Auszug
„Traum: Nach Japan fahren.“1 Als Yves Klein 1952 im Alter von 24 Jahren im Hafen von Yokohama Fuû auf japanischen Boden setzte, erfüllte er sich damit einen Traum, den er bereits fünf Jahre lang durch sein Judotraining genährt hatte. Obwohl behauptet wurde, dass er während seines folgenden 16-monatigen Aufenthalts in Japan an nichts außer Judo Interesse gefunden hätte, soll dieser Aufsatz darlegen, dass er die visuelle und künstlerische Kultur Japans gar nicht ignorieren hätte können. Er kannte nicht nur die Themen und Probleme, die seine Künstlereltern untereinander und anlässlich ihrer Montagssalons besprachen, sondern wurde in Japan durch elterliche Kontakte auch buchstäblich von der ersten Minute an in die ansässige Kunstwelt eingeführt. Auf Grundlage der Tagebucheintragun gen und Aufsätze, die Klein in Japan und danach verfasste, untersucht der vorliegende Aufsatz die philosophische und ästhetische Bedeutung (des realen sowie des imaginierten) Japan für den Künstler.
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Literature
Yves Klein, „Jeudi 24 Janvier 1952“, in: 1952–53 Journal de Paris, Voyage Japon et Extrême-Orient, Yves Klein Archives, Paris
Mehr zu Blattgoldstellschirmen bei Bettina Klein, „Japanese Kinbyôbu: The Gold-leafed Folding Screens of the Muromachi Period (1333–1573)“ in: Artibus Asiae, 45, 1, 1984, S. 5–34. Klein war mit dem Vergolden durch seinen Freund Claude Pascal vertraut. Obwohl es während seines Aufenthalts in London 1949 bis 1959 seine vordringlichsten Ziele waren, Englisch zu lernen und Judo im Budôkai zu trainieren, verschafften ihm seine Eltern eine Arbeit in einer Rahmenhandlung, wo er das Vergolden lernte. Er half sogar bei der Dekoration der Londoner Oper im Covent Garden für den Staatsbesuch des französischen Präsidenten. Dickie Bowen, Telefongespräch mit der Autorin am 05.06.2003.
3 Ôgata Kôrin war für seine Blattgold-extravaganzen bekannt. Er hat angeblich Blattgold in einen Fluss geworfen und ließ für seine Picknickgäste vergoldete und mit Sake beladene Zweige einen Strom hinunterschwimmen.
Segi Shinichi beschreibt, wie er Klein in die gyotaku-Drucke einführte, bei denen Fische mit Tusche beschmiert und auf ein Blatt Papier gedruckt werden. Da gyo („Fisch“) fast homonym zu jyo („Frau“) ist, lachten Segi und Klein lange über die Möglichkeit, jyotaku-Drucke zu machen, was Klein später tatsächlich verwirklichte. Shinichi Segi, „Le réaliste de ľimmatériel“ in: Yves Klein, Paris, 1983, S. 84.
Yôga bedeutet wörtlich „westliche Malerei“. Mit diesem Ausdruck bezeichnet man in Japan gewöhnlich die Ölmalerei. Uemura gehörte zu einer Gruppe von 150 Künstlern und Kritikern, die 1946 die Vereinigung für bildende Kunst Japans gründeten, eine politisch links orientierte Bewegung, die sich mit der Kriegsverant-wortung auseinandersetzte. Als Idealist, der an den Individualismus als Mittel gegen totalitäre Politik glaubte, sympathisierte Uemura mit der Avantgarde der Taishô-Zeit (1911–1925).
Yves Klein „Mardi 23 arrivé — Yokohama“, in: Séjour au Japan, Notizbuch, Écrits YK Originaux dessins, Mappe 21, Yves Klein Archives, Paris
Mardi 23 arrivé — Yokohama“, in Séjour au Japan, Notizbuch, Écrits YK Originaux dessins, Mappe 21, Yves Klein Archives, Paris Ebd.
Mardi 23 arrivé — Yokohama“, in Séjour au Japan, Notizbuch, Écrits YK Originaux dessins, Mappe 21, Yves Klein Archives, Paris Ebd.
Yves Klein, „24 Septembre 1952. Mercredi“, in: Séjour au Japan, Notizbuch, Écrits YK Originaux dessins, Mappe 21, Yves Klein Archives, Paris zit. Anm. 6
24 Septembre 1952. Mercredi“ in: Séjour au Japan, Notizbuch, Écrits YK Originaux dessins, Mappe 21, Yves Klein Archives, Paris Edb.
Da Kleins Vater Niederländer war, wurde die Ausstellung von Vertretern der französischen sowie der niederländischen Botschaft gefördert.
Mehr über Takiguchi Shûzô in: Toyama Museum of Modern Art (Hg.), Shuzo Takiguchi: Plastic Experiments, Toyama 2001.
Nachdem sie sich in Paris zufällig wiedergetroffen hatten, blieben Segi und Klein Freunde. Segi behauptet, Klein 1957 über die Idee der Leere im Zen in Kenntnis gesetzt zu haben. Segi Shinichi, Interview mit der Autorin, aufgenommen auf Minidisc, Tokio, 16.05.2001.
Trotzdem wollte Klein nicht mit ihnen verglichen werden, besonders nicht mit Shiraga Kazuo In Seinem Manifeste de ľhôtel Chelsea (1961) schreibt er: „Um nur ein Beispiel für die falschen Darstellungen der Anthropometrien zu bringen, die sich in den Berichten der internationalen Presse über mich finden: Eine Gruppe japanischer Maler wandte diese Methode eifrig auf ihre eigene, sehr unterschiedliche Weise an. Diese Maler haben sich tatsächlich in lebende Pinsel verwandelt. Indem sie sich in Farbe tauchten und dann über die Leinwand rollten, wurden sie Ultra-Action-Painterl Ich persönlich würde niemals versuchen, Farbe auf meinen Körper zu schmieren und so zu einem lebenden Pinsel zu werden; ganz im Gegenteil, eher würde ich meinen Smoking und weiße Handschuhe anziehen.“ In: Marie-Anne Sichère, Didier Semin (Hg.), Yves Klein. Le dépassement de la problématique de ľart et autres écrits, Paris 2003, S. 307 (künftig zitiert als Écrits). Shiragas erste Fußgemälde datieren aus 1954.
Auf der Liste stehen Asazuma Jirä (Maler), Komai Tetsuri (Radierer), Koyama Keizo (Maler), Ohkoti Nobuhiro (Nihonga-Maler), Shonosuke Mikoumo (Maler), Suematsu Masaki (Maler), Suzuki Chikuma (Maler), Tanaka Tadao (Maler) sowie Wakita Kazuo (Maler). Séjour au Japan, Notizbuch, Écrits YK Originaux dessins, Mappe 21, Yves Klein Archives, Paris zit. Anm. 6
Uemura war Mitglied des Herausgeberrats der Zeitschrift des Verbands japanischer Kunst namens Bijutsu Undô (“Kunstbewegungen”). Mit ihrer Ablehnung der offiziellen Salons richteten sich er und seine Kollegen gegen das militaristische Regime der Kriegszeit.
Judo basiert auf jû-jutsu, einer Nahkampftechnik der Samurai. Diese erlangte während der späten Heian-Dynastie mit dem Aufstieg der Bushi-(Krieger-)Klasse Bedeutung. Nach der Meiji-Revolution 1868 gab diese Schule ihre Betonung militärischer Techniken auf, nahm eine philosophischere Perspektive ein und benannte sich in jûdô um. jû bedeutet “sanft” und ist der erste Wortteil sowohl von jû-jutsu als auch von jûdô. Jutsu wiederum bedeutet „Kunst“ oder “Fertigkeit“, während dô „Pfad“ oder „Weg„ bedeutet. jû-jutsu kann demnach mit „sanfte Geschicklichkeit“ bzw. jûdô als „sanfter Weg“ übersetzt werden, wobei jûdô ein ethisches Verhaltenssystem betont.
Dô ist sowohl in jûdô als auch in Kôdôkan die japanische Aussprache des chinesischen dao. Kôdôkan bedeutet “Schule, um den Weg zu lernen”.
Mehr über kiai bei Ernest-John Harrison, The Fighting Spirit in Japan and Other Studies, London 1914
Yves Klein, «Réflexions sur le Judo, le Kiaï, la Victoire Constante» («Gedanken über das Judo, das Kiai, den permanenten Sieg»), unveröffentlichtes, undatiertes Manuskript, Yves Klein Archives, Paris
Yves Klein, «Réflexions sur le Judo, le Kiaï, la Victoire Constante» («Gedanken über das Judo, das Kiai, den permanenten Sieg»), unveröffentlichtes, undatiertes Manuskript, Edb.
Réflexions sur le Judo, le Kiaï, la Victoire Constante» («Gedanken über das Judo, das Kiai, den permanenten Sieg«), unveröffentlichtes, undatiertes Manuskript, Yves Klein Archives, Paris Ebd., Streichungen im Originalmanuskript
Diese Idee wurde erstmals 475 von Xie He formuliert. Vgl. Xie He, «Liufa» («Die sechs Gesetze der Malerel»), in: Some Tang and Pre-Tang Texts on Chinese Painting, ins Englische übersetzt und herausgegeben von William Acker, Leiden 1954, S. 3–5. Sein erstes Malereigesetz «geistige Resonanz, d. h. Vitalitôt»—ist im Laufe der Geschichte unterschiedlich interpretiert worden, nômlich einmal als formales. Mittel, das die Gefühle eines Malers bezüglich seines Sujets festhôlt, als Charakter des Malers oder sogar — in der Ming-Dynastie — als «Essenz» eines anderen Malers aus der Geschichte. Vera Linhartová hat die Überlieferung der Vorstellung von geistiger Resonanz bis zum Text Honchô taiden (1690) von Tosa Mitsuoki (1616–1691) zurückverfolgt. Vgl. Vera Linhartová, Sur un fond blanc («Auf weißem Hintergrund»), Paris 1996. Der Begriff wurde in Japan mit dem Aufschwung der literati im Japan der Edo-Zeit-im 18. Jahrhundert gelôufig. Vgl. Joan Stanley-Baker, The Transmission of Chinese Idealist Painting to Japan, Ann Arbor 1992.
Yves Klein, Esquisse de scénario: La Guerre (de la ligne et de la couleur) ou (vers la proposition monochrome), un film de Yves Klein («Drehbuchskizze: Der Krieg [zwischen Linie und Farbe] oder [zum monochromen Vorschlag hin], ein Film von Yves Klein») unveröffentlichtes Manuskript, 1954, Yves Klein Archives, Paris. Diesem Urmanuskript folgten mehrere Schreibmaschinenfassungen, die im Jahr 1958 oder spôter entstanden und 1960 als Beitrag in seiner fiktiven Zeitung Dimanche. Le journal d’un seul jour («Sonntag. Die Zeitung eines einzigen Tages», 27. November 1960) veröffentlicht wurden. Diese Fassung wurde ohne Abbildungen gedruckt. Klein schreibt: «Die Farbe wird von der zu Schrift werdenden Linie unterjocht. Von einer falschen Wirklichkeit, der physisch figurativen Wirklichkeit. Die Linie organisiert sich selbst im eroberten Gebiet. Ihr Ziel: die Augen des Menschen für die ôußere materielle Welt, die ihn umgibt, zu öffnen und den Menschen auf den Weg zum Realismus zu bringen. Weit drinnen im Menschen zieht sich seine ihm verlorene innere Vision zurück, kann ihn aber nicht ganz verlassen. An ihrer statt entsteht eine Leere, die für die einen grauenhaft, für die anderen erschütternd oder wunderbar romantisch ist, und breitet sich aus, um das innere Leben zu werden — die von der Gegenwart der Linie zerrissene Seele.« Abgedruckt als Faksimile in: Écrits, S. 29
Die „wenigen Beispiele in den zeitgenössischen Schulen japanischer Kalligrafie“, die Klein gemeint haben könnte, waren wahrscheinlich entweder der Begründer der Sogetsu-Avantgarde-Ikebanaschule Teshigahara Sôfû oder die Avantgardekalligrafen des Bokujin-kai, einer Gruppe, die 1952 in Kioto gegründet wurde. Deren herausragende Mitglieder Inoue Yuichi (1916–1985) und Morita Shiryü (1912–1998) füllten den Bildtrôger oft mit einem Tuschegewirr, was ihre Arbeiten völlig unleserlich machte.
Yves Klein, zit. Anm. 24
Der Katalog befindet sich im Yves-Klein-Archiv, Paris. Die Mingei-Bewegung ist eine von Yanagi Sôetsu (1889–1961) ins Leben gerufene Folklorebewegung.
Der (in schlechtem Englisch geschriebene) Vermerk zum Buch besagt: «Wenn Sie Interesse haben, werde ich Sie mit MUNAKATA bekanntmachen.„ Unterschrieben wurde er mit Akira. Erist mit 18. Dezember 1959 datiert, das Buch jedoch mit 18. Dezember 1953. Sehr wahrscheinlich ist, dass Klein das Buch am 18. Dezember 1953 anlôsslich der Erlangung seines schwarzen Gürtels des vierten Dan geschenkt bekam, da die entsprechende Urkunde dasselbe Datum trôgt. Da in Japan auch nach dem Krieg noch der Kalender des Kaiserreichs gültig war (der auf dem kaiserlichen Regent-schaftsjahr beruht), ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Kleins Freund Akira sich bei diesem Vermerk im Jahr verrechnet hat.
In: Yojuro V. Yasuda, Oliver V. Statler (Hg.), Shikô Munakata, Rutland 1958, S. 65.
Oliver V. Statler (Hg.), Shikô Munakata, Rutland 1958 Ebd, S. 5
Yves Klein, «Conférence à la Sorbonne», Manuskript, datiert mit 03.06.1959, Yves Klein Archives, Paris, in: Écrits, S. 144–145
Diese Unterscheidung gab Klein die Möglichkeit, sich von seinem Rivalen Georges Mathieu kritisch zu distanzieren.
Yves Klein, «Préparation et présentation de ľexposition du 28 avril 1958 chez Iris Clert» («Vorbereitung und Prôsentation der Ausstellung vom 28. April bei Iris Clert»), in: Le Dépassement de la problématique de ľart, La Louvière 1959, S. 84
«Préparation et présentation de ľexposition du 28 avril 1958 chez Iris Clert» («Vorbereitung und Prôsentation der Ausstellung vom 28. April bei Iris Clert»), in: Le Dépassement de la problématique de ľart, La Louvière 1959 Edb., S. 88–89
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Tiampo, M. (2007). Abdrücke des Immateriellen: Yves Klein in Japan. In: Yves Klein. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-71391-4_9
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