Zusammenfassung
Diese »Visiono entsprang sicherlich nicht allein der Phantasie des Autors. Schon vor hundert Jahren gehörte die Nutzung der Zellulose, des wichtigsten nachwachsenden Rohstoffs der Erde, zu den auch unter Fachleuten immer wieder diskutierten Themen, waren sie sich doch bereits damals über die Endlichkeit der fossilen Ressourcen einig. Heute befaßt sich die Biotechnologie intensiv mit dieser Problematik. Stellen wir an einigen Beispielen den gegenwärtigen Stand und die vor hundert Jahren geäußerten Erwartungen gegenüber. Sie zeigen auch auf, daß es noch weiterer Forschungen bedarf, ehe sich die Menschheit tatsächlich von »Halmen und Hölzern« ernähren kann. 1977 berichtete das englische Wissenschaftsmagazin »Science« von erfolgreichen Versuchen des Mikrobiologen Ananda Chakrabarty, das Bakterium Escherichia coli mit einem Gen für das Enzym Cellulase auszustatten. Dieser Biokatalysator baut Zellulose zu ihren Zuckerbruchstücken ab. Der Forscher wendete die sogenannte Plasmidzüchtung an, wobei kleine Einheiten der Erbsubstanz für die Cellulase von natürlich vorkommenden Cellulasebildnern auf den Wirtsorganismus übergingen, so von Pansenorganismen grasfressender Tiere oder von bodenbewohnenden Mikroben. Das führte dazu, daß sich das Bakterium nunmehr — anders als seine natürlichen Vorfahren — von diesen pflanzlichen Makromolekülen ernähren konnte. Mehr noch; die Colikeime gehören zu den typischen Darmbewohnern des Menschen, und die erbgeänderten Artgenossen würden sich sicher im menschlichen Organismus stabil ansiedeln lassen, die bisher unverdauliche Zellulose zersetzen und es gestatten, von Stroh oder Gras zu leben.
Ende 1891 erscheint in einem Leipziger Verlag ein Fortsetzungsroman des Autors Ernst Eckstein. Darin tritt ein betagter Chemiker auf, Dr. Altenhöffer. Er hat ein Verfahren entdeckt, die Menschheit für alle Zeiten ausreichend mit Nahrung zu versorgen, indem es ungenießbare Zellulose zu eßbarer Stärke umwandelt. Denn, so erklärt er, »wenn die Atome der Zellulose ihre Gruppierung veränderten, so würde der Magensaft diese umgewandelte Zellulose ebenso leicht verdauen wie jetzt das Stärkemehl«. Es klinge ja zunächst etwas komisch: Halme zum Frühstück, ein Stück Holz zum Abendbrot. »Doch«— fährt er mit seiner Prognose fort— »die Tragweite ist ungeheuer. Die Zukunft des Menschen gesichert. Brot aus den Stoppeln des Ackerlandes…. Brot aus der unerschöpflichen Fülle des Urwaldes. « Die Ernährungsfrage sei nun gelöst, auf unabsehbare Zeit.
Und wodurch? »Die Sache ist einfach, wie alles Große«. Mit letztem Atem teilt der Meister seinem Schüler das langgehütete Geheimnis mit: »Auf der vorletzten Seite des Manuskripts Nummero drei findet sich die Formel für ein Zwischenprodukt, C6H10N014. Dieses Zwischenprodukt behandeln Sie über gewöhnlichem Kohlenfeuer mit einer vierprozentigen Lösung von... « — zu spät: Der Kopf des Doktors senkt sich für immer; er wird es nicht mehr erleben.
Doch ist mit ihm auch die erlösende Formel für immer hingeschieden?
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Soyez, K. (1990). Vor und nach 100 Jahren. In: Biotechnologie. Birkhäuser, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-5237-1_8
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