Zusammenfassung
[Zedlitzgasse] Im Mai 1998 gelangte in einem weiener Auktionshaus eine schmucklose, kaum 40 seiten umfassende Handschrift zur Versteigerung. Aus dem Wiener Schachleben von Georg Marco ist ein unscheinbares Bändchen mit Aufzeichnungen des Autors aus dem Jahr 1896. An der Innenseite sind einige Artikel aus der Wiener Tagespresse eingeklebt. Das Manuskript mag hübsch sein für den, der altes Papier und das Verblassen von Tinte schätzt, aber es ist kaum von allgemeinem Interesse.
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Literatur
Landesfürstliches Patent unter Erzherzog Ferdinand vom 31. Mai 1529. Wiener Stadt-und Landesarchiv, Patente 1500–1599, Nr. 20.
Zit. nach Heinrich Maria Schuster: Das Wiener Stadtrechts-oder Weichbildbuch. Wien 1873, S. 67.
Zit. nach Manfred Zollinger: „... in der heilsamen Vorsorge erlassen“. Die Glücksspielgesetzgebung in der Habsburgermonarchie. In: Homo ludens, Bd. 2, 1992, S. 301–321.
Michael Ehn: Der Pfandner im spätmittelalterlichen Schachspiel. In: Kaissiber, Nr. 1, 1998, S. 65–72.
Glücksspielpatent Leopold I. vom 12. Oktober 1696. Wiener Stadt-und Landesarchiv
Johann Pezzl: Skizze von Wien. Wien, Leipzig 1787, S. 120; zit. bei Manfred Zollinger: Das Glücksspiel im 18. Jahrhundert in Wien. In: Homo ludens, Bd. 1, 1991, S. 149–170, S. 161.
Petrus Alfonsi: Disciplina clericalis, um 1100 [Die Kunst, vernünftig zu leben. Zürich, Stuttgart 1970, S. 152f.)
Christoph Weickhmann: New-erfundenes Grosses Königs-Spiel. Ulm 1664, S. 63.
Luis de Escobar 1545; zit. nach Marion Faber: Das Schachspiel in der europäischen Malerei und Graphik (1550–1700). Wiesbaden 1988, S. 101.
Zit. ebd., S. 107.
Siehe die Spielepassage in Giordano Bruno: Der Kerzenzieher. Hrsg. von Sergius Kodera. Hamburg 2003, S. 80 (3. Akt, 8. Szene).
Joachim Perinet: Annehmlichkeiten in Wien. Wien 1778, S. 15ff.
Franz Gräffer zit. nach Gustav Gugitz: Das Wiener Kaffeehaus. Ein Stück Kultur-und Lokalgeschichte. Wien 1940, S. 57.
Zit. nach Bruno Schimetschek: Der österreichische Beamte. Geschichte und Tradition. Wien 1984, S. 112.
Zit. nach Antonius van der Linde: Geschichte und Litteratur des Schachspiels. Bd. 1. Berlin 1874, S. 419. Ein heute nicht ohne Weiteres verständlicher ironisch verwendeter Terminus aus der Sprache der Freimaurer im Originaltext (Stuhl-statt Schachmeister) wurde korrigiert.
Jean Charles: Wien und die Wiener. Stuttgart 1840, S. 78.
Heinrich Wolf: Im Schach-Café. In: Kagans Neueste Schachnachrichten, 1926, S. 179f.
Hans Kmoch: Wahre Centraigeschichten. In: Wiener Schachzeitung, 1931, S. 60.
Milan Vidmar: Goldene Schachzeiten. Erinnerungen. Berlin 1961, S. 45.
Siehe Anton Pick: Zur Geschichte der Israelitischen Kultusgemeinde. In: Klaus Lohrmann (Hrsg.): 1000 Jahre österreichisches Judentum. Eisenstadt 1982, S. 112–133.
Georg Marco: Wiener Schach-Klub. In: Wiener Schachzeitung, 1910, S. 153.
Vidmar: Goldene Schachzeiten, a. a. O., S. 45.
Zur Geschichte des Judentums und des Schachspiels bis zum 18. Jahrhundert vgl. bes. die dreibändige Arbeit von Victor Keats: Chess, Jews and History. Oxford 1994/95; dazu den Essay von Moritz Steinschneider: Schach bei den Juden. In: van der Linde: Geschichte und Litteratur des Schachspiels, a. a. O., S. 155–202. Bereits 1911 meldete sich Schachweltmeister Emanuel Lasker zur „besonderen Begabung“ der Juden zu Wort: „Die meisten werden unbedenklich antworten, daß die Juden vermöge ihrer hohen Intelligenz für eine Betätigung des Verstandes, wie das Schachspiel, vorzugsweise geeignet seien. Sie werden entweder freudestrahlend oder achselzuckend, je nach dem Maße der Sympathie, die sie den Juden gewähren, hinzufügen, daß die Juden den Christen in dem Punkt nun einmal überlegen sind. [...] Solch ein Urteil schlüge den Tatsachen ins Gesicht. Der Jude ist gewiß nicht intelligenter als der Christ.“ Intelligenz im Schachspiel ist für Lasker Urteilsvermögen, das auf Gedächtnis und Fantasie beruht. „Im Gedächtnis ist eine Menge von Tatsachen aufgestapelt, die falsch oder richtig beobachtet worden sind. Sind diese Tatsachen übersichtlich und im richtigen Kausalverhältnis geordnet, so ergibt sich daraus ein gutes Urteilsvermögen. Wer aber wenig oder irrig aufgefaßte Tatsachen in sich aufgenommen hat, hat ein schlechtes Urteil. Die Juden haben nun Vorfahren, die die Welt der Tatsachen in sehr falschem Licht gesehen haben. Das Ghetto war kein günstiger Beobachtungsposten. Daher ist ihr Urteil, so weit sie es ererbt haben, schwach. Und auch ihre Fähigkeit zur Beobachtung, weil wenig geübt, steht auf niedriger Stufe.“ Die spekulative Fantasie sei nach Lasker bei den Juden jedoch eine „kräftige“, da sie aus der Not geboren ist: „Jede unterdrückte Nation hat mehr Phantasie als die Unterdrückerin, denn sie hat eine Sehnsucht mehr als jene. Die treibende Kraft der Phantasie ist der Wille. Jede Not, die man zu beseitigen trachtet, regt die Phantasie an, die Sattheh, das befriedigte Verlangen gebrauchen die Einbildung nicht.“ Pester Lloyd, 8. Oktober 1911
Wiewohl nie religiös, hatte Steinitz zeitlebens ein sehr bewusstes Verhältnis zu seinem Judentum. Die Jewish Chronicle von 1899 berichtet über ihn, dass er bereits im Alter von 13 Jahren ein hervorragender Talmudkenner gewesen sei, dem Wunsch seiner Eltern, Rabbiner zu werden, wollte er jedoch nicht nachkommen. Zunächst siegte sein Talent für Mathematik über den Talmud, und er ging 1858 nach Wien, um ein Studium am Polytechnischen Institut zu absolvieren. Bald gewann allerdings die Leidenschaft für das Schachspiel die Oberhand über die Mathematik, er wurde Schachlehrer von Rothschild und ab 1860 Berufsspieler. In Wien begann Steinitz an einem Text über das „Judentum im Schach“ zu schreiben, der ein Gegenstück zu Richard Wagners antisemitischer Schrift Das Judentum in der Musik werden sollte. Der Text blieb Fragment, doch ein Artikel von Steinitz für die New York Sun 1898 gibt Auskunft über die Stellung Steinitzs zum Judentum und über seine Bewunderung für Amerika, das Land, das dem Antisemitismus keinen Nährboden gab: „The oldest and purest breed of mankind is probably that of the Jews. Without political power they were able to preserve their morals through the ages of persecution. [...] Considering their small number and distribution in all parts of the world, their success in all walks of life in all countries, but more especially under free and tolerant institutions, is marvellous. [...] All parties of this country are now proud of the triumph of humanity and tolerance over race prejudice and selfishness, and perhaps no more bloodshed may be necessary in the fight of different views about the principle of life.“ Bei seinen mehrfachen Aufenthalten in Wien 1896–1898 beschäftigte sich Steinitz intensiv mit den antisemitischen Strömungen der Zeit. In seinen späten Schriften entwarf er Gegenstrategien, die auf eine Verbesserung der sozialen Situation in Österreich abzielten. Kernpunkte seines Vorschlags an den Reichstag bildeten die Einführung einer neuen, sozial orientierten Wirtschaftsform, eine Neuorganisation der Wohlfahrt und eine Solidarabgabe der Großindustrie zur Finanzierung von zinslosen Krediten für Klein-und Kleinstunternehmer. Anlässlich des großen internationalen Wiener Turniers 1898 berichtet A. Kalmann über ihn: „Aus kleinen und beengten Verhältnissen kam er, [...] noch heute erfüllen ihn die Ideale seiner Jugend. Für Menschenrecht und Menschenglück kämpft der edle Schwärmer bis zur Stunde, immer an andere denkend, sich selbst darüber gänzlich vergessend. Er nennt sich mit Stolz einen Juden und nichts betrübt ihn mehr, als das Anwachsen der Wiener antisemitischen Bewegung, welche ihn, den freien Bürger Nordamerikas, persönlich eigentlich gar nicht berührt. Sie bildet den Schmerz seines Lebens.“ A. Kalmann: Die Juden und das Schachspiel. In: Dr. Blochs Wochenschrift, Nr. 30, 1898, S. 559f.
Franz Gutmayer: Optik im Schach oder: Der militärische Blick. Erster Kommentar zu Paul Morphy. Innsbruck-Mühlau 1917, S. 104.
Franz Gutmayer: Die Geheimnisse der Kombinationskunst. Leipzig 31922, S. 98.
Paraphrasen auf diese Modernismus-und Kapitalismuskritik aus vormoderner Perspektive finden sich in allen Gutmayer-Werken. Einige Passagen seien zitiert: „Die Dekadenten mißbrauchen das Schach zu verächtlichen Zwecken: zu Gelderwerb, Titelschindereien [...] Diesen königlichen Vogel mißhandeln, verstümmeln sie ganz jämmerlich: reißen ihm die Flügel aus, stutzen ihm den Schweif, kastrieren ihn — machen ein dummes Haustier daraus, das ihnen schlechte Milch und zähes Fleisch liefert, diese Asiaten und Idioten!“ „Eine Herde Schweine hat sich im Garten der Kunst in die Sonne, an die schönsten Plätze hingerekelt. Nun stinken, grunzen und rülpsen sie nach Herzenslust. Tod und Verdammnis, man muß diese häßlichen Tiere abstechen und die Kunst an dieser übelriechenden Rasse rächen.“ „Es sind lauter Judasse, die für ein paar Silberlinge, d.h. für einen Bauern diese verraten, verkaufen, ausliefern und preisgeben. [...] Woran fehlt es ihnen zuletzt? An dem Gewissen, dem Stolz, dem Ehrgeiz des Künstlers! Sie wollen in allererster Linie Geld verdienen, Honorare, Diäten einstreichen. [...] Sie sind vor allem — Geschäftsleute, Sportmenschen. Der Teufel hole den verfluchten Mammon, der alle Verhältnisse verdirbt und zerstört und den Verfall in die höchsten Institutionen, in die edelsten Künste noch hineinträgt.“ „Da wird lang und breit unterhandelt, über pekuniäre Bedingungen gemäkelt und gefeilscht. [...] Freilich Lasker ist Israelite. Er hat den Geschäftssinn seiner Rasse, aber nicht ihre Abgebrühtheit.“ „Selbst der größte Schachjude mit der stinkigsten Spielweise fühlt das Bedürfnis, seinen schmutzigen Stil weiss anzustreichen. Er nennt ihn logisch-konsequent, wissenschaftlich und macht den Kunststil als unsolide verächtlich. Diese Scheinheiligkeit ist hier-Kreditnotwendigkeit. Er muß ein sauberes Kleid anziehen. Nackt würde er sich zu hässlich ausnehmen — wie ein Affe, der die anderen — laust.“ „[...] aber zu den Geldmenschen, zu dieser übelriechenden Rasse von Allzuvielen rede ich nicht. Sie gingen mir immer wider den Geschmack, auch wenn sie unter falscher Maske, in Verkleidung als Weltmeister und Großmeister auftreten. Die Schachkunst soll frei bleiben von schmutziger, unsauberer Geldgier.“ Der faschistische Jargon Gutmayers von Schmutz und Sauberkeit, seine biologistische Metaphorik bedarf keiner weiteren Interpretation. Steinitz und Lasker sind ihm „Bandwürmer“, „Perverse“, „Kamele“, „Blattläuse“, „Bazillen“, „Wahnsinnige“, „Systemkrüppel“, „Schweine“, „Verarmer wahrer, echter Schachkunst“, „Raupen, häßliche Tiere“, ihre Partien sind „stinkiger Kohl“.
Franz Gutmayer: Die große Offensive am Schachbrett. Innsbruck-Mühlau 1916, S. 9.
Franz Gutmayer: Die Geburt des Überbauern oder: Eroberung des Brückenkopfes und Stromübergang. Innsbruck-Mühlau 1916, S. 156.
E._ Weiszmann: Entwicklungsstufen. In: Arbeiter-Schachzeitung, Nr. 8, 1922, S. 2.
Hans Thanhofer: 10 Jahre Deutscher Schachverein Wien (1920–1930). Wien 1930, S. 47.
Akim Lewit: Schach. In: Arthur Baar (Hrsg.): 50 Jahre Hakoah 1909–1959. Tel Aviv 1959, S. 201.
Vgl. Michael Ehn: Die Familie Spielmann — eine österreichische Tragödie. In: ders. (Hrsg.): Rudolf Spielmann. Portrait eines Schachmeisters in Texten und Partien. Koblenz 1996, S. 79–91.
Deutsche Schachblätter, 1938, S. 99.
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Strouhal, E. (2009). Luftmenschen. In: Umweg nach Buckow. Edition Transfer. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-75732-1_21
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