Zusammenfassung
Eines der Schlüsselexperimente zur Erforschung der Anfänge des Lebens auf der Erde ist vor rund 35 Jahren an der Universität von Chicago durchgeführt worden. Stanley Lloyd Miller zeigte in einem einfachen Versuch, daß aus Wasser und einigen gewöhnlichen Gasen — Ammoniak, Methan und Wasserstoff — organische Moleküle von einiger Komplexität sozusagen von alleine entstehen konnten, wenn man nur in geeigneter Weise Energie zuführte. Miller studierte Chemie bei Harold C. Urey, einem Altmeister der Isotopenchemie, der 20 Jahre zuvor als erster das schwere Wasserstoffisotop Deuterium isoliert hatte. Er gab Miller ein Dissertationsthema, das ihn selbst zu dieser Zeit brennend interessierte. Im Frühjahr 1951 hatte er nämlich die Ehre gehabt, die sogenannten Silliman-Lectures an der Yale-Universität in New Häven zu halten, die nach dem Stifterwillen alljährlich einen Gegenstand behandeln sollten, der geeignet wäre, «die Allgegenwart Gottes, seine Vorsehung, Weisheit und Güte, wie sie sich in der natürlichen und moralischen Welt manifestiert», zu illustrieren. Die Moral wurde dabei nicht allzu dogmatisch gesehen, und so kamen vorzugsweise Untersuchungen aus den Gebieten der Astronomie, Chemie, Geologie und Anatomie zur Sprache. Urey hielt seine Silliman-Vorlesungen über die Entstehung des Planetensystems, wozu ihn die Beschäftigung mit der Geochemie geführt hatte. Er brachte die Niederschrift seiner Ausarbeitungen pflichtgemäß im folgenden Jahr als Buch heraus. Sein Titel lautet: «The Planets» — «Die (Entstehung der) Planeten.» Gestützt auf Immanuel Kant (!), Carl Friedrich von Weizsäcker, den holländisch-amerikanischen Astronomen Kuiper und andere vertrat er darin den Standpunkt, daß die Planeten unseres Sonnensystems sich bei relativ kühlen Temperaturen (T < 300 °C) aus der gemeinsamen kosmischen Staubwolke gebildet haben und daß sie in der frühen Phase ihrer Entstehung wasserstoffreiche, reduzierende Atmosphären besaßen.1 Der letztere Punkt war vor allem von Oparin in Rußland und von Haidane in England schon in den zwanziger und dreißiger Jahren in die Debatte geworfen worden. Jupiter hat noch heute eine solche reduzierende Atmosphäre, denn Wasserstoff, Methan und Ammoniak sind dort spektroskopisch nachgewiesen worden. Daß sie bei der Erde und den sonnennahen leichteren Planeten nicht mehr vorhanden ist, findet seine Erklärung darin, daß deren Schwerkraft nicht ausreicht, den Wasserstoff auf Dauer festzuhalten. Dieser muß, vermutlich innerhalb von weniger als 100000 Jahren, in den interplanetaren Raum entwichen sein. Es bildete sich dann eine neue Atmosphäre, die aus dem jungen Erdkörper selbst, etwa durch die Gase seiner Vulkane, gespeist wurde, aber noch frei von molekularem Sauerstoff war, bis schließlich — vor circa zwei Milliarden Jahren, als Leben bereits existierte und die Fähigkeit zur Photosynthese besaß — der Übergang zu jener atembaren Atmosphäre sich vollzog, von der wir jetzt umgeben sind. Die Verhältnisse auf der jungen Erde vor der Entstehung des Lebens waren somit sicherlich drastisch von unseren heutigen Verhältnissen verschieden; wollte man überhaupt die Entstehung organischer Materie aus den einfachsten Verbindungen des Erdmantels und seiner gasumhüllten Oberfläche verstehen, so mußte man zuallererst diesen Punkt in Rechnung setzen.
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Ausgewählte Literatur
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Rein, D. (1993). Werkstatt der Chiralität. In: Die wunderbare Händigkeit der Moleküle. Birkhäuser, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-6213-4_8
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