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Formalismus und Antiformalismus in der Konstitution der Ethik: Husserl und Kant

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Book cover Husserl und die klassische deutsche Philosophie

Part of the book series: Phaenomenologica ((PHAE,volume 212))

  • 2030 Accesses

Zusammenfassung

Nach Kant vermag die Mathematik, die reinen Vermögen a priori auch der Vernunft aufzuzeigen. Selbst der so skeptische Hume, nach dem die Mathematik – wie Kant sagt – doch analytisch und nicht synthetisch a priori sei, musste das erkennen (Ak, 5, S. 7–8 und Fußnote, S. 13–14, 51–53). Die Mathematik lässt sich analytisch verstehen, insofern einige „wenige Grundsätze, welche die Geometer voraussetzen“, zwar „wirklich analytisch“ sind und „auf dem Satz des Widerspruchs [beruhen]; sie dienen aber auch nur wie identische Sätze zur Kette der Methode und nicht als Principien, z. B. a = a, das Ganze ist sich selber gleich, oder (a + b) > a, d. i. das Ganze ist größer als sein Theil“ (KrV, B 16–17). Es handelt sich um Sätze, die aus einem logisch-begrifflichen Gesichtspunkt als analytische Sätze verstanden werden, die aber „in der Mathematik nur darum zugelassen [werden], weil sie in der Anschauung dargestellt werden [können]“ (KrV, B 17). Dieser Passus ist symptomatisch: Das Begriffliche und das Anschauliche gehen hier gewissermaßen ineinander über, indem sie die Nützlichkeit der methodologischen Funktion analytischer Urteile und zugleich die Fruchtbarkeit ihrer Darstellbarkeit durch die Anschauung zutage fördern. Das ist der erste Grund, weswegen die Mathematik ein Vorbild für die Ethik sein kann. Denn die reine praktische Vernunft stellt sich ja, sofern sie ein Gegebenes ist, als eine Tat (Ak, 5, S. 3) dar, deren Begriff einer „vollständige[n] Zergliederung“ (Ak, 5, S. 9, Fußnote) bedarf; die reine praktische Vernunft ist ein Ganzes, das sich „nicht anders als von den Theilen derselben, ihrer genauen und vollständigen Darstellung“ (Ak, 5, S. 10) zu erkennen gibt.

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Notes

  1. 1.

    Selbst die „Idee der Freiheit“ war „ein analytischer Grundsatz der reinen speculativen Vernunft“ (Ak, 5, S. 48); vgl. auch Logik (Ak, 9, S. 14, S. 16, §§ 104–105, S. 35).

  2. 2.

    Auch deswegen, weil sein Begriff des Analytischen problematisch war, wie Husserl auch in Hua XIX/2, S. 732 behauptet.

  3. 3.

    Nach der Logik „dürfen [wir] unsre Reflexion nur auf die Merkmale richten, die als wesentliche Stücke ( constitutiva, rationes) den Grundbegriff [des Körpers] ursprünglich constituiren“ (Ak, 9, S. 61).

  4. 4.

    In Formale und transzendentale Logik behauptet Husserl, dass der Begriff der formalen Ontologie „in den Logischen Untersuchungen eingeführt worden war innerhalb der grundwesentlichen Scheidung zwischen formaler und materialer (sachhaltiger) Ontologie, bzw. zwischen den Reichen eines ‚analytischen‘ und „synthetischen“ (materialen) Apriori“ (Hua XVII, S. 16; vgl. auch §§ 15–25 und S. 93 Fußnote 1).

  5. 5.

    Husserl weist darauf in der Fußnote des § 7 in der dritten Logischen Untersuchung hin, wenn er von der „objektiv-ideale[n] Notwendigkeit des Nicht-anders-sein-könnens“ spricht (Hua XIX/1, S. 242–243), „einer reinen Wesensgesetzlichkeit“.

  6. 6.

    Wie im Paragraphen 2, Punkt b) der Prolegomena gesagt wird, sind „auch alle analytische Sätze Urteile a priori, wenn gleich ihre Begriffe empirisch sind, z. B. Gold ist ein gelbes Metall“ (Ak, 4, S. 267; vgl. auch KrV, B 749, 756).

  7. 7.

    Das Verständnis der Rolle und der Natur des materialen a priori setzt die Erörterung des Begriffs des Analytischen voraus, wie es aus den Auseinandersetzungen zwischen Schlick und Wittgenstein hervorgeht (Miraglia, 2006, S. 103; vgl. auch Costa, 1999, S. 127).

  8. 8.

    Über die Koexistenz von Kants und Bolzanos Begriff des Analytischen bei Husserl, vgl. Mira-glia, 2006, S. 117.

  9. 9.

    Der Möglichkeit, die Unterscheidung zwischen Analytischem und Synthetischem als relativ zu betrachten, mit Rückgriff auf Schleiermachers wie Sigwarts (aber auch Trendelenburgs, Erdmanns und Asters) positive Stellungnahmen dazu, widmet sich Ritzel, 1916, S. 9–14; vgl. auch S. 66–67; S. 71–73. Er wirft das Problem des Analytischen oder Synthetischen in Kants Beispiel ‚7 + 5 = 12‘ auch in Bezug auf Couturat (S. 80–81) wieder auf und behauptet die Notwendigkeit der in der „Wesenserkenntnis des Denkens“ fundierten phänomenologischen Sinnrechtfertigung eines Begriffs (S. 40). Über die Schwierigkeiten der Unterscheidung vgl. schon den Brief Kants an Schultz vom 25. November 1788 (Ak, 10, S. 556).

  10. 10.

    Kripke, 1980, S. 117–125 und die Fußnote 63.

  11. 11.

    Es handelt sich um einen 1903 veröffentlichten, im Bericht über deutsche Schriften zur Logik in den Jahren 1895–1899 enthaltenen Artikel, der dem von J. Bergmann 1895 in einer zweiten, überarbeiteten Auflage in Berlin veröffentlichten Buch Die Grundprobleme der Logik gewidmet ist.

  12. 12.

    Vgl. Hua XIX/1, S. 237, über „eine apriorische Notwendigkeit, in den reinen Wesen gründend“; vgl. auch S. 243–245. Wie Sowa, 2007, S. 13 ff., sagt, sind Wesen im von der deskriptiven Eidetik prägnanten Sinn reine Wesen, „Korrelate reiner Allgemeinbegriffe, wie sie insbesondere in reinen materialen Gesetzen oder materialen Wesensgesetzen auftreten und von diesen vorausgesetzt werden“ (S. 17); Beispiel sind die Grundbegriffe der reinen Geometrie und ihre material-apriorischen Gesetze, die frei von allem Empirischen, aber sachhaltige Gesetze sind (S. 18; vgl. auch S. 21, 23, 32). Einige dingliche oder ideelle Artefakte sind reine Begriffe; aber auch Handlungsbegriffe (z. B. „etwas versprechen“), die eidetisch deskriptive Aussagen und eidetische Theorien wie eine apriorische Handlungstheorie a priori möglich machen. In diesem Sinne sind „Begriffsklärungen und Begriffsexplikationen […] als ‚analytische‘ Aussagen (im ursprünglichen Kant’schen Sinne) […] immer nur Mittel zur Bildung intersubjektiv verständlicher wissenschaftlicher ‚synthetischer‘ Aussagen und Theorien“ (S. 34, Fußnote).

  13. 13.

    Vgl. auch Hua XIX/1, S. 293–295, mit besonderer Aufmerksamkeit auf den Anfang des Paragraphen 25. Wie Miraglia hervorhebt, spezifiziert sich das allgemeine Verhältnis zwischen dem Ganzen und dessen Teilen durch das besondere Verhältnis zwischen dem Ganzen und dessen Teilen, das die korrekten Beispiele des a priori Materialen charakterisiert (Miraglia, 2006, S. 111–112 und S. 113). Sie werden durch die Unterscheidung zwischen verbundenen und nichtverbundenen Teilen erkennbar, weil […] „solche a priori Verhältnisse einer Nichtunabhängigkeit und also keine Verbindungsverhältnisse der Teile beschreiben“ (Miraglia, 2006, S. 114 und Fußnote 38, S. 119).

  14. 14.

    Jodl, 1889, S. 64; vgl. auch S. 11–17; und Schuhmann, 1977, S. 241.

  15. 15.

    Zum Versprechen als materiales a priori vgl. Benoist, 2006, S. 56.

  16. 16.

    Vgl. Smith/Mulligan, 1982, S. 37, S. 41–48.

  17. 17.

    In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten sagt Kant: „Wer den Zweck will, will (so fern die Vernunft auf seine Handlungen entscheidenden Einfluß hat) auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist. Dieser Satz ist, was das Wollen betrifft, analytisch“ (Ak, 4, S. 417). Aber Husserl zitiert nicht, was Kant in Klammern setzt.

  18. 18.

    Im § 11 der Ideen I verweist Husserl selbst auf die sechste Logische Untersuchung, 2. Abschnitt, besonders auf § 46f.

  19. 19.

    Vgl. auch Hua XIX/2, S. 726–727.

  20. 20.

    Diese Vorlesung aus dem Wintersemester 1919/1920 ist im Manuskript F I 40 enthalten; Husserl verweist darauf in Hua XXXVII, S. 253–254.

  21. 21.

    In der Einleitung in die Philosophie kann man lesen: „([…] es besteht hier sogar das Merkwürdige, dass die bloße Form der Willensmotivation den ethischen Wert des Willens positiv bestimmt und nicht eine bloße Bedingung des ethischen Wertes ausmacht)“ (Hua Materialien IX, S. 136); und weiter: „Es ist für den Menschen als Vernunftwesen die Aufgabe, auch unserer Umwelt, die ja in eins mit unserem wirkenden Leben eine sich immer wieder neu gestaltende ist, die Form einer wahrhaft wertwollen Welt zu geben“ (Hua Materialien IX, S. 148).

  22. 22.

    Gerade in der Kritik der praktischen Vernunft erinnert Kant an Humes Stellungnahme gegenüber dem Begriff der Kausalität umfassend und ausführlich (Ak, 5, S. 52–57).

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Centi, B. (2014). Formalismus und Antiformalismus in der Konstitution der Ethik: Husserl und Kant. In: Fabbianelli, F., Luft, S. (eds) Husserl und die klassische deutsche Philosophie. Phaenomenologica, vol 212. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-01710-5_13

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-319-01710-5_13

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  • Publisher Name: Springer, Cham

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