Auszug
Effekte erzeugen Affekte. Das ist bei Kunstformen so. Das ist bei Kritiken so, zumal bei einer Kritik, die in Gestus und Stil von sich behaupten kann, selbst Kunst zu sein. Sie widerfährt ihren Lesern. Vor allem widerfährt sie den Künstlern unter ihren Lesern. Die durch kritische Effekte erzeugten Affekte sind mitunter heftig. Dann tut Kritik weh — immer wieder jedenfalls. Schmerzen sind Affekte, von denen wir spätestens seit Wittgenstein wissen, dass sie irrtumsimmun sind. Das Subjekt, das in seinem Selbstbewusstsein Schmerzen empfindet, zweifelt im Zustand der Empfindung keinen Augenblick, dass es Schmerzen hat. Schmerzen widerfahren Menschen. Kritische Wortschmerzen werden von Kritikern vor allem bei Künstlern erzeugt. Sie mögen die aktive Reaktion des Kritikers auf jenes Erleiden sein, dass ihn etwa beim Anblick eines Bildes oder dem Besuch einer performance ereilt. Diese in seinen Augen erlittenen Rezeptionsschmerzen vermag ein versierter Kritiker auf das Eleganteste in Sprache umzusetzen. Aus dem kritischen Akt der Wahrnehmung wird eine erste Ebene der Praxis der Kritik generiert. Rezeptive Passivität schlägt in aktive Schreibeffekte um. Wenn nun aber die durch die Kritik erzeugten Wortschmerzen eine gewisse Grenze erreichen, dann gerät wiederum die von der Kritik erzeugte schmerzliche Passivität in der Person des Künstlers unversehens zur höchsten Aktivität. Manchmal schlägt die Aktivität in Gestalt des verletzten Künstlers sogar handgreiflich um sich, nicht wild, sondern präzise den Kritiker als Verursachungsprinzip schmerzlicher Passivitäten treffend.
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Literatur
— Vgl. »Hallo Ohrfeige«, in: Spiegel online, www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/o,i5i8,4 02192,00 (21. Februar 2006).
— Vgl. »Meine Ohrfeige: Christoph Müller über den Stolz des Theaterkritikers«, in: Der Tagesspiegel, www.tagesspiegel.de/kultur/archiv/24.02.2006/2373483.asp (24. Februar 2006).
— Vgl. »Mein Feind, der Sitznachbar: Ein Gespräch von Michael Angele mit Roland Koberg«, in: Netzeitung.de, www.netzeitung.de/voiceofgermany/39fragen/383706 (24. Februar 2006).
— Vgl. Nicolas Stemann, »Frankfurter Karikaturenstreit«, in: Süddeutsche Zeitung 43 (21. Februar 2006), S. 13.
— Otto Brahm, Kritiken und Essays, ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Fritz Mar tini, Zurich / Stuttgart 1964, S. 7.
— Vgl. etwa die sehr pointierten Mitteilungen bei Johannes Buridan, »Quaestiones De anima« (1516), in: Benoît Patar (Hg.), Le Traité de l’âme de Jean Buridan, Löwen 1991, S. 572–588 (Quaestiones 12–14).
— Vgl. Jacques Derrida, Die Wahrheit in der Malerei (1978), Wien 1992, S. 23.
— Die Unmöglichkeit solcher kartographisch ambitionierten Übersetzungen hat Umberto Eco etwa an Italien plausibilisiert (vgl. Umberto Eco, »Die Karte des Reiches im Maßstab 1:1«, in: Paolo Bianchi / Sabine Folie [Hgg.], Atlasmapping — Künstler als Kartographen, Wien 1997, S. 228–231).
— Vgl. Kruschkova (wie Anm. 08), S. 149 f.
— Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik (1838), hg. von Manfred Frank, Frankfurt am Main 1977, S. 76–78.
— Vgl. Martins Seels Anspielung auf Christian Demand (Die Beschämung der Philister: Wie die Kunst sich der Kritik entledigte, Springe 2003) in diesem Band (S. 21–27, hier: S. 25).
— Vgl. Jacob Bidermann, Philemon Martyr (1618), lateinisch und deutsch, hg. und übers. von Max Wehrli, Köln 1960.
— Vgl. Gerhard Kaiser, »Einige Spiegelungen Christi in der Dichtung«, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 93 (1996), S. 309–330, hier: S. 313.
— Vgl. Seel (wie Anm. 14), S. 22.
— Vgl. mit Stoellger (wie Anm. 09), S. 129.
— Seel (wie Anm. 14), S. 25.
— Ebd.
— Vgl. ebd., S. 24 f.
— Vgl. Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt am Main 1979.
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© 2007 Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst (ith), www.ith-z.ch, und Voldemeer AG, Zürich
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Schaede, S. (2007). Nichts als Passivitäten?. In: Huber, J., Stoellger, P., Ziemer, G., Zumsteg, S. (eds) Ästhetik der Kritik oder Verdeckte Ermittlung. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-70899-6_14
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Online ISBN: 978-3-211-70899-6