Zusammenfassung
„Will robots take my job?“ – diese Frage ist für viele Erwerbstätige greifbar und existenziell. Sie scheint darüber hinaus auch die Unsicherheit gesellschaftlicher Institutionen im Umgang mit den Herausforderungen einer Industrie 4.0 zum Ausdruck zu bringen. Eine zum Beispiel in der Berufspädagogik oft vermittelte Botschaft lautet: Neue bzw. „smarte“ Technologien werden zukünftig Aufgabenbereiche übernehmen und damit Arbeitsplätze überflüssig machen. Gleichzeitig vereinfachen und optimieren sie Arbeits- und Geschäftsprozesse und schaffen damit neue Tätigkeits- und Beschäftigungspotenziale. Besonders überraschend ist diese Erkenntnis nicht. Technologien verändern schon immer Berufe und greifen mitunter tief in die Lebenspraktiken der Menschen und die Strukturen der beruflichen Bildung ein. Die so bezeichnete vierte industrielle Revolution wird entsprechend mit tiefgreifenden Implikationen für die technische, soziale und kulturelle Dimension von Gesellschaft in Verbindung gesetzt. Eine Übertragung der Chiffre „VierPunktNull“ auf verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, wie Arbeit, Wirtschaft, Kultur, Bildung oder Arbeitskraft 4.0, bleibt zuweilen nicht aus.
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Notes
- 1.
Die Fragestellung ist einer Website entnommen, die unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Forschungsstudie von Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne (2013) und statistischer Erhebungen des amerikanischen „Bureau of Labor Statistics“ über das Substitutionspotenzial bzw. -risiko von über 700 verschiedenen Berufen informiert (online, URL: https://willrobotstakemyjob.com).
- 2.
Die Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft definiert das Zukunftsprojekt „Industrie 4.0“ wie folgt: „Auf dem Weg zum Internet der Dinge soll durch die Verschmelzung der virtuellen mit der physikalischen Welt zu Cyber-Physical Systems und dem dadurch möglichen Zusammenwachsen der technischen Prozesse mit den Geschäftsprozessen der Produktionsstandort Deutschland in ein neues Zeitalter geführt werden“ (2012, 8, Herv. i. Orig.).
- 3.
Der Begriff Disruption wird hier mit Rückgriff auf Joseph A. Schumpeter (1943) als tiefgreifender, „zerstörerischer“ Wandlungsprozess definiert, der verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betrifft. Schumpeter hat diesen Prozess „Schöpferische Zerstörung“ (im englischen Original „Creative Destruction“) genannt (vgl. ebd.). „Den Prozess der schöpferischen Zerstörung, bei dem alte Güter und Produktionsverfahren ständig durch neue ersetzt werden, sieht Schumpeter als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine zentrale Rolle spielt dabei der schöpferische, einfallsreiche Unternehmer, der durch neue Ideen und den Einsatz neuer Produktionsmethoden, Techniken und Verarbeitungsmöglichkeiten den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt immer wieder vorantreibt“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2016).
- 4.
Der Forschungsansatz der wissenssoziologischen Diskursanalyse (kurz: WDA) nach Keller und Bosančić schließt an die Theoriestränge des symbolischen Interaktionismus, der Theorie der Wissenssoziologie und dem Diskurskonzept von Michel Foucault an.
- 5.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die genannten Subjektpositionen des Arbeitskraft-Unternehmers und des unternehmerischen Selbst einen Idealtypus charakterisieren, der mit den tatsächlichen Subjektivierungsweisen in der Realität nicht gleichzusetzen ist.
- 6.
Analysiert wurden Fachartikel und Beiträge aus den wissenschaftlichen Diskursarenen der beruflichen Bildung, die im Zeitraum von 2015 bis 2018 veröffentlicht wurden. In die Feinanalyse wurden u. a. Beiträge aus den folgenden Fachzeitschriften einbezogen: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, berufsbildung – Zeitschrift für Theorie-Praxis-Dialog, Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, bwp@ Berufs-und Wirtschaftspädagogik online. Ebenso Gegenstand der Analyse war die Auswahlbibliografie „Industrie 4.0 – Wirtschaft 4.0 – Berufsbildung 4.0“ (vgl. Langenkamp und Linten 2018).
- 7.
Schüler∗innen, Jugendliche, Lehrkräfte und Ausbilder∗innen spielen diskursiv eine untergeordnete Rolle.
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Hering, S., Jaekel, J., Unger, T. (2020). Den Menschen in der Berufsbildung anders sehen – Berufspädagogische Reflexionen auf Diskurs, Subjekt und Bildung in der Industrie 4.0. In: Frenz, W. (eds) Handbuch Industrie 4.0: Recht, Technik, Gesellschaft. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58474-3_66
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