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Naturalistische Fundierungsontologie und das transzendentale Organon der Wissenschaften

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Vom Gemeingeist zum Habitus: Husserls Ideen II

Part of the book series: Phaenomenologica ((PHAE,volume 225))

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Zusammenfassung

Dieses Kapitel zeigt, wie Husserls Kritik und Revision des ontologischen Naturalismus eng verknüpft ist mit sozialepistemologischen Fragen.

Im Gegensatz zu dualistischen Ontologien erschöpft sich Husserls Ansatz nicht in Materie und Geist und artikuliert sich weiter gemäß den ergänzenden Kategorien von Leib und Seele. Die Unterscheidung zwischen Seele und personalem Geist ist mit dem Versuch verflochten, folgende Paradigmen in eine phänomenologisch revidierte „rationale Psychologie“ einzugliedern: das Subjekt als reale Einheit geistiger Vermögen (Vermögenspsychologie), als Menge von mentalen Zuständen (experimentelle Psychologie) und als motiviertes Leben intentionaler Akte (personalistische Psychologie).

Husserls Behandlung des Leib-Seele-Problems geht von der Unterscheidung zwischen dem Körper in seinen physiologischen Funktionen und dem Leib als Erfahrungsfeld aus. Während die Schicht der leiblichen Empfindungen über der Schicht der körperlichen Kausalität gemäß einem Gesetz einseitiger Fundierung „superveniert“, das dem Epiphänomenalismus ähnelt, hat die Seele ihre eigene Form der Kausalität, die nicht auf materielle Prozesse zurückgeführt werden kann. Deshalb sind nach Husserl weder der Epiphänomenalismus noch der Parallelismus geeignete metaphysische Deutungen.

Eine naturalistische Schichtenontologie lässt leicht die Reduktion von Leib und Seele auf Materie zu, als ob die ersten Schichten über der letzten supervenieren könnten. Im Gegensatz dazu scheint eine Supervenienz des Geistes über dem Seelischen weniger haltbar, da diese notwendigerweise jede soziale und mentale Tatsache auf Zustände individueller Geister reduzieren würde. Somit schließt Husserl kategorisch die Möglichkeit aus, dass eine Sozialontologie auf naturalistischer Grundlage entwickelt werden könnte.

Wenn die Objektivität der Naturwissenschaften die ideale Struktur einer offenen Gesellschaft von Wissenschaftlern voraussetzt, die sich aus der Idealisierung einer konkreten Sozialität herleitet, dann erweist sich die vermeintliche fundierende ontologische Schicht als das Ergebnis einer kollektiven Leistung. Um eine solche Aporie zu vermeiden, schlägt Husserl ein anderes Einheitsprinzip vor, das auf einer eidetischen Analyse der Korrelationsstruktur beruht.

Abstract

This chapter shows how Husserl’s revision and criticism of ontological naturalism is strictly linked with social-epistemological questions.

In contrast to dualistic ontologies, Husserl’s account is not exhausted by matter and mind, but articulated according to the additional categories of body and psyche. The distinction between psyche (Seele) and personal mind (Geist) is intertwined with the attempt to integrate the following paradigms into a phenomenologically revised ‘rational psychology’: the subject as a real unity of mental faculties (psychology of faculties), as a set of mental states (experimental psychology), and as a motivated life of intentional acts (personalistic psychology).

Husserl’s discussion of the mind-body problem takes its departure from the distinction between the body in its physiological functions on the one hand, and as an experiential field on the other. While the layer of bodily sensations supervenes on the layer of corporal causality, according to a law of unilateral foundation similar to epiphenomenalism, the psyche has its own form of causality that cannot be reduced to material processes. Therefore, neither epiphenomenalism nor parallelism are suitable interpretations for Husserl’s view.

A naturalistic ontology of layers easily allows for the reduction of body and psyche to matter, as if the former could simply be superimposed on the latter. By contrast, a superimposition of the mental on the psychic, which would reduce every social and mental fact to states of mind of individuals, seems less tenable. Therefore, Husserl categorically excludes the possibility that a social ontology could be built on naturalistic presuppositions.

If the objectivity of the natural sciences presupposes an ideal structure of an open society of scientists, derived from an idealisation of concrete sociality, then the alleged founding layer appears to be the result of a collective enterprise. To prevent such an aporia, Husserl proposes a different principle of unity, based on an eidetic analysis of the structure of correlation.

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Notes

  1. 1.

    F III 1, 33a; vgl. Hua V, 125. Geringfügige Seitenabweichungen zur Druckfassung von Hua IV/V sind möglich.

  2. 2.

    F III 1, 33a–33b; vgl. Hua V, 126.

  3. 3.

    Das Wort „katastematisch“ drückt im Griechischen den Gegensatz zu „kinetisch“ aus und bedeutet etwa „zuständlich“. Im philosophischen Gebrauch tritt dieses Gegensatzpaar in der epikureischen Ethik in Bezug auf vorläufige (bzw. kinetische, bewegende) oder dauerhafte (bzw. katastematische, zuständliche) Lustempfindungen auf: Die letzteren seien vorzuziehen. Nach Kern s Erachten lehnt sich Husserl mit dem Gegensatz „katastematisch“ und „kinetisch“ an die natorpsche Opposition von statischer und kinetischer Ideenlehre an. Vgl. Kern (1964), 347.

  4. 4.

    F III 1, 35a; vgl. Hua V, 129.

  5. 5.

    F III 1, 35a; In Hua V, 129 wird die Welt der genetischen Betrachtung als „transzendentale Welt“ charakterisiert.

  6. 6.

    F III 1, 35a–35b; vgl. Hua V, 129.

  7. 7.

    Vgl. De Palma (2015).

  8. 8.

    F III 1, 36b; vgl. Hua V, 130.

  9. 9.

    „<2. Teil: Wissenschaftstheoretischer Teil: Methode der Physik. Somatologie, Psychologie und Phänomenologie. Auch über apriorische Begriffe. Ontologie und Phänomenologie. Zur Methode der Klärung.> [F III 1/39–75, 77–85]“ (Hua IV/V).

  10. 10.

    F III 1, 39a; Hua V, 1.

  11. 11.

    F III 1, 50a; Hua V, 21.

  12. 12.

    F III 1, 40a; Hua V, 4.

  13. 13.

    F III 1, 40a; Hua V, 4.

  14. 14.

    Vgl. F III 1, 41a; Hua V, 10 f.

  15. 15.

    Zu dieser Wissenschaftskategorie gehören auch die modernen Lebenswissenschaften (wie z. B. die Genetik), die seit der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts zunehmend an Relevanz gewonnen haben.

  16. 16.

    Vgl. F III 1, 42a f.; Hua V, 7 f.

  17. 17.

    Die Somatologie ist Husserl zufolge überhaupt erst dank seiner phänomenologischen Methode zu konzipieren, weil sie nämlich „die reine Aussonderung der Empfindung aus dem Auffassungsgeflecht voraus[setzt], in das sie [die Empfindung] verwoben ist, also ungewohnte phänomenologische Analysen voraus[setzt] und eine Abwendung des Blickes von dem in den vollen Auffassungen Gegebenen und unsere natürlichen Blickrichtungen Bestimmenden“ (Hua IV/V, 94; F III 1, 43a). Ob eine solche Reduktion auf den reellen Bestand tatsächlich durchführbar ist, wird von einigen Phänomenologen angezweifelt. Vgl. Lohmar (2012). Sie könnte als Symptom dafür gelten, dass in Husserl trotz seiner Psychologismus-Kritik Überbleibsel von sensualistischen Elementen zu finden sind, oder, wie Husserl selbst sagen wird „ein Rest der alten Psychologie und ihres sensualistischen Empirismus“ (Hua XXXIX, 22), vgl. De Palma (2015, S. 36).

  18. 18.

    F III 1, 43a; Hua V, 10.

  19. 19.

    Diese Bezeichnung stammt aus der zweiten Auflage der V. Logischen Untersuchung, die Husserl während der ersten Abfassung der Ideen zwischen 1912 und 1913 vorbereitete. Zur Funktion dieser Reduktion und ihrer Rolle in der Entfaltung des Projekts einer transzendentalen Phänomenologie vgl. Lohmar (2012).

  20. 20.

    Das Problem der Erfahrung der fremden Leiber als solcher eröffnet das große Problem der Einfühlung, das Husserl kontinuierlich bis zum Ende der zwanziger Jahre beschäftigt hat. Methodologisch ist aber durch die Ausschaltung der Intentionalität in der Somatologie die Frage nach den fremden Leibern zunächst ebenfalls ausgeschaltet. Nun bedürfen aber gerade die objektiven Lebenswissenschaften der konstitutiven Leistung der Einfühlung, damit ihre Gegenstände unmittelbar oder mittelbar ausgesondert werden können. Das gilt vor allem für die Lebenswissenschaften, die materielle Korrelationen lebender Prozesse erforschen, wie z. B. bei der Physiologie der Sinne. Andererseits ist bei diesen Lebenswissenschaften, die Teile von Lebewesen, organische Gewebe, Zellen, usw. separat erforschen, die konstitutive Rolle der Einfühlung innerhalb der Labortätigkeit wenn überhaupt, dann nur äußerst weit entfernt präsent und deshalb dem Sinnhorizont dieser Fachdisziplinen abhanden gekommen. Wie aber könnten solche „Stücke“ von Materie, die Sondergesetzen der naturwissenschaftlichen Erklärung entsprechen, das heute prominent gewordene Gebiet der Lebenswissenschaften ausmachen, wenn diese nicht auf der grundsätzlichen Intuition des lebenden Leibes zumindest mittelbar beruhten?

  21. 21.

    Die reale Korrelation zwischen seelischem Zustand und dem von ihm repräsentierten Inhalt kann in dieser Form und in dieser, ein Innen- und ein Außensystem unterscheidenden Terminologie erst in naturalistischer Einstellung betrachtet werden. Die phänomenologische Korrelation hingegen nimmt ihren Ausgang von der universalen Ausschaltung aller außerintentionalen Außenwelt und verbietet daher jeden Rekurs auf eine solche externalistische Terminologie. Die Selbstkritik, der Husserl die Terminologie der V. Logischen Untersuchung unterzieht, beruht auf der methodologischen Unterscheidung dieser beiden Formen von Reduktion und auf der Einsicht, dass die Reduktion, auf deren Grundlage die Somatologie entfaltet werden kann, auf dem Boden einer naturalistischen, in gewisser Hinsicht berechtigten sensualistischen Psychologie gründet.

  22. 22.

    Die Reduktion auf den reellen Inhalt, die im Kontext der V. Logischen Untersuchung zur Hervorhebung der intentionalen Leistung entworfen worden war, wird bei der Vorbereitung des zweiten Buchs der Ideen angewendet, um die reale Wissenschaft des Leibes, die Somatologie, neu methodisch zu begründen.

  23. 23.

    F III 1, 44a; Hua V, 12.

  24. 24.

    F III 1, 46b; Hua V, 16.

  25. 25.

    Diese horizonthafte Struktur ist den aktuellen Vorstellungen eigen, da sie als vordergründige Auffassungen lediglich auftreten aufgrund von Hintergrundauffassungen, „vermöge deren die sich abhebende Vordergrundauffassung (durch die eventuell ein primäres Aufmerken oder sekundäres Bemerken hindurchgeht) notwendig etwas bewusst macht, was eine Umgebung hat, aus seiner Umgebung ‚heraustritt‘“ (F III 1, 46b; Hua V, 15).

  26. 26.

    F III 1, 46b, Hua V, 16.

  27. 27.

    F III 1, 46b; Hua V, 16.

  28. 28.

    Oft verwendet Husserl diesbezüglich den Ausdruck „irrationales Faktum“ oder auch „brutales Faktum“, das eine Form faktischer Notwendigkeit der Erfahrung darstellt. Besonders interessant ist im Kontext der vorliegenden Arbeit die Gegenüberstellung dieses Gedankens mit der in der analytischen Sozialontologie weit verbreiteten Opposition zwischen „brutal facts“ und „social facts“, wobei mit ersteren die Tatsachen der exakten Naturwissenschaften gemeint sind und mit den zweiten das breite Spektrum sozialer Wirklichkeiten, die jedem naturwissenschaftlichen Erklärungsversuch aufgrund ihrer geistigen und zugleich überindividuellen Natur entgehen.

  29. 29.

    F III 1, 47a; Hua V, 16 f.

  30. 30.

    F III 1, 47a; Hua V, 17.

  31. 31.

    Diese besondere Form ontologischer Abhängigkeit ist von Donald Davidson (1970) maßgeblich als „supervenience“ bezeichnet worden. Das Wort stammt aus dem lateinischen supervenire, hinzukommen. Dieser Begriff bezeichnet in der analytischen Formalontologie die Abhängigkeit zwischen der Eigenschaftsklasse A und der Eigenschaftsklasse B, wenn es nicht möglich ist, A zu ändern, ohne B zu ändern. Davidson begründete durch dieses formalontologische Gerüst seine metaphysische Position des „anomalen Monismus“, nach dem zwar einzelne materielle Ereignisse bzw. neuronale Prozesse mit einzelnen mentalen Zuständen gleich seien, jedoch die respektive Eigenschaftsklasse nicht identisch sei. Aus diesem Grund sei eine Reduktion des Mentalen auf das Physische nicht möglich, auch wenn mentale und neuronale Zustände zwei Eigenschaftsseiten derselben Substanz seien. Das Supervenienzkonzept ist später sowohl innerhalb reduktionistischer als auch antireduktionistischer Metaphysiken angewandt worden. Wie aus Husserls Argument ersichtlich wird, spielt diese besondere Abhängigkeitsfunktion, die nicht terminologisch, aber der Sache nach mit Supervenienz gleichgesetzt werden kann, hier eine bescheidenere Rolle: Sie formalisiert nur das kausale und ontologische Spezialverhältnis zwischen materiellen und leiblichen Zuständen (Empfindnissen), ohne darüber hinaus gesamtmetaphysische Tragweite zu gewinnen. Für eine phänomenologische Auseinandersetzung mit dem Supervenienzbegriff vgl. Zhok (2015).

  32. 32.

    F III 1, 47b; Hua V, 18.

  33. 33.

    F III, 47a; Hua V, 17.

  34. 34.

    Vgl. u. a. Pettit (1996), Searle (1995, 2010).

  35. 35.

    F III, 47a; vgl. Hua V, 17.

  36. 36.

    Bezeichnend für Husserls Ansicht ist, dass der Alterungsprozess primär als seelische Entwicklung und nicht als körperlicher Zerfall aufgefasst wird. Nicht der Leib und seine Zustände altern, sondern die sie durchdringenden seelischen Dispositionen des alternden Subjekts: Zerfall ist eine physische, Altern eine psychische Kategorie. Die erste drückt einen materiell-kausalen Zusammenhang, die zweite einen dispositional-kausalen Zusammenhang aus. Beide Kausalitäten verflechten sich natürlich im Alterungsprozess: So kann der physische Zerfall physiologischer Systeme den sinnlichen Untergrund seelischer Vorkommnisse beeinträchtigen bis zur Versteifung oder sogar zum Fortfall ganzer Dispositionen, wie z. B. der optischen Wahrnehmung beim Katarakt.

  37. 37.

    F III 1, 46a; Hua V, 14.

  38. 38.

    F III 1, 46a; Hua V, 14 f.

  39. 39.

    F III 1, 39a f.; Hua V, 1 f.

  40. 40.

    F III 1, 46a; Hua V, 15.

  41. 41.

    F III 1, 48a; Hua V, 19.

  42. 42.

    F III 1, 48a; Hua V, 19.

  43. 43.

    Damit ist aber nicht gesagt, dass das reine Ich (sowie die von ihm bedingte Umgestaltung der Seele zur Persönlichkeit) nichts sei, sondern nur, dass in einem gewissen naturalistischen Sinn sowohl das reine Ich als auch Geist und Person keine Realitäten seien.

  44. 44.

    F III 1, 49a; Hua V, 20.

  45. 45.

    F III 1, 49a; vgl. Hua V, 20.

  46. 46.

    Das Eigenwesentliche des Bewusstseins, d. h. seine Intentionalität, kann erst thematisiert werden, wenn die phänomenologische Reduktion vollzogen wird, die die Setzung der Realität außer Acht lässt. Wie die Leiblichkeit ursprünglich erforscht wird, indem das Feld der Somatologie durch die Reduktion auf den reellen Bestand zugänglich wird, so kann das Bewusstsein erst durch Ausschaltung der Realitätssetzung Thema eigener Betrachtung werden.

  47. 47.

    F III 1, 49a; Hua V, 21.

  48. 48.

    F III 1, 69a; vgl. Hua V, 70.

  49. 49.

    Eidetische Disziplinen scheiden sich nämlich in morphologische und exakte Ontologie, abhängig davon, ob sie auf deskriptiv-eidetischer bzw. morphologischer Ideation oder auf exakt-idealisierender Ideation beruhen. Vgl. Hua XLI.

  50. 50.

    F III 1, 50b; Hua V, 24.

  51. 51.

    F III 1, 50b; Hua V, 24.

  52. 52.

    Hierzu ist seine Auseinandersetzung mit Pfänder und der Münchener Gruppe von zentraler Bedeutung. Vgl. Schuhmann (1973a).

  53. 53.

    F III 1, 50a; Hua V, 24.

  54. 54.

    F III 1, 57a; Hua V, 37.

  55. 55.

    F III 1, 59a; Hua V, 41.

  56. 56.

    F III 1, 57a; Hua V, 38 f.

  57. 57.

    Husserl merkt am Rande seiner Überlegungen zur Wiedereinführung des Begriffs der rationalen Psychologie eine Unterscheidung an, die er mit James’ Psychologie in Verbindung setzt. Das Bewusstsein sei erst zu verstehen durch die Verbindung des erkenntnistheoretischen Problems mit der theoretischen Fragestellung der rationalen Psychologie, doch noch vor jeder empirischen Forschung: „<W.> James : Die Frage, wie ein Ding ein anderes erkennen kann, ist das Problem der so genannten Erkenntnistheorie“ (Psychologie, deutsch <übersetzt von M. Dürr, mit Anm. von E. Dürr, Leipzig 1909 [engl. Original: ‚Principles of Psychology‘, London 1890, in Husserls Privatbibliothek versehen mit der Signatur BQ 209]. „2). Das Problem, wie es überhaupt <so> etwas wie einen ‚Bewusstseinszustand‘ geben kann, ist ein Problem der so genannten rationalen im Gegensatz zur empirischen Psychologie. Die volle Wahrheit, sagt er weiter, über die Bewusstseinszustände kann erst erkannt werden, wenn sowohl Erkenntnistheorie wie <auch> rationale Psychologie das letzte Wort gesprochen haben.“ (Hua IV/V, 114) Doch ist meines Erachtens diese Interpretation eher eine Selbstauslegung der eigenen Intention Husserls als eine korrekte Lektüre der Psychologie von James . Dieser beschrieb zwar die rationale Psychologie mit diesen Worten, betrachtete aber das Unterfangen der rationalen Psychologie als „alte Metaphysik“ und beabsichtigte in der Psychologie eine Integration von introspektiver, experimenteller und vergleichender Methode.

  58. 58.

    Eine dritte phänomenologische Auffassung der Dispositionen wird Husserl durch die Wortschöpfung der Vermöglichkeit erreichen, mit der er auf die Wirkung sedimentierter Erfahrung auf die Horizontpotenzialitäten hinweist.

  59. 59.

    F III 1, 59b; Hua V, 42.

  60. 60.

    F III 1, 59b; Hua V, 42.

  61. 61.

    F III 1, 60a; Hua V, 42.

  62. 62.

    Bezüglich der Rolle des Experiments in der Psychologie betont Husserl, dass die experimentelle Methode kein besonderer Vorzug der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie sei. Experimentelle Methode sei darum weder mit naturwissenschaftlich zeiträumlich messender Methode noch mit auf Realität bezogener Methode gleichzusetzen: Experimente lassen sich durchführen sowohl in der auf Verhaltensforschung gerichteten Psychologie, die Einheiten auffasst und durch eine vorwiegend geisteswissenschaftliche Perspektive interpretiert, wie z. B. Handlungen, Absichten, Verhalten im weiteren Sinne des Wortes, als auch in der Phänomenologie selbst. Die Möglichkeit, phänomenologische Experimente durchführen zu können, basiert auf der Anwendung der Fantasie in der Vorbereitung der phänomenologisch zu erforschenden Erfahrung. Denn Maßstab der Phänomenologie ist die Klarheit und nicht die Realität der Phänomene, sodass reale Phänomene durch Fantasie umgewandelt werden können, um einen höheren Grad an Klarheit zu gewinnen. Ferner können auch empirische Experimente Anlass bieten, phänomenologische Experimente zu entwerfen. Husserl bezeugt deutlich sein Interesse an den experimentellen Vorgehensweisen seiner Zeit: „über diese Möglichkeiten künstlicher Veranstaltungen zur Beschaffung der exemplarischen Anschauungen habe ich als akademischer Lehrer seit einer Reihe von Jahren oft genug gesprochen und schon die ersten Arbeiten der Würzburger Schule über experimentelle Psychologie des Denkens seinerzeit in meinen philosophischen Übungen als Anlass genommen, die methodischen Unterschiede des psychologischen und phänomenologischen Experiments in der hier beschriebenen Weise zu erörtern.“ (F III 1, 63b; Hua V, 52) Das Programm einer „naturalistischen Phänomenologie“, mit der man auf eine Phänomenologie abzielt, die in ihren Untersuchungen den Ergebnissen der neuesten Naturwissenschaften nicht nur Rechnung trage, sondern sie auch integrieren könne und zu der in jüngerer Vergangenheit einige Forschern aufgerufen haben (vgl. Varela et al. 1991), ist keineswegs eine Forschungsrichtung, die Husserls Philosophieren fremd war.

  63. 63.

    F III 1, 62b; Hua V, 49.

  64. 64.

    F III 1, 66b; Hua V, 64.

  65. 65.

    So scheint mir die Interpretationslinie von Zahavi (1996) ausgerichtet zu sein.

  66. 66.

    Gäbe es formal betrachtet eine gemeinsame Form Objektivität konstituierender Subjektvielheit, die sowohl für Natur- als auch für Geisteswissenschaften und darüber hinaus für alle sozialen Praktiken gilt, dann ergäbe sich Objektivität schlechthin als Korrelat einer ideellen Sozialwelt.

  67. 67.

    F III 1, 33b; vgl. Hua V, 127.

  68. 68.

    F III 1,36a; Hua V, 128.

  69. 69.

    F III 1, 69b; Hua V, 73.

  70. 70.

    F III 1, 69a; vgl. Hua V, 71.

  71. 71.

    F III 1, 69b; Hua V, 72.

  72. 72.

    F III 1, 71b; Hua V, 78.

  73. 73.

    F III 1, 70b; Hua V, 74 f.

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Caminada, E. (2019). Naturalistische Fundierungsontologie und das transzendentale Organon der Wissenschaften. In: Vom Gemeingeist zum Habitus: Husserls Ideen II. Phaenomenologica, vol 225. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-97985-4_5

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