Zusammenfassung
Über die Augenkrankheiten Leonhard Eulers hat sich eine von legendären Zügen durchsetzte Überlieferung gebildet:
Im Jahre 1735 erledigte Euler in nur drei Tagen eine schwierige Arbeit. Infolge der Überanstrengung ging das rechte Auge zugrunde. Statt nun das linke Auge zu schonen, arbeitete Euler unermüdlich weiter, worauf dieses Auge seine Sehkraft ebenfalls einbüsste. Trotz des anfänglichen Erfolges einer Staroperation erblindete auch das linke Auge dejinitiv.
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Anmerkungen
An früheren Pathographien sind zu erwähnen: J. Strebel, Leonhard Eulers Erblindung, Neue Zürcher Zeitung, Dienstag, 29.März 1938, Morgenausgabe; Rud. Fueter, Über eine Eulersche Beweismethode in der Zahlentheorie, Sondernummer für Herrn Prof. A. V ogt der Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift, 69. Jahrg., 1939, Nr.43, p.103–111.
Das Original befindet sich im Basler Kunstmuseum.
Otto Spiess, Leonhard Euler, Frauenfeld, Leipzig 1929, p. 199.
Gustav Eneström, Eine Legende von dem eisernen Fleisse Leonhard Eulers, Bibliotheca Mathematica (3) 10, 1909/10, p. 308.
Nicolas Fuss, Eloge de Monsieur Léonard Euler, Lu à l’Academie le 23 Octobre, Nova Acta Acad. Scient. Imp. Petrop. I (1783), 1787, p. 166. (Deutsche Ausgabe bei J. Schweighauser, Basel 1787, abgedruckt in O.I, 1, p.XLIII–XCV. N. Fuss hat die Übersetzung selbst angefertigt und den Text mit einigen Zusatzen erweitert.)
P.-H. Fuss, Correspondance mathématique et physique de quelques cèlébres géomètres du XVIIIème Siécle, tome I, St-Pétersbourg, 1843, p.102 (im weiteren stets als Correspondance zitiert, cf. BV Fuss, 1843).
Otto Spiess, loco cit., p. 175.
Friedrich II. schätzte Euler nicht vorbehaltlos, weil er die Mathematik nicht verstand; er rächte sich, «indem er sie verhöhnte» (O. Spiess, loc.cit., p.171f.).
J. Strebel, loco cit.
P.-H. Fuss, loc.cit., p.419.
G. Enestrom, loc.cit.
Das Schabkunstblatt wurde zum ersten Mal von Otto Spiess in den Basler Nachrichten vom 19. Mai 1957 unter dem Titel Ein unbekanntes Jugendbildnis von Leonhard Euler der schweizerischen Öffentlichkeit vorgestellt.
Hierzu eine prinzipielle Bemerkung: Beim Mangel einwandfreier Primärquellen bilden Eulers authentische Porträte das einzige Material, bei dem auf den «Patienten» selbst zurückgegriffen werden kann. Hierbei ist der Pathograph allerdings von der Wirklichkeitstreue des Bildnisses abhängig. Zum Glöck waren die damaligen Porträtisten im allgemeinen bestrebt, in ihrer Darstellung möglichst naturgetreu zu sein. Daher sind för uns auch kleine Details wertvoll, besonders wenn sie sich zwanglos in den Verlauf eines pathologischen Geschehens einreihen lassen. Der Ophthalmologe und Medizinhistoriker Pierre Amalric hielt am Internationalen Kongress för Geschichte der Medizin (Paris, 29.8.–3.9.1982) ein Referat öber den naturalistischen Maler Georges de La Tour (1593–1652). Amalric wies an Hand von Detailreproduktionen nach, dass bei eingehender Analyse der Augendarstellung selbst subtile Augenerkrankungen sich diagnostizieren lassen.
Herabsinken des Oberlides.
Wenn unsere Hypothese richtig ist, würde es sich urn eine Verdickung des Lidgewebes nach Ödemen bei längerdauernden schweren Entzündungen der vorderen Augenabschnitte handeln.
Ich danke Herrn Dr. E.A. Fellmann für die freundliche Überlassung dieses Textes aus einem noch unveröffentlichten Brief.
Georg Schmidt, Kunstmuseum Basel. 150 Gemälde, 12.–20.Jahrhundert, Basel 1964, p.74.
Herabgesunken.
Die Sehne der Kalotte ist kürzer als der Durchmesser der ausgewalzten Kalotte. Infolge der Hypotonie ist bei Euler die Cornea praktisch ausgewalzt, d. h. ihre Krümmung ist geringer, als sie sein sollte.
Otto Spiess, loc.cit., p. 159.
Zu dieser in unseren Gegenden ausgerotteten Krankheit siehe weiter unten, p. 18f. Es ist hier darauf hinzuweisen, dass auch Krankheiten ihre Geschichte haben. So wird der heutige Rhinologe in unserem Kulturkreis bei seinen Patienten kaum mehr Hautsymptome an den Nasenorifizien zu sehen bekommen, wie Handmann sie bei Euler vorgefunden hat. Schlägt der Arzt aber ein Lehrbuch der Ohren-NasenHeilkunde auf, das auch nur wenige Jahr vor der Antibiotika-Ära erschienen ist (z. B. G. Laurens, M. Aubry, A. Lemariey, Précis d’oto-rhino-laryngologie, deuxième édition revue et corrigée, Paris 1940), so findet er noch Krankheitsbilder beschrieben, die Handmanns Darstellung entsprechen. Daher die Forderung an den Pathographen, sich auch in der älteren Literatur umzusehen.
Otto Spiess, loc. cit., p. 161.
Medizinhistorische Vorbemerkungen: Es ist das Verdienst des Basler Stadtarztes Felix Platter (1536–1614), 1583 zum ersten Male in der medizinischen Literatur die fundamentale Tatsache ausgesprochen zu haben, «dass die Netzhaut die bildaufnehmende und somit die physiologisch wichtigste Struktur des Auges ist, während dem humor crystallinus der Linse nur die untergeordnete Funktion einer optischen Linse zukommt» (Huldrych M. Koelbing, Renaissance der Augenheilkunde 1540–1630. Bern und Stuttgart 1967, p. 71). Bezüglich der Behandlung der Katarakt. des grauen Stars, einer Trübung der Linse. wurden die Konsequenzen aus Platters Erkenntnis erst urn die Mitte des 18. Jahrhunderts gezogen. Statt wie bisher die undurchsichtig gewordene Linse mittels einer Nadel aus dem Pupillarbereich in periphere Augenpartien zu verlegen (Starstich), wurde sie von nun an nach Eröffnung des Auges entfernt. Ein besonderes Verdienst erwarb sich hierbei Jacques Daviel (1696–1762). Zu den frühen Anhängern der neuen Operationsmethode gehört der Baron Jean-Baptiste de Wenzel, der als berühmter Staroperateur Europa bereiste und als Hofokulist 1790 in London starb. — Sein Sohn Jacques, ebenfalls ein geschätzter Ophthalmologe, bemühte sich in seinen Werken u. a., seinem Vater zu gewissen Prioritäten zu verhelfen.
R. Fueter. loco cit., p. 105.
«Le célèbre Euler, que les Sciences ont perdu en 1784,...» (loc.cit., p.135), statt 1783; es ist denkbar, dass es sich urn einen Druckfehler handelt.
Es ergäbe eine interessante Studie, Wenzels Bericht über Eulers Augenoperationen kritisch zu durchleuchten. Diese Absicht lässt sich jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht verwirklichen; die zum Verständnis erforderlichen fachtechnischen Erläuterungen würden allzu umfangreich.
P.-H. Fuss, loco cit., p. 102.
Euler hat recht, wenn er betont, dass das Prüfen ausgebreiteter Landkarten besondere Ansprüche an die Augen stellt. Wegen der rasch wechselnden Sehdistanzen wird der intraokulare Akkommodationsapparat besonderen Belastungen ausgesetzt, die aber normalerweise anstandslos vertragen werden. Da Euler die vor allem in Ziliarkörper und Iris sich abspielenden Muskelbewegungen als ausgesprochen unangenehm empfand, muss angenommen werden, dass die vorderen Abschnitte des link en Auges pathologische Veränderungen aufwiesen (Status naeh Iridocyclitis).
Die Presbyopie (Alterssichtigkeit) tritt erst nach dem 40. Lebensjahr ein.
Sowohl die Myopie (Kurzsichtigkeit) als auch die Hyperopie (Übersichtigkeit, fälschlich auch Weitsichtigkeit genannt) können, sofern sie nieht durch eine Brille korrigiert werden, bei der Naharbeit Beschwerden verursachen.
Ich danke Herrn Dr. Fellmann für die Zusendung dieses Textes, publiziert in einer russischen Briefsammlung 1963 (BV Smirnov, 1967); cf. O.IV A, I, R. 1904.
Der von Euler verwendete Ausdruck visus imbecillitas ist neben hebetudo visus ein in der Ophthalmologie he ute noch gelegentlich gebrauchter Terminus technicus zur Bezeichnung einer herabgesetzten Sehschärfe.
In der Ophthalmologie werden drei Erblindungsgrade unterschieden, cf. F. Rintelen, Augenheilkunde, Basel, Freiburg i. Br., New York 1961, p. 387. Soziale Blindheit eines Auges liegt vor, wenn die Sehschärfe nicht genögt, einen Beruf auszuüben, der optischer Kontrolle bedarf. Dies war bei Euler der Fall; dass er seine Augeninvalidität mittels des Gedächtnisses kompensieren konnte, war für die Mathematik ein Glücksfall.
” Juškevič/Winter, Briefwechsel, Bd. I, p.267.
Diese Zustände wurden vor der Erfindung des Augenspiegels durch Helmholtz (grundlegende Publikation 1851) unter dem Begriff «schwarzer Star» subsumiert. Es handelt sich bei dieser Form der Erblindung meistens urn Netzhautblutungen, die oft in den Glaskörper durchbrechen. Je nach Sitz und Resorption der Blutung kann sich eine gewisse Sehschärfe wiederherstellen. — Bei Euler scheidet eine Netzhautablösung aus, ansonst das Auge endgültig abso1ut erblindet wäre. Der Lausanner Ophthalmologe Jules Gonin hat erst seit 1916 auf dem Gebiet der Ablatiobehandlung revolutionierend gewirkt.
N. Fuss, loco cit., p. 194. — Euler starb an einem Schlaganfall; die ersten pdimonitorischen Anzeichen eines späteren apoplektischen Insults liegen oft Jahre zurück.
Cf. Anm.34, loc.cit., p.269.
Marquis de Condorcet, Eloge de M. Euler, Hist. Acad. r. d. Sci. (1783) 1786, p. 37–68.
Vol. XVII, pars I. Lipsiae, MDCCLXXI, p. 540.
Jacques de Wenzel, loc.cit., p.137f.
N. Fuss, loc.cit., p.201.
O. Spiess, loc.cit., p.193.
Wie N. Fuss, loco cit., p.208, selbst mitteilt, hätte Euler bezöglich seiner Arbeit die Augen wohl schonen können: sein Gedächtnis ersetzte das Sehen. Auch ist kaum anzunehmen, dass ein Operateur yom Rang eines Wenzel seinem Patienten Euler nicht Verhaltensregeln für die Zeit nach der Operation gegeben hätte.
P.-H. Fuss, loc.cit., p.XLIV.
Idem, loc.cit., p.XXV. P.-H. Fuss verwechselt die Namen der beiden Künstler: Darbes ist der Maler, Küt(t)ner der Stecher.
Unter der heute in der Ophthalmologie nicht mehr gebräuchlichen Bezeichnung «schwarzer Star» wurden früher alle jene Zustände zusammengefasst. bei denen das Sehen schwerstens geschädigt war, die Pupille aber schwarz erschien.
P.-H. Fuss, loc.cit., p.XLI. Cf. die Tabelle im ersten Beitrag des vorliegenden Bandes von E. A. F ellmann, 1. Teil.
N. Fuss, loc.cit., p.206.
Condorcet, loc.cit., p.24.
Cf. Michael Raith, Leonhard Euler — ein Riehener, in: Riehener Zeitung, 21.Dezember 1979, Nr.51/52.
An diesbezüglicher Literatur sei auf das auch dem Laien gut verständliche Werk vom Medizinhistoriker Erwin H. Ackerknecht, Geschichte und Geographie der wichtigsten Krankheiten, Stuttgart 1963, verwiesen.
Hier ist zu präzisieren, dass die tuberkulöse Primärinfektion nicht unbedingt zu einer tuberkulösen Erkrankung zu führen braucht. Vor der Zeit der aktiven Tuberkuloseschutzimpfung hatte praktisch die gesamte Bevölkerung eine tuberkulöse Primoinfektion erlitten.
Die Skrofulose entschwindet immer mehr aus dem Gedachtnis, auch aus dem ärztlichen. Es ist zu bemerken, dass die Skrofulose eine Reaktionsform auf eine tuberkulöse Infektion darstellte und nicht eine Tuberkulose im eigentlichen Sinne des Wortes ist.
Michael Raith erwähnt, dass Euler «vielleicht... nur viereinhalb Jahre» (loc.cit.) in Riehen verbrachte und nach Basel zu seiner Grossmutter kam. Ob bei diesem Entschluss nicht auch gesundheitliche Rücksichten im Sinne eines Milieuwechsels eine Rolle spiel ten? Otto Spiess berichtet, dass der Vorgänger von Eulers Vater im Riehener Pfarramt «drei Jahre lang krank lag» (loc. cit., p.32). Sollte es sich bei dieser Krankheit vielleicht urn eine Tuberkulose gehandelt haben? Sicher wurde die Wohnung nachher nicht desinfiziert. Für den kleinen Leonhard gab es jedenfalls genug Gelegenheiten, sich tuberkulös zu infizieren.
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Bernoulli, R. (1983). Leonhard Eulers Augenkrankheiten. In: Leonhard Euler 1707–1783. Birkhäuser Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-9350-3_27
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