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Systemische Rationalisierung: der industriesoziologische Netzwerkansatz

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Part of the book series: Organisation und Gesellschaft ((OUG))

Zusammenfassung

Im Jahre 1986 — parallel zur international einsetzenden Diskussion um Unternehmungsnetzwerke in der Managementliteratur — eröffnen Martin Baethge und Herbert Oberbeck vom Sozialforschungsinstitut in Göttingen (SOFI Göttingen) und Norbert Altmann, Manfred Deiß, Volker Döhl und Dieter Sauer vom Institut für Sozialforschung in München (ISF München) in der Bundesrepublik eine neue industriesoziologische Sichtweise auf Rationalisierungsprozesse: die Perspektive der,systemischen Rationalisierung‘.1 Das Neue für die Industriesoziologie ist, daß sie mit der

„Aufnahme des Topos,systemische Rationalisierung‘[…] ein weiteres entscheidendes Stück herausgetrieben [wird] aus der fürs Fach klassischen arbeits- und betriebssoziologischen Beengung“(Schmidt, 1990, 21).

Das Adjektiv ‚systemisch‘ wird in der Diskussion um systemische Rationalisierung mit unterschiedlichen Konnotationen verwendet. Für Baethge und Oberbeck (1990, 171) ist „systemisch [..] umfanglogisch als Entgegensetzung zu punktuell und einzelfunktionsbezogen zu verstehen.“ Das Münchener Verständnis ist dagegen stärker „gesellschartstheoretisch ‚aufgeladen‘“ (Schmidt, 1990, 19) und bezeichnet einen „emergenten überbetrieblichen Tatbestand [...], dessen Resonanz auf einzelbetrieblicher Ebene jene Fragen provoziert, die unmittelbar Gegenstand der erstgenannten [Göttinger] Verständigungsvariante darstellen“ (ibid.).

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Literatur

  1. Die Diskussion um systemische Rationalisierung und damit auch die um zwischenbetriebliche Vernetzung wurde in der Industriesoziologie durch Baethge und Oberbeck (1986),plaziert‘(Schmidt, 1990, 17). An ihre Überlegungen schlossen sich sofort die von Altmann et al. (1986) über den,neuen Produktionstyp‘an. Ein neues Paradigma war damit durch die im Bereich der Industriesoziologie einflußreichen Institute fast schon etabliert. Gemeinsam können die Autoren daher als Ur-Heber des Konzepts der systemischen Rationalisierung bezeichnet werden. Die weitere Debatte um das Konzept verbindet sich in der Industriesoziologie vorrangig mit den Studien aus dem ISF München, da sie dem Konzept in den letzten zehn Jahren Profil verliehen. Die Göttinger konzentrieren sich dagegen, etwa im Anschluß an die Arbeit von Kern und Schumann (1984), einerseits auf neue Formen der Nutzung von Arbeitskraft (Schumann et al., 1994a; 1994b). Andererseits führen sie die Diskussion um systemische Rationalisierung eher implizit fort (etwa Oberbeck/Oppermann/Osthues, 1987; Oberbeck et al., 1994; Voskamp/Wittke, 1994). Systemische Rationalisierung kennzeichnet als industrielle,Rationalisierung‘ein Teilphänomen kultureller Rationalisierung im Sinne Max Webers (1979 [1920]). Die Grundstruktur der Argumentationen zur systemischen Rationalisierung weist bei allen Unterschieden im Detail, die ich hier nicht diskutieren will (etwa Schmidt, 1990; Wittke, 1990), große Gemeinsamkeiten auf. Die achtziger Jahre werden in dieser Perspektive als „Inkubationszeit mit,transitorischen Entwicklungen‘“(Boyer, 1992, 66) betrachtet und auch unter dem Begriff der Restrukturierung der Industrie thematisiert (s.a. Schumann et al., 1994b; Sauer/Wittke, 1994, 49). Implizit greifen die Autoren, das sei lediglich vermerkt, mit dem Begriff der systemischen Rationalisierung Überlegungen von Habermas (1988 [1981]) in seiner,Theorie des kommunikativen Handelns‘auf. Der Vorschlag von Maisch (1987, 170), dann doch — unter impliziten Verweis auf Ulrich (1986) — folgerichtig von „kommunikativer Rationalisierung“zu sprechen, verhallte ungehört.

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  2. Bemerkenswert ist, daß im Bereich der Industriesoziologie auch auf der Grundlage anderer Konzepte, wie dem der,flexiblen Spezialisierung‘(Piore/Sabel, 1985 [1984]), über Vernetzung geforscht wurde (z.B. Sabel/Kern/Herrigel, 1991). Überblicke über die Diskussionen vermitteln zum Beispiel die Sammelbände von Altmann und Sauer (1989), Mendius und Wendeling-Schröder (1991), Deiß und Döhl (1992), Maisch und Mill (1992), Beckenbach und van Treek (1994), Sydow und Windeler (1994) sowie von Fischer und Gensior (1995).

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  3. Die Autoren führen zudem zu Recht umfassende Auswirkungen für das System industrieller Beziehungen sowie andeutungsweise für die Gesamtgesellschaft an (Altmann et al., 1986, 202 ff.).

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  4. Die Industriesoziologie ist mit dieser Ausrichtung ihrer Forschungen eine typische soziologische Disziplin. Denn die Soziologie entwickelte sich ja als akademische Disziplin aus den systematischen Versuchen, die Wandlungsprozesse westlicher Gesellschaften des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts zu verstehen. Die Prozesse der Industrialisierung, Urbanisierung, Säkularisierung, Entwicklung von Überwachungsmöglichkeiten und der Technisierung der Kriegsführung im Zusammenhang des sich ausbildenden und entwickelnden Kapitalismus wurden daher klassischerweise unter zwei Aspekten betrachtet: Untersucht wurde die Bedeutung, die diese Prozesse für das Leben und das Bewußtsein bestimmter Gruppen von Individuen, insbesondere Arbeiter, hatten. Das Interesse galt — vor allem — den revolutionären Neu-Arrangements zwischen Personen, Gruppen und den Formen der Ausgestaltung größerer sozialer Ordnungen. So sind schon für die Gründungsväter der Disziplin — wie Marx, Weber und Durkheim — Klassen und Eliten, bürokratische Organisationen, Heirats- und Verwandtschaftssysteme, Kriminalitäts- und Suizidraten, Muster städtischer Ansiedlung usw. soziale Phänomene mit gesellschaftlicher Relevanz. Und die Aufgabe der Soziologie als Wissenschaft ist es, die Bedeutung dieser Merkmale für die gesellschaftliche Reproduktion und die in ihnen angelegten Möglichkeiten zur Veränderung oder Überwindung des Bestehenden zu bestimmen (s.a. Kern, 1989, 259). Soziologische Erklärungen setzen immer einen über den beschriebenen Einzelfall hinausgehenden Bezug auf einen allgemeineren Sinnzusammenhang voraus, wie man etwa im Anschluß an Weber (1976 [1921], 4) formulieren kann. Mit dem Verständnis von Industriesoziologie als der Disziplin, der es um die Vermittlung von gesellschaftlicher Strukturanalyse und Analyse industrieller Produktion geht (Braczyk/v.d. Knesebeck/Schmidt, 1982), grenzt sich die bundesdeutsche Industriesoziologie gegenüber dem bis in die sechziger Jahre auch in der Bundesrepublik gebräuchlichen Begriff der Industrie- und Betriebssoziologie ab (Lutz/Schmidt, 1977; Beckenbach, 1991, 3). Industriesoziologie schließt in diesem Verständnis Arbeits- und Betriebssoziologie mit ein, erweitert den Gegenstandsbereich jedoch auf die gleichzeitig universalen wie lokal-spezifischen Strukturen industrieller Gesellschaften (Lutz/Schmidt, 1977, 105).

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  5. Die gegenteilige Position, daß die systemische Rationalisierung, etwa der Dienstleistungsarbeit, nichts neues, sondern schlicht die Fortsetzung,tayloristischer Prinzipien‘sei, findet sich bei Briefs (1984) oder Volpert (1984). Für eine ausführlichere Kritik an dieser Position siehe Baethge und Oberbeck (1990, 162 ff.). Für eine kleine Reflexion auf die unvermerkten Prämissen solcher Debatten, betreffend Maßstäbe für Neuartigkeit, vergleiche Ortmann (1995, 393 ff.).

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  6. Die konsequente Technisierung allein bedeutet dabei, wie Baethge und Oberbeck (1986, 27) hervorheben, allein noch keinen Bruch mit bisher praktizierten Organisationsprinzipien. „Die neue Computer- und EDV-Technologie steht am vorläufigen Ende einer säkularen Entwicklung der zunehmenden Formalisierung und Standardisierung gesellschaftlicher Austauschverhältnisse und Verkehrsformen. Sie wird die Entwicklung gewiß verschärfen, hat sie aber nicht in Gang ge-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) setzt, sondern wird umgekehrt durch historisch entstandene Konventionen formalisierter Problembehandlung erst ermöglicht.“Der Bruch geschieht für Baethge und Oberbeck, und das ist auch Bechtles Argument, durch die Arten und Weisen der Nutzung der Technik. Er erfolgt durch die via Technik erfolgende Integration betrieblicher und überbetrieblicher Prozesse und Teilsysteme in übergeordnete Systeme, wie Wertschöpfungsketten, die allerdings die in der Technik enthaltenen Potentiale abstrakter systemischer Verknüpfung entsprechend der Marktanforderungen systematisch nutzen.

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  7. Die These der Abstraktifizierung der Produktions- und Verwertungsprozesse — jetzt durch Informationstechnik — schreibt die Überlegung von Alfred Sohn-Rethel (1972) zur,Doppelnatur des Spätkapitalismus‘und deren Aufnahme in den Arbeiten des Instituts für Sozialforschung Frankfurt in den siebziger und achtziger Jahren fort (für einen Überblick Brandt, 1981).

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  8. Zur Kategorie der reellen Subsumtion im Gegensatz zur formellen Subsumtion siehe Marx (1975 [1867], 653; 1969 [1863/1865], 45 ff. bzw. 60 ff.). Zum besonderen Stellenwert der Kategorie im Kontext des Frankfurter Instituts für Sozialforschung siehe Brandt (1981, 48 ff.) oder Schmiede (1988).

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  9. „Deshalb solle man Diskrepanzen, Abweichungen und Störungen [beim Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik] nicht als,noch nicht‘vollzogene Beherrschung oder als nur empirisch beobachtbar bestimmen, sondern als Falschheit und Fehlerhaftigkeit der Abstraktion selber erkennen“(Bechtle, 1994, 55).

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  10. Im Anschluß an die Marxsche Wertformanalyse werden in der Literatur drei Indifferenzkonstruktionen unterschieden: Eine erste,basale Indifferenz‘wird im Zuge der Durchsetzung kapitalistischen Wertform produziert: Arbeit wird gleichgültig gegenüber bestimmter stofflicher Beschaffenheit der produzierten Güter, gegenüber konkreten Formen und Gestalten wechselnder Tätig(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) keiten und gegenüber konkreten Zweckbestimmungen des Produktionsprozesses (Marxs Entfremdungsbegriff in den,Pariser Manuskripten‘, Marx 1968 [1844], 511 ff.). Eine zweite,funktionale Indifferenz‘meint Gleichgültigkeit des Kapitals gegenüber konkreter Arbeit, gegenüber bestimmter Produktion, Zirkulation und Distribution in der Folge der Verallgemeinerung der Geldform des Werts. Seinen Schlußpunkt erfährt die Indifferenzbildung in der Herausbildung,systemischer Indifferenz‘, bei der das Kapital alle seine Momente entwertet und nivelliert, sie hinsichtlich ihrer jeweiligen Funktion als untereinander ersetzbar und austauschbar handhabt (zu diesen Bestimmungen genauer Bechtle, 1994, 51 ff. und die dort aufgenommene Literatur).

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  11. Diese Position der permanenten Reproduktion von Brüchen wird nicht von allen geteilt. So prognostizieren Altmann et al. (1986, 200 f.) eher eine zumindest graduelle Harmonisierung kapitalistischer Verwertung im Zuge systemischer Rationalisierung: „In der Perspektive unserer Fragestellung läßt sich zwar das aus dem Verhältnis von Markt- und Produktionssphären abgeleitete Bruchstellentheorem nicht aufheben; dennoch gehen wir davon aus, daß die mit der Tendenz zur betrieblichen und zwischenbetrieblichen Integration einhergehende Veränderung des Verhältnisses von Markt und Produktionssphäre es ermöglicht, die Bruchstellen zu verschieben, zu optimieren und dadurch — im konkreten Falle — in ihrer Bedeutung zu reduzieren.“

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  12. Siehe hierzu im einzelnen Luhmann (1984, 92 ff.; 112ff., 127; ebenso bereits Luhmann, 1971, 48 ff.). Bechtle beantwortet damit ferner die immer wieder vorgebrachte Kritik, daß unklar bleibe, mit welchem Konzept von System im Rahmen des Konstrukts systemischer Rationalisierung gearbeitet werde (etwa Düll, 1987, 138). Die Ausblendung der Sozialdimension verwundert nicht nur wegen des Rekurses auf Luhmanns Systemtheorie. Gerade für Autoren wie Bechtle, die doch gesteigerter Kontingenz, gesteigerten Möglichkeiten der Ausgliederung und Re-Integration betrieblicher Teilprozesse das Wort reden, müßte die soziale Dimension von Bedeutung sein, da sich mit ihr doch die Frage der sozialen Integration des Systems verbindet, das heißt für Luhmann (1984) die selektive Transformation relevanter Einstellungen, seien es Dissense oder nicht, in relativ stabile Konsense bezüglich sachlicher, zeitlicher und sozialer Zurechnungen von Prozessen.

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  13. In der Tat: Über systembezogene Zuständigkeitsbereiche wird auch entschieden — etwa wenn Endhersteller und Zulieferer sich über die Frage der Qualitätssicherung bei der Aushandlung von Vereinbarungen oder Verträgen verständigen. Verwunderlich ist das Gesagte nur angesichts objektiver Strategien‘. Daß entschieden werden muß, weist auf Kontingenzen, daß entschieden wird darauf, daß Kontingenzen geschlossen werden. Was entschieden werden muß, und — insbesondere-, was genau Entscheiden vor allem in kollektiven Handlungszusammenhängen bezogen auf das Regulieren der Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen Unternehmungen bedeuten soll, sagt Bechtle aber nicht. Dahinter verbergen sich allerdings für die Reproduktion von Netzwerken relevante Fragen. Denn die Entscheidungen sachlicher Zurechnung differieren positions- und machtabhängig. Siemens entscheidet unter Umständen über Teile seiner Zulieferer wie über verlängerte unternehmungsinterne Werkbänke und rechnet Zuständigkeiten etwa im Fall von Störungen autoritativ zu, Zulieferer können das oft nicht. Des weiteren wäre theoretisch zu reflektieren, was Unternehmungen oder Unternehmungsnetzwerke systematisch in die Lage versetzt oder hindert, die Zuständigkeitsbereiche zwischen sich und gegenüber Dritten abzugrenzen und wechselseitig zuzurechnen. Alles das erfordert, auch die sachliche Dimension der Grenze theoretisch als umkämpfte Grenze anzusehen.

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  14. Weitere Differenzierungen der Prozesse der Herstellung interner Zeitkohärenzen durch die Möglichkeiten kooperativer Nutzung von Ressourcen und durch erweiterte Chancen reziproker Verrechnung von Leistungen in Wertschöpfungssystemen lassen sich mit Hilfe Luhmannscher Unterscheidungen treffen: etwa der zwischen zwischen „konstanten und variablen Faktoren“(Luhmann, 1984, 125) oder der zwischen „Irreversibilität“und „realisierbarer Reversibilität“(ibid., 117).

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  15. Früher nannte Luhmann (1971, 51) das die „intersubjektive[] Konstitution einer sinnhaft-gegenständlichen Welt.“

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  16. Insofern verweisen Überlegungen zur Sozialdimension der Grenze auf Formalisierungsversuche durch etablierte Konditionalprogramme, in denen zwischen den Unternehmungen festgelegt wird, was zu tun ist, wenn dieses oder jenes Ereignis eintritt. Sie machen aber gleichzeitig darauf aufmerksam, daß Vereinbartes brüchig werden kann, formelle Festlegungen ständig unterminiert werden können. Zusammengenommen heißt das, die Grenzen zwischen Unternehmungen im Wertschöpfungssystem sind als politische Prozesse permanent Gegenstand interessierter Bestimmung.

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  17. Für Bechtle sind zudem die Sinndimensionen des Sozialen in fragwürdiger Weise miteinander verschränkt. Er (1994, 56; Hervorh. A.W.) behauptet: „Konsenskonstruktionen oder die Regulierung anerkannter Konflikte sind deswegen notwendig, um die ihrerseits notwendige Begrenzung in der Sach- und Zeitdimension zu kompensieren. Die Ausdehnung der Möglichkeiten in einer Dimension erfordert die Begrenzung in einer anderen. Der Sachhorizont, der Zeithorizont und der soziale Horizont sind nicht gleichzeitig ausdehnbar.“Diese Aussage ist mit ihren impliziten Nullsummenannahmen fraglich. Die Sinndimensionen spielen mit Luhmann (1984, Kapitel 2) immer rekursiv ineinander. Das heißt übertragen auf das Zusammenspiel der Sinndimensionen in Unternehmungsnetzwerken: Praktizierte Konsense zwischen relevanten Akteuren im Netzwerk ermöglichen u.U., den Konsens im Netzwerk und darüber hinaus auszudehnen oder zwischen Akteuren zu vertiefen. Ansonsten verstellte Zeitkohärenzen und Flexibilität im Umgang mit Zeit können so gegebenenfalls erzielt, der Konsens so u.U. erweitert werden. Das wiederum kann Voraussetzung dafür sein, die Tiefe und Reichweite der funktionalen Ausdifferenzierung zu steigern, die Zuständigkeitsbereiche zu erweitern oder klarer zu schneiden. Das wiederum mag die Ausgestaltung von Zeitkohärenzen wie von Konsens unter Umständen erhöhen. Das heißt, die Horizonte sind durchaus, entgegen Bechtles Vermutung, gleichzeitig ausdehnbar. Eine weitere implizite Nullsummenannahme findet sich in Bechtles Vorstellung von Systembildung. Seine These (ibid.), Systembildung gehe mit einer Reduktion sachlicher Komplexität und zeitlich Kontingenz einher, ist ebenfalls nicht offensichtlich. Die Bildung von Netzwerken kann zum Beispiel die sachliche Komplexität und zeitliche Kontingenz steigern. Das kann sogar — was Bechtle nicht reflektiert — gerade strategisch intendiert und eventuell sogar — zum Beispiel über arbeitsteilige Handhabung (Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) in Unternehmungsnetzwerken — realisiert werden (Sydow/Windeler, 1997). Statt der Arbeit mit einer impliziten Nullsummenannahme hätte Bechtle für Unternehmungsnetzwerke also jeweils erstmal zu begründen, warum für diesen Fall die von ihm unterstellten Mechanismen wirken.

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  18. Die Thesen von der Überformung wie von der gesicherten Steigerung von Profit sind angesichts fehlender Verfahren und Methoden der Evaluation interorganisationaler Effizienz, Effektivität oder andere ökonomischer Parameter durchaus gewagt (genauer III-4.3.2).

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  19. Was sie beschreiben, klingt sehr vertraut. Die Wirkungen entsprechen genau der Strategie kontrollierter Autonomie, die ich an anderer Stelle (Ortmann et al., 1990, 181 ff.; 160 ff.) als Rationalisierungspolitik in Konzernzusammenhängen beschriebenen habe (s.a. Behr et al., 1991). Aber wie ich dort zeige, sind diese Formen technisch vermittelter Steuerung Medium und Resultat hochgradig politischer Prozesse, sind die Wirkungen Resultate von Auseinandersetzungen über die Auslegung wie die Mobilisierung und Nutzung dieser Mittel in den Prozessen und bewirken diese Formen der Steuerung, daß die sozialen Aspekte an Gewicht gewinnen — weil, um es mit Luhmann (1973 [1968], 101 ff) zu formulieren, die Modi der Regulation anderes Gewicht erlangen: Bisher existierende Formalisierungen und Konditionalprogramme, in denen quasi per Algorithmus den Akteuren in dezentralen Einheiten sehr weitgehend vorgegeben wurde, was sie in welchen Fällen zu tun haben, werden nun in verschiedenen Bereichen durch Zweckprogramme ersetzt; Zweckprogramme zeichnen sich aber dadurch aus, daß der Zweck oder das Ziel — wie ja auch Sauer und Döhl klarstellen — vorgegeben beziehungsweise genauer nach Verhandlungen zwi-(Fortsetzung der Fußnote auf der nächsten Seite) schen in der Regel ungleich mächtigen Akteuren festgelegt wird. Wie machtasymmetrisch aber auch immer dies erfolgt: Die Auslegung und Einlösung der Festlegungen geschieht in alltäglicher Praxis und wird über Kontextgrößen kontrolliert (s.a. Schmidt, 1995, 21). Charakteristischerweise wird der Weg, auf dem der Zweck oder das Ziel erreicht wird, den sozialen Einheiten überlassen oder werden für deren Erreichung zumindest Freiheiten gewährt. Marktstrategien der Unternehmungen, geändertes Kundenverhalten, informationstechnisch vermittelte Möglichkeiten der Ausgestaltung einer ‚Kontextsteuerung‘(Willke, 1987; Teubner, 1992) und Strukturen mikropolitischer Praxis zwischen den sozialen Einheiten bilden in unserer Sichtweise die Grundlage für diese Verschiebungen in der Form der Regulation. Gerade die sozialen und regulativen Aspekte des Steuerungs- und Überwachungssystems müssen adäquat ausgelegt sein, um etwa Probleme und Störungen schnellstmöglich zu beheben usw. (zusammenfassend auch Endres, 1995, 137 f.).

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  20. Sauer und Döhl (1994b, 267) gelangen also zu einer — unseren Einschätzungen (Ortmann et al., 1990) entgegengesetzten — Deutung von Prozessen kontrollierter Autonomie. Dabei gilt wiederum: Ich bestreite nicht, daß es u.U. zu einem Formwandel von Herrschaft im Zuge unternehmensübergreifender Rationalisierung kommt. Was ich bezweifele ist die Erklärung: Ein Nachweis wird nur gelingen, wenn man die sozialen und insbesondere organisationalen Formen der Vermittlung von Herrschaft mit berücksichtigt (so a. Türk, 1995, 19 ff.). Denn bekanntlich ist vieles, was technisch oder bezogen auf Aspekte der Verwertung kontingent ist, strukturell festgezurrt (Windeler, 1992b, 87 f.; Schmidt, 1995, 20).

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  21. Die industriesoziologische Diskussion um systemische Rationalisierung ist sich in ihrem Bezug auf Netzwerkanalyse bisher eher generell unschlüssig: Bechtle (1994, 45) subsumiert kurzerhand die Netzwerkforschung generell und bruchlos unter das Konzept der systemischen Rationalisierung. Sauer und Döhl (1994b, 260) meinen dagegen reflektierter: „auch wenn wir selbst von Vernetzung reden, so machen wir doch keine Netzwerkanalysen, sondern setzen bescheidener an der Interpretation vorfindbarer empirischer Formen unternehmensübergreifender Produktion an.“

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  22. Unklar bleibt so ebenfalls notwendig, welche Verschiebungen der Verhältnisse von Produktionsund Marktökonomie sich in Wertschöpfungsketten ergeben und inwiefern sich das von Marx (1975 [1867], 654 ff.) aufgezeigte Bild der Repulsion und Attraktion der Einzelkapitale und damit die Prozesse der Zentralisation, Konzentration und Akkumulation in vernetzten Wirtschaften modifizieren.

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  23. Siehe nur dieses Resümee: „Die Gestaltung industrieller Netzwerke zwischen Abnehmer und Zulieferer folgt — unseren Ergebnissen nach — in den hier untersuchten eher traditionellen Branchen keinem einheitlichen Trend. Eine generelle Rationalisierungsstrategie läßt sich auf Basis unserer Ergebnisse nicht erkennen. Viel eher fallen die Divergenzen in den branchenspezifischen Gestaltungsmodi industrieller Netzwerke ins Auge“(Pohlmann, 1996, 57) — so scheint die oft als Referenzfolie objektiver Strategien bemühte Autoindustrie eher Sonderwege zu beschreiten. Die Annahme, man könne Folgen auf der Basis der Untersuchung ‚avancierter Kapitale‘verallgemeinern, erweist sich als äußerst fraglich (s.a. FN 5 auf der Seite 74).

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  24. Zur Erinnerung: Weltz und Lullies (1984) zeigen die Bedeutung ‚innerbetrieblicher Handlungskonstellationen‘für Rationalisierungsprozesse auf, Kern und Schumann (1984, 27 f.) akzentuieren zunächst Unterschiede auf Seiten des Managements: ‚unterschiedliche positionelle, funktionelle und professionelle Interessenlagen‘, ‚generationsspezifische Erfahrungsunterschiede und differierende ‚Philosophien‘, potentiell ‚weiche Stellen‘als auch ‚Verbündete‘(ibid., 28). Seltz und Hildebrandt (1985) sprechen von ‚Produktivitäts- und Sozialpakten‘für die Ausgestaltung betrieblicher Organisation, Schmidt (1986) entwirft das Konzept des ‚Einverständnishandelns‘und sieht hierin Chancen, die „Frage nach den Konstitutionsbedingungen de facto ‚erfolgreicher‘Organisationsreproduktion in die Organisation hinein zu verfolgen“(ibid., 66), Jürgens (1984) und Naschold (1984) akzentuieren die Bedeutung von ‚Arbeitspolitik‘, wir selbst haben die Relevanz von ‚Mikropolitik‘bei der Durchsetzung von Rationalisierung in Betrieben hervorgehoben (Ortmann et al., 1990).

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Windeler, A. (2001). Systemische Rationalisierung: der industriesoziologische Netzwerkansatz. In: Unternehmungsnetzwerke. Organisation und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80353-5_4

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