulation. Dieses schließt, worauf North (1990) ebenso wie die Klassiker der Disziplin hingewiesen haben, ihrerseits herrschaftsabhängige Formen der Erfassung von Zuwiderhandlungen und der Bestrafungen ein.

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  188. Rechnung getragen wird mit der Rede von Institutionenkomplexen dem Umstand, daß ökonomische Aktivitäten in modernen Gesellschaften die rechtliche Absicherung von Zahlungsverpflichtungen und Eigentumsrechten voraussetzen, zumeist eine gewisse Autonomie gegenüber Politik aufweisen, ohne von ihr unabhängig zu sein, daß das Rechtssystem und Politik auf einer Gewaltenteilung beruhen und daß Forschung, Lehre, Wissenschaft, Kultur institutionell oft auf staatlichen Geldtransfers bei rechtlicher und institutionell garantierter Unabhängigkeit gründen.

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  189. Zur theoretischen Aufarbeitung des sogenannten Flickskandals, der die systematischen und konzentrierten Versuche der Einflußnahme,der Wirtschaft; auf die Politik aufzeigte, wie sie etwa in der Dokumentation des damaligen Abgeordneten,Der Grünen‘Schily aufgezeichnet sind, und des Parteienfinanzierungskandals des Jahres 2000 vgl. Landfried (1994), Ortmann (2002a).

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  190. Schon an der Wiege der Entstehung von Märkten gehen sie vielmehr Hand in Hand. So ist es historisch nicht haltbar, wie Gutenberg (1983 [1951], 645) behauptet, daß „das System der freien Markt- und Unternehmerwirtschaft nach der Idee des vollkommenen Wettbewerbs entworfen wurde.“Schaut man auf historische Studien zur Entwicklung des Kapitalismus und speziell von Märkten, dann ist schlicht das Gegenteil der Fall. Von Beginn an wurde die Politik bemüht, um Gewinnchancen festzuschreiben. Das belegen die Ausführungen von Marx (1975 [1867], insbes. 741 ff.) zur,sogenannten ursprünglichen Akkumulation‘im Kapital, Max Webers (1976 [1921]) Verweis auf basale Regulationen des Marktgeschehens, ebenso wie Untersuchungen über die Entstehung von Märkten, wie sie zum Beispiel von White (1981) oder von Lie (1992) vorgelegt worden sind. Mit Rent-seeking-Theorie und Capture-Theorie hat die moderne Ökonomik diese Einsichten längst zu integrieren versucht: Regulationen verdankten ihre Entstehung und,industriefreundliche‘Anwendung dem Bemühen einflußreicher Unternehmungen um Quasi-Renten, zu beziehen aus genehmen Regulationen. Die Annahme eines institutionenfreien Marktes wird in der modernen institutionenökonomischen Theorie denn auch,Nirwana-Approach‘,kritisiert. Vgl. dazu auch Ortmann/Zimmer (1998, 762 f.) mit Rekurs auf Samuels/Mercuro (1984).

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  191. Inwiefern gesellschaftsweite und/oder industriespezifische Institutionen und Strukturen durch mit Vernetzung einhergehende Verschiebungen und Veränderungen von Praktiken geprägt werden, variiert. Der Begriff der Institution ist in der Strukturationstheorie sozialtheoretisch definiert. Er gewinnt über seine Einbettung in den Konstitutionsprozeß des Sozialen seinen theoriepragmatischen Ort. Gesellschaftstheoretische Spezifizierungen sind damit gebahnt, aber nicht ontologisch vorentschieden. Ob, wie Galambos (1970), Perrow (1989) oder stärker theoretisch argumentierend Adorno (1972 [1961], 140) und jetzt Türk (1997, 147) behaupten, moderne Gesellschaften durch Organisationen, durch organisierte Beziehungen dominiert sind, ist ihr eine empirische Frage, die im Vergleich mit der Bedeutung anderer als organisierter Koordinationsformen zu bestimmen ist. Ahistorische Vorstellungen der Produktion und Reproduktion von Unternehmungsnetzwerken (allgemein: von Sozialsystemen) und von Institutionen werden aber ebenso verworfen wie die, diese seien Medium und Resultat gesellschaftsfreier Individualhandlungen rationaler (individueller oder kollektiver) Akteure (s.a. Türk, 1997, 145 f.).

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  192. Der Begriff des Strukturmerkmals, wie ich ihn verwende, enthält unterschiedliche Grade der Institutionalisierung, das heißt unterschiedliche Grade der Ausdehnung in Zeit und Raum in Sozialsystemen.

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  193. Die Transformations-/Mediationsbeziehungen von Privateigentum in Profit kennzeichnet Giddens genauer durch folgendes strukturelles Set: Privateigentum — Geld — Kapital — Arbeitskontrakte — Profit. Andere strukturelle Sets, die in die Reproduktion industriekapitalistischer Gesellschaften institutionell eingeschrieben sind, betreffen die Konvertierung von Privateigentum in Autorität über Arbeits- und Verwertungsprozesse (Privateigentum-Geld-Kapital-Arbeitskontrakt-industrielle Autorität) oder die Konvertierung von Privatbesitz in Beschäftigungspositionen (Privatbesitz-Geld-Ausbildungsvorteile-Beschäftigungsposition) (genauer Giddens, 1979, 104 ff.; 1984, 302 ff.).

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  194. Die im Zitat anklingende Leitunterscheidung strukturalistischen Denkens zwischen Oberflächenmanifestationen und Tiefenstruktur ist in der Sprachwissenschaft mit Saussure (1967 [1916]) verbunden; Lévi-Strauss (1958 [1945]) hat sie dann später auf Handeln übertragen und damit in ein sozialwissenschaftliches Konzept überführt. Sprecher variieren, so Saussure, im Sprechen (parole) Sprache scheinbar unendlich; faktisch aktualisieren sie, ohne daß ihnen das bewußt ist, die virtuelle Realität des abstrakten Regelsystems der Sprache (langue). Insbesondere Ricoeurs (1971) Einsichten in Texte als Modelle bedeutungsvollen Handelns haben Giddens’ Verständnis geprägt.

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  195. Diese Gedankenfigur beinhaltet einen Bruch mit der vorherrschenden Tradition in der westlichen Philosophie und Metaphysik. Determiniert für sie das Präsente, die jeweils situativen empirischen Manifestationen mit ihren Zeichen, Markierungen, der Sprache, Schrift und Strukturen, die Operationen, so bringt Giddens unter Rekurs auf Derrida — ergänzend zu dem allgemeinen, durch Heidegger und Mead inspirierten Zeit-Raum-Verständnis — die supplementäre Natur von An- und Abwesenheit oder des Daseins zum Ausdruck. In Giddens’ Begrifflichkeit geht es also immer um,instantiation‘und,distanciation‘, um das augenblickliche Vergegenwärtigen der,Zeit-Raum-Ausdehnung‘sozialer Praktiken und Zusammenhänge mit ihren Ordnungen im Handeln. Die Aktualisierung kann auf vielerlei Weise geschehen. Sie schließt Formen des kompetenten Mitspielen- oder Anklingenlassens der Zusammenhänge im Vorder- oder Hintergrund der Aktivitäten ein. Ein Beispiel: Wer heute über die effiziente Ausgestaltung der Produktionsorganisation redet, führt, anders als vor zwanzig Jahren, als Vorder- oder Hintergrund Praktiken,japanischer Produktionsorganisation‘, von,jean production‘, Gruppenarbeit oder Vernetzung in ihrer im organisationalen Feld ausgewiesenen Bedeutung, den mit ihnen verbundenen Drohungen über Produktionsverlagerungen, Entlassungen und/oder Anreizen für Akteure oder Akteursgruppen als Hintergrund mit, selbst wenn das nicht explizit Thema sein sollte.

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  196. Syntaktische Regeln bezeichnen Regeln, wie aus einer bestimmten Menge vorgegebener Grundzeichen unter Abstraktion semantischer oder pragmatischer Zusammenhänge ein syntaktisch, das heißt im Satzaufbau richtiger Satz konstruiert werden kann. Semantische Regeln kennzeichnen Techniken, wie aus Zeichen sinnvolle Zeichen und Zeichenreihen gebildet werden und wie diese interpretiert werden können. Pragmatische Regeln zeigen auf, wie Zeichen von Zeichenbenutzern verwendet werden (genauer Schulte-Sasse/Werner, 1977; insbes. 53 ff.). Syntax und Semantik fallen nicht ineinander. Ein grammatisch richtiger Satz kann dennoch sinnlos sein.,Colorless green ideas sleep furiously‘lautet Chomskys berühmtes Beispiel.

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  197. Einwände gegen Giddens’ Vorstellung von Struktur setzen oft an dieser Bestimmung an — etwa bei Bryant und insbesondere bei Archer (1982; 1988; 1990; 1995). Bryant (1995, 97 f.), obwohl er mit der Theorieposition von Giddens sympathisiert, formuliert: Für Giddens seien Strukturen „virtual, not real, in that they exist only in instantiations in action and in memory traces […] [,but] something is real if it has real effects.“Daß Strukturen irreal seien, daß meint (und sagt) Giddens aber nirgendwo. Strukturen sind für ihn in,instantiations‘und im Gedächtnis präsent und existent — und daher real. Sie sind nur virtuell im Handeln geordnet. Bryants Kritik läuft schlicht fehl. Archers Einwände richten sich auch gegen die nur virtuelle Geordnetheit von Struktur, der sie unter Rekurs auf Durkheim eine reale entgegensetzt. Weiter moniert sie die Vorstellung einer im jeweiligen Handeln präsent gemachten Struktur. Für sie besagt das, daß Regeln dann nicht einschränken, da Akteure diesen ja in der Situation nach freiem Willen zustimmen, diese modifizieren oder zurückweisen können (z.B. Archer, 1988, 88). Beide Einwürfe belegen, daß sie auf der Grundlage zu Giddens konträrer ontologischer Annahmen argumentiert. So sieht Archer die soziale Realität als klar voneinander abgegrenzte,emergente Ebenen‘des Sozialen. Zudem berücksichtigt sie nicht, daß Handlung und Struktur bei Giddens in Systemzusammenhänge eingebettet sind. Durch die reflexive Regulation sozialer Systeme und das Handeln kompetenter Akteure sind Handlung und Struktur systemisch miteinander vermittelt und institutionell abgesichert. Von,free will; kann zumindest bei Giddens nicht die Rede sein.

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  198. Die vergegenwärtigten Sets von Regeln (und Ressourcen) überlappen sich, sind miteinander verbunden, konfligieren gar unter Umständen und weisen unterschiedliche Reichweite und Charakteristika auf (intensiv oder oberflächlich, stillschweigend praktisch oder diskursiv, informell oder formalisiert, schwach oder stark sanktioniert [Giddens, 1984, 22]).

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  199. „Daß die Allgemeinheit der Regel der Anwendung bedarf und daß es für die Anwendung von Regeln ihrerseits keine Regel gibt, konnte man, wenn schon nicht aus eigener Einsicht, von Kants,Kritik der Urteilskraft‘lernen und von ihren Nachfolgen, insbesondere von Hegel“(Gadamer, 1987 [1980], 471; s.a. Spaemann, 1996, 286, 289). Zu der entsprechenden Theoriefigur bei Chomsky, der allerdings von einer Tiefenstruktur spricht, siehe Stetter (1974, 197 ff.). Zur Aufnahme des linguistischen Theoriemodells durch Giddens (1979; 1987d). Zur Anwendung (und notwendigen Verletzung) von Regeln s.a. Ortmann (2002a).

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  200. In der Literatur finden sich viele, oftmals logisch unstimmige Bestimmungen zu Giddens’ Struktur als Regeln und Ressourcen. Das ist zunächst nicht zuletzt ihm selbst anzukreiden. Seine Ausführungen zu diesem Punkt lassen, was allgemeine Verständlichkeit angeht, aber auch in puncto Konsistenz, offensichtlich zu wünschen übrig. Archer (1995) listet genüßlich diverse, in sich inkonsistente oder sich wechselseitig widersprechende Bestimmungen auf. Die Arbeit von Sewell (1992) ist dabei ihr Lieblingsbeispiel. Der Ertrag für ein Verständnis des strukturationstheoretischen Konzepts von,Struktur ist, vorsichtig formuliert, bescheiden.

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  201. Damit wird nicht bestritten, daß es subjektive Gewißheiten der (inneren) Erfahrung — etwa von Schmerzen — oder (des Umgangs mit oder) von Regeln gibt. Diese besitzen nur gegenüber der sozialen, intersubjektiv gültigen Erkenntnis der Außenwelt und für das Handeln in der Welt kein Primat. Denn der Wahrheits- und verstehbare Sinngehalt der Erfahrungen und Handlungen ist an die Voraussetzung einer mit anderen geteilten Sprache und einer systemisch regulierten Art und Weise praktischen Handelns gebunden. Das Handeln erhält seinen Sinngehalt — im Vollzug des,Sprachspiels‘— als ein als umsichtig eingestuftes Befolgen systemöffentlicher Regeln. Soziale Regeln sind nicht Kennzeichen bestimmter individueller Akteure, sondern sozialer Systeme.

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  202. Sie sind ‚regulativ‘, da die Techniken und Prozeduren Anweisungen implizieren, wie ‚Do X‘ oder ‚If Y, do X‘. Sie sind ‚konstitutiv‘, da sie Bestimmungen mitführen wie ‚X counts as Y‘ oder ‚X counts as Y in context C‘ (Giddens, 1984, 20, unter Rekurs auf Searle). Die praktisch gehandhabten ‚rules of the game‘ (North) im Bereich der Ökonomie, in Unternehmungsnetzwerken oder im Sport enthalten Kombinationen regulativer und konstitutiver Aspekte. Aber die Regeln des Fußballspiels, des Netzwerkgeschehens wie des Tausches gehen darin nicht auf: Zwar würde ein Fußballspiel ohne praktisch gehandhabte Definitionen von ‚Tor‘, ‚Abseits‘, ‚Sieg und Niederlage1 usw. und ohne Formen der Sanktionierung von Verhalten bei Regelverstößen nicht möglich sein. Aber Fußball muß auch gespielt, der Tausch vollzogen, in Unternehmungsnetzwerken muß gehandelt werden. Darauf komme ich gleich zurück.

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  203. Die Konstitution der Kontingenz kann unterschiedlich erfolgen. Mindestens drei verschiedene Arten und Weisen lassen sich unterscheiden: Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit und Verwandtes. Hintergrund dieser Bestimmungen ist die Unterscheidung von ‚energia‘ und ‚dynamis‘ bei Aristoteles. Tun und Nichttun ‚energia‘), kombiniert mit Können und Nichtkönnen (‚dynamis‘) bilden, wie Bröcker (1946, 43) aufweist, vier elementare Falle. ‚Müssen‘ ist in diesem Sinne ‚nicht nichttun Können‘. Aristoteles unterschied etwa so drei Urteilsformen: Eine Sache ist möglich (A kann B sein) oder wirklich (A ist B) oder eine Sache wird für notwendig erklärt (A muß B sein). Können, Müssen, Tun, Nichtkönnen usw. kann man auch bei Handlungen und Praktiken unterscheiden: Jemand kann einen (grammatisch) korrekten Satz sprechen oder eine Maschine (korrekt) bedienen, tut es aber nicht; Jemand muß sich einer Anordnung widersetzen; Jemand kann nicht hören usw. usf. (genauer Bröcker, 1946; s.a. Michaëlis, 1911, z.B. 583).

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  204. Die Validität einer Regel (und auch von Ressourcen) ist so an individuelle Fähigkeiten und an systemisch reguliertes Handeln, an Einschätzungen und Reaktionen anderer, an regulierte soziale Praktiken in Sozialsystemen gebunden. Die Gültigkeit einer Regel zeigt sich zunächst darin, daß Akteure sich in ihrem Tun auf sie beziehen, selbst wenn sie diese verletzen: Einbrecher versuchen, ihre Regelverletzung möglichst geheimzuhalten (Mead, 1973 [1934], 308). Sie erweist sich auch in konventionalisierten, zeitlich begrenzten, kollektiv regulierten Regelverletzungen. Man denke etwa an das legitime oder tolerierte Verletzen von Regeln zur Zeit des Karnevals, das zudem zu einer Befestigung der verletzten Regeln während der ‚normalen‘ Zeit des Jahres führt (Dupuy/Varela, 1991). Regeln können sich aber auch ändern (genauer zu dieser Frage III-4.4). Eben noch gültige Regeln können da auf einmal nicht mehr gültig sein.

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  205. Einige Handlungsmöglichkeiten drängen sich Handelnden im Netzwerk über Regeln der Sinnkonstitution im Unternehmungsnetzwerk allerdings auf, ohne deren Berücksichtigung jedoch zu determinieren. Andere fallen aus dem systemisch konfigurierten Bezeichnungs- und Bedeutungshorizont heraus, kommen Akteuren tendenziell gar nicht (zumindest nicht via Systemregulation befördert) in den Sinn. Regeln der Signifikation sind so für Handeln konstitutiv.

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  206. Auch Ressourcen setzten (ganz wie Regeln, siehe nochmals die Ausführungen auf der Seite 306 f.) die Idee einer abwesenden Totalität voraus. Netzwerkhandeln wie auch ein Verständnis einer Netzwerkhandlung verlangt die Kenntnis einer Anzahl von Ressourcen, die man im Netzwerk, in der Industrie und in der Gesellschaft als Machtmittel, Formen transformativer Kapazitäten verwendet. Diese sind zwar in der Handlung nicht alle ‚enthalten‘. Sie sind aber für das Handeln und dessen Verständnis selbst grundlegend. Allgemein formuliert: Die Totalität aller Ressourcen ist in der Handlung zwar nicht präsent; Akteure aktualisieren Ressourcen aber im Handeln verstehend-auslegend und rekursiv als virtuell geordnete. Sie (er-)füllen in der situativen Anwendung die ‚Leere‘ der im Handeln konstituierten Bündel von Ressourcen (s.a. Fn, 107; Ortmann, 2002a).

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  207. Die Verwendung muß dabei lediglich faktisch, nicht notwendig intentional dominant darauf gerichtet sein.

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  208. „‚Life chances‘ means, in the first instance, the chances of sheer survival for human beings in different forms and regions of society. But it also connotes the whole range of aptitudes and capabilities which Weber had in mind when he introduced the term. Take just one example: mass literacy. A literate population can be mobilized, and can mobilize itself, across time-space in ways quite distinct from those pertaining within largely oral cultures“ (Giddens, 1984, 261). Organisation von Lebenschancen verweist, ruft man sich Webers (z.B. 1976 [1921], 531 ff.) Bestimmung in Erinnerung, auf gesellschaftliche Ordnungen beziehungsweise Institutionen. Nicht zufällig startet Weber mit der Rechtsordnung. North (1990) würde von den ‚rules of the game‘ sprechen. Für Weber schließen sie die Organisation von Güterbesitz, Erwerbsinteressen und Verfügungsrechten sowie von Tauschgewinnchancen mit ein. Kulturbedingungen organisieren weitere Lebenschancen, das heißt Bräuche, Sitten, Glaubenssätze, Rechte und Pflichten, aber auch Leitbilder, Rationalisierungsparadigmen und ähnliches sowie intellektuelle Entwicklungschancen. Auch Berufstraditionen, Regelungen von Zugängen, Zuständigkeiten, Entlohnungen und Statuszuweisungen sowie Monopolisierungen von Gütern und Chancen organisieren für Weber Lebenschancen.

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  209. Wie Duschek (2002) zu Recht moniert, liegt in solcher Orientierung aus Sicht des betriebswirtschaftlichen Mainstreams die Hauptmotivation zum Eintritt in einen Netzwerkzusammenhang. Die Gestaltungsempfehlung lautet dann: ‚Eintreten, wenn Abschöpfungsvorteile winken, Ausscheiden, wenn sie ausgeschöpft sind!‘ Dieser Approach kann dauerhafte Netzwerke und gar die Stabilisierung von Verläßlichkeit und gar Vertrauen als Merkmal des Beziehungszusammenhangs nicht erklären und übersieht allfällige Kooperationsvorteile, auch die aus kooperativen Kernkompetenzen. Kann Know-how technisch übertragen werden, stellt sich die Frage, ob nach der Übertragung das Ausschlußprinzip noch gültig ist. Bei patentierbaren und patentiertem Know-how könnt der Know-how-Entwickler trotz Offenlegung seines Wissens noch bestimmen und kontrollieren, wer Zugang zu diesem Wissen hat und wer nicht. Bekanntlich ist aber nicht alles Wissen patentierbar, etwa nicht organisationales Know-how, Informationen über Lieferanten und Nachfrager (z.B. Brown/Duguid, 1999, 77).

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  210. Die kontextuelle Einbettung von Netzwerken muß für die Entwicklung von Netzwerkressourcen nicht nur Vorteile bringen. Pfadabhängigkeiten und ‚lock ins‘ sprechen hier eine deutliche Sprache. Nicht alle Netzwerkunternehmungen können zudem Netzwerkressourcen gleichermaßen aktualisieren. Das liegt an unterschiedlichen (manageriellen) Fähigkeiten, Interessen und ‚Motivationen‘, beruht aber ebenso auf unterschiedlichen Ausgestaltungen der Netzwerkregulation, vornehmlich der Netzwerkintegration der Netzwerkunternehmungen und der ihnen im Netzwerk zugewiesenen Positionen, etwa ihrem Zugang zu relevanten Netzwerkinformationen. Netzwerkakteure nutzen in ihren Netzwerkaktivitäten zudem nicht nur Netzwerkressourcen, sondern auch die der Unternehmungen, organisationalen Felder und Gesellschaften. Potentiell bilden sie zu Netzwerkressourcen komplementäre Ressourcen. Gerade fluidere Netzwerkzusammenhänge wie Projektnetzwerke nutzen oft Strukturmerkmale ihrer organisationalen Felder als Ressourcen, indem sie etwa dort vorherrschende Standards recht weitgehend ohne eigene Spezifikation gebrauchen.

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  211. Siehe zur neueren Strategieforschung die Diskussion um den ‚resource-based view of the firm‘ (Barney, 1991; 1992; Wernerfeld, 1984; 1995; die Beiträge in Shrivastava/Huff/Dutton, 1994; für ein instruktives Beispiel auch Lyles/Reger, 1993). Weitere Einsichten in das Verhältnis von Macht und Herrschaft sowie zu Autonomie und Abhängigkeit vermitteln Crozier (1964) und Benson (1975).

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  212. Über deren Eigentum und Aneignung wird — falls diese Frage aufkommt — erst im Rahmen der jeweils gültigen Eigentumsordnung entschieden.

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  213. Das impliziert auch: Unternehmungen existieren nicht nur während ihrer betrieblichen Öffnungszeiten, sagen wir von 7 bis 17.00 Uhr. Existent sind sie auch, wenn Mitarbeiter ihr Inder-Welt-sein (implizit oder explizit) unter Rekurs auf ‚ihr‘ Unternehmen verstehen und auslegen, ihr Leben entsprechend führen, Mitarbeiter etwa Freizeit miteinander gestalten oder sich gerade bemühen, berufliche Kontakte während dieser Zeiten zu meiden, über ihren Arbeitsplatz und ihre Arbeitszusammenhänge in der außerbetrieblichen Zeit mit anderen sprechen, ihr Ver-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) halten und die Möglichkeiten der Gestaltung ihrer Lebenszusammenhänge unter Rekurs auf das Unternehmen darstellen oder rechtfertigen und nicht zuletzt: ihr Eingebundensein in sie als Ressource bei der Ausgestaltung anderer Kontexte nutzen.

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  214. Genauer arbeite ich den Begriff des Gedächtnisses und insbesondere auch das Konzept des kollektiven Gedächtnisses im Aufsatz ‚Das Alte, das Neue und das Netzwerkgedächtnis‘ aus (Windeler, in Vorbereitung).

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  215. Der Begriff des kollektiven Gedächtnis (Halbwachs, 1985 [1950]) besitzt hier den Status eines operativen Begriffs. Per Analogie kann man von einem solchen Gedächtnis sprechen (Ricoeur, 1998, 79 f.).

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  216. Kommunikation wird heute als eine Form des Handelns betrachtet. Akteure etablieren oder erneuern Beziehungen miteinander durch den Gebrauch von Sprache. Einen sprachlichen Ausdruck gebrauchen ist Handeln, nicht vor allem die Beschreibung eines Zustands. Aber wenn das (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) zutrifft, dann kann die Analyse von Kommunikationen nicht unabhängig von einer kontextsensiblen Handlungsanalyse erfolgen (Thompson, 1995, 12).

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  217. Zur Vereinfachung der Darstellung nehme ich die Vermittlungen zwischen Strukturen, Modalitäten und Interaktionen zuerst getrennt für die einzelnen Sozialdimensionen auf, lasse also die horizontalen Zusammenhänge zunächst unberücksichtigt.

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  218. Ressourcen können, wie im Abschnitt III-6.2.3) ausgeführt, im Netzwerkzusammenhang koordiniert miteinander abgestimmte Produktionsmittel, Maschinen, produzierte Güter oder Aktivitäten und Ereignisse, Beziehungen zwischen Netzwerkunternehmungen und anderen Akteuren (wie Geschäftspartnern oder Konkurrenten außerhalb des Netzwerks) und Ausgestaltungen von Lebenschancen in Zeit und Raum) sein.

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Windeler, A. (2001). Strukturation von Unternehmungsnetzwerken: der strukturationstheoretische Netzwerkansatz. In: Unternehmungsnetzwerke. Organisation und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80353-5_6

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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