Zusammenfassung
Im Mittelpunkt der philosophischen Diskussion der Quantenmechanik stehen zwei grundsätzliche Fragen: die erste betrifft den Übergang von Kausalgesetzen zu Wahrscheinlichkeitsgesetzen, die zweite die Interpretation unbeobachteter Objekte. Wir wollen mit der Diskussion der ersten Frage beginnen und die zweite in späteren Abschnitten analysieren.
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Literatur
Es ist kaum möglich, festzustellen, wer als erster diesen philosophischen Gedanken formuliert hat. Wir haben keine veröffentlichten Äußerungen Boltzmanns, die darauf schließen lassen, daß er an die Möglichkeit dachte, das Kausalprinzip aufzugeben. Der Gedanke wurde in dem Jahrzehnt, das der Formulierung der Quantenmechanik voraufging, oft diskutiert. Wohl der erste, der die dargestellte Kritik klar ausgedrückt hat, war F. Exner in seinem Buch Vorlesungen über die physikalischen Grundlagen der Naturwissenschaften (Wien 1919): «Aber vergessen wir nicht, daß sich uns das Kausalitätsprinzip und das Kausalitätsbedürfnis ausschließlich durch die Erfahrung an makroskopischen Vorgängen aufgedrängt hat und daß eine Übertragung desselben auf mikrokosmische Erscheinungen, also die Voraussetzung, daß jedes Einzelereignis streng kausal bedingt sei, keine auf Erfahrung basierte Berechtigung mehr hat» (Seite 691). Auf Exner hat sich auch E. Schrödinger bezogen, als er in seiner Antrittsvorlesung in Zürich 1922 ähnliche Gedanken äußerte, die er in den «Naturwissenschaften» 7, 9 (1929), veröffentlicht hat.
Vgl. die Arbeit des Autors, Die Kausalstruktur der Welt, Ber. Bayr. Akad., Math. Kl. (München 1925), S. 138, und seinen Artikel Die Kausalbehauptung uud die Möglichkeit ihrer empirischen Nachprüfung, geschrieben 1923 und veröffentlicht in «Erkenntnis» 3, 32 (1932).
Der Name «Prinzip der spektralen Zerlegung» wurde von L. de Broglie in Introduction à l’Etude de la Mécanique ondulatoire (Paris 1930), S. 151, eingeführt. In seinem späteren Buch La Mécanique ondulatoire (Paris 1939), S. 47, gebraucht er auch die Bezeichnung «Bornsches Prinzip», da dieses Prinzip von Born eingeführt worden ist. Für die Regel der quadrierten ψ-Funktion gebraucht er den Namen «Interferenzprinzip» und in seinem späteren Buch die Bezeichnung «Prinzip der Lokalisation».
Mathematisch gesprochen, entspricht dieser Faktor einer Dichtefunktion r, wie sie in (22, § 9) eingeführt wird. Die dritte Potenz von h folgt aus unserer Annahme, daß die Wellen dreidimensional seien.
Die Kurve verändert auch allmählich ihre Form, aber das ist für die hier durchgeführte Untersuchung unwichtig.
Das Maximum der s(v) ist an der Stelle v = 0, und die Kurve ist symmetrisch für positive und negative Frequenzen v. Das ergibt sich aus unserer Annahme, daß die Kurve d(q) eine Gauß-Kurve sei. Für die Kurve d(p) besteht eine solche Beschränkung nicht, weil die Funktion ψ(q) nicht durch d(q) bestimmt, sondern ganz beliebig gelassen ist; das Maximum von d(p) kann daher bei irgendeinem Wert v = v 0 oder, entsprechenderweise, bei irgendeinem Wert p liegen.
Wir gebrauchen den Ausdruck «ausdrückbar in der Form von ψ-Funktionen», um sowohl den reinen wie den gemischten Fall einzuschließen; vgl. § 23. J. von Neumann hat in seinem Buch Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik einen Beweis geliefert, daß keine «verborgenen Parameter» existieren können. Dieser Beweis beruht aber auf der Annahme, daß die Gesetze der Quantenmechanik, die in der Form von ψ-Funktionen ausgedrückt sind, für alle Arten statistischer Gesamtheiten gelten. Wenn der Indeterminismus der Quantenmechanik kritisiert wird, dann wird diese Annahme gleichfalls in Frage gestellt. Der von-Neumannsche Beweis kann daher den Fall, auf den wir im Text hinweisen, nicht ausschließen. Er zeigt nur, daß die Annahme von verborgenen Parametern nicht mit einer allgemeinen Gültigkeit der Quantenmechanik vereinbar ist.
Wir geben später (S. 118) einen mathematischen Beweis dafür, daß die Störung des Objektes durch die Beobachtung nicht das Unbestimmtheitsprinzip in sich schließt. Der Gedanke, daß es nicht die Störung an sich ist, die zu der Unbestimmtheit führt, wurde vom Autor zuerst in Ziele und Wege der physikalischen Erkenntnis in Handbuch der Physik, Bd. IV (hg. von Geiger-Scheel, Berlin 1929), S. 78, formuliert. Dieselbe Idee ist von E. Zilsel in «Erkenntnis» 5, 59 (1935), ausgeführt worden. Die genaue Formulierung des Unbestimmtheitsprinzips erfordert eine Einschränkung, die in § 30 erklärt wird.
Vgl. die Darstellung des Verfassers in seinem Buch Experience and Prediction (Chicago 1938), § 42. In dieser Darstellung wird die deskriptive Einfachheit von der induktiven Einfachheit unterschieden; nur die letztere führt zu Unterschieden, welche Voraussagen von Beobachtungsbefunden betreffen. Die Unterscheidung dieser beiden Arten von Einfachheit ist im Buche des Verfassers A xiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre (Braunschweig 1924, Verlag Vieweg), S. 9, durchgeführt worden.
Vgl. die Darstellung des Autors in dem Buch Philosophie der Raum-Zeit-Lehre (Berlin 1928). S. 271.
A. Landé, Principles of Quantum Mechanics (Cambridge, England, 1937).
Professor W. Pauli hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß das zweite Prinzip sogar in der klassischen Physik meistens für die Einführung von Normalsystemen aufgegeben werden muß. Wenn wir ein physikalisches Objekt sehen, dann ist das Eindringen der Lichtstrahlen in die Retina des menschlichen Auges die Tatsache, die die Beobachtung hervorruft. Bei diesem Vorgang wird der Lichtstrahl jedoch absorbiert und so durch die Wechselwirkung mit dem Beobachtungsmittel verändert. Die Behauptung, daß es ein physikalisches Objekt gebe, das durch die Beobachtung ungestört bleibt, ist daher, physikalisch gesprochen, mit Hilfe eines Schlusses abgeleitet, der auf einer Beobachtung beruht, die das zweite Prinzip befriedigt. Nur psychologisch gesprochen stimmt das nicht, denn der Schluß wird automatisch von den Sinnesorganen gezogen; das Auge ist in Stimulussprache geeicht. Das ist der Grund, warum es ratsam erscheint, das Wort «Beobachtung» in der klassischen Physik so zu interpretieren, daß das zweite Prinzip aufrechterhalten werden kann. Es würde ebensogut möglich sein, das zweite Prinzip ebenfalls für die klassische Physik auszuschalten. Das entspricht unserer Ansicht, daß das Aufgeben des zweiten Prinzips in der Quantenmechanik ziemlich unwichtig ist, und daß ein Normalsystem im weiteren Sinne definiert werden kann, welches den Fall einschließt, daß das zweite Prinzip verletzt wird. Nur das erste Prinzip drückt die conditio sine qua non des Normalsystems aus.
Die Methode, dieses Experiment mit Hilfe der Korpuskelinterpretation zu beschreiben, ist in A. Landé, Principles of Quantum Mechanics (Cambridge, England, 1937), § 9, dargestellt.
Man wird leicht einsehen, daß dieser Gedanke ein Spezialfall der Überlegungen ist, die in § 22 angestellt werden und nach denen eine Zwischenmessung einer Größe v die Wahrscheinlichkeit beeinflußt, die von u zu v führt, selbst wenn das Ergebnis der Messung nicht in die Angabe dieser Wahrscheinlichkeit eingeschlossen ist. Schlitz B 2 zu schließen ist gleichbedeutend mit einer Ortsmessung in B 1.
Weitere Anomalien entstehen, wenn wir den Schirm näher an die Blende heranbringen. Wenn wir den Punkt C auf dem Schirm immer so wählen, daß die Richtung B 1 C dieselbe bleibt, dann finden wir, daß die Wahrscheinlichkeit P(A.B 1 , C) nicht als konstant angesehen werden kann; d. h. diese Wahrscheinlichkeit ist nicht eine Funktion, die nur von der Richtung abhängt, in welcher das Teilchen B 1 verläßt. Dies läßt sich mit Hilfe von Wellenvorstellungen nachweisen.
Vgl. frgendein Textbuch über Wahrscheinlichkeit oder das Buch des Verfassers Wahrschein-lichkeitslehre (Leiden 1935), Formel (6), § 21.
Vgl. das Buch des Verfassers Experience and Prediction (Chicago 1938), § 7.
Strenggenommen ist das nur annähernd richtig. Der Grad der Annäherung wächst, wenn die gewählten Kanäle in ihren Mittelteilen weiter sind, während die Weiten bei B 1, B 2 und C unverändert bleiben. Der mathematische Lehrsatz, auf den wir uns hier beziehen, besteht in der Behauptung, daß es möglich sei, zwei Wellengruppen einzuführen, die von B 1 und B 2 ausgehen und sich auf dem Schirm derart überlagern, daß nur an einer kleinen Stelle in C eine Intensität übrigbleibt. Unser Zweikanalelement kann als eine vereinfachte Illustration dieser beiden Wellengruppen aufgefaßt werden.
Für Systeme, die aus mehreren Teilchen bestehen, breiten sich die Wellen nicht in einem dreidimensionalen, sondern in dem n-dimensionalen Konfigurationsraum aus. Aber selbst wenn wir den Konfigurationsraum als einen «realen» Raum betrachten, würden die Wellen die Forderungen normaler Kausalität nicht erfüllen. In einem solchen Raum würde das Verschwinden der Welle nach dem Lichtblitz zu denselben Schwierigkeiten wie im gewöhnlichen Raum führen.
Vgl. das Buch des Autors, Philosophie der Raum-Zeit-Lehre (Berlin 1928), §§ 27, 42.
In der französischen und englischen Sprache wird der Ausdruck Pilotenwellen (pilot waves), der von L. de Broglie eingeführt worden ist, benutzt.
Dies folgt aus ähnlichen Überlegungen, wie sie in Fußnote 2 auf S. 40 angeführt sind.
Die Anomalien dieser Interpretation sind in L. de Broglies Buch Introduction à l’Etude de la mécanique ondulatoire (Paris 1930), Kap. 9, sehr klar dargestellt.
Man kann übrigens fragen, ob es wirklich in allen Fällen möglich ist, kausale Anomalien mit Hilfe einer passenden Beschreibung auszuschalten. Was man zeigen kann, ist, daß das Prinzip der Eliminierbarkeit wenigstens für einzelne Teilchen oder für Schwärme von Teilchen gilt, die miteinander nicht in Wechselwirkung sind, wie z. B. Elektronenschwärme oder Lichtstrahlen. Für komplizierte Strukturen, die sich aus mehreren Teilchen zusammensetzen, entstehen Schwierigkeiten. Vgl. § 27.
Die Störung durch die Beobachtung kann in diesem Fall von derselben Art sein wie sie in Wirklichkeit für die Quantenmechanik angenommen wird : Wenn wir beobachten, daß ein Teilchen durch einen Schlitz hindurchgeht, dann wird es durch den Lichtstrahl von seiner Bahn abgelenkt. Zwar wissen wir in diesem Falle: Wenn das Teilchen nicht an dem Schlitz beobachtet worden ist, wo die Beobachtung gemacht wurde, ist es durch den anderen Schlitz hindurchgegangen. Daher haben wir hier eine Kenntnis vom Orte des Teilchens, ohne seine Bahn gestört zu haben. Aber diese Kenntnis haben wir durch einen Schluß, und nicht durch eine Beobachtung gewonnen; denn was beoachtet worden ist, ist die Abwesenheit des Teilchens am einen Schlitz und nicht sein Durchgang durch den anderen. Unser fiktives Experiment stellt daher einen Fall dar, wo eine normale Ergänzung beobachteter Daten durch Interpolation gegeben werden kann, obgleich die Beobachtung stört. Dies ist möglich, da das Interferenzmuster auf dem Schirm in diesem Falle so beschaffen ist, daß es uns erlaubt, die Bewegung des Teilchens als unabhängig davon zu betrachten, was sich an dem Schlitz ereignet, durch den das Teilchen nicht hindurchgegangen ist.
Vgl. das Buch des Verfassers Experience and Prediction (Chicago 1938), Kap. I.
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Reichenbach, H. (1949). Allgemeine Betrachtungen. In: Philosophische Grundlagen der Quantenmechanik. Lehrbücher und Monographien aus dem Gebiete der Exakten Wissenschaften. Springer, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-4130-6_1
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