Auszug
Der moderne Staat kennzeichnet sich noch immer als „Territorialstaat“, dh als eine politische Ordnung, die ein abgegrenztes Stück Boden mit unentrinnbarer und höchster Macht beherrscht.37 Nur dem Eingeweihten wird dabei bewusst, dass in der mittelalterlichen Kategorie der „Landeshoheit“ — die dem modernen Begriff der Souveränität im „Staatsgebiet“ entspricht — ein tragendes Element des mittelalterlichen Staatsrechtes mitschwingt, in dem das „Land“ eine zentrale politische Ordnungskategorie bedeutete.38 Durch viele Jahrhunderte verkörperte nämlich das „Land“ die konkrete, auf Boden und Volksstamm bezogene Rechts- und Herrschaftsordnung, über die sich die universale, übernationale und übergeschichtliche Ordnung des „Reiches“ spannte. Entsprechend den damaligen Repräsentationsvorstellungen wurde das Land und seine Bewohner von den Ständen — den meliores ac maiores terrae — verkörpert und in die politische Großordnung des Reiches eingefügt. Bis ins 19. Jahrhundert war der Begriff „Nation“ daher für die österreichischen Länder — insbesondere auch für Tirol — durchaus üblich und entsprach dem Landes-, Volks- und Geschichtsbewusstsein der Tiroler.39
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Sowohl in der Völkerrechtspraxis als auch in der Staatslehre ist die klassische Definition des Staates durch die drei Elemente „Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt“ nach Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (19143) 394 ff, nach wie vor die herrschende Auffassung.
Otto Brunner, Land und Herrschaft (1965)5 165 ff.
Peter Pernthaler, Die Präambel, aaO 148.
Insbesondere in Österreich blieb das „patrimonium“ — eine Art Grundherrschaft des Monarchen über sein Staatsgebiet — bis zuletzt der eigentliche rechtliche Einheitsgrund der Staatsgewalt (und der Verfassung!); siehe Peter Pernthaler, Das Staatsoberhaupt in der parlamentarischen Demokratie, VVDStRL 25 (1967) 100 ff
Vgl dazu Art 6 Abs 2 und 3 B-VG; Art 25 des Autonomiestatutes in der Fassung des Verfassungsgesetzes Nr 2/2001.
Roland Riz/ Esther Happacher Brezinka, Grundzüge des italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler Autonomie (20042) 245 und 248.
Art 132 der italienischen Verfassung; Roland Riz/ Esther Happacher Brezinka, aaO 245.
Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich (1984) 62.
Art 2 Abs 2 B-VG; zur Unaufhebbarkeit der österreichischen Bundesländer vgl Peter Pernthaler/ Fried Esterbauer, Die Entstehung des österreichischen Bundesstaates als geschichtlicher Vorgang und staatstheoretisches Problem, Montfort 1973, 128 ff; Peter Pernthaler, Die Konstituierung des Bundesstaates Österreich aus der Sicht der selbständigen Länder Tirol und Vorarlberg, FS Grass (1974) 725 ff.
Peter Pernthaler, Die Stellung der Länder in der Bundesverfassung, in FS 75 Jahre Bundesverfassung (1995) 659 ff, 661 f.
Dekret des Präsidenten der Republik (DPR) Nr 670/1972 in der Fassung des Verfassungsgesetzes Nr 2/2001 (Statutsnovelle).
Herbert Miehsler, Das Gruber-De Gasperi-Abkommen und seine Auslegung, in: Franz Huter, Südtirol. Eine Frage des europäischen Gewissens (1965) 385 ff, 401.
Herbert Miehsler, aaO 401 ff.
Vgl Art 25 des Autonomiestatuts in der Fassung des Verfassungsgesetzes Nr 2/2001.
Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie von konkordanzdemokratischen Garantien zur territorialen „Selbstbestimmung“ in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 69 ff.
Vgl dazu Gabriel N. Toggenburg, Europas Integration und Südtirols Autonomie: Konfrontation — Kohabitation — Kooperation?, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 448 ff.
Karl Weber, Wirtschaftseinheit und Bundesstaat, in: FS Klinghofer, ÖZOR-Supplementum 10 (1988) 141 ff.
Vgl Hans Marti, Urbild und Verfassung (oJ); Dietrich Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur4 (1967) — vor ihm wurde der Begriff „ambiance“ geprägt (94) und vor allem Martin Usteri, Das Konzept eines modernen, menschengerechten Gemeinwesens, in: FS Kägi (1979) insb 406 f; Werner Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates (1945; Neudruck 1971); Kurt Eichenberger, Der Staat der Gegenwart (1980) uva.
Hans R. Klecatsky, Region und Landschaft, in: FS Hellbling (1981) 241 ff; Karl Schmid, Versuch über die schweizerische Nationalität, in: Aufsätze und Reden (1957) 9 ff; Emil Egli, Mensch und Landschaft (1975); ders, Geborgenheit im Raum — Marginalien zum Begriff der Heimat, in: Landschaft und Mensch. Abhandlungen der Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung Bd 6 (1981).
Georg-Christoph von Unruh, Land, Landschaft und Heimat im deutschen Verfassungsrecht, Bayerisches Verwaltungsblatt 2004, 365 ff.
Martin Usteri, Die Unverwechselbarkeit der schweizerischen Eidgenossenschaft und die Grundnormen für Revision und Auslegung der Bundesverfassung, in FS Nef (1981) 299 ff.
Ursprünglich ein Prinzip der Forstwirtschaft; siehe Bach/ Pevetz/ Mayr/ Eckmüller/ Wimmer, Fortschritt und Bewahrung. Über das Problem der Dauer und Nachhaltigkeit in der Land-und Forstwirtschaft (1969); zur neuen Erkenntnis des uralten Prinzips der (ökologischen) Nachhaltigkeit siehe Christoph Binswanger/Werner Geissberger/Theo Ginsburg (Hg), Wege aus der Wohlstandsfalle. Der „NAWUReport“ (1979) 261 ff; vgl dazu auch die Verankerung der „Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen“ und des Nachhaltigkeitsprinzips in der neuen Schweizer Bundesverfassung 1999 (Präambel und Art 2).
Rights and permissions
Copyright information
© 2007 Springer-Verlag/Wien
About this chapter
Cite this chapter
(2007). Tirol als Land im Rechtssinn. In: Die Identität Tirols in Europa. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-73754-5_4
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-211-73754-5_4
Publisher Name: Springer, Vienna
Print ISBN: 978-3-211-73753-8
Online ISBN: 978-3-211-73754-5
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)