Zusammenfassung
Der Zulässigkeit der Setzung von Hoheitsakten im Ausland steht im Normalfall die territoriale Souveränität (territorial sovereignty) des ausländischen Staats über sein Staatsgebiet entgegen. Ausgehend von der Drei-Elemente-Lehre Jellineks und dem Territorium als konstitutivem Element eines jeden Staatswesens, ist es anerkannt, dass Staaten als souveräne Gebietskörperschaften das Recht haben, auf ihrem Staatsgebiet grundsätzlich die alleinige, alle andere Staaten ausschließende Herrschaftsgewalt auszuüben. In der Regel machen sie von diesem Recht auch Gebrauch und üben die Gebietshoheit (territorial supremacy), das ist die tatsächliche Herrschaft eines Staates in einem Gebiet, selbst aus. Dies ist allerdings nicht zwingend, da es im Wesen der territorialen Souveränität liegt, über das Recht auf Ausübung der Gebietshoheit im Wege des völkerrechtlichen Vertragsrechts oder des Völkergewohnheitsrechts verfügen zu können. Hat daher der territoriale Souverän auf die Art und Weise dieses Recht im Hinblick auf das gesamte oder einen Teil seines Staatsgebiets einem fremden Staat übertragen, kann dieser rechtmäßig auf besagtem Gebiet hoheitlich tätig werden; andernfalls ist die Gebietshoheit eines fremden Staates und somit auch jeder von diesem dabei ausgeübte Hoheitsakt aber stets völkerrechtswidrig.
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Literatur
Kaum ein Begriff des Völkerrechts ist so schillernd und seit den Tagen Bodins und Grotius’ bis heute so viel diskutiert wie jener der Souveränität (siehe zB die Beschreibung von Steinberger , Sovereignty, in: EPIL IV, 500ff: „Sovereignty is the most glittering and controversial notion in the history, doctrine and practice of public international law“ und jüngst Besson, EIOP 2004, nach welcher die Souveränität ein „essentially contestable concept“ darstellt; zur schwierigen Definition von Souveränität zB von Simson, Souveränität, 24ff; vgl auch Griller, Übertragung, 15ff mwN). Nach Fleiner/Fleiner, Staatslehre, 315f ist die Souveränität gewissermaßen der Urknall, aus dem der Staat, das Recht und diesseitige Gerechtigkeit entstanden sind. Art 2 Abs 1 SVN statuiert das Prinzip der „sovereign equality“ aller VN-Mitglieder (vgl dazu Fassbender/Bleckmann, Art 2 Abs 1 UN Charter).
Jellinek , Staatslehre, 396.
Verdross / Simma , Völkerrecht, § 1038. Abgesehen davon verleiht die territoriale Souveränität einem Staat auch die endgültige Verfügungsgewalt über sein Staatsgebiet, zB das Recht, Teile des Staatsgebiets abzutreten.
Die Unterscheidung zwischen den Begriffen der territorialen Souveränität und der Gebietshoheit geht auf Verdross , Ius gentium 1949, 248 zurück; vgl zB auch Verosta, ÖJZ 1954, 242; Verdross/Simma/Geiger, ZÖR 1980, 223ff; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1038ff; Suy, FS Verdross, 493ff; Habscheid/Seidl-Hohenveldern, Gebietshoheit, 131; Ridder, Gebietshoheit, in: WBVR, 624ff. Auch der IGH hat in seinem Gutachten vom 21. 6. 1971 über die Rechtlichen Konsequenzen der fortgesetzten völkerrechtswidrigen Anwesenheit Südafrikas in Namibia, ICJ Reports 1971, 54 zwischen der effektiven Herrschaft eines Staates in einem bestimmten Gebiet (Gebietshoheit) und der territorialen Souveränität unterschieden: „Physical control of a territory [l’autorité effective sur un territoire] and not sovereignty or legitimacy of title, is the basis of State liability for acts affecting other States.“
Treffend wird das Begriffspaar Territoriale Souveränität — Gebietshoheit mit jenem von Eigentum — Besitz verglichen, vgl etwa Seidl-Hohenveldern / Hummer , Die Staaten, in: Handbuch, Rz 733; Schlag, Verwaltungsbefugnisse, 83f.
Verdross / Simma / Geiger , ZÖR 1980, 224f; Siegrist, Hoheitsakte, 9ff.
Siehe die Beispiele bei, Matscher , ZÖR 1977, 132ff und Okresek, ZÖR 1984/85, 331f.
Siehe aus der umfangreichen Literatur zB Zürn , Die Zukunft des Nationalstaats, FAZ v 19. 7. 2005, 8; van Staden/Vollaard, in: State, Sovereignty and International Governance, 165; Biehler, Der Staat 1996, 99ff; Fassbender/Bleckmann, Art 2 Abs 1 UN Charter, Rz 66ff; Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 380ff; Saladin, Staaten, 28ff; Kingsbury, EJIL 1998, 610ff.
Kelsen , Problem der Souveränität, 320.
Siehe dazu und die Kritik daran etwa Griller , Übertragung, 15ff und Paulson, FS Öhlinger, 24ff.
Seidl-Hohenveldern , Souveränität, 378.
Vgl Fassbender / Bleckmann , Art 2 Abs 1 UN Charter.
Frowein , Konstitutionalisierung des Völkerrechts, 427ff; Tomuschat, International Law as the Constitution of Mankind, 37ff; von Bogdandy, Harvard Int’1 LJ 2006, 223ff; Wahl, Verfassungsstaat, 90ff; Bryde, Der Staat 2003, 61ff; zum Internationalen Verfassungsrecht Eberhard/Lachmayer/Thallinger, Inhalt und Methode, 179ff; Uerpmann, JZ 2001, 565ff.
Vgl zB die Beiträge in Griller , International Economic Governance.
Petersmann , EJIL 2002, 621ff und ders Petersmann, in: International Economic Governance, 211ff.
Siehe dazu zB Kristoferitsch , Staatenbund.
Als eine Form nichtterritorialer governance wird zB die Errichtung sog global public policy Netzwerke zwischen Regierungen, Unternehmen, Internationalen Organisationen und NGOs vorgeschlagen, vgl dazu Reinicke , Foreign Affairs 1997, 127ff; van Staden/Vollaard, in: State, Sovereignty and International Governance, 173ff; zur Errichtung sog verfasster Zweckkörperschaften vgl Kempin, Föderalismus als Modell, 194ff.
ZB Kingsbury , EJIL 1998, 622ff; Jennings in: State, Sovereignty and International Governance, 30f, 41f.
„[A State’s] title to exercise jurisdiction rests in its sovereignty.“, konstatierte der StIGH im Lotus-Fall , Series A, No 10, 19; vgl Bowett, BYIL 1982, 1; Jennings/ Watts, Oppenheim’s International Law, 457.
Vgl Hasford , Jurisdiktion, 25. Den divergierenden Sprachgebrauch exemplifizieren auch unterschiedliche Übersetzungen von „jurisdiction“ bzw „juridiction“ in Art 1 EMRK: Während die offizielle Übersetzung Österreichs diese Begriffe mit „Jurisdiktion“ übersetzt, verwendet die deutsche und schweizerische Übersetzung den Begriff „Herrschaftsgewalt“. Wie Frowein, FS Schlochauer, 289 anmerkt, entspricht der Ausdruck der „Jurisdiktion“ den authentischen englischen und französischen Fassungen besser als die Formulierung „Herrschaftsgewalt.“; siehe auch unten 3. Kap III.E.2.a); zur Entwicklung der Jurisdiktion internationaler Tribunale vgl Amerasinghe, Jurisdiction, 49ff.
Die Begriffsinhalte der „jurisdiction“ umfassen nach Garner , Black’s Law Dictionary, 855; „1. A government’s general power to exercise authority over all persons and things within its territory...2. A court’s power to decide a case or issue a decree...3. A geographic area within which political or judicial authority may be exercised...4. A political or judicial subdivision within such an area...“.
Jennings / Watts , Oppenheim’s International Law, 456; Oxman, Jurisdiction of States, in: EPIL II, 55; Bowett, BYIL 1982, 1.
Meng , Extraterritoriale Jurisdiktion, 1. Berühmt sind die Worte von US Justice Holmes in McDonald v Mabee, 243 US 90, 91, 37 S.Ct. 343, 343, 61 L.Ed. 608, 607 (1917): „The foundation of jurisdiction is physical power.“
Brownlie , Principles, 297; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 456; Zeigenhain, Rechtsanwendung, 12ff; vgl insb The American Law Institute: Restatement of the Law, 3rd edition (1986), The Foreign Relations Law of the United States: § 401 Categories of Jurisdiction Under international law, a state is subject to limitations on a) jurisdiction to prescribe, i.e., to make its laws applicable to the activities, relations, or the status of persons, or the interest of persons in things, whether by legislation, by executive act or order, by administrative rule or regulation, or by determination of a court; b) jurisdiction to adjudicate, i.e., to subject persons or things to the process of its courts or administrative tribunals, whether in civil or in criminal proceedings, whether or not the state is a party to the proceedings; c) jurisdiction to enforce, i.e., to induce or compel compliance or to punish noncomplance with its laws or regulations, whether through the courts or by use of the executive, administrative, police or other nonjudicial action”.
Mann , RdC 1964, 23ff, 127ff; ders Mann, RdC 1984, 19ff; 34ff; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 5ff; von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 66.
Mann , RdC 1964, 9ff; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 456f.
Jennings / Watts , Oppenheim’s International Law, 458; Brownlie, Principles, 297; zum Wandel des Territorialitätsprinzips zB Michaels, Territorial jurisdiction, in: Globalisation, 105ff.
StIGH, Series A, No 10, 18f.
Keinen besonderen völkerrechtlichen Beschränkungen unterliegt hingegen der im Ausland iure gestinonis agierende Staat; er hat sich allerdings im Rahmen der ausländischen Rechtsordnung zu bewegen, Vgl Rudolf , Territoriale Grenzen, 35f.
Rudolf , Territoriale Grenzen, 33; Mann, RdC 1964, 127; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 59.
Vgl zB Art 40 und 41 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) über die grenzüberschreitende Observation und Nacheile und dazu Würz , SDÜ, 68ff bzw 84ff; es gilt der Grundsatz volenti non fit iniuria, vgl dazu Verosta, FS Verdross, 689ff; Baldus, Interventionen, in: Frieden und Recht, 261.
Rudolf , Territoriale Grenzen, 33; Siegrist, Hoheitsakte, 25ff; Geck, Hoheitsakte, in: WBVR, 795f; Seidl-Hohenveldern/Hummer, Die Staaten, in: Handbuch, Rz 877. Zulässige Ausnahmen bilden überdies vom Sicherheitsrat unter Kapitel VII SVN autorisierte Maßnahmen sowie die notwendige und verhältnismäßige Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art 51 SVN.
Extraterritoriale Hoheitsakte im heir verstanden Sinn sind Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet und nicht bloß (im Inland gesetzte) Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung wie zB transnationale Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen; siehe zur rechtlichen Qualifizierung der einzelnen Handlungsformen Harings , Zusammenarbeit, 149ff.
Anderenfalls verstoßen sie gegen das Interventionsverbot und verletzten die territoriale Souveränität des betroffenen Staats; zum strittigen Inhalt des Interventionsverbots siehe Schröder , Non-intervention, in: EPIL III, 619ff und Neuhold, Grundregeln, in: Handbuch, Rz 1935ff. Ganz allgemein sieht es die Literatur für die Ausübung der Durchsetzungshoheit als notwendig an, dass der handelnde Staat im Einzelfall auch über entsprechende Regelungshoheit für den durchzusetzenden Hoheitsakt verfügt, vgl Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 9 und Mann, RdC 1964, 128.
Schlochauer , Extraterritoriale Wirkung, 10f definiert extraterritoriale Hoheitsakte in diesem Sinne weit durch ihre unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf fremdes Territorium und grenzt den Begriff vom Hoheitsakt auf fremdem Staatsgebiet ab. Während der Hoheitsakt auf fremdem Staatsgebiet demnach im fremden Staatsgebiet selbst bewirkt wird, befindet sich beim extraterritorialen Hoheitsakt das den Hoheitsakt erlassende Organ auf dem Territorium des eigenen Staatsgebiets. Die Auswirkungen auf das fremde Gebiet müssen allerdings jedenfalls rechtlicher und nicht bloß faktischer Natur sein.
Meng , Extraterritoriale Jurisdiktion, 74f; vgl auch Dipla, Responsabilité, 45.
Meng , Extraterritoriale Jurisdiktion, 75.
Siehe zB Mann , RdC 1964, 9ff; ders Mann, RdC 1984, 19ff; Meessen, Internationales Kartellrecht; ders Meessen, Extraterritorial Jurisdiction; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion; ders Meng, Extraterritorial Effects, in: EPIL II, 338ff; von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 64ff; Jennings, BYIL 1957, 146ff; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2, Rz 54; Bartels, JWT 2002, 358ff sowie zahlreiche Beiträge in Slot/Bulterman, Globalisation and Jurisdiction.
StIGH, Series A, No 10, 19f.
Vgl zB bereits Vogel , Anwendungsbereich, 125ff; Michaels, Territorial jurisdiction, in: Globalisation, 105ff.
Reinisch , Legal Framework, in: Non-State Actors, 56.
Siehe insb Mann , RdC 1964, 9ff; ders Mann, RdC 1984, 19ff und seine „point of contact theory“; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1183ff; Ziegenhain, Rechtsanwendung, 46ff; Schwarze, Jurisdiktionsabgrenzung, 28ff; Schlag, Verwaltungsbefugnisse, 94f.
Jennings / Watts , Oppenheim’s International Law, 462ff; Doehring, Völkerrecht, Rz 811ff.
Siehe näher zu den einzelnen Prinzipien zB Doehring , Völkerrecht, Rz 808ff; Brownlie, Principles, 299ff; von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 78ff; Maier, Jurisdictional Rules, in: Extraterritorial Jurisdiction, 67ff.
Vgl aus der umfangreichen Literatur zB von Lutterotti , US extraterritorial Economic Sanctions; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion; Meessen, Internationales Kartellrecht; Miller/Baker, Jurisdictional Boundaries, in: Globalisation, 131ff; Lowenfeld, International Economic Law, 710ff; Oberlechner, RdW 1995, 176ff. Siehe jüngst auch Vranes, JRP 2008, 38ff.
Siehe die Übersicht über die Lehrmeinungen bei von Lutterotti , US Extraterritorial Economic Sanctions, 84ff.
Maier , Jurisdictional Rules, in: Extraterritorial Jurisdiction, 67; von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 97.
Gemäß Art II Z 7 B-VGN 1964, BGB1 1964/59. Im Verfassungsrang steht die EMRK explizit nur in Österreich, in den Niederlanden besitzt sie darüber hinausgehend sogar Vorrang vor allen Gesetzen inklusiven den Verfassungsgesetzen; in vielen anderen Ländern steht sie im Mezzanin zwischen Gesetz und Verfassung, ansonsten im Gesetzesrang, vgl im Detail Grabenwarter , VVDStRL 60, 299ff.
Grabenwarter , EMRK, § 2 Rz 3.
Der EGMR, Urteil v 23. 3. 1995, Loizidou gegen Türkei (preliminary objections), Serie A-310, Z 75 beschreibt die Konvention als „constitutional instrument of European public order (ordre public)“. Vgl dazu Thürer, VVDStRL 50, 106; Häberle, EuGRZ 1991, 264f; Walter, ZaöRV 1999, 962ff; Alkema, GS Ryssdal, 41ff; Grabenwarter, VVDStRL 60, 293ff; Peters, Einführung, 12f.
Siehe 3. Kap III.A.1.c) und Grabenwarter , Verfahrensgarantien, 6ff.
AA Marschik, Subsysteme, 189f, der die Auffassung vertritt, dass solange eine Subsystem-Verletzung (etwa der EMRK) durch deren eigenen Sanktionsmechanismus beseitigt wird, der Eintritt einer Völkerrechtsverletzung verhindert wird und bloß dann, wenn keine Rechtmäßigkeit wiederhergestellt werden kann, eine Völkerrechtsverletzunv vorliegt und es zu einem „Rückfall auf die Staatenverantwortlichkeit“ kommt. ME widerspricht sich Marschik insofern, als die Bedingung „Rechtmäßigkeit wiederherstellen“, ja impliziert, dass eine Rechtswidrigkeit vorliegt; worin anders, als in einer Völkerrechtsverletzung soll diese aber bestehen?
Diese Besonderheiten ändern nichts daran, dass es sich dabei um völkerrechtliche Verantwortlichkeit handelt (kritisch zB Clapham , Private Sphere, 188 FN 29); wie Simma, FS Schlochauer, 641f klarstellt sind nämlich „[a]uch Verträge zum Schutz der Menschenrechte...vollwertige völkerrechtliche Verträge, grundsätzlich eingebettet...in das Streitschlichtungs-und Verantwortlichkeitsregime des allgemeinen Völkerrechts. Der Umstand, dass menschenrechtliche Verträge im wesentlichen keine gegenseitigen Beziehungen ihrer Parteien, keine zwischenstaatliche Interaktion, sondern eine bestimmte Haltung der Staatsgewalt gegenüber den Menschen in ihrem Herrschaftsbereich normieren, vermag daran nichts zu ändern...“.
Annex, GA-Res. 56/83, Responsibility of States for internationally wrongful acts, 12. 12. 2001 sowie Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Commentaries, ILC Report, 53rd Session, 56 UN-GAOR, Supp. No. 10, 59, UN-Doc. A/56/10 (2001). Der ILC-Entwurf soll in den kommenden Jahren in eine multilaterale Konvention münden und somit zu verbindlichem völkerrechtlichem Vertragsrecht werden. Bereits heute kommt den Artikeln des Entwurfs — insb weil sie zu einem großen Teil Völkergewohnheitsrecht darstellen — bereits beträchtliche Autorität zu und sie beeinflussen wesentlich das Verhalten der Staaten. Vgl insb Crawford, Articles on State Responsibility und Wittich, LJIL 2002, 891 ff.
Vgl Art 1 ILC-Entwurf: „Every internationally wrongful act of a State entails the international responsibility of that State.“ Zu unterscheiden ist davon die völkerrechtliche Haftung für völkerrechtskonforme, aber gefährliche oder riskante Tätigkeiten, vgl dazu Zemanek / Hafner / Wittich , Verantwortlichkeit, in: Handbuch, Rz 2682, 2685ff und Rauschning/Randelzhofer, Staatenverantwortlichkeit, 35ff.
Gemäß Art 3 ILC-Entwurf richtet sich die Bestimmung der völkerrechtlichen Handlung und somit insb jene der Zurechen barkeit nicht nach der innerstaatlichen Rechtsordnung, sondern nach dem Völkerrecht. Neben dem Verhalten von Staatsorganen kann einem Staat zB auch das von ihm geleitete oder kontrollierte Verhalten sonstiger Personen (Art 8 ILG-Entwurf) oder auch das Verhalten sonstiger Privater zugerechnet werden, das ein Staat als sein eigenes anerkennt und annimmt (Art 11 ILC-Entwurf). Siehe ausführlich zB Crawford , Articles on State Responsibility, 91ff; Wittich, LJIL 2002, 893ff; Ipsen, Völkerrecht, 636ff; Brownlie, Principles, 431ff; siehe grundlegend schon Cheng, General Principles, 180ff.
Im Hinblick auf die EMRK unterstreicht Dipla , Responsabilité, 46 als eine der ganz wenigen Autorinnen diese essentielle Trennung zwischen „l’attribution et la violation“.
Im Gegensatz zu der die völkerrechtswidrige Handlung konstituierenden verletzten völkerrechtlichen Verpflichtung des Staates, die auch als Primärnorm bezeichnet wird. Zur Verknüpfung zwischen Primär-und Sekundärnormen siehe etwa Rauschning / Randelzhofer , Staatenverantwortlichkeit, 13ff; Kälin/Gabriel, Human Rights in Times of Occupation, 31.
Vgl die Worte des StIGH, Urteil v 13. 9. 1928, Chorzów-Fall (Deutschland gegen Polen), Serie A-17, 47: „...reparation must, as far as possible, wipe out all the consequences of the illegal act and re-establish the situation which would, in all probability, have existed if that act had not been committed...“. Eine Verletzung dieser neuen Verpflichtung führt wiederum zu einer völkerrechtswidrigen Handlung, die erneut Staatenverantwortlichkeit auslöst. Insoweit ist die Qualifizierung als Sekundärnorm relativ, da sie bei ihrer Verletzung selbst zur Primärnorm wird, vgl Zemanek/Hafner/Wittich, Verantwortlichkeit, in: Handbuch, Rz 2683, 2740.
Vgl dazu Crawford , Articles on State Responsibility, 306ff.
Zur lex specialis-Regel siehe Vranes , ZaöRV 2005, 391ff; grundlegend Bydlinski, Methodenlehre, 465, demzufolge die lex specialis bei einem Normenkonflikt immer die engere Regel ist, die zwar dieselben Tatbestandsmerkmale wie die andere und mindestens noch ein weiteres Merkmal enthält; diese speziellere Norm soll dann für den engeren von ihr erfassten Bereich von Fällen ausschließlich, das heißt unter Verdrängung der allgemeineren Vorschriften gelten. Problematisch ist im Völkerrecht nicht so sehr die Anwendung der lex specialis-Regel innerhalb eines Subsystems (zur Unterscheidung offener Subsysteme zu sog self-contained regimes und deren Existenz siehe II.C.2.), sondern im Verhältnis mehrerer Subsysteme zueinander — paradigmatisch ist dafür die Frage, wie sich Menschenrechtsnormen zu WTO-Vorschriften verhalten; vgl zB Lindroos, NJIL 2005, 27ff, welche den lex specialis-Grundsatz nur für beschränkt anwendbar hält; grundlegend dazu insb Pauwelyn, Conflict of norms.
Verdross / Simma , Völkerrecht, § 1309.
Siehe umfassend Polakiewicz , Verpflichtungen, 51ff. Für die Kategorisierung von Art 41 EMRK als lex specialis explizit Crawford, Articles on State Responsibility, 307 und ILC-Commentaries, 357.
Karl , Art 41 EMRK, 5; Okresek, Art 41 EMRK, Rz 8.
So der Wortlaut von ex-Art 53 EMRK, vgl Ress , EuGRZ 1996, 350.
EGMR, Urteil v 31. 10. 1995, Papamichalopoulos et al gegen Giechenland (Artikel 50), Serie A-330-B, Rz 34; Ress, EuGRZ 1996, 351; Okresek, Art 46 EMRK, Rz 4ff.
Polakiewicz , Verpflichtungen, 156ff; Frowein/Peukert, EMRK, 729, Rz 7; Okresek, Art 46 EMRK, Rz 15.
Siehe etwa zur Frage, ob ein Urteil aus Straßburg generall als Wiederaufnahmegrund anzuerkennen ist, Breuer , EuGRZ 2005, 473 zum Fall Öcalan. Zur Frage der Bindungswirkung der EGMR-Urteile vgl den Görgülü-Beschluss des BVerG vom 14. 10. 2004, BVerfG 2BvR 1481/04 und EGMR, Urteil vom 26. 2. 2004, Görgülü/Deutschland, Nr. 74969/01 (berichtigt am 24. 5. 2005) und dazu zB Cremer, EuGRZ 2004, 683ff; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15ff sowie Lenz, FS Zuleeg, 234ff.
Im Einzelnen variieren die Definitionsmerkmale solcher self-contained regimes in der Literatur und reichen von absoluter völkerrechtlichen Abgeschlossenheit, über Verdrängung sämtlicher Bestimmungen der allgemeinen Staatenverantwortlichkeitsregeln bis zur bloßen Verdrängung der Sekundär-, also Sanktionsnormen (nur in diesem Fall wäre der Ausschluss der Zurechenbarkeitsregeln nicht erfasst); eine allzu weitgehende Abgeschlossenheit wird aber zumeist abgelehnt. Vgl dazu Simma , NYIL 1985, 111ff; Provost, BYIL 1994, 440f; Marschik, Subsysteme, insb 100ff und 170ff; Schröder, Verantwortlichkeit, in: Graf Vitzthum, Rz 30; Zemanek/Hafner/Wittich, Verantwortlichkeit, in: Handbuch, Rz 2836.
Vgl IGH, Teheraner Geisel-Fall, ICJ Reports 1980, § 86.
Siehe die Kritik von Marschik , Subsysteme, 173f relativiert richtigerweise das Verständnis von „Geschlossenheit“ und beschreibt self-contained regimes zwar letztlich als Subsysteme des Völkerrechts, die aber weder autonom noch autark sein können.
Gegen die Einstufung von Menschenrechtskonventionen als self-contained regimes auch Simma, NYIL 1985, 135 und Provost, BYIL 1994, 441; dagegen spricht auch Art 12 ILC-Entwurf, wonach eine völkerrechtliche Verpflichtung von einem Staat immer dann verletzt ist, “when an act of that State is not in conformity with what is required of it by that obligation, regardless of its origin or character” [Hervorhebung von mir]; vgl auch Vierdag, NYIL 1994, 136.
Vor allem die ehemalige Sowjetunion lehnte dies ab und vertrat hingegen die Meinung, dass Menschenrechtsverträge ausnahmslos als self-contained regimes einzustufen und ausschließlich die vertraglich vorgesehenen Sanktionsmechanismen anzuwenden sind; dem widerspricht Simma , FS Schlochauer, 641 ff, 647f, der Menschenrechtsverträge als „vollwertige völkerrechtliche Verträge“ sieht, weshalb zur Sicherung der Erfüllung ihrer Verpflichtungen auch alle anderen Selbsthilfemittel zur Verfügung stellen sollen, die nach allgemeinem Völkerrecht zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen zulässig sind; aA Frowein, FS Mosler, 255f.
Vgl Meron , Human Rights, 136ff; 229ff; Ermacora, FS Verdross, 368ff.
Künzli, Verpflichtungsgrad, 96f; vgl auch Meron, Human Rights, 230f.
In diesem Sinne wohl auch Crawford , Articles on State Responsibility, 306ff und ILC-Commentaries, 357ff.
EGMR, Urteil v 31.10.1995, Papamichalopoulos et al gegen Griechenland (Artikel 50), Serie A-330-B, Rz 36.
Ibid, Rz 36; vgl auch Polakiewicz, Verpflichtungen, 51ff. Somit sieht der Gerichtshof aber selbst die Sekundärnormen der Staatenverantwortlichkeit nicht als vollständig verdrängt an, was selbst für den Fall, dass man, bloß auf dieses Kriterium abstellend, self-contained regimes eng definiert (siehe FN 94) zur Folge hat, dass die Konvention kein solches Regime darstellt. Grundsätzlich ist die Existenz solcher Systeme daher weder nachvollziehbar noch nachweisbar; in der Völkerrechtsordnung finden sich vielmehr bloß offene Subsysteme wie zB die EMRK.
Frowein / Peukert , EMRK, Artikel 62, 740f; Künzli, Verpflichtungsgrad, 97f. Dafür spricht auch die ausdrückliche Möglichkeit der Nichtanwendung von Art 55 EMRK auf Grund besonderer Vereinbarungen sowie insb die historische Auslegung der Bestimmung, wonach diese die Kompetenzen zwischen EGMR und IGH abgrenzen sollte, vgl Vierdag, NYIL 1994, 138.
Da ein anderes Schlichtungsorgan wie etwa der Menschenrechtsausschuss sich kaum mit der Auslegung der EMRK beschäftigen wird, darf Art 55 EMRK nicht streng nach dem Wortlaut interpretiert werden, ansonsten würde das darin vorgesehene Kumulationsverbot nicht zur Anwendung kommen, vgl zur im Vergleich mit Art 55 EMRK weitaus „großzügigeren“ Regelung des Art 44 IPBPR Nowak , CCPR-Commentary, Article 44, Rz 6f mwN und die Resolution (70) 17 v 15.5. 1970 des Ministerkomitees des Europarats.
Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit ist gleichsam die Kehrseite der Völkerrechtssubjektivität, vgl Amerasinghe , Principles, 225; Brownlie, Principles, 655, 665; Schröder, Verantwortlichkeit, in: Graf Vitzthum, Rz 32; Ipsen, Völkerrecht, § 41 Z 1ff; Pitschas, Verantwortlichkeit, 40ff; vgl auch Eagleton, RdC 1950-I, 326ff; die subsidiäre Rolle der Verantwortlichkeit als „last resort“ betont Reinisch, International Organizations, 266.
Hirsch , Responsibility, 10ff; Amerasinghe, Principles, 401; Pitschas, Verantwortlichkeit, 43ff; Frank, Verantwortlichkeit, 171; Stein, in: Kosovo and the International Community, 182; vgl auch allgemein Ginther, Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen.
Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, ILC Report, 53rd Session, 56 UN-GAOR, Supp. No.10, 43, UN-Doc.A/56/10(2001).
Vgl den Bericht der ILC über ihre 55. Session, 29ff, 58 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/58/10 (2003), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2003/2003 report.htm.
Ibid, 30ff.
Vgl Art 3 Abs 1 ILC-Entwurf IO, vgl dazu den Bericht der ILC über ihre 55. Session, 33, 58 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/58/10 (2003), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2003/2003report.htm; vgl dazu Hirsch, Responsibility, 17ff.
Art 4 ILC-Entwurf IO. Die Zurechenbarkeit erfolgt auch, wenn das Handeln des Organs ultra vires erfolgt (Art 6 ILC-Entwurf IO); vgl Frank , Verantwortlichkeit, 171ff; Hirsch, Responsibility, 62ff.
Siehe dazu die Commentaries zu Art 5 im Bericht der ILC über ihre 56. Session, 110ff, 59 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/59/10 (2004), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2003/2003report.htm; vgl zu den Kriterien wirksamer Kontrolle bei den Auslandseinsätzen des Bundesheeres unten 5. Kap IV.A.3.; für eine Übertragung des Kriteriums der exklusiven Kontrolle auch auf die Organleihe an Internationale Organisationen vgl Pitschas, Verantwortlichkeit, 52.
Pitschas , Verantwortlichkeit, Ibid, 101; wie bei solchen Kodifikationen üblich, sind jedoch im weiteren Verlauf der Arbeit der ILC noch weitere Veränderungen zu erwarten.
Amerasinghe , Principles, 400ff; Hirsch, Responsibility, 31ff; Clapham, Non-State Actors, 109ff mwN; vgl auch ILA, Berlin Conference (2004), Accountability of International Organisations, 22.
Hirsch , Responsibility, 30f; Schermers/Blokker, Institutional Law, Rz 1786; Clapham, Non-State Actors, 90; insb im Hinblick auf die EG auch Schermers, CMLR 1990, 250.
Siehe zB EGMR, Urteil v 21. 11. 2001 (GK), Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich, RJD 2001-XI, 79, Rz 57, 60; House of Lords, R. V. Bow Street Metropolitan Magistrate, ex parte Pinochet Ugarte (No 3), [1999] 2 W.L.R. 827, 841, 881; vgl Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 72ff; Crawford, Articles on State Responsibility, 246f mwN; Hirsch, Responsibility, 30; Ipsen, Völkerrecht, 193; siehe auch Restatement of the Law (Third) The Foreign Relations Law of the United States, § 702 Comment n and Reporters’ Note 11 (1987), das auch unterstreicht, dass das Verbot des Völkermords jedenfalls ganz unbestritten im Rang von ius cogens steht: „Not all human rights norms are peremptory norm (ius cogens), but those in clauses (a) to (f) [i.e. genocide, slavery or slave trade, the murder or causing the disappearance of individuals, torture or other cruel, inhuman, or degrading treatment or punishment, prolonged arbitrary detention, systematic racial discrimination] of this section are [...]“; zu den Implikationen einer ius cogens-Verletzung auf das nationale Recht de Wet, EJIL 2004, 97ff.
ZB Verdross / Simma , Völkerrecht, § 1233; Irmscher, GYIL 2001, 368f; de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 171ff; jüngst Thallinger, ZaöRV 2007, 1022ff; vgl allgemein zur Verantwortlichkeit der Vereinten Nationen bereits Eagleton, RdC 1950-I, 385ff.
H. Lauterpacht, International law and Human Rights, 159 [Hervorh. von mir].
Darauf weist auch H. Lauterpacht (Ibid, 148ff) hin.
So Verdross / Simma , Völkerrecht, § 1234; de Wet, Chapter VII Powers, 199f.
Verdross / Simma , Völkerrecht, § 1234ff mit Verweis auf die diese Annahme bestätigende Rechtsprechung des IGH; de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 171 ff; de Wet, Chapter VII Powers, 199f; Clapham, Non-State Actors, 124f.
Dies lässt sich mit der extensiven Staatenpraxis einerseits und der im hohen Ratifikationsstand einschlägiger Menchenrechtsverträge zum Ausdruck kommenden opinio iuris andererseits begründen; vgl IGH, Urteil v 20. 2. 1969, Nordsee-Festlandsockel-Fälle (Dän./Niederl. gegen BRD), ICJ Reports 1969, 42, para. 73; vgl auch Villiger, Customary International Law, 149ff, der in einer quasi-universellen Mitgliedschaft einer Konvention ein starkes Indiz für die opinio iuris und für eine dieser zu Grunde liegenden gewohnheitsrechtlichen Regel sieht (156, Rz 237).
Irmscher , GYIL 2001, 368f; Ahnlich de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 173ff, die den Grundsatz des estoppel auf die VN angewendet wissen wollen.
Siehe zB Frowein , Konstitutionalisierung des Völkerrechts, 427ff; Tomuschat, International Law as the Constitution of Mankind, 37ff; Peters, FS Delbrück, 535ff; Pfersmann, ICON 2005, 383ff.
Siehe zur UNMIK etwa den Second Annual Report 2001–2002 des Kosovo Ombusdsmanns v 10. 7. 2002, 5, der davon spricht, dass die VN eine Bevölkerung unter ihre Kontrolle gebracht hat “thereby removing them from the protection of the international human rights regime that formed the justification for UN engagement in Kosovo in the first place“; vgl dazu Knoll , LJIL 2006, 13ff; Chesterman, You, The People, 126ff, 145ff; Nolte, FS Tomuschat, 245ff; jüngst Werzer, NJIL 2008, 105ff; zum Rechtsschutzdefizit gegen individuelle Wirtschaftssanktionen des Sicherheitsrats sieche 5. Kap IV.B.4.c)dd).
de Wet, Chapter VII Powers, 202.
Ibid, aaO.
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Thallinger, G. (2008). Völkerrechtliche Zulässigkeit und Verantwortlichkeit. In: Grundrechte und extraterritoriale Hoheitsakte. Europainstitut Wirtschaftsuniversität Wien Schriftenreihe / Europainstitut Wirtschaftsuniversität Wien Publication Series, vol 29. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-70871-2_2
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