Zusammenfassung
Die Grundidee der gesamten vorliegenden Untersuchung ist die Auflösung bzw. Explikation der These Heideggers, dass die Freiheit der Grund des Grundes sei. Dies setzt voraus, dass es eine Verbindung, irgendeine Beziehung zwischen Grund und Freiheit gibt. Diese Beziehung ist ein zentraler Gegenstand von Heideggers ,,metaphy- sischem Denken“ in den Jahren 1928–1930. Im ersten Kapitel wird zunächst die Erscheinung Grund in ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt. Dazu gehört die Herausstellung der sowohl erkenntnistheoretischen wie auch ontologischen Bedeutung des Grundes – wenngleich auch eine psychologische Komponente mitschwingt, auf die ich aber nur am Rande eingehe. Es geht hier also um eine Darstellung unserer Praxis des Begrändens, des Anfährens von Gränden. Das erste Kapitel ist eine Darstellung der performativen Funktion des Grundes. Dabei wird sich zeigen, dass das Anfähren von Gränden dazu dient, den erfahrenen Zusammenhalt der Welt zu erhalten.
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Notes
- 1.
Martin Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz. Hrsg. von Klaus Held. (Gesamtausgabe Bd. 26). Frankfurt am Main: Klostermann, 1978. Im Folgenden MAL.
- 2.
Martin, Heidegger,,,Vom Wesen des Grundes“. In: Wegmarken. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. 3. Aufl. (Gesamtausgabe Bd. 9). Frankfurt am Main: Klostermann, 2004, S. 123–175. Im Folgenden WdG.
- 3.
Vgl. MAL 277 und WdG 165.
- 4.
MAL 277. Hervorhebung von mir.
- 5.
Zum Begriff der „Destruktion“ vgl. Martin Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. (Gesamtausgabe Bd. 24). Frankfurt am Main: Klostermann, 1975, S. 31.
- 6.
Vgl. „Heidegger zwischen Bergson und Leibniz“ innerhalb des Abschn. 2.3.1, S. 92 ff.
- 7.
Dies wird spätestens im letzten Paragraphen von MAL deutlich. Vgl. MAL § 14.
- 8.
Dieses Vorgehen wird im Übrigen von Heidegger selbst gestützt. Vgl. MAL 70: „Gerade wenn wir dagegen die Logik metaphysisch begründen wollen, bedarf es der Kommunikation mit der Geschichte der Philosophie, weil die Begründung der Metaphysik selbst damit neu gefordert wird; denn wir besitzen nicht eine fertige Metaphysik, um die Logik dahineinzubauen, sondern die Destruktion der Logik ist selbst ein Stück der Begründung der Metaphysik; diese aber ist nichts anderes als die prinzipielle Auseinandersetzung mit der ganzen bisherigen Tradition.“ (Hervorhebung von mir) Vgl. dazu außerdem MAL 132 und 197.
- 9.
Martin Heidegger, Der Satz vom Grund. Hrsg. von Petra Jaeger. (Gesamtausgabe Bd. 10). Frankfurt am Main: Klostermann, 1997, S. 53. Im Folgenden SvG.
- 10.
Vgl. Platon, Menon 97e–98a: „Denn auch die wahren Meinungen sind eine schöne Sache und bewirken Gutes, solange sie bleiben. Lange Zeit wollen sie aber nicht bleiben, sondern entwischen aus der Seele des Menschen, so dass sie nicht viel wert sind, bis sie jemand anbindet durch eine begründende Argumentation (αἰτίας λογισμῷ).“ (Hervorhebung von mir)
- 11.
Ich werde mich hier nicht mit den Gettier-Fällen beschäftigen, da es mir hier nicht um Definitionen des Wissens geht, sondern um die Funktion des Grundes. Und dass für Wissen das Angeben von Gründen vielleicht nicht hinreichend aber doch notwendig ist, kann auch aus der Sicht Gettiers nicht bestritten werden, führt er doch schließlich selbst Gründe an, warum die „platonische“ Definition des Wissens nicht haltbar ist. Im Zentrum der Diskussion um den Wissensbegriff steht gerade das Problem der Rechtfertigung einer Meinung als wahr. Vgl. Edmund Gettier,,,Is justified true belief knowledge? “ In: Analysis 23 (1963), 121–123 (deutsch:,,Ist gerechtfertigte, wahre Meinung Wissen? “, in: Peter Bieri (Hrsg.): Analytische Philosophie der Erkenntnis. Frankfurt am Main 1987, S. 91–93). Vgl. hierzu auch Alvin Goldman,,,A Causal Theory of Knowing“. In: The Journal of Philosophy 64 (1967), S. 335–372.
- 12.
Im Weiteren werde ich zunächst grob zwischen Grund i.w.S. und Grund i.e.S. unterscheiden. Ersteren verstehe ich als Sammelnamen, als Inbegriff aller Momente des Begriffs Grund; letzterer hingegen meint Begründung bzw. Erkenntnisgrund im Besonderen.
- 13.
Ich stütze mich bei den folgenden Überlegungen insbes. auf seine Dissertation: Arthur Schopenhauer, Die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. In: Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden, Bd. V. Zürich: Diogenes, 1977, S. 7–180. Im Folgenden VWSzG.
- 14.
Gerade in den Paragraphen, die den Begriff des physischen Grundes behandeln, führt Schopenhauer seine Erkenntnistheorie aus, die ich aber weitgehend außen vor lasse, da es mir in erster Linie um seine Erläuterungen zum Begriff des Grundes geht.
- 15.
Unter dem Formalen der empirischen Objekte versteht Schopenhauer die reinen Formen sinnlicher Anschauung (Raum und Zeit) und die — aus seiner Sicht — einzige Form des reinen Verstandes, das Gesetz der Kausalität.
- 16.
Heinrich Hasse, Schopenhauer. München: Verlag Ernst Reinhardt, 1926, S. 111.
- 17.
Hasse, Schopenhauer, S. 112.
- 18.
Vgl. hierzu Schopenhauers Begriff des Phantasmas, VWSzG § 28.
- 19.
Vgl. Aristoteles, Met. Δ 1, 1013a.
- 20.
Vgl. Christian Wolff, Philosophia prima sive Ontologia. Hrsg. von Jean Ecole. (Gesammelte Werke, II. Abt., Bd. 3). Hildesheim: Olms, 1962, § 874.
- 21.
Vgl. Crusius’ Einteilung der Gründe in: Christian August Crusius, Dissertatio philosophica de usu et limitibus principii rationis determinantis vulgo sufficientis. Leipzig: Langenhemius, 1743, §§ XXXIV–XXXIX.
- 22.
Hasse, Schopenhauer, S. 137.
- 23.
Zur Illustration der Eigenständigkeit mathematischer (bzw. geometrischer) Seinsgründe betrachte man bspw. das Winkelverhältnis in einem gleichschenkligen Dreieck. Die „Tatsache“, dass die beiden Basiswinkel gleich groß sind, gründet weder in einer „Ursache“ noch in einem „Erkenntnisgrund“.
- 24.
Wolff, Philosophia prima sive Ontologia, S. 648.
- 25.
Ernst-Otto Schneider,,,Über die fünfte Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“. In: Schopenhauer. Hrsg. von Jörg Salaquarda. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1985, S. 348–374, hier: S. 350. Hervorhebung von mir.
- 26.
Wolff, Philosophia prima sive Ontologia, S.648. Vgl. ergänzend auch Christian Wolff, Vernünftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt. Hrsg. von Charles A. Corr. (Gesammelte Werke, I. Abt., Bd. 2). Hildesheim: Olms, 1983, §44.
- 27.
Schneider,,,Über die fünfte Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“, S. 356. Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung werde ich auf diesen Satz, wie auch Schneider, mit S5W bzw. „fünfte Wurzel“ verweisen.
- 28.
A.a.O., S. 355 f.
- 29.
Schneider diskutiert darüber hinaus auch mögliche Umformulierungen und Verschärfungen des Satzes. Vgl. a.a.O., S. 360.
- 30.
A.a.O., S. 357.
- 31.
Man könnte daher auch sagen, dass Schneiders modifizierter Seinsgrund die aristotelische causa formalis und causa materialis in sich begreift.
- 32.
Schneider, „Über die fünfte Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“, S. 358.
- 33.
Vgl. a.a.O., S. 359.
- 34.
Ebd. Hervorhebung von mir.
- 35.
A.a.O., S. 360. Letzte Hervorhebung von mir.
- 36.
In die Aufstellung der Typologie der Gründe gehen die Erläuterungen des Abschnitts mit ein, so dass ich den Wolff-Schneiderschen Seinsgrund auch als solchen bezeichne, den Seinsgrund Schopenhauers hingegen als mathematischen Grund.
- 37.
Für eine Übersicht der wichtigsten philosophiegeschichtlichen Positionen, die sich mit dem Begriff des Grundes auseinandersetzen, sei auf die folgende Arbeit hingewiesen: Rudolf Laun, Der Satz vom Grunde. Ein System der Erkenntnistheorie. 2. erw. Aufl. Tübingen: Mohr, 1956. In den Kapiteln. 5–8 stellt Laun die wichtigsten Denker zum Thema Grund vor. Für die Diskussion zur Anzahl der Arten der Gründe vgl. insbesondere Kapitel 9, §§ 78–88.
- 38.
Zwei prominente Versuche, dem Problem einer „natürlichen Teleologie“ zu begegnen, finden sich in Aristoteles, Met. Buch Λ und Phys. Buch Β und in Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft, 2. Teil, Kritik der teleologischen Urteilskraft.
- 39.
Vgl. Schneider,,,Über die fünfte Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“, S. 360.
- 40.
Zu finden in Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Hrsg. von Carl Immanuel Gerhardt. (7 Bände). Berlin: Weidmann, 1875–1890, Bd. IV, S. 232. Im Folgenden Gerh. Philos. Bd. Angabe, Seitenzahl.
- 41.
Die beiden wichtigsten Stellen sind Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie. In: Monadologie und andere metaphysische Schriften (franz./deut.). Hrsg. von Ulrich Johannes Schneider. Hamburg: Meiner, 2002, S. 110–151, §§ 31 ff. und Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee. 2. Aufl. Übers. von Artur Buchenau. Hamburg: Meiner, 1968, § 44. Darüber hinaus gibt es noch etliche ergänzende Stellen, etwa im fünften Schreiben an Clarke, §§ 18, 20 und 125 (Samuel Clarke, Der Briefwechsel mit G. W. Leibniz von 1715/16. Hrsg. von Ed Dellian. Hamburg: Meiner, 1990, S.69 und 103), in Gottfried Wilhelm Leibniz, Auf Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade. In: Monadologie und andere metaphysische Schriften (franz./deut.). Hrsg. von Ulrich Johannes Schneider. Hamburg: Meiner, 2002, S. 152–173, §§ 7 und 8 und in Gottfried Wilhelm Leibniz, Metaphysische Abhandlung. In: Monadologie und andere metaphysische Schriften (franz./deut.). Hrsg. von Ulrich Johannes Schneider. Hamburg: Meiner, 2002, S. 2–109, § 8.
- 42.
Streng genommen unterscheidet Leibniz drei Bereiche der Wahrheit: Einmal die Klasse der ursprünglichen Wahrheiten oder auch ausdrückliche Identitäten und dann die Klasse der abgeleiteten Wahrheiten bestehend aus den notwendigen Wahrheiten (diese sind für uns ableitbar aus Identitäten) und den kontingenten Wahrheiten (diese sind bloß für Gott ableitbar aus Identitäten, da ein endlicher Verstand die Ableitung nicht zu überblicken vermag). In Analogie zu den anderen Bereichen der Wahrheit könnte die erste Klasse dem Satz der Identität zugeordnet werden, Leibniz’ eigene Ausführungen allerdings konzentrieren sich auf die beiden Klassen der notwendigen und der kontingenten Wahrheiten. Zur Einteilung der Wahrheiten bei Leibniz vgl. insbes. Heideggers Darstellung in MAL 51 ff.
Auf Leibniz’ Theorie der Erkenntnis, die mit einer Ausdifferenzierung des Wahrheitsbegriffs verknüpft ist, gehe ich im Weiteren nur soweit ein, wie es für die Erörterung des vorliegenden Problems notwendig ist. Für eine konzise Darstellung der Ausdifferenzierung des Leibniz’schen Wahrheitsbegriff und seiner Bedeutung für die Erkenntnistheorie Leibniz’ vgl. Heideggers Ausführungen in MAL §§ 2–4.
- 43.
Vgl. Laun, Der Satz vom Grunde, § 55.
- 44.
Der genannte vollständige Titel findet sich so zwar nicht bei Leibniz, gleichwohl gibt es Stellen in seinen Schriften, an denen alle Aspekte des Satzes vom Grunde genannt werden. Vgl. Gerh. Philos. IV, 138: „id, quod dicere soleo, nihil existere nisi cujus reddi potest ratio existentiae sufficiens, (das Prinzip), das ich (in der Form) zu sagen pflege, nichts existiert, dessen zureichender Existenzgrund nicht zugestellt werden kann‘.“ (Übersetzung von Martin Heidegger, vgl. SvG 50).
- 45.
Unter der Voraussetzung, dass Erkennen immer die Form eines Urteils (Aussage) hat, zeichnet sich hier die Unterscheidung zwischen Erkenntnisgrund (Grund der Wahrheit eines Urteils) und Sachgrund (Grund desjenigen, welches Gegenstand des Urteils ist) ab, d. h. aber auch, bereits im Anspruch des Satzes vom Grund liegt sowohl seine erkenntnistheoretische wie auch ontologische Bedeutung.
- 46.
SvG 17. Hervorhebung von mir.
- 47.
Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Neue Abhandlung über den menschlichen Verstand. Nouveaux essais sur l’entendement humain. Hrsg. von Wolf von Engelhardt und Hans Heinz Holz. (franz./deut.) (Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophische Schriften Bd. 3.1). Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, Buch II, Kapitel 21, § 13, S. 264/265. Vgl. auch Leibniz’ Brief an Remond, vom 19. Oktober 1716, Gerh. Philos. III, 678.
- 48.
Gottfried Wilhelm Leibniz, Opuscules et fragments inédits de Leibniz. Hrsg. von Louis Couturat. Paris: Alcan, 1903, S. 32. Übersetzung von Martin Heidegger, vgl. SvG 23.
- 49.
Vgl. Launs philosophiegeschichtlichen Abriss zum Begriff des Grundes, Laun, Der Satz vom Grunde §§ 40–73. Eine Kurzübersicht über einige Beweisversuche des Satzes vom Grunde findet sich auch bei Schopenhauer in VWSzG § 14.
- 50.
Die vorliegende Untersuchung verfolgt im Grunde dasselbe Ziel, nur ist der gewählte Weg ein anderer, nämlich der Weg, den Heidegger Ende der 1920er Jahre wählt. Die Frage, warum zum Sein des Seienden Grund gehört, wird von mir mittels Heideggers ontologischen Freiheitsbegriffs geklärt.
- 51.
Vgl. hierzu SvG 173 f.
- 52.
Vgl. Leibniz, Die Theodizee, § 44, S. 124 f.: „[D]as Prinzip des zureichenden Grundes [besteht darin; S.W.S.], daß niemals etwas ohne eine Ursache oder wenigstens ohne einen bestimmten Grund geschieht, d. h. ohne einen gewissen Grund a priori, warum etwas existiert und nicht lieber nicht existiert und warum es lieber auf diese als auf jede andere Weise existiert“. Der Satz vom Grund tritt häufig und vermutlich das erste Mal — nämlich in der antiken Philosophie — in der Gestalt des Kausalprinzips auf, welches vielleicht die wirkmächtigste Gestalt des principium rationis ist. Leibniz selbst betrachtet das Kausalprinzip als ein Korollar des Satzes vom zureichenden Grund (vgl. Gerh. Philos. VII, 289).
- 53.
SvG 46. Hervorhebung von mir.
- 54.
In Abschn. 1.3 werde ich noch genauer auf diese Einheitsstiftung eingehen.
- 55.
Laun, Der Satz vom Grunde, S. 54.
- 56.
Dies wird umso deutlicher, wenn man Leibniz’ Begriff der „adäquaten Erkenntnis“ (cognitio adaequata) heranzieht. Die adäquate Erkenntnis ist eine korrekte Identifizierung von etwas aufgrund der Kenntnis der hinreichenden Merkmale, die den Erkenntnisgegenstand auszeichnen. Die Kenntnis der Merkmale wiederum muss distinkt, d. h. deutlich und klar gegliedert sein. (Vgl. Leibniz, Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis, in: Gerh. Philos. IV, 422–426. Vgl. außerdem Heideggers Ausführungen zum Begriff der Erkenntnis bei Leibniz in MAL § 4.)
- 57.
Vgl. Leibniz, Die Theodizee, § 44
- 58.
Leibniz, Monadologie, § 33, S. 125.
- 59.
A.a.O., § 35, S. 125.
- 60.
A.a.O., § 37, S. 127.
- 61.
Ebd. Vgl. hierzu auch Leibniz, Auf Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade, § 8.
- 62.
Vgl. oben S. 13 f.
- 63.
SvG 87, Hervorhebung von mir.
- 64.
Siehe hierzu Heideggers Ausführungen in SvG 112–116: Den Zusammenhang zwischen dem Sein des Seienden und dem Grund expliziert Heidegger am Begriff der ratio. Für ratio gibt es die Übersetzungen „Vernunft“ und „Grund“, und da Vernunft nach Kant das Vermögen der Prinzipien ist, wird sie so zum Vermögen etwas als etwas vorzustellen. Kants transzendentale Methode besteht nach Heidegger im Überstieg über den Gegenstand zur Gegenständigkeit. Dieser Überstieg ist bei Kant zugleich der Einstieg in die Vernunft, „die dabei erst in ihrem grund-setzenden Wesen zum Vorschein kommt“ (SvG 114). Die transzendentale Methode besteht demnach im Zustellen des zureichenden Grundes für die Gegenstände und gewährleistet so die Gegenständigkeit der Gegenstände, d. h. das Sein des erfahrbaren Seienden. Damit untersteht Kants Methode dem Satz vom Grund. Zugleich kommt so das in der ratio (Vernunft) waltende principium reddendae rationis sufficientis zum Vorschein.
- 65.
Vgl. Immanuel Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis. (Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio). In: Werke in sechs Bänden, Bd. 1. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1975, S. 401–509, hier: S. 427.
- 66.
Hierbei wird deutlich, dass Kant in der Leibniz-Wolffschen Tradition steht. So z. B. an dem Umstand, dass Kants Analysen bei den beiden Leibniz’schen Vernunftprinzipen — dem Satz vom Widerspruch und dem Satz vom Grund — ihren Ausgang nehmen. Noch deutlicher aber in Kants Ausführungen zum Grund der Wahrheit (Erkenntnisgrund), nach denen ein Urteil (S ist P) dann wahr ist, wenn es in der Prädikation (Zuschreibung eines Prädikats) dem Subjekt einen Begriff zuschreibt, welcher bereits im Subjekt enthalten ist (vgl. Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 447) Wahre Urteile sind demnach — wie auch schon bei Leibniz — immer analytische Urteile.
Daneben kritisiert Kant aber auch wesentliche Punkte des Leibniz’schen System, etwa das Konzept der prästabilisierten Harmonie und seine Monadenlehre, nach der jede einzelne Substanz für sich ohne Wechselbeziehung zu anderen Substanzen steht.
- 67.
Vgl. Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 489.
- 68.
Ebd. Diese wechselseitige Gemeinschaft wiederum ist als eine Folge des Satzes des Zugleichseins fundiert im göttlichen Verstand (vgl. Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 497).
- 69.
Kant „beweist“ unabhängig und noch vor dem Satz der Aufeinanderfolge die Gültigkeit des Satz des bestimmenden Grundes, so dass diese die wechselseitige Gemeinschaft erst notwendig macht.
- 70.
Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 437.
- 71.
Vgl. a.a.O., S. 447 ff.
- 72.
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. (1. Auflage in: Akademie-Ausgabe, Bd. IV, S. 1–252; 2. Auflage in: Akademie-Ausgabe, Bd. III). Berlin: Reimer, 1911. Im Folgenden KrV. Die Zitation erfolgt nach der A- bzw. B-Auflage.
- 73.
Vgl. KrV A 6–10/B 10–14.
- 74.
Martin Heidegger, Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen. Hrsg. von Petra Jaeger. (Gesamtausgabe Bd. 41). Frankfurt am Main: Klostermann, 1984, S. 176. Im Folgenden FnD.
- 75.
Maximilian Forschner,,,Das Wesen der Erfahrungserkenntnis. Anmerkungen zu Kants Grundsätzen des Verstandes“. In: Kants Grundlegung einer kritischen Metaphysik. Einführung in die,,Kritik der reien Vernunft“. Hrsg. von Norbert Fischer. Hamburg: Meiner, 2010, S. 167–183, hier: S. 168.
- 76.
FnD 177. Kant selbst führt dies so zwar nicht aus, dennoch finden sich Indiz-Stellen in der KrV, die dies laut Heidegger stützen. Vgl. KrV A 7/B 10 und A 154 f./B 194. Vgl. außerdem Kants Streitschrift gegen Eberhard, Immanuel Kant,,,Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll“. In: Abhandlungen nach 1781. (Akademie-Ausgabe Bd. 8). Berlin: Reimer, 1923, S. 185–251, hier: S. 245.
- 77.
Vgl. KrV B 14 ff.
- 78.
KrV B 219. Die Verbindung zwischen der notwendigen Verknüpfung und der Zeit tritt in der Fassung des Prinzips nach der A-Auflage prägnanter hervor: „Alle Erscheinungen stehen, ihrem Dasein nach, a priori unter Regeln der Bestimmung unter einander in der Zeit.“ (KrV A 176 f.)
- 79.
Obgleich die Vorlesung FnD ihrem Untertitel gemäß sich mit den transzendentalen Grundsätzen in Kants KrV beschäftigt, werden die Analogien der Erfahrung insgesamt nur sehr knapp behandelt, insbesondere die zweite und die dritte Analogie werden lediglich angeschnitten. Mit diesen hatte sich Heidegger jedoch bereits fünf Jahre zuvor in der Vorlesung Vom Wesen der menschlichen Freiheit (GA 31) auseinandergesetzt. Dies unteranderem deswegen, weil sie eine notwendige Vorstufe für die Antinomien der reinen Vernunft, insbesondere für die Freiheitsantinomie darstellen. Auf diese Thematik werde ich aber in Kap. 2, Abschn. 2.3.5 „Kausalität und Freiheit“ eingehen, weshalb ich die Behandlung dieser Vorlesung, die in die metaphysische Periode Heideggers fällt, hier vorerst außen vor lasse.
Die Analogien der Erfahrung dienen in meiner eigenen Untersuchung zwei Funktionen. In Kap. 1 untersuche ich sie als Kants transzendentale Verwandlung des Satzes vom Grunde. In Kap. 2 wird ihre Bedeutung als Vorbereitung und Bedingung für die Freiheitsantinomie und damit für das kantische Verständnis der kosmologischen Freiheit analysiert.
- 80.
Hans Michael Baumgartner, Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Anleitung zur Lektüre. 5. Aufl. Freiburg/München: Alber, 2002, S. 88.
- 81.
Gerade auf diesen Punkt werde ich noch einmal in Kap. 2, Abschn. 2.3.5 eingehen.
- 82.
Für eine dezidierte Analyse der Analogien der Erfahrung und ihrer Beweise vgl. Peter Baumanns, Kants Philosophie der Erkenntnis. Durchgehender Kommentar zu den Hauptkapiteln der,,Kritik der reinen Vernunft“. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1997, S. 589–656.
- 83.
Es ist gerade ein Missverständnis gegenüber der kritischen Philosophie Kants ihn „konstruktivistisch“ zu interpretieren. Nicht erst gibt es sinnliche Data und dann kommen die reinen Verstandesbegriffe in einem zweiten Schritt hinzu, sondern Kant analysiert das einheitliche Phänomen der Erfahrung und hier sind Sinnlichkeit und Verstand immer schon miteinander verschränkt, beide sind gleich ursprünglich.
- 84.
Baumgartner, Kants „Kritik der reinen Vernunft“, S. 88.
- 85.
A.a.O., S. 89. Hier wird bereits ersichtlich, dass die beiden nachfolgenden Analogien in enger Verbindung zur ersten Analogie stehen. Um genau zu sein, handelt es sich bei den beiden übrigen Grundsätzen um konsequente Fortführungen der Ergebnisse des Grundsatzes der Beharrlichkeit.
- 86.
KrV A 182/B 225. Und eben weil jene Substanz nicht wechselt, kann ihr Quantum weder vermehrt noch vermindert werden. Diese Stelle kann als ein Indiz dafür herangezogen werden, dass Kant die Substanz mit einer nicht näher differenzierten Materie identifiziert. Vgl. hierzu Forschner,,,Das Wesen der Erfahrungserkenntnis“, 178 f.
- 87.
Baumanns, Kants Philosophie der Erkenntnis, S. 636.
- 88.
A.a.O., S. 619.
- 89.
KrV A 201/B 246. Vgl. hierzu auch KrV A 217/B 264 f.
- 90.
Vgl. Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus. Bd. 2. Leipzig: Kröner, 1925, S. 274.
- 91.
Baumanns, Kants Philosophie der Erkenntnis, S. 628. Baumanns selbst verweist an dieser Stelle auf KrV B 239 f.
- 92.
Baumgartner, Kants „Kritik der reinen Vernunft“, S. 90.
- 93.
Baumanns, Kants Philosophie der Erkenntnis, S. 643.
- 94.
A.a.O., S. 631.
- 95.
KrV A 218/B 266, Anm. 1. Die Bedeutung der Notwendigkeit der Wechselwirkung für die Gemeinschaft des Seienden hatte Kant bereits in seiner Habilitationsschrift betont (vgl. oben S.23).
- 96.
Baumanns, Kants Philosophie der Erkenntnis, S. 646.
- 97.
A.a.O., S. 649.
- 98.
Vgl. Melanie Klein, Love, guilt, and reparation, and other works, 1921–1945. London: Hogarth Press, 1975, S. 87, 188, 190 f., 227 f., 426 und 429.
- 99.
Jonathan Lear, Aristotle: the desire to understand. 20. Aufl. Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2007, S. 3. Erste Hervorhebung von mir.
- 100.
Lear, Aristotle: the desire to understand, S. 6.
- 101.
Vgl. ebd.
- 102.
Vgl. oben Abschn. 1.1, S. 3.
- 103.
Lear, Aristotle: the desire to understand, S. 7.
- 104.
Wolgang Röd,,,Grund“. In: Handbuch philosophischer Grundbegriffe. Hrsg. von Hermann Krings. Bd. 3. München: Kösel, 1973, S. 642–657, hier: S. 642 f. Röd bezieht sich hier auf Cassirers Philosophie der symbolischen Formen. Vgl. Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1969, 65 f.
- 105.
Röd,,,Grund“, S. 644.
- 106.
Dieser umfassendere Begründungszusammenhang ist es gerade, der eine Theorie auszeichnet.
- 107.
Röd,,,Grund“, S. 644.
- 108.
A.a.O., S. 645. Hervorhebung von mir.
- 109.
A.a.O., S. 651.
- 110.
Der Weltgedanke ist zwar nicht für alle möglichen Begründungsverhältnisse maßgeblich; jedoch bei jenen, in denen empirische Gegenstände involviert sind, eine notwendige Voraussetzung. Denn ich erinnere daran: empirisches Gegenstandsdenken kann nur als Denken innerweltlicher Verhältnisse objektiv gültig sein, und d. h. wirklichkeitsbezogen (vgl. oben S. 30).
- 111.
Riehl, Der philosophische Kritizismus, S. 271.
- 112.
A.a.O., S. 272.
- 113.
Vgl. a.a.O., S. 289. Das bedeutet, hinter dem principium rationis verbirgt sich nicht nur ein Begründungspostulat, sondern zugleich auch das Postulat der Kohärenz der Welt, hier allerdings noch verstanden als Inbegriff aller möglichen Erscheinungen. Genauer gesagt das Begründungspostulat wird erst durch das kosmologische Kohärenzpostulat ermöglicht.
- 114.
Vgl. a.a.O., S. 278.
- 115.
Siehe zu diesem Zusammenhang etwa Edmund Husserl, Analysen zur passiven Synthesis. Hrsg. von Margot Fleischer. (Husserliana Bd. XI). Den Haag: Nijhoff, 1966, ¡1. Abschnitt¿.
- 116.
Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit. 18. Aufl. Tübingen: Niemeyer, 2001, § 29. Im Folgenden SuZ.
- 117.
„Sinn“ in einem erweiterten Gebrauch bedeutet zunächst nichts Sprachliches; eine Handlung, ein Ereignis, eine Gebärde, ja sogar eine Anordnung von Dingen kann Sinn haben oder durch Sinnlosigkeit bzw. Widersinn charakterisiert sein. „Sinnhaftigkeit“ verstehe ich im Sinne des Ausdrucks „das macht Sinn“, d. h. also als Gegenstück zur Absurdität. Dieser Ausdruck kann zweierlei bedeuten: zum einen meint er, dass etwas nachvollziehbar, verständlich ist, zum anderen steht hinter diesem Ausspruch auch eine Bedeutungs- bzw. Wertzuschreibung. Das, was absurd ist, erscheint zugleich auch als wertlos. Diese Schlussfolgerung markiert ein Problem, mit dem sich Albert Camus prominent in seinem Essay Der Mythos des Sisyphos auseinandergesetzt hat.
- 118.
Vgl. seine Habilitationsschrift: Wolfgang Blankenburg, Der Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit. Ein Beitrag zur Psychopathologie symptomarmer Schizophrenien. Stuttgart: Enke, 1971, insbes. der Abschnitt „Das Weltverhältnis“, S. 78–88. Vgl. darüber hinaus: Wolfgang Blankenburg,,,Phänomenologie der Lebenswelt-Bezogenheit des Menschen und Psychopathologie“. In: Sozialität und Intersubjektivität. Phänomenologische Perspektiven der Sozialwissenschaften im Umkreis von Aron Gurwitsch und Alfred Schütz. Hrsg. von Richard Grathoff & Bernhard Waldenfels. München: Fink, 1983, S. 182–207, Wolfgang Blankenburg,,,Phenomenology and Psychopathology“. In: Phenomenology and Psychopathology 11.2 (1980), S. 50–78 und Wolfgang Blankenburg,,,Phänomenologische Epoche und Psychopathologie“. In: Alfred Schütz und die Idee des Alltags in den Sozialwissenschaften. Hrsg. von Walter M. Sprondel u. a. Stuttgart: Enke, 1979, S. 125–139
- 119.
Blankenburg, Der Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit, S. 71.
- 120.
A.a.O., S. 80.
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der zitierten Schriften Heideggers
Heidegger, Martin, Aristoteles, Metaphysik \(\Theta \) 1–3. Von Wesen und Wirklichkeit der Kraft. Hrsg. von Heinrich Hüni. 2., durchges. Aufl. (Gesamtausgabe Bd. 33). Frankfurt am Main: Klostermann, 1990.
Heidegger, Martin,,,Aus der letzten Marburger Vorlesung“. In: Wegmarken. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. 3. Aufl. (Gesamtausgabe Bd. 9). Frankfurt am Main: Klostermann, 2004, S. 79–101.
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Andere Quellentexte
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Aristoteles, Nikomachische Ethik. Hrsg. von Franz Dirlmeier. (Werke Bd. 6). Berlin: Akademie-Verlag, 1983.
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