Zusammenfassung
In den bisherigen Kapiteln ging es vor allem um die Frage, wie aus unserer Sicht eine ökologisch zukunftsfähige Entwicklung aussehen kann. Wir haben aber auch gesehen, daß ökologische Normen nicht unabhängig davon sind, wie wir die Gesellschaft und ihre Umwelt verstehen. Wäre die Welt eine einfache kartesianische Ursache-Wirkungs-Maschine, dann würde ein umweltpolitisches Leitbild ganz anders aussehen als das eben skizzierte. Unser heutiges Wissen über ökologische Gleichgewichte als komplexe, selbstorganisierende Systeme führt uns jedoch dazu, ein Vorsichtsprinzip anzustreben, das in Kapitel drei mit Hilfe des Leitbildes der Dematerialisierung konkretisiert wurde.
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Anmerkungen
Den einzelnen Phasen dieses sogenannten «Werturteilsstreits», in die be-deutende Köpfe der Jahrhundertwende involviert waren (allen voran Max Weber und Werner Sombart auf der einen Seite, die Werturteile als unvereinbar mit «objektiver» Wissenschaft erachteten; die andere Seite, u.a. die Historische Schule Gustav von Schmollers, konnte sich dagegen (vorerst) weniger Gehör verschaffen), wollen wir hier nicht nachgehen, auch nicht dem sogenannten «Positivismusstreit» in den 60ern zwischen Theodor Adorno und Karl Popper. Zum Werturteilsstreit und dem darauf aufbauenden Positivismusstreit gibt es eine Unmenge an Literatur; genannt seien hier, stellvertetend für viele andere, Max Weber, 1973; Hans Albert, 1970; Jürgen Habermas, 1977; W.A. Jöhr, 1964. Als Kronzeuge sei Gunnar Myrdal zitiert: «Sozialwissenschaft kann niemals nur Tatsachen schildern oder neutral sein... Die Forschung basiert immer auf moralischen und politischen Wertungen, und der Forscher tut gut daran, sich ausdrücklich auf sie zu besinnen» (1971, S. 78f.).
Ein Grund dafür ist, daß «Tatsachen» nicht ohne wissenschaftliche Methoden festgestellt werden können und daß Beobachtung immer subjektive Wahrnehmung beinhaltet. Wie schon in Kapitel 3.2 skizziert, gibt uns der Konstruktivismus im Sinne Watzlawicks (siehe etwa Watzlawick/Krieg, Hrsg., 1991) eine Menge wissenschaftliche Argumente gegen die Vorstellung einer «objektiven Realität», die unabhängig von dem existiert, was ein Wissenschaftler beobachtet.
Siehe dazu grundlegend Thomas Kuhn «Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen» (1967). Hierin definiert er als Paradigmata «Leistungen, die von einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Zeitlang als Grundlage für ihre weitere Arbeit anerkannt werden». Diese Leistungen haben zwei Merkmale: Sie sind «beispielslos genug, um eine beständige Gruppe von Anhängern anzuziehen... und gleichzeitig - noch offen genug, um der neubestimmten Gruppe von Fachleuten alle möglichen Probleme zur Lösung zu überlassen»; 1967, S. 28.
Einen grundlegenden Überblick über die heutige Ausdifferenzierung von Lebensstilen gibt Reußwig, 1993.
Ulrich Beck, 1991, S. 38.
Dies hängt sehr stark vom Menschenbild des Betrachters ab und damit - wissenschaftlich betrachtet - vom theoretischen Ansatz, von dem aus man die «Realität» betrachtet. Wäre nämlich schon die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden, eine Illusion, es hätte wenig Sinn, Entscheidungsfreiheit als «Norm» zu fordern. Die Frage, ob sich Individuen frei entscheiden oder dabei von außen (den Umständen) oder innen (der eigenen Natur) gesteuert werden, ist dabei eher metaphysischer Natur.
Riese, 1972, S. 25. Er macht dabei auch deutlich, daß Freiheit für die Vertreter des Ordo-Liberalismus dort endet, wo es um die Entscheidung über das System selbst geht: «Es unterstreicht den asozialen und ahistorischen Charakter dieser Ordnungstheorie, daß sie das Gegenteil von absoluter Wahlfreiheit postuliert, sofern erst einmal die Entscheidung über eine bestimmte Wirtschaftsordnung gefallen ist: Gesellschaftspolitik und Wirtschaftspolitik müssen dann ihre Aufgabe darin sehen, die gewählte Ordnung zu verwirklichen, zu sichern und reinzuhalten von den verderblichen Einflüssen anderer, konträrer Ordnungselemente, insbesondere solcher der zentralen Verwaltungswirtschaft» (S. 25 f.).
Gruhl, 1975, S. 307. Den braunen Kern der grünen Schale des Gruhlschen Werkes nennen Albrecht Lorenz und Ludwig Trepl das «Avokado-Syndrom» der Ökologiebewegung; in ihrem Artikel (Lorenz/Trepl 1993) geben sie gleichzeitig einen Überblick über den Zusammenhang von Ökologie und Faschismus.
Harich, 1975, S. 132 und 111.
Duve, 1975, S. 8.
Kloepfer, 1992, S. 203. Kloepfer definiert als «Öko-Faschismus» eine Staats-form, bei der «der Staat ein für ein diktatorisches Regime notwendiges Entscheidungsmonopol unter weitgehender Aufrechterhaltung der bisherigen Eigentumsverhältnisse durchsetzt», während man «die Monopolisierung der Staatsgewalt unter Aufhebung privater Verfügungsmacht über umweltrelevante Güter... - mit Vorbehalten - Ökosozialismus nennen könnte»; 1992, S. 203.
Alle wörtlichen Zitate dieses Absatzes stammen aus dem Kapitel «Ökologische Ligaturen» in Ulrich Becks «Erfindung des Politischen» ( 1993, S. 144–148), in dem er aus. seiner Sicht die Gefahr einer Diktatur, die die ökologische Frage in sich trägt, begründet.
Sachs, 1994.
Daly, 1992.
Vgl. im Zusammenhang mit einer Energiesteuer Massarat, 1995.
So die Überschriften eines Streits von Hans Schuh und Fritz Vorholz über Klimapolitik in der Wochenzeitung «Die Zeit» (Schuh, 1995, und Vorholz, 1995).
Eine größer werdende Ungleichheit der Einkommensverteilung ist eine Tendenz, die auch empirisch für die Industrienationen nachweisbar ist. Symptome sind z.B. steigende Obdachlosigkeit wie steigende Sozialhilfeausgaben. So stiegen über den Zeitraum von 1982 bis 1995 die Realeinkommen in Haushalten abhängig Beschäftigter um ca. fünf Prozent, während Selbständigenhaushalte um 32,3 Prozent zulegten. Noch deutlicher zeigt sich das Ausmaß der Ungleichverteilung in der Vermögensverteilung: Das oberste Dezil (= Zehntel) der Vermögensbesitzer verfügt über rund 49 Prozent des gesamten privaten Nettovermögens, die untere Hälfte (die ersten fünf Dezile) der westdeutschen Bevölkerung dagegen über weniger als 2,5 Prozent. Ostdeutsche Vermögenseinkommen beliefen sich 1992 gar nur auf vier Prozent des gesamten Vermögenseinkommens in Deutschland. Gleichzeitig gelten in Deutschland sechs Millionen Menschen als «arm», d.h sie beziehen Sozialhilfe bzw. machen ihren Anspruch darauf nicht geltend; auf ca. 800.000 bis eine Million wird die Zahl derer geschätzt, die ohne Wohnung in Containern, Turnhallen oder auf der Straße übernachten. Die Mehrheit der Sozialhilfeempfänger in der Bundesrepublik sind - entgegen der weitläufigen Meinung-vor allem Behinderte, Alleinerziehende, Rentner und Kranke. Entnommen sind die Daten aus Hanesch et al., 1994, Schieren, 1994, Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, 1994, Mündemann, 1993, Perina, 1995. Umfangreiche Analysen zur Armut und Verteilung in Deutschland bestätigen die hier genannten Tendenzen, so Untersuchungen des DIW und des WSI, vgl. z.B. Bedau, 1993, Huster, 1994, Schäfer, 1993. Die zur Vermögensverteilung genannten Daten beziehen sich auf 1983. Das Alter der Daten erklärt sich dadurch, daß die Datenbasis zur Vermögensverteilung in Deutschland, so Schieren, «nur als desolat bezeichnet werden kann», was auch die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht Oktober 1993 feststellt. Schieren ergänzt, daß dies um so mehr «verwundert..., als daß in der Bundesrepublik Deutschland sonst fast alles gezählt, gewogen und gewichtet wird. Aber die Erklärung ist einfach: Über Reichtum spricht man in Deutschland nicht, man hat ihn»; Schieren, 1994, S. 205.
Zu den unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen als Zielvorgaben in der Wirtschaftspolitik siehe jedes eingängige Lehrbuch der Wirtschaftspolitik, wie z.B. Giersch 1961, S. 71–82, Streit 1991, S. 213–222, bzw. ausführlich Hinterberger, 1990. Dabei ist keine Gerechtigkeitsnorm objektiv begründbar, sondern immer eine Frage der gesellschaftlichen Setzung. Verteilungspolitik ist somit immer abhängig von dem gegebenen Ist- und dem gesellschaftlich gewünschten Soll-Zustand einer Verteilung.
Daß falsche Anreize beseitigt und Defizite abgebaut sowie das gesamte Versicherungssystem umstrukturiert werden müßte, steht weitgehend außer Frage - dies darf aber kein Anlaß für einen umfangreichen Abbau der sozialen Sicherung bieten.
Zukunftsfähigkeit impliziert jedoch auch einen anderen Umgang mit der ästhetischen Dimension der natürlichen Umwelt. Eine Entlastung der Quellen und Senken bei gleichzeitiger Zerstörung der Schönheit der Natur ist offensichtlich weder mit intra- noch mit intergenerativer Gerechtigkeit vereinbar. Wir können auf dieses Thema hier nicht detaillierter eingehen.
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Hinterberger, F., Luks, F., Stewen, M. (1996). Normative Ausgangspunkte für eine ökologische Wirtschaftspolitik. In: Ökologische Wirtschaftspolitik. Wuppertal Paperbacks. Birkhäuser, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-6024-6_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-0348-6024-6_4
Publisher Name: Birkhäuser, Basel
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