Zusammenfassung
Hoffmann hat gesehen, daß die Wissenschaft nicht mehr in Gesamtzusammenhängen dachte, sondern sich in Partialinteressen aufzuspalten begann. Seine Kunst als integrierender Faktor sollte das Getrennte überbrücken, verlorenes Terrain zurückgewinnen und Zusammenhänge wiederherstellen. Vermittler muß der Künstler sein, der sich bereithält, die Grenze zur Wissenschaft zu überschreiten, sollten ihre Therapien versagen. Dazu erfand Hoffmann Figuren, Künstler in Gestalt des ‚reisenden Enthusiasten‘, die sich den professionellen Ärzten zugesellten, ihre Diagnosen anhörten und ihre Therapieversuche beobachteten. Erst wenn die ärztliche Diagnose es versäumte, zur Therapie fortzuschreiten, greifen sie ein und stellen jene Verbindung her, die zu fassen sich die Ärzte vergeblich abmühten. Einen solchen Fall, in dem eine ärztliche Diagnose den Weg zur Therapie nicht findet, weil ein Arzt Markierungen übersieht, ein Künstler sie jedoch wahrgenommen hat, gestaltet Hoffmann mit der Erzählung Das Sanctus.
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Literatur
O. Nipperdey, Wahnsinnsfiguren bei E. T. A. Hoffmann (1957), S.36 f., bemerkt ganz richtig, daß Diagnose und Therapie “den Kern der Erzählung (bilden), die damit eine geniale Vorwegnahme der psychoanalytischen Theorie der hysterischen Erkrankungen darstellt.” Berufen kann er sich auf eine kleine Untersuchung, die Hoffmanns korrekte Darstellung bestätigt: E.Jolowicz, Eine psychotherapeutische Neurosenheilung bei E.T.A. Hoffmann (1922), S. 56 - 59.
W. Segebrecht, Krankheit und Gesellschaft (1978), S.274 f., sagt in wenigen Sätzen das Wesentliche über die Form der Laienbehandlung, über den Vorrang der Kunst vor der Medizin.
F.Loquai, Künstler und Melancholie in der Romantik (1984), S.251-254, weist nach, wie der “reisende Enthusiast” eine psychische Krankheit heilt. Er erzählt, als der professionelle Arzt versagt, eine Geschichte, die alle wesentlichen Elemente der Krankheitsursachen von Bettinas Stimmlosigkeit enthält. Die hinter der Tür lauschende Kranke hört die Geschichte, findet zu ihrer Stimme zurück und ist geheilt.
Verwiesen sei auf folgende Literatur, die das Problem ins Auge gefaßt hat: V. Terras, E. T. A. Hoffmanns polyphonische Erzählkunst (1966), S.549-569, S.555,
Der Baum ist eine Allegorie, deren Tradition bis in die christliche Ikonologie des Spätmittelalters zurückreicht. In der Kunst zur Zeit der Reformation dient die Baumallegorie als Versinnbildlichung von Gesetz und Gnade, von Sündenfall und Erlösung. Im 15. und 16. Jh. erscheint der Baum in den allegorischen Darstellungen als zur Hälfte verdorrt und zur Hälfte grün; die eine Seite ist bildhaft der Sündenfall aus dem Alten Testament, die andere Vergebung und Erlösung durch Christus. (Vgl. dazu: G. Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, 1976, S. 67 ).
Auch die Medizin erkannte den therapeutischen Wert der grünen Farbe: “Alle sinnliche Eindrücke, welche Gegenstände durch einen äußern Sinn auf uns machen, sind, als solche, von einem Eigengefühle begleitet, das stärker oder schwächer seyn, und sich in einer Unmerklichkeit verlieren kann. Diese Gefühle kann man sinnliche Gefühle im besondern Sinne nennen. Sie werden bloß durch den Eindruck, den der empfundene Gegenstand auf das Organ macht, nicht etwa durch die Einbildungskraft oder den Verstand… bestimmt.” J.Ch.Hoffbauer, Ueber die gegenseitige Abhängigkeit der Gesammtund Eigengefühle von einander, und den darin sichtbaren gegenseitigen Einfluß des gesammten Nervensystems auf seine Theile, und dieser auf jenes. In: Reil/Hoffbauer (Hg.), Beyträge zur Beförderung einer Kurmethode auf psychischem Wege. Zweyter Band. Halle 1812, S.94 ff.; S.97: “Die grüne Farbe thut (nicht nur) dem Auge wohl, sondern sie äußert eine, wenn gleich viel unmerklichere, erquickende Wirkung auf den ganzen Körper.”
So hat es jüngst F.Loquai, Künstler und Melancholie in der Romantik (1984), 5.353, Anm.17, interpretiert: “Diese späte Erzählung Hoffmanns gibt ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie der Arzt zum Heilkünstler wird. Letztlich ist es aber die Natur selbst, die die Heilung bewirkt. Vom Arzt wird… verlangt, daß er die Heilkräfte der Natur genau kennt und richtig einzusetzen weiß. Der junge Arzt… beherrscht diese Kunst perfekt; die Heilung wird zu einem bis in alle Feinheiten ausgeklügelten, inszenierten Schauspiel mit der Natur in der Hauptrolle… Hoffmanns Darstellung übersteigt (durch die poetische Einkleidung) auch hier die naturphilosophische Position, in der die Heilkräfte der Natur eine zentrale Rolle spielen.”
Die Forschung hat unterschiedlich über den Wert dieser Erzählung geurteilt: Eher zwiespältig: R.Huch, Ausbreitung und Verfall der deutschen Romantik (1902), S.214: “Dieses Erlebnis (des Ausflugs ins Grüne, F.A.) spiegelt sich in der fragmentarischen Novelle Die Genesung, die man nicht das beste seiner Werke nennen kann, aber das seelenvollste.”
W.Harich, E.T.A. Hoffmann (1920), S.384, hat gar nichts verstanden: “Der künstlerische Wert dieser kleinen Erzählung ist gering. Die Verknüpfung der heilenden Krise mit einer konventionellen Liebesgeschichte wirkt peinvoll…”.
W.Segebrecht hat auf Die Genesung im Rahmen einer Interpretation zu Eckart Kleßmanns Gedicht: “E.T.A.Hoffmann beim Fenster” (1982), S.256, reagiert: Mit mein mütterliches Grün …setzt der kranke Künstler alle Hoffnung auf die ursprünglichen, heilenden Kräfte der Natur…Das Grün der Natur wird zum Inbegriff konkreter Genesungshoffnungen und zum utopischen Ort einer mit der Krankheit fortschreitenden Phantasietätigkeit des Dichters, die sich neue Räume erschließt.
H. Castein, Zum Naturverständnis E. T. A.Hoffmanns. Am Beispiel einer exemplarischen Stelle in den Elixieren des Teufels. (1981), S.16-21, hier S.20, geht kurz auf Die Genesung ein: Als der Kranke, zu seinem Lieblingsplatz im Walde unter einer blühenden Linde gebracht, seine Verblendung erkennt, sieht er ihre Ursache richtig in sich selbst….
F.Fühmann, Fräulein Veronika Paulmann (1984), sagt Schönes zur Therapie und zur Ambivalenz des Traumes: Und beide wagen eine Kur, deren Ausgang ungewiß ist: Heilung durch Erschütterung, Katharsis durch Wiederkehr des Alten (S.109); der mit dem Zauberschlaf heilt, fürchtet den feindlichen Schlaf und den schlechten Traum, den des Vergessens und Verdrängens - welch eine Würdigung des Bewußtseins!(5.110).
Die andere Vernunft (1980), S.3.
Zuletzt von W. Ettelt, E.T.A.Hoffmann (1981), S. 132.
Bei seiner Entfernung von der Natur, war es um so rührender, wie, kurz vor seinem Ende, die Sehnsucht nach dem Grünen in ihm erwachte… und als er zum ersten Mal hinauskam ins Freie, entstürzten ihm die hellen Thränen, und er wurde ohnmächtig vor der Gewalt des Eindrucks. Nach seiner Heimkehr faßte er den Plan zu der mitgetheilten kleinen Erzählung: die Genesung, die er sogleich dictirte. Hitzig, Aus Hoffmanns Leben und Nachlass II (1823), S.314 f.
Wie aus F. Schnapps sorgfältigen Rekonstruktionen hervorgeht (Winkler-Ausgabe. VI,456 ff.), hat sich Hoffmann jahrelang um eine Aufführung bemüht, zuletzt 1812 anläßlich der Aussicht auf eine Aufführung in Würzburg.
Vgl. dazu auch die Gedanken von F. Loquai, Künstler und Melancholie in der Romantik (1984), S.172 f.
Schelling, Werke, VII, S. 465 f.
Ganz allgemein charakterisiert R.-R. Wuthenow: Nachw. zu E.T.A. Hoffmann (1977), S.419, Hoffmanns Kunstauffassung trefflich und vermeidet jede vorschnelle Harmonisierung: Von einer Versöhnung freilich kann nicht die Rede sein, sie taucht nur als geborgter Schein und als Zitat (und im Konjunktiv, wäre hinzuzufügen, F.A.) bei
Unter dem Aspekt des Marionettenhaften hat N.J.Berkowski, Die Romantik in Deutschland (1979), 5.605 f., Die Fermate schon interpretiert.
Die eine Richtung (Serapiontik = Serapionik) bestimmte P.v.Matt, Die Augen der Automaten (1971), die andere W. Segebrecht, Autobiographie und Dichtung (1967).
Eine sehr gute Interpretation hat bereits L.Köhn, Vieldeutige Welt (1966), 5.109-141, gegeben. Auf sie läßt sich bequem verweisen, um Wesentliches über Erzählstrukturen und die Funktion des Rahmens zu erfahren. Hier ist bereits von Hoffmanns distanzierend-befreiende(r) Tendenz (S.114) die Rede, von der Macht der Vergänglichkeit (S.121). Köhn verweist auch auf die intendierte Gemütlichkeit, aber Widersprüche, Mißtöne, Ambivalenzen sind nicht zu übersehen (S.141).
I. Winter, Untersuchungen zum serapiontischen Prinzip E.T.A. Hoffmanns, (1976), hat vor wenigen Jahren bei den Serapionsbrüdern angeklopft und um Einlaß gebeten. Er wurde ihr zwar gewährt, aber unversehens erlag sie mit ihrer Beobachtung, serapiontisches Erzählen sei abgerundetes Erzählen, der Verführungskunst philiströser Behaglichkeit.
Einen weiteren Versuch unternahm H.Toggenburger, Die späten Almanach-Erzählungen E. T. A. Hoffmanns (1983).
J.Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750-1945. Bd.2: Von der Romantik bis zum Ende des Dritten Reiches (1985), folgt im Kap. E.T.A. Hoffmann: Glanz und Elend der romantisch-genialen Imagination, S.1-39, bes.9-12, der Auffassung P.v.Matts.
Dem Autor-Leser-Bezug hat die Forschung viel Aufmerksamkeit geschenkt und vor allem am Sandmann demonstriert:
B.Elling, Leserintegration im Werk E.T.A.Hoffmanns (1973), trug ihre Gedanken zu den Leseranreden so gehäuft zusammen, daß daraus ein eigenes Buch entstanden ist. Sie behandelt den formalen Aufbau, die Erzähler- und Leserrolle, also die rezeptionsästhetische Seite.
Wesentlich weiter sah schon H.Motekat, Vom Sehen und Erkennen bei E.T.A.Hoffmann (1973), S.17-27, der den Leser implizit als erweiterten Autor interpretiert.
J.Giraud, E.T.A.Hoffmann et son lecteur (1973), S.102-124; hier 5.105, sieht die Einheit der beiden Erzähler Hoffmann und Nathanael unter Einbezug des Lesers (vgl. S. 105 ).
Am weitesten ist W.Obermeit Das unsichtbare Ding, das Seele heißt (1980), gelangt. Der Autor-Leser-Bezug ist das Kernstück seiner Sandmann-Interpretation. Es heißt: Der zerrissene Partner, S.110 ff. Vier Ergebnisse Obermeits fasse ich zusammen:
L.Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität (1979), S.215 (vgl. S.192, Anm. 35 dieser Arbeit).
Vgl. W.Obermeit, Das unsichtbare Dinge, das Seele heißt (1980), S.154 ff., und S.L.Gilman, Wahnsinn, Text und Kontext (1981), S.16, der den Autor-Leser-Bezug anhand eines Dickens-Textes (A Curious Dance Round a Curious Tree) exemplifiziert hat: Dickens Ziel ist es, den Abscheu vor Geisteskrankheit und Idiotie zu mildern, so daß sein idealer Leser… über ihre soziale Verantwortung reflektieren kann, ohne völlig von ihrer eigenen inneren Angst überwältigt zu werden.
F.Loquai, Künstler und Melancholie in der Romantik (1984), S.333, Anm.63, hat diesen Aspekt hervorgehoben: Der Leser der Erzählung bildet hierin keine Ausnahme. Dies ist von Hoffmann beabsichtigt, zu diesem Zweck fungieren die zahlreichen Auslassungen, die den zunächst unbedarften Leser im Unklaren lassen. Hoffmann erreicht so, daß die Lektüre für den Leser zu einem Lernprozeß wird, der ihn zu einem tieferen Verständnis von Poesie und Wirklichkeit anleitet.
L.Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität (1979), S.326 ff. hat am Rat Krespel diese Auslassungstechnik Hoffmanns exemplifiziert. E.Rotermund, Musikalische und dichterische Arabeske bei E.T.A.Hoffmann (1968), S.48-69; hier S.69, hat weit gesehen: Die Hoffmannsche Variante des Arabeskenstils zwingt den Leser, den teils willkürlich zerstörten, teils nicht geleisteten Zusammenhang selbst herzustellen. Keine abgeschlossene Kunstwelt liegt hier vor, sondern eine Aufforderung, Korrespondenzen zu erkennen, zu konstruieren und einem möglichen Sinn kombinierend näher zu kommen.
Hoffmann bezieht den Leser nicht nur ein, er schreibt ihm eine übergeordnete Funktion zu, die bereits Novalis gefordert hatte: Der wahre Leser muß der erweiterte Autor seyn. Er ist die höhere Instanz, die die Sache von der niederen Instanz schon vorgearbeitet erhält. Novalis Schriften. 2.Bd.: Das philosophische Werk I, 1981, S. 470.
N.J. Berkowski, Die Romantik in Deutschland (1979), S.637 ff.
Vgl.: N.Miller, Das Phantastische - Innensicht, Außensicht (1978), S. 56.
Ohne die Unterschiede verwischen zu wollen: Marcel Proust, hundert Jahre nach Hoffmann lebend, gelangt, das Wesen der Zeit und Vergänglichkeit in einem fortlaufenden Schreibprozeß analysierend, zu ähnlichen Befunden. In Die wiedergefundene Zeit (1927) S.490, denkt der Erzähler über die Wirkung der körperlichen Gebrechlichkeit nach: Einen Körper zu haben aber ist die große Bedrohung für den Geist, für das menschliche und denkende Leben… Der Körper schließt den Geist in eine Festung ein; bald aber wird diese von allen Seiten belagert sein und zuletzt muß der Geist sich ergeben.
Julius Eduard Hitzig: Aus Hoffmanns Leben und Nachlaß. Berlin 1823, Zweiter Teil, S.157 f.
O.Marquard, Über einige Beziehungen zwischen Ästhetik und Therapeutik in der Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts (1975), S.341-377. Marquard versucht eine Verbindung zwischen Schellings System des transzendentalen Idealismus und Freuds Traumdeutung. Für das Verhältnis Ästhetik-Therapeutik im 19.Jahrhundert kommt Marquard zu dem Schluß: Ästhetik und Therapeutik - sie beide haben also… mindestens eine gemeinsame Funktion: beide sind definierbar als Versuche, unterm Eindruck der Ohnmacht geschichtlich-weltbürgerlicher Vernunft, d.h. unterm Druck einer Obermacht der Natur der Menschlichkeit Präsenz zu bewahren (S. 358 ).
Abhandlung über den Wahnsinn (1795), S.285.
So der lakonische Kommentar der Aufbau-Ausgabe (IV,653,Anm.27).
Der Wahnsinn in der Vernunft (1981), bes. S.116 ff.
G. Gamm, Der Wahnsinn in der Vernunft (1981), S. 98.
W.Brüggemann, Cervantes und die Figur des Don Quijote in Kunstanschauung und Dichtung der deutschen Romantik (1958), S.220-222, hat auf Hoffmanns produktive Rezeption dieser Figur mit der Erfindung der Gestalt des Einsiedlers hingewiesen.
S.L.Gilman, Wahnsinn, Text und Kontext (1981), S.33 ff., bes. S.45 ff., hat ebenfalls auf diese Tradition verwiesen, den historischen Kontext aber noch um die Bezüge zwischen Wahnsinn und schwarzer Hautfarbe erweitert.
O.Nipperdey, Wahnsinnsfiguren im Werk E.T.A. Hoffmanns (1957), S.143, weist mit Recht auf die Außenseiterrolle Serapions. H.-G.Werner, E.T.A. Hoffmann (1962), S.46-49, bes. S.48, hat schon den grundsätzlich gleichrangigen Darstellungsmodus Hoffmanns von Vernunft und Unvernunft bemerkt. Seine Überlegungen hat er dann selbst noch vorangetrieben: Ders., Der romantische Schriftsteller und sein Philister-Publikum (1981), S. 74 - 97.
L.Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität (1979), ist den Absonderlichkeiten romantischer Künstlerfiguren nachgegangen und hat auf der ontologischen Ebene ihr Ungenügen an der Normalität beschrieben: es drückt sich aus in Blick, Gang, Kleidung, Bewegungen usw. Zu Krespel vgl. S.450 f.
Zum Verhältnis der Vernunft des Bürgers zur Narrheit Krespels vgl. F.Loquai, Künstler und Melancholie in der Romantik (1984), S. 165.
Philippe Pinel, Abhandlungen, 1801, S.176 f.;
In Des Vetters Eck fenster bezeichnet sich der Gelähmte selbst als Physiognomiker (VIII,447).
Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe, 1.-4. Versuch. Leipzig und Winterthur 1775-1778; Erster Versuch, S.33. Auch Reil zieht solche Schlüsse im Sinne Lavaters: Jedes Thätige hat im Hemmenden seinen Reflex, das Ganze wie das Einzelne seine Physiognomie, die Seele im Körper ihren Spiegel, von dem ihr Bild wiederstrahlt. Vgl. J.Chr.Reil, Einige Parallelen zwischen Seele und Leib. In: Beyträge zur Beförderung einer Kurmethode auf psychischem Wege. Hg.v.J.Chr.Reil und J.Chr.Hoffbauer, Bd.I, S.33-54. Halle 1808; hier S.33.
Georg Christoph Lichtenberg, Über Physiognomik. Bd. III, S. 264.
F.Loquai, Künstler und Melancholie in der Romantik (1984), S.165.
Die Forschung hat die entsprechende Stelle wahr-, aber nicht ernstgenommen. Vgl. Aufbau-Ausgabe IV, 662.
Zur verstärkten Rezeption der Irrenhaus-Metapher in der schöngeistigen Literatur vgl. jetzt A.Bennholdt-Thomsen/A.Guzzoni, Der Irrenhausbesuch (1982), S.82-110.
Da dieses Sujet sich zunächst am Rand des Themas bewegt, wird der historische Rückblick kursorisch behandelt. Ich stütze mich im wesentlichen auf folgende Literatur: H.Meyer, Der Sonderling in der deutschen Dichtung (1963), S.23 ff.;
W.Lepenies, Melancholie und Gesellschaft2(1972);
M. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft (1977), S.19 ff.;
H.Mayer, Außenseiter (1975), S.9 ff.;
W.Promies, Die Bürger und der Narr (1966), 54 ff.;
W.Promies, besonders auf die einzelnen vorzüglichen Beiträge zum Katalog: Unter der Maske des Narren. Hg. v. St.Poley (1981); dort auch weiterführende Literatur.
Vgl. P. -K. Schuster, Idioten um 1500. In: St.Poley (1981), S.184 ff.,
Vgl. dazu auch W.Promies, Die Bürger und der Narr (1966), S.14-116.
K. Richter, Die Verwandlungen des Harlekin. In: St.Poley (1981), S.195 ff.; hier 5.200 ff.
J.Keimer, Nicht Mensch - nicht Gott - nicht Teufel. In: St.Poley (1981), S.202 ff. Ich folge hier seiner Darstellung, um mich dann wieder der Figur Krespels zuzuwenden.
A.Klingemann, Nachtwachen des Bonaventura. Hg.v.J.Schillemeit (1974), S.109 ff.
H.Meyer, Der Sonderling in der deutschen Dichtung (1963), S.109 ff., erzählt von den Schrulligkeiten des Rats.
J.Rippley La Verne, The House as Metaphor in E.T.A. Hoffmanns Rat Krespel (1971), S.52-60, versucht das Motiv des tollen Baus als strukturbestimmend für die Geschichte zu interpretieren.
C.Magris, Die andere Vernunft (1980), S.36, weist auf die Tragik von Krespels Leben, getragen von einer fehlgeleiteten künstlerischen Leidenschaft und einer verzehrenden und vergeblichen väterlichen Liebe, in der die Exzentrizität des Sonderlings als Verzweiflung über das absurde Lebensdrama und als selbstzerstörerisches Schuldgefühl erscheint.
W.Wittkowski, E.T.A. Hoffmanns musikalische Musikerdichtungen (1978), S.54-74; hier S.70 ff.
Das nimmt auch der Überlegung von G.Vitt-Maucher, Hoffmanns Rat Krespel und der Schlafrock Gottes (1972), S.51-57, etwas von ihrem Gewicht. Schuld und Verfehlung (S.52) ist ihr Thema. Krespel, so wird dargetan, geht fehl, weil er sich berechtigten gesellschaftlichen Ordnungen nicht beuge und sich andererseits als Richter über seine Tochter aufspiele. Schuld und Verfehlung Krespels? darum geht es gerade nicht, sondern um die Fragwürdigkeit von Vor-Verurteilungen ohne exakte Kenntnis der Zusammenhänge.
Ich denke, der jüngst in der Forschung angestellte psychologische Befund, Krespel sei ein Sexualfeigling, nimmt nichts vom Glanz und der Faszination dieser Gestalt.
Vgl. J.M.Mc Glathery, Der Himmel hängt ihm voller Geigen (1978), 5. 135 - 149.
Künstler und Melancholie in der Romantik (1984), S.254 ff.
Hoffmann geht es immer um den zweiten Blick. Er wird im Öden Haus zum Strukturprinzip als Wechsel von wunderlich und wunderbar. Näher hingesehen hat des öfteren L.Pikulik, Das Wunderliche bei E.T.A. Hoffmann (1975), S.294-319; aber permanentes Ontologisieren ließ ihn nur Wunderliches, nicht Wunderbares entdecken. Ihre eigene Ratlosigkeit auf die Spitze getrieben haben: M.Jaroszewski und M.Widmuch, Das Phantastische in E.T.A. Hoffmanns Novelle Das öde Haus (1976), 5.127-135. Hoffmann werden Erzählschwächen vorgeworfen, aber es sind erst die Interpretationsschwächen, die Das öde Haus in schrägem Licht erscheinen lassen.
Ich übernehme den Gedanken von W. Benjamin, Der Flaneur (1967), 5. 549 - 574;
vgl. dazu auch: W.Lepenies, Melancholie und Gesellschaft (1972), S.93 ff.
W. Lepenies, Melancholie und Gesellschaft (1972), S. 94.
Kant, Werke, VII,213: Wer aber über diesen Gedanken nicht mit männlicher Muthe wegsieht, wird des Lebens nie recht froh werden.
Vgl. dazu P.Diepgen, Geschichte der Medizin (1964), S.57 ff.
K.Kanzog, Berlin-Code, Kommunikation und Erzählstruktur (1976), S.61, überschätzt etwas die therapeutische Kunst Dr.Ks.
Auch M. Wacker, Nachw. zu E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Das öde Haus (1969), S.94, traut dem Arzt viel zu: Theodor befolgt die Ratschläge des Arztes und wendet so die drohende Gefahr ab.
Vgl. dazu die ausgezeichneten Überlegungen von F.Langegger, Doktor, Tod und Teufel (1983), S.46 ff.; er hat diesen Aspekt des Todes im Leben psychiatriegeschichtlich und psychologisch untersucht und ist zur Bildung folgender Gegensatzpaare gelangt: Stillstand und Fortschritt, Gesundheit und Krankheit, Ordnung und Chaos seien die Pole, wobei das Statische, das Kranke und das Chaotische (S.56 f.) im kulturellen Verständnis des gesamten neuzeitlichen Denkens als das Tote, bereits Zerstörte galt.
Einige Elemente zur Gartenmetaphorik übernehme ich von D. Lichatschow, Der Garten in der europäischen Kultur (1983), S.590-601; dort findet sich auch weitere Literatur.
Vgl. zur Gartenmetaphorik in der Romantik, vor allem zur Poesie Eichendorffs, die vorzügliche Studie von W. Rehm, Prinz Rokoko im alten Garten (1964), S. 122 - 214.
Die Literatur, die Hoffmann für diese Novelle vom Berliner Leihbibliothekar Friedrich Kralowsky erbat, reicht in die Zeit um 1740 zurück. Im Brief vom 3. Mai 1817 sagt Hoffmann seine Absicht: Es kommt mir darauf an, mich in den galanten Styl von den Jahren 1740 bis 60…hineinzudenken…Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Cavalier wäre mir das liebste… (Bw II,129). Kralowsky schickte ihm Heinrich Anselm von Zigler und Kliphausens Asiatische Banise (1688).
D. Lichatschow, Der Garten in der europäischen Kultur (1983), S. 595.
L.Bernini, hier zitiert nach D.Lichatschow, Der Garten in der europäischen Kultur (1983), S.595.
C.Magris, Die andere Vernunft (1980), S.29.
D.Lichatschow, Der Garten in der europäischen Kultur (1983), S.595. 103 Über das siderische Prinzip gibt eine Anmerkung der Auf- bau-Ausgabe (III,525) Auskunft: Auf die Fixsterne bezogenes Prin- zip. In das System des Mesmerismus…sind auch astrologische Spe- kulationen integriert. so u.a. die…Vorstellung vom Einfluß eines be- stimmten Planeten auf eine ihm zugeordnete Person.
R.Mühlher (Hg.), E.T.A. Hoffmann. Nachtstücke (1964), S.136, stellt im Kapitel Weihe ein Heiligenbild auf: In der Hochzeit Julies mit Max wird… Weihe offenbar… So wie einzig der Geweihte die Wunder der Natur versteht, ermöglicht einzig die Weihe wahre Erkenntnis. Nur dem Geweihten ist Liebe zugleich Erkenntnis. So darf nicht übersehen werden, daß es erst Hoffmanns Begriff der Weihe ist, auf den er oft an entscheidenden Stellen seiner Werke zu sprechen kommt, der den magischen Prozeduren ihren bedeutsamen Hintergrund der Freiheit gibt. - Also diesen Gang in die Kirche muß Mühlher schon alleine tun. Der Agnostiker Hoffmann hätte ihn dorthin nicht mehr begleitet.
H.D.Schäfer, Residenz des Prinzen Rokoko (1967), S.67-71, hat, W.Rehms Gedanken aufgreifend und weiterführend, das Problem der Zeit und der Vergänglichkeit in Eichendorffs Gartenmetaphorik festgehalten: Der Garten ist verwildert, das Schloß verfallen, doch die alte Zeit kann durch die immer noch blühenden Blumen und das Rauschen der Wasserkünste wiederholt werden (S.68). Daß die verlorengegangene Zeit nicht mehr wiederzugewinnen war, habe Eichendorff gesehen. H.D.Schäfer bilanziert: Kein Dichter hat damals die Antinomie von gewollter Dauer und tatsächlicher Zeit so präzis gesehen und herausgearbeitet wie Eichendorff (S.69). Hoffmann hat diesen Widerspruch ebenfalls genau erkannt - wäre jetzt hinzuzufügen
Doge und Dogaresse gehört zu den arg vernachlässigten Erzählungen - die Forschung mag sie nicht besonders wegen der angeblichen Trivialität: So hat W.Harich, E.T.A. Hoffmann. Das Leben eines Künstlers (1920), II, S.195, die Erzählung zwar gelesen, aber einmal mehr nichts verstanden: Züge von banaler Sentimentalität stören den anmutigen Fluß der Begebenheit.
Auch H.-G.Werner, E.T.A. Hoffmann (1962), S.116, hat seiner Enttäuschung freien Lauf gelassen: Die Erzählung…ist künstlerisch mißglückt, weil es dem Dichter nicht gelang, die dargestellten geschichtlichen Ereignisse mit der allgemeinen historischen Entwicklung zu verknüpfen….
B.von Wiese (Hg.), E.T.A. Hoffmann, Doge und Dogaresse (1965), S.71-79, hat sich um eine gerechtere Würdigung bemüht, auch wenn sich seine Interpretation an schwierigen Textstellen sehr schnell mit Begriffen wie romantisch und spukhaft zufriedengibt.
H.Grob, Puppen, Engel, Enthusiasten (1984), S.109 f., sagt Weniges und ganz Einfaches zur Liebe Annunziatas.
M.Feldt, Ästhetik und Artistik am Ende der Kunstperiode (1982), ist (mit über 100 Seiten) die ausführlichste Analyse von Doge und Dogaresse zu verdanken.
Über Chiarugi, Reil und Autenrieth ist es schon gesagt. Vgl. ebenso: Georg Friedrich Christian Greiner, Der practische Arzt in Rücksicht des Gefühls. In: Allgemeine medizinische Annalen des 19. Jahrhunderts auf das Jahr 1810, Sp.169-178; hier Sp.173 f.
N.J.Berkowski, Die Romantik in Deutschland (1979), S.635.
N.J. Berkowski, Die Romantik in Deutschland (1979), S.633 f.
Das ist Goethes zusammenfassende Betrachtung im Anschluß an einen Artikel Walter Scotts, der 1827 Hoffmann in ähnlich scharfer Form kritisierend den Engländern vorgestellt und von der Lektüre seiner Werke abgeraten hatte. Goethe übersetzte Teile aus Scotts Artikel, weil er dessen Diagnose und Therapie für Hoffmann nicht nur teilte, sondern weil er den Artikel als Warnung den deutschen Lesern nicht genugsam empfehlen konnte. Goethe, Werke, Bd. 14, S. 928.
P. Schmidt, Gesundheit und Krankheit in romantischer Medizin und Erzählkunst (1966), S.201, mahnt bei aller Ausgewogenheit seines Urteils zur Vorsicht: … wir würden leichtsinnig handeln, würden wir die Äußerung Goethes über Scotts Hoffmann-Rezension… nur in einem übertragenen Sinn verstehen wollen.
Th.Anz (Hg.), Nachwort zu E.T.A. Hoffmann, Nachtstücke (1984), S.299 f.
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Auhuber, F. (1986). Die Problematik der Vermittlung von Wissenschaft und Kunst. Zur Therapeutischen Funktion der Kunst. Hoffmanns Gesundheitsbegriff. In: In einem fernen dunklen Spiegel. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-05389-7_3
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