1 Chronisches Erschöpfungssyndrom (Myalgische Enzephalomyelitis, Systemic Exertion Intolerance Disease)

1.1 Definition

Das Chronische Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome, CFS) oder auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME) ist eine chronische Multisystem-Erkrankung mit einer Prävalenz von ca. 0,3-2,5 % der Bevölkerung. Hierbei ist bis dato nicht endständig geklärt, ob diese Erkrankung ein pathologisch eigenständisches Syndrom darstellt (Carruthers et al. 2011), ob die ME als eine Subform des CFS anzusehen ist (Jason et al. 2013) oder ob die nicht-spezifischen Symptome eigentlich auf andere, bisher nicht bekannte Erkrankungen zurückzuführen sind.

Das CFS wurde 1956 erstmalig in England beschrieben, wonach erst nach einem vermehrten Auftreten 1988 dieser Erkrankung wissenschaftliche Beachtung geschenkt wurde (Holmes et al. 1988). Die Verwendung unterschiedlicher Synonyme (z. B. myalgische Enzephalomyelitis) gründet sich in der teilweisen Beschreibung unterschiedlicher Diagnosekriterien, wobei die am häufigsten verwendeten Kriterien von den Centers for Disease Control (CDC) 1994 mit Revision 2003 veröffentlicht wurden (Fukuda et al. 1994; Reeves et al. 2003). Hierbei sind per definitionem zur Diagnosestellung 4 der 8 möglichen Symptome über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten notwendig: persistierender Kopfschmerz, Schlafstörungen, Krankheitsgefühl bzw. Abgeschlagenheit nach körperlicher Aktivität, Konzentrationsschwäche, Myalgie sowie Gelenkschmerzen, Schluckbeschwerden und krankhafte Schwellung von Lymphknoten (Lymphadenopathie). In neueren Definitionen wird ebenfalls das Vorhandensein einer orthostatischen Dysregulation als Diagnosekriterium gefordert (Ganiats 2015). Auch wurde im Februar 2015 vom Institute of Medicine in den USA empfohlen, die Termini ME/CFS durch den neuen Namen Systemic Exertion Intolerance Disease (SEID) zu ersetzen (IOM 2015).

Aufgrund der kurzen Historie sowie der sich immer wieder ändernden Definitionen ist die Studienlage in Bezug auf CFS bisher sehr gering. So stellen die meisten Publikationen Präsentationen von Fallserien oder Studien mit einer kleinen Probandenzahl im Sinne von Pilotstudien dar.

1.2 Epidemiologie, Krankheitslast und Risikofaktoren

Die Prävalenz für CFS wird in den USA mit 0,3 % angegeben, was einer Absolutzahl von ca. 1 Million US-Bürgern entspricht (Reyes et al. 2003). Aufgrund der unterschiedlichen Definitionen liegt hier aber eine deutliche Schwankungsbreite vor, so dass in Anhängigkeit der benutzen Kriterien als auch der untersuchten Population auch eine Prävalenz von 3,3 % möglich sein kann (Jason et al. 2012; Reeves et al. 2007). Vor allem aufgrund der Neudefinierung der Diagnosekriterien dürfte die Zahl der an SEID Erkrankten deutlich ansteigen (Jason et al. 2015).

Die Anzahl der Betroffenen gemäß der ursprünglichen Definition liegt in Deutschland bei ca. 300.000 BetroffenenFootnote 1. In der EU sind ca. 1,6 Millionen Menschen an CFS/ME erkrankt.

In Bezug auf ein vermehrtes Vorkommen in einer Ethnizität gibt es aktuell keine Hinweise. Auch kann das CFS alle Altersgruppen betreffen, auch wenn ein Altersgipfel zwischen 30 und 45 Jahren liegt, wobei Frauen zu ca. ¾ betroffen sind (Jason et al. 1999).

1.3 Pathophysiologie

Wie oben beschrieben, ist der genaue Pathomechanismus, der an der Entstehung eines CFS/einer ME beteiligt ist, bislang nicht geklärt. Als eine mögliche Ursache wird ein bisher unbekanntes Initialereignis diskutiert, welches über den Trigger einer Immunantwort zu einer Dysregulation des Immun- und neuroendokrinen Systems führt (Komaroff u. Cho 2011; Morris u. Maes 2013). Hier konnte bisher kein Zusammenhang zu bestimmten Proteinen, welche die Differenzierung und das Wachstum von Zellen regulieren, den sog. Zytokinen (mit Ausnahme von Transforming growth factor beta (TGF-b)) mit dem Auftreten von CFS nachgewiesen werden (Blundell et al. 2015).

Auch ein viraler Auslöser wie z. B. eine infektiöse Mononukleose wurden schon als mögliche pathogenetische Ursachen diskutiert. Dies begründet darin, dass die meisten Patienten mit CFS von einem plötzlichen Beginn der Symptome nach einem fieberhaften Infekt, welcher meist mit einer Lymphknotenschwellung (Lymphadenopathie) einhergeht, berichten. Es konnte jedoch noch kein Virus oder ein anderes auslösendes Agens identifiziert werden; auch haben nicht alle Patienten mit CFS einen vorherigen fieberhaften Infekt (Komaroff u. Cho 2011).

Ebenfalls wurde eine erniedrigte periphere Sauerstoffaufnahme in die Muskelzelle als Ursache der Belastungsintoleranz und somit Ausdruck einer insuffizienten metabolischen Adaptation diskutiert (Vermeulen u. Vermeulen van Eck 2014).

Aufgrund dieser bisher noch unbekannten Pathogenese und hierdurch auch fehlender objektiver klinischer und laborchemischer Parameter kann die Diagnosestellung schwierig sein, so dass das CFS eine Ausschlussdiagnose darstellt (Blundell et al. 2015).

1.4 Verschreibung von Bewegung, Training

1.4.1 Therapie: Rolle der Bewegung (basiert auf Empfehlungen, Guidelines, Metaanalysen, mit möglichst genauer Dosierung)

Aufgrund der bisher nur unzureichend verstandenen Pathogenese sowie der weiterhin diskutierten zugrundeliegenden Mechanismen existiert zum aktuellen Zeitpunkt noch keine wirklich wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit eines Therapieregimes. Hierbei kommen neben symptomatischen auch kausale Therapieansätze zur Anwendung.

Letztere basieren vor allem auf pharmakologischen Interventionen und kognitiven verhaltenstherapeutischen Ansätzen. In Bezug auf die medikamentösen Therapien wurde bisher die Wirksamkeit von Immunmodulatoren, Antiobiotika sowie antiviralen Substanzen untersucht, wobei einschränkend gesagt werden muss, dass die Anwendung aller beschriebenen Substanzen einen Out-of-label-Gebrauch (d. h., eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Medikamenten) darstellt. Es konnten hierbei bisher zwei randomisierte und placebokontrollierte Studien einen Effekt des Immunmodulators Rintatolimod (als Toll-Like-Receptor 3 (TLR3)-Agonist) nachweisen (Strayer et al. 2012; Strayer et al. 1994). In Studien mit Galantamin, Hydrocortison, Immunglobulin G, Valganciclovir, Isoprinosin, Fluoxetine und verschiedenen komplementärmedizinischen Therapeutika konnte bisher kein nachhaltiger Nutzen nachgewiesen werden (Smith et al. 2015).

Als symptomatische Behandlungsansätze kommen bisher vor allem nicht-medikamentöse Therapien zum Einsatz. Bei Letzteren handelt es sich unter anderem um Yoga, Bewegungsprogramme, psychologische Therapieansätze im Sinne einer kognitiven Verhaltenstherapie sowie auch um Mentalsport und die sog. Adaptive-Pacing-Therapie (APT). Im Rahmen der Adaptive-Pacing-Therapie (APT) sollen die Betroffenen lernen, die subjektiv zur Verfügung stehende Energie adäquat so zu nutzen und einzusetzen, dass sie zumindest im Stande sind, das Wichtigste im Alltagsleben selbst erledigen zu können.

Aufgrund der Limitationen der oben genannten »herkömmlichen« Therapieansätze erscheinen Interventionen mittels körperlicher Aktivität bzw. gezieltem Training umso wichtiger und auch erfolgsversprechender. Jedoch ist auch hier die wissenschaftliche Evidenzlage eher gering. So wurden bisher in sehr wenigen Studien die Effekte von körperlichem Training auf verschiedene klinische Aspekte des CFS untersucht. Als Trainingsmethode kamen hier gezielte Trainingstherapie mit sukzessiver Steigerung der Umfänge über die Zeit (stufenweise Bewegungstherapie, Graded Exercise Therapy (GET)), Qigong sowie Orthostasetraining zur Anwendung.

In den neueren Studien konnte hierbei gezeigt werden, dass die Betroffenen, die entweder die stufenweise Bewegungstherapie oder die kognitive Verhaltenstherapie durchgeführt habe, in Bezug auf Müdigkeit und physische Funktionalität besser abschneiden als Betroffene, die an der Adaptive-Pacing-Therapie oder allgemeinärztlicher Versorgung alleine teilgenommen haben (White et al. 2011). In neueren Studien konnte ebenfalls eine Persistenz dieser Effekte über den Zeitraum von zweieinhalb Jahren nach dem Studienbeginn nachgewiesen werden (Sharpe et al. 2015).

Hierbei kamen in den Studien, in denen ein positiver Effekt der körperlichen Aktivität nachgewiesen werden konnte, jeweils die gleichen Bewegungstherapie-Schemata zur Anwendung (White et al. 2007; Fulcher u. White 1997; Powell et al. 2001). Diese setzte sich für die Dauer von mindestens 12 Wochen aus folgenden Grundsteinen zusammen:

  • Erfassung der körperlichen Leistungsfähigkeit: Laufband-Spiroergometrie mit konstant 5 km/h mit Steigerung der Steigung alle 2 Minuten bis zur Erschöpfung. 30 Sekunden vor dem Ende jeder Belastungsstufe wurde das subjektive Belastungsempfinden mittels der Borg-Skala 6-20 erfasst. Parallel wurde kapillär die Laktatkonzentration in Ruhe sowie bei Borg 14 und 3 Minuten nach dem Test gemessen. Die maximale, anhand des Alters erwartete Herzfrequenz wurde anhand folgender Formel berechnet: 210 - (Alter × 0,65);

  • Festlegung eines soliden basalen Aktivitätslevels;

  • Abstimmung eines individuell zugeschnittenen Trainingsprogramms für die häusliche Umgebung: Einmal pro Woche wurden Trainingsumfänge und -intensität für die kommende Woche festgelegt, wobei zu Hause an mindestens 5 Tagen trainiert werden sollte. Hierbei betrug die initiale Belastungsdauer zwischen 5 und 15 Minuten bei einer Intensität von 40 % der maximalen Sauerstoffaufnahme VO2max (entsprechend ca. 50 % der maximalen Herzfrequenz). Die täglich vorgeschriebene Belastung wird pro Tag um eine oder zwei Minuten erhöht (wobei diese Erhöhungen wöchentlich mit dem Betroffenen abzustimmen sind) bis zu einer Maximaldauer von 30 Minuten. Sollte die Dauer von 30 Minuten erreicht sein, sollte die Intensität sukzessive auf 60 % der VO2max erhöht werden. Zur Intensitätsmessung eignet sich die Anwendung von Pulsuhren, anhand derer auch verhindert werden kann, dass die Betroffenen weder zu niedrig- noch zu hoch-intensiv trainieren. Als Belastungsmodalität eignen sich vor allem Gehen/Walking sowie Fahrradfahren. Schwimmen ist aufgrund der nur schwer messbaren Intensität nur bedingt zu empfehlen. In Phasen mit gutem körperlichem Wohlbefinden sollen die Betroffenen auch nicht die vorgegebene Intensität übersteigen. Im Falle von zunehmenden Beschwerden (im Sinne von vermehrter Müdigkeit) soll die Aktivität auf dem gleichen Intensitäts- und Umfangslevel für eine weitere Woche fortgeführt werden. Eine Steigerung sollte dann erst wieder vorgenommen werden, wenn die Müdigkeit wieder nachlässt;

  • Feedback durch den Betroffenen, anhand dessen dieser zusammen mit dem Therapeuten das Trainingsprogramm der folgenden Woche festlegt.

Obwohl es unter der stufenweisen Bewegungstherapie auch vorübergehend zu einer Symptomverschlechterung kommen kann, würde die Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit durch körperliche Schonung ebenfalls hierzu führen, so dass eine vermehrte Schonung nicht empfohlen bzw. nicht gutgeheißen werden kann.

Es konnte jedoch bisher nicht in allen Studien ein positiver Effekt der stufenweisen Bewegungstherapie nachgewiesen werden, so dass auch hier noch (vor allem in Bezug auf die Belastungssteuerung) weitere Studien notwendig sind (Nunez et al. 2011).

Zusammengefasst kann somit aktuell davon ausgegangen werden, dass sich durch gezieltes körperliches Training mit adäquater schrittweiser Steigerung der Belastung sowohl die Müdigkeit, die Funktionsverluste generell sowie die körperliche Leistungsfähigkeit bessern. Des Weiteren scheint diese Behandlungsstrategie neben der kognitiven Verhaltenstherapie auch kosteneffektiv in Bezug auf das CFS zu sein (McCrone et al. 2012).

1.4.2 Spezifische Kontraindikationen, falls vorhanden

Bisher wurden lediglich in einer Studie die potenziell negativen Effekte im Sinne von Nebenwirkungen der verschiedenen Behandlungsregime untersucht (Dougall et al. 2014). Hierbei zeigten sich keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Regimen; vor allem auch keine Häufung, weder bei der kognitiven Verhaltenstherapie noch bei der stufenweisen Bewegungstherapie, so dass diese beiden Therapieregime als sicher für CFS-Betroffene anzusehen sind. Auch eine Verschlechterung der klinischen funktionellen Beschwerden zeigte sich in diesen beiden Regimen am seltensten. Es kann hierbei davon ausgegangen werden, dass die beobachteten Verschlechterungen auch mehrheitlich den natürlichen Verlauf der Erkrankung im Sinne einer Fluktuation und weniger negative Reaktionen auf die Intervention widerspiegeln.

Einen negativen Einfluss auf das Auftreten von Nebenwirkungen bzw. Verschlechterungen während der Behandlung scheinen der Schweregrad der Erkrankung zu Behandlungsbeginn, das Vorhandensein einer depressiven Störung sowie der BMI zu besitzen.

Aufgrund der jedoch bisher geringen Studienanzahl können auch nur bedingt generalisierte Aussagen über Nebenwirkungen oder gar Kontraindikationen (vor allem auch bei schwerer erkrankten Patienten) getroffen werden.

1.4.3 Best Practice

Gemäß der aktuellen Studienlage scheinen sowohl die kognitive Verhaltenstherapie als auch die stufenweise Bewegungstherapie als Therapeutikum geeignet zu sein. Letztere bessert vor allem die Fatigue sowie die physischen Funktionseinschränkungen, so dass diese Therapieform vor allem für ambulant führbare Patienten geeignet erscheint (Larun et al. 2015).

2 HIV-Infektion und AIDS

2.1 Definition

Die humanen Immundefizienzviren (HIV) HIV-1 und HIV-2 sind Vertreter humanpathogener Lentiviren in der Familie der Retroviridae und Auslöser der erworbenen Immunschwäche AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome). Sie befallen Zellen mit CD4-Oberflächenmolekülen, so dass vornehmlich T-Helferzellen, aber auch Makrophagen, Monozyten, epidermale Langerhans-Zellen und neuronale Mikroglia betroffen sind.

Gemäß Falldefinition der Europäischen Kommission, der WHO sowie der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) gilt aktuell ein bestätigter positiver HIV-Test (gemäß HIV-Test-Algorithmus mit Viertgeneration HIV-1/2 Kombinations-Immunoassay als Suchtest sowie eventuell bei positivem Ergebnis gefolgt von einem Western-Blot-Bestätigungstest) als Nachweis einer HIV-Infektion.

Nach Definition der CDC werden HIV-Infektionen anhand der absoluten CD4-Zellzahlen (T-Helferzellen) in drei verschiedene Stadien eingeteilt: Stadium 1 (CD4-Zellzahl >500 Zellen/µl), 2 (CD4-Zellzahl 200 bis 499 Zellen/µl) oder 3 (CD4-Zellzahl <200 Zellen/µl). Sollte es zum Auftreten einer opportunistischen Infektion kommen, ist dies ebenfalls einem Stadium 3 gleichzusetzen.

2.2 Epidemiologie, Krankheitslast und Risikofaktoren

AIDS zählt zu den fünf häufigsten Todesursachen weltweit. In Deutschland waren laut Robert Koch-Institut Ende 2014 ca. 84.000 Menschen mit HIV infiziert (♂:♀ ≈ 4:1). Ein erhöhtes Risiko ist für homo- bzw. bisexuelle Männer, promiskuitive Personen, Personen mit intravenösem Drogenabusus, Prostituierte, Patienten mit Hämophilie (sowie der Notwendigkeit zur Bluttransfusion vor 1985) sowie Gefängnisinsassen anzunehmen (Patel et al. 2014).

2.3 Pathophysiologie

Die HIV-Infektion wird in folgende Stadien eingeteilt:

  1. 1.

    Virale Transmission.

  2. 2.

    Akute HIV-Infektion:

    1. a.

      Serokonversion (d. h., Entwickeln von spezifischen Antikörpern gegen Antigene eines Fremdkörpers): als Ausdruck des Auftretens von detektierbaren Antikörpern gegen HIV-Antigen.

  3. 3.

    Chronische HIV-Infektion:

    1. a.

      asymptomatisch,

    2. b.

      frühe symptomatische HIV-Infektion,

    3. c.

      AIDS (charakterisiert durch eine CD4-Zellzahl <200 Zellen/µl oder das Auftreten von AIDS-definierenden Erkrankungen),

    4. d.

      fortgeschrittene HIV-Infektion (CD4+-Zellzahl <50 Zellen/µl).

Im Rahmen einer Infektion mit HIV wird die Virus-RNA in den CD4-Zellen durch das Enzym Reverse Transkiptase (d. h., katalysiert die Umschreibung von RNA in DNA) in provirale DNA umgeschrieben. Diese DNA wird dann in das Wirtszellen-Genom eingebaut. Ca. 7 Tage nach Infektion kommt es zum Auftreten Virus-exprimierender Zellen in den Lymphknoten, welche das Auftreten von Virus-spezifischen zytotoxischen T-Lymphozyten (Subgruppe der T-Lymphozyten, die entartete oder infizierte Körperzellen anhand von erregertypischen und als krankhaft erkannten Antigenen auf deren Oberfläche erkennen und konsekutiv eliminieren) triggern. Dies führt zu einer Abnahme der Virus-exprimierenden Zellen. Die initiale Immunantwort kann somit die Virus-Replikation sowie -Verbreitung kontrollieren; eine Elimination ist hingegen nicht möglich, da es wahrscheinlich durch die fehlende Antigen-Expression latent infizierter Zellen zu keiner vollständigen Entfernung dieser kommt. Somit kann eine HIV-Infektion als lymphozytotrop mit konsekutiver Schwächung des Immunsystems angesehen werden. Neben der Schädigung des Immunsystems führt eine HIV-Infektion auch zu einer direkten Schädigung des Nervensystems (d. h., ist direkt neurotrop) durch die Proliferation der HI-Viren in Makrophagen sowie der Mikroglia.

Im weiteren Verlauf einer HIV-Infektion kommt es zu einer Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit und konsekutiv auch der alltäglichen Aktivitäten (Zonta et al. 2003; Erlandson et al. 2014). Hierbei ist die Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit multifaktorieller Genese, wobei strukturellen und inflammatorischen myogenen Veränderungen, kardiopulmonalen Funktionseinschränkungen und physischer Dekonditionierung entscheidende Rollen zukommen (Grau et al. 1993; Stringer 2000; Crystal et al. 2000; Johnson et al. 1990). Auch ist eine HIV-Infektion als Risikofaktor für eine kardiovaskuläre Erkrankung anzusehen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass sowohl die Erkrankung selbst als auch die Therapieform der hoch wirksamen anti-retroviralen Therapie (HAART = »highly active antiretroviral therapy«) zu einer vorzeitigen Arteriosklerose führt (Di Biagio et al. 2012). Der Pathomechanismus der daran beteiligten Prozesse ist in Abb. 17.1 dargestellt:

Abb. 17.1
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Pathomechanismus des vorzeitigen Auftreten der Arteriosklerose bei HIV-Patienten. (Nach Lambert et al. 2015 mit freundlicher Genehmigung)

Dies liegt auch daran, dass durch die gute Wirksamkeit der HAART und damit die Transformation der HIV-Infektion von einer lebensbedrohlichen zu einer chronisch-persistierenden Erkrankung die Lebenserwartung der HIV-Infizierten deutlich gestiegen ist und somit dann auch die Folgeerkrankungen bzw. Komplikationen sich im Laufe der vergangenen Jahre und Jahrzehnte geändert haben (O’Brien et al. 2010).

2.4 Klinische Erwägungen

Trotz der guten Wirksamkeit der HAART in Bezug auf die HIV-Infektion ist diese Therapieform auch mit mehreren Nebenwirkungen in Bezug auf den Metabolismus (wie z. B. erhöhtes Risiko für zentrale Fettleibigkeit, Glukosetoleranzstörungen/Diabetes mellitus, Dyslipidämie oder Osteoporose) vergesellschaftet, so dass hier ein bewegungstherapeutischer Ansatz vielversprechend erscheint.

2.5 Verschreibung von Bewegung, Training

2.5.1 Therapie: Rolle der Bewegung (basiert auf Empfehlungen, Guidelines, Metaanalysen, mit möglichst genauer Dosierung)

Neben der HAART spielen vor allem adjuvante Therapieformen wie z. B. körperliche Aktivität eine wichtige Rolle in der Behandlung bei HIV-Infizierten. Die meisten aktuelleren Studien zu Bewegungstherapie bei HIV-Infizierten untersuchten die Effekte somit zusätzlich zur etablierten medikamentösen Therapie und schlossen hierbei Patienten in verschiedenen Stadien und unterschiedlichen CD4-Zellzahlen (von < 100/µl bis > 500/µl) ein (Gomes Neto et al. 2015). Neben positiven Effekten auf die physischen Veränderungen konnten auch positive Auswirkungen auf den psychischen Status (z. B. in Bezug auf Angststörungen oder Depressionen) bei HIV-Infizierten nachgewiesen werden (O’Brien et al. 2010).

Wenngleich Kraft- wie auch Ausdauertraining einzeln ebenfalls positive Effekte auf gesundheitsassoziierte Parameter bei HIV-Infizierten zu haben scheinen (O’Brien et al. 2010; O’Brien et al. 2008), ist die Kombination dieser zwei Belastungsmodalitäten effektiver als jede dieser Interventionen einzeln (Gomes Neto et al. 2013).

In den bisher durchgeführten Studien wurden für das aerobe Ausdauertraining häufig eine Aufwärmphase von 10 bis 15 Minuten (selten auch nur 5 Minuten) vorne angestellt. Dies wurde mit einer Intensität von 45-50 % der maximalen Herzfrequenz (HRmax) durchgeführt. Hiernach dann aerobes Training über die Dauer von 20 bis 60 Minuten in einem Intensitätsbereich von 50-75 % HRmax (wobei hier die Intensivität ebenfalls sukzessive angehoben werden sollte). Im Anschluss hieran dann über 5 bis 15 Minuten bei 35-40 % HRmax zum Cool-Down.

Parallel zum Ausdauertraining wurde ebenfalls ein Krafttraining durchgeführt, welches meist aus 3 Sätzen à 8-12 Wiederholungen bei 60 bis 80 % des Wiederholungsmaximums bestand.

Die Interventionen fanden meist 3-mal pro Woche mit einer Dauer von 30 bis maximal 90 Minuten über einen Zeitraum von 12 bis 15 Wochen statt (Gomes Neto et al. 2015).

Durch dieses kombinierte Bewegungsprogramm, bestehend sowohl aus Ausdauer- als auch Krafttraining, lassen sich sowohl die Ausdauer, die Kraft, die Körperkomposition (Anstieg der Muskelmassen) als auch die Lebensqualität (Gesundheitsstatus, Vitalität, physische Funktionalität) signifikant verbessern (Gomes Neto et al. 2015).

2.5.2 Adaptionen an relevanten Organsystemen akut/langfristig

In einzelnen Studien (vor allem bei Patienten in einem frühen HIV-Stadium mit noch höheren CD4+-Zellzahlen) konnte ein positiver Effekte von aerobem Ausdauertraining auf das Immunsystem und hierbei auch die CD4+-Zellen dargestellt werden (LaPerriere 1991). Neben den positiven Effekten auf das Immunsystem sind jedoch auch, wie oben beschrieben, die positiven Auswirkungen auf die Ausdauer, die Kraft, die Körperkomposition (Anstieg der Muskelmassen) sowie auf die Lebensqualität von Bedeutung. In Bezug auf die Häufigkeit des Trainings muss gesagt werden, dass eine gewisse Adhärenz/Compliance (ca. zwei- bis dreimal pro Woche) von Wichtigkeit sind, so dass die positiven Effekte in vollem Umfang zu erreichen sind (Perna et al. 1999).

2.5.3 Spezifische Kontraindikationen, falls vorhanden

In den bisher durchgeführten Studien konnten die Sicherheit wie auch der Nutzen von körperlichem Training bei HIV-Infizierten dargestellt werden. Auch bei Patienten in fortgeschrittenem Stadium scheint es zu keiner negativen Beeinflussung der CD4+-Zellzahl zu kommen, so dass auch hier die oben genannten positiven Effekte überwiegen (Gomes Neto et al. 2015; Stringer et al. 1998; Rigsby et al. 1992), wenngleich hier gesagt werden muss, dass die positiven Effekte auf die CD4+-Zellzahl wohl vor allem bei Patienten im frühen HIV-Stadium ausgeprägter zu sein scheinen und in geringerem Maße in einem späteren Stadium zu finden sind (Rigsby et al. 1992).

2.5.4 Wirkmechanismen

Körperliche Aktivität kann bei HIV-Infizierten auf zweierlei Wegen zu positiven Effekten führen. Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass die körperliche Aktivität positive Auswirkungen auf die Nebenwirkungen der HAART besitzt. Da durch diese Therapieform vor allem Stoffwechselbeeinflussungen zu verzeichnen sind, bietet sich die Bewegungsintervention förmlich an. Von dieser ist hinreichend bekannt, dass sie sowohl auf die stammbetonte Adipositas als auch auf den Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel und auf ossäre Veränderungen im Sinne von Osteoporose positive Effekte besitzt.

Zum anderen scheinen die positiven Effekte einer Bewegungstherapie auf die durch die Erkrankung selbst getriggerte vorzeitige Arteriosklerose und die zugrundeliegenden inflammatorischen Prozesse einen Ansatzpunkt zu bieten. Hierbei kommt es zu einem direkt durch den HI-Virus verursachten Schaden des vaskulären Endothels sowie begleitend zu einer chronischen Inflammation durch die virale HIV-Virusreplikation (Gomes Neto et al. 2015). Somit spielen vor allem die anti-inflammatorischen Effekte von moderat-intensiver körperlicher Aktivität eine erfolgsversprechende Rolle.

Da eine HIV-Infektion jedoch eine Erkrankung des Immunsystems mit Schwächung dessen darstellt, bestehen somit auch Befürchtungen, dass bei inadäquater Belastung die negativen Effekte der körperlichen Aktivität die positiven überwiegen. Bei adäquat dosierter körperlicher Aktivität (vornehmlich im aeroben Intensitätsbereich) ist jedoch von einer Stärkung des Immunsystems auszugehen (O’Brien et al. 2008; Gomes Neto et al. 2013).

2.5.5 Evtl. Best Practice

Eine gezielte Trainingstherapie bei HIV-Patienten ist bis dato recht wenig untersucht, wobei sich anhand der bisherigen Studienlage zeigt, dass wohl eine Kombination aus Ausdauer- zusammen mit Krafttraining sowohl physische als auch psychische Aspekte verbessert. Auch scheint moderat-intensives Training einen positiven Effekt auf die CD4+-Zellzahl und somit auf die Erkrankung per se zu besitzen.

3 Infekt der oberen Atemwege (Upper Respiratory Tract Infections (URTI))

3.1 Definition

Unter einem Infekt der oberen Atemwege versteht man eine akute Infektionserkrankung der oberen Atemwege (d. h., oberhalb des Larynx), welche die Nase sowie deren Nebenhöhlen, den Pharynx sowie den Larynx betrifft. Typischerweise handelt es sich hierbei um Tonsillitiden, Pharyngitiden, Sinusitiden, Laryngitiden, Otitis media sowie einen grippalen Infekt, welcher auch umgangssprachlich als »Erkältung« bezeichnet wird.

3.2 Epidemiologie, Krankheitslast und Risikofaktoren

Erwachsene erleiden im Durchschnitt etwa 2 bis 4 URTIs pro Jahr. Aufgrund der Erregervielfalt mit Hunderten von verschiedenen Pathogenen (meist Viren) kann es hier zu einer raschen Ausbreitung in der Bevölkerung sowie rekurrenten Infektionen kommen. Aufgrund dieser hohen Erkrankungsanzahl stellt diese ansonsten doch eher harmlose Erkrankungsentität einen beachtlichen gesundheitsökonomischen Faktor dar (in den USA mit Gesamtkosten von ca. 40 Milliarden Dollar jährlich verbunden) (Fendrick et al. 2003).

Aufgrund der oben beschriebenen hohen Durchseuchung sowie der Omnipräsenz in der Bevölkerung stellen Infekte der oberen Atemwege auch bei Freizeit- und Leistungssportlern die häufigsten Erkrankungen während des Trainings und auch Wettkämpfen mit ca. 20 % bis sogar 66 % aller Erkrankungen (variable Angabe von Häufigkeiten aufgrund unterschiedlicher untersuchter Kollektive) und somit die häufigste Ursache für die Nichtteilnahme an den Wettkämpfen dar (Alonso et al. 2012; Gleeson et al. 2015).

So kommt es vor allem nach anstrengender körperlicher Belastung zu einer erhöhten Infektanfälligkeit (Hellard et al. 2015). So ist das Risiko, an einem URTI nach einem anstrengenden Wettkampf, wie z. B. einem Marathon, zu erkranken, ca. sechsfach erhöht im Vergleich zu Sportlern, die lediglich trainieren (Nieman et al. 1990). Hierbei scheint es jedoch auch eine gewisse Schwelle an Dauer/Umfang und/oder Häufigkeit zu geben, die überschritten werden muss. So konnten bei kürzer andauernden Belastungen die oben genannten Veränderungen nicht nachgewiesen werden (Nieman et al. 1989). Auch scheint ein guter Trainingszustand das Erkrankungsrisiko zu reduzieren (Nieman et al. 1989). Die Belastungsintensität scheint einen geringeren Einfluss auf das Immunsystem zu besitzen (Diment et al. 2015). Somit kann bei der Normalbevölkerung von einem J-förmigen Zusammenhang zwischen Risiko für das Auftreten von Infekten und Belastungsumfang, -frequenz sowie in geringem Maße der Intensität ausgegangen werden (Nieman 1994).

Bei Hochleistungssport scheint dieser J-förmigen Zusammenhang nicht zu existieren bzw. scheint dieses Kollektiv eine erniedrigte Anfälligkeit für Infekte der oberen Atemwege zu besitzen, so dass von einem S-förmigen Zusammenhang zwischen Infektanfälligkeit und Belastungsmodalität ausgegangen werden kann (Abb. 17.2) (Malm 2006).

Abb. 17.2
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Zusammenhang zwischen Infektrisiko und Belastungsmodalität mit Hochleistungssportlern. (Aus Malm 2006 mit freundlicher Genehmigung)

Ein weiterer zur Diskussion stehender Ansatz ist eine Verschiebung der J-Kurve nach rechts zu höheren Belastungsintensitäten/-umfängen/-häufigkeiten bzw. Abschwächung des Einflusses der Belastung, was wohl in dem guten Trainingszustand von Leistungssportlern begründet liegt (Abb. 17.3) (Moreira et al. 2009). So scheinen Hochleistungssportler, welche sich auf einem internationalen Leistungsniveau bewegen, eher weniger infektanfällig zu sein (Martensson et al. 2014). Ein möglicher Umkehrschluss wäre, dass Leistungssportler mehr trainieren können, da sie (gemäß des Darwinismus) aus genetischer Prädisposition mit einem besseren Immunsystem ausgestattet und deswegen resistenter gegenüber Infekten sind (Trammell u. Toth 2008). Diese Hypothese muss jedoch noch an dem speziellen Kollektiv der Hochleistungssportler untersucht werden.

Abb. 17.3
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Zusammenhang zwischen Infektanfälligkeit und Belastungsumfang (und teilweise auch -intensität) und Trainingszustand

3.3 Pathophysiologie

Wie in Abb. 17.4 dargestellt, führt anstrengende körperliche Aktivität im Blut zu einer reduzierten Expression von Toll-like receptors, einer Erhöhung von IL-6 und einer vermehrten Katecholamin- und Cortisol-Produktion. Dies hat zur Folge, dass es durch eine reduzierte Zytokin-Produktion von Makrophagen und TH1-Zellen (stellen eine Subpopulation der T-Helfer-Zellen dar) zu einer Schwächung der zellvermittelten Immunantwort sowie einer geringgradigen Inflammationsreaktion kommt (Gleeson 2007).

Abb. 17.4
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Mögliche Mechanismen zur erhöhten Infektanfälligkeit und chronischen Erkrankungen bei körperlicher Belastung

Auch kommt es bei lang andauernder höherintensiver körperlicher Aktivität zu einem vermehrten oxidativen Stress. Hierbei ist bekannt, dass oxidativer Stress sowohl das angeborene als auch das erworbene Immunsystem negativ beeinflusst und somit die Infektanfälligkeit erhöhen kann (Cannizzo et al. 2011).

Hingegen kommt es, wie oben bereits beschrieben, durch moderate bzw. kürzer andauernde Aktivität zu einer verbesserten Immunabwehr, da im Blut sowohl die Anzahl von neutrophilen Granulozyten und natürlichen Killerzellen (als Subgruppe der Lymphozyten) als auch von Toll-like-Rezeptoren als auch das Immunglobulin A im Speichel ansteigen (Gleeson 2000). Auch scheint der Lysozym-Gehalt des Speichels, welcher bei grampositiven Erregern zu einer Lyse der Bakterienzellwand führt, durch körperliche Aktivität positiv beeinflusst zu sein, so dass hierdurch die unspezifische Abwehr des Mund-Nasen-Rachen-Raums positiv beeinflusst wird (Ligtenberg et al. 2015).

Eine detaillierte Beschreibung der Einflüsse von körperliche Aktivität auf das Immunsystem ist hier leider nicht möglich, so dass auf weiterführende Literatur verwiesen wird (s. hierzu Walsh et al. 2011b; Dhabhar 2014).

Einschränkend muss zu all den oben beschriebenen Veränderungen des angeborenen und erworbenen Immunsystems (Abnahme um ca. 15-25 %) gesagt werden, dass bis zum aktuellen Zeitpunkt nicht eindeutig geklärt ist, ob die beobachteten Veränderungen durch akute oder chronische körperliche Aktivität letztendlich sich auch auf eine veränderte Abwehrleistung und somit Infektanfälligkeit auswirken.

Neben Infektionen der oberen Atemwege kommt es beim erschöpfenden Sport jedoch auch zu nicht-infektiösen Irritationen der Atemwege, welche von der Klinik ähnlich wie URTIs imponieren, jedoch auf einer lokalen Inflammationsreaktion ohne infektiöses Pathogen beruhen. So kommt es nur bei ca. 30-40 % der Sportler, die URTI-Symptome selbst angeben, zu einem nachweislichen infektiösen Geschehen (Spence et al. 2007; Cox et al. 2008). Zu einer nicht-infektiösen Irritation der oberen Atemwege kommt es auch durch den Anstieg des Atemminutenvolumens durch die Belastung. Hierdurch wird zum einen die Atemmechanik von Nasen- auf Mundatmung umgestellt. Hierdurch kommt es unter Umgehung der lokalen Abwehrmechanismen (z. B. Vibrissae) bei gleichfalls vorhandenem turbulentem Luftstrom zu einem direkten Zugang der Pathogene sowohl zu den oberen als auch unteren Atemwegen (Trachea, Bronchien und Lunge). Neben der Veränderung der Atemmechanik kommt es witterungsabhängig auch zu einer Inhalation großer Volumina kalter und trockener Luft. Dies führt zu einer Verdickung der Mukosa wie auch zu einer Dyskrinie, so dass die mukoziliare Clearance deutlich herabgesetzt wird. Hierdurch können die inhalierten Antigene tiefer in die Atemwege eindringen bei gleichzeitig reduzierter Eliminationsfähigkeit, so dass die Pathogenität deutlich erhöht ist.

3.4 Verschreibung von Bewegung, Training

3.4.1 Prävention: Rolle der Bewegung (basiert auf Empfehlungen, Guidelines, Metaanalysen, mit möglichst genauer Dosierung)

Wie oben beschrieben, kommt es vor allem durch moderat-intensive körperliche Aktivität zu einer Verbesserung des Immunsystems mit reduzierter Anfälligkeit für Infekte der oberen Atemwege. Hierbei sind die Angaben bezüglich der Dosierung der Aktivität in den bisher durchgeführten Studien (auch aufgrund der Heterogenität der verschiedenen untersuchten Probandenkollektive) recht breit. So variiert die Dauer zwischen 5 und 60 Minuten und die Intensität zwischen 40 und 60 % der maximalen Herzfrequenz. Zusammengefasst scheint es so, dass Aktivität überwiegend im aeroben Intensitätsbereich mit einer Dauer von 30 Minuten bei wenig trainierten und bis zu 60 Minuten bei gut trainierten Normalpersonen einen positiven Effekt auf das Immunsystem und somit die Infektanfälligkeit der oberen Atemwege zu haben scheint.

In Bezug auf eine Steigerung des Trainings, wie dies im Hochleistungssport notwendig ist, haben sich bestimmte Strategien zur Reduktion des Infektrisikos bewährt, die in Tab. 17.1 zusammengefasst sind.

Tab. 17.1 Mögliche Strategien zur Trainingsgestaltung, um das Risiko für trainingsinduzierte Immunschwächungen zu vermeiden. (Übersetzt nach Walsh et al. 2011a mit freundlicher Genehmigung)

3.4.2 Spezifische Kontraindikationen, falls vorhanden

Ein Infekt der oberen Luftwege stellt meist eine virale Erkrankung (häufig Rhinovirus, Corona-Virus oder RS-Virus) dar, die meist nach 3 bis 5 Tagen, selten erst nach 2 Wochen selbstlimitierend ist.

Im Falle einer Erkrankung der oberen Atemwege sollte unterschieden werden, ob die Symptome lediglich lokal auftreten (d. h., oberhalb des Hals/Nackens) oder ob eine systemische Beeinträchtigung vorliegt. Da hier eine imaginäre Grenze im Bereich des Halses/Nackens der Orientierung zu dienen scheint, hat sich im englischsprachigen Raum der Begriff »Neck Check« eingebürgert (Harris 2011; Purcell 2007). Hierbei gibt es aktuell keine Evidenz, dass sich gering- bis moderat-intensive körperliche Aktivität für die Dauer von 15 bis 30 Minuten pro Tag negativ auswirkt, wenn die Symptome lediglich oberhalb des Nackens (wie z. B. Rhinorhoe, Halsschmerz, Schluckbeschwerden, Husten) auftreten. Im Falle eines solchen limitierten Auftretens kann die körperliche Belastung in Abhängigkeit der individuellen Verträglichkeit sukzessive gesteigert werden (so lange sich die Symptomatik hierunter nicht verschlechtert).

Sollte es jedoch zum Auftreten von Symptomen unterhalb des Halses (wie z. B. Abgeschlagenheit, (mildes) Fieber, Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen, Erhöhung der Entzündungsparameter, Tachykardie) kommen, sollte mit Belastungsbeginn (auch niedrigintensiv oder nur kurz-andauernd) gewartet werden, bis diese Symptome für die Dauer von 2 bis 3 Tagen ausgeheilt sind (Scharhag u. Meyer 2014). Neben der Normalisierung der klinischen Symptomatik sollte auch erst nach Normalisierung der Inflammationsparameter in der Labordiagnostik wieder mit körperlicher Belastung begonnen werden. Sollten sich hier Befunde zeigen, die gegen einen Wiederbeginn mit Sport sprechen, sollte die Situation im zwei- bis dreitägigen Intervall re-evaluiert werden (Scharhag u. Meyer 2014). Als absolute Kontraindikationen für körperliches Training sind Fieber (> 38°C oder 0,5-1°C höher als gewöhnlich) sowie ein unphysiologisch erhöhter Ruhepuls (> 10 Schläge/min höher als normal) anzusehen.

Sollte zu früh oder zu intensiv mit dem Training wieder begonnen worden sein, drohen teilweise fatale Komplikationen wie beispielsweise eine bakterielle Superinfektion oder eine Myokarditis.

Um somit eine zu frühe Wiederaufnahme des Sports und damit Komplikationen zu vermeiden, sollten vor allem bei Leistungssportlern, bei denen eine möglichst zeitnahe Wiederaufnahme des Trainings gewünscht ist, in regelmäßigen Abständen folgende Untersuchungen durchgeführt werden, um somit die Möglichkeit der Rückkehr zum Training (engl. »return to training/sports«) engmaschig zu erfassen:

  • klinische Untersuchung, welche bei asymptomatischem Sportler unauffällige Befunde zeigt,

  • Labordiagnostik, wobei die Inflammationsparameter im Normbereich liegen sollen (vor allem im Differentialblutbild) oder ein signifikantes Absinken mit nahezu Erreichen der Normwerte zu beobachten ist (letzteres bei C-reaktivem Protein, da dies aufgrund seiner langsamen Kinetik meist dem klinischen Befund hinterherhinkt),

  • Ruhe-EKG mit normwertigen Befund zum Ausschluss einer relevanten peri-myokardialen Beteiligung.

Sollten diese Untersuchungen allesamt unauffällige Befunde erbringen, steht einer Rückkehr zum Training nichts mehr im Wege.

Im Präventions-, Rehabilitations- sowie Freizeitsport sollte wie oben beschrieben auf eine vollständige Ausheilung der Symptome für 2-3 Tage geachtet werden. Sollte sich hier eine verzögerte Ausheilung darstellen, sollte eine ärztliche Vorstellung stattfinden, in der die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen (s. oben) bzw. die Intervalle zur Re-Evaluation bezüglich Sportfreigabe individuell festgelegt werden können.

Nach Sportfreigabe sollte für den Freizeit- wie auch für den Leistungssportler das Training primär vornehmlich im aeroben Intensitätsbereich liegen und, wie oben beschrieben, schrittweise gesteigert werden. Sollte sich der Aufbau des Umfangs komplikationslos darstellen, können im weiteren Verlauf auch die Intensitäten sukzessive von aerob über aerob-anaerob zu anaeroben Anteilen gesteigert werden.

Sollte die maximale Belastbarkeit (sowohl in Bezug auf Umfang als auch auf Intensität) wieder voll gegeben sein (im Vergleich zu vor der Erkrankung; dies ist meist nach ein bis zwei Wochen in Abhängigkeit der Schwere der Erkrankung der Fall), kann auch wieder an Wettkämpfen (»return to competition«) teilgenommen werden.

3.4.3 Evtl. Best Practice

Anhand der aktuellen Datenlage kann davon ausgegangen werden, dass regelmäßige, vorwiegend aerobe Aktivität das Immunsystem stärkt und somit das Risiko für Infekte der oberen Atemwege reduziert. Hingegen führen erschöpfende Akutbelastungen, welche vor allem lange andauern bzw. in kurzer Folge aufeinander folgen, eher zu einer Immunsuppression mit konsekutiv erhöhter Infektanfälligkeit.

4 Infektiöse Mononukleose (IM) und Pfeiffer’sches Drüsenfieber

Beispiel

Fallbericht: Leistungssportlerin mit akuter EBV-Infektion

Vorstellung einer 22-jährigen Skifahrerin (Alpin, Nationalmannschaft) zu Beginn der Saison mit einer seit ca. einer Woche bestehenden Abgeschlagenheit sowie unklaren Muskel- und Gliederschmerzen (vor allem Lumbalgie). In der klinischen Untersuchung zeigten sich eine nuchale und vor allem submandibuläre Lymphadenopathie sowie Tonsillitis mit nicht-eitrigen Belägen. Fieber oder klinische Hinweise hierfür werden auf Nachfragen negiert. Aufgrund des hochgradigen Verdachts auf eine Erstinfektion mit einem Epstein-Barr-Virus im Sinne einer Infektiösen Mononukleose wurden neben der Routine-Labordiagnostik auch eine EBV-Serologie sowie eine Viruslastbestimmung des Epstein-Barr-Virus mittels Polymerase-Kettenreaktion (engl. Polymerase Chain Reaction, PCR; Methode zur Vervielfältigung von DNA) zur Erfassung der Krankheitsaktivität durchgeführt. Die Serologie zeigte schwach-positive EBV-IgM-Antikörper bei unauffälligen IgG-Antikörpern. In der EBV-PCR zeigte sich eine erhöhte Viruslast als Zeichen der floriden EBV-Infektion. In Abb. 17.5 sind die Verläufe der untersuchten Parameter von vor der Infektion (Tag -12; hier Routinevorstellung zur leistungsdiagnostischen Untersuchung) über den Erstkontakt aufgrund des Infekts mit Gliederschmerzen (Tag 0) bis hin zu den Folgeuntersuchungen über 1½ Monate (Tag 45) sowie die einzelnen Stufen des Wiederbeginns mit Training dargestellt.

Abb. 17.5
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Verlauf der Untersuchungsparameter bei einer 22-jährigen Leistungssportlerin mit akuter EBV-Infektion (infektiöse Mononukleose)

Neben der Labordiagnostik sowie den Abdomen-Ultraschalluntersuchungen wurden ebenfalls regelmäßige Ruhe-EKG- sowie Echokardiographie-Untersuchungen durchgeführt, die allzeit unauffällige Befunde zeigten.

Aufgrund des passager aufgetretenen Erniedrigung der neutrophilen Granulozyten (Subfraktion der Leukozyten, die für die unspezifische Abwehr von Infektionen mit Bakterien und Pilzen verantwortlich sind) wurde der Athletin empfohlen, auf gezielte Maßnahmen zur Vermeidung einer bakteriellen Superinfektion zu achten (Jefferson et al. 2011). Hierzu zählen: Meiden von großen Menschenmengen bzw. von Kontakt zu bereits erkrankten Menschen, Basishygiene (Händewaschen/-desinfektion) sowie Meiden von häufigem Kontakt von Händen zu Nase bzw. Augen.

Die IM stellt eine Sonderform der Infekte der oberen Atemwege dar und ist eine vom Epstein-Barr-Virus (EBV) ausgelöste Infektionskrankheit, die sich akut in starken Halsschmerzen/Schluckbeschwerden, einer Tonsillitis, Fieber, Abgeschlagenheit und Müdigkeit äußert. Letztere kann teilweise über mehrere Monate persistieren (vgl. Abschn. 17.1). Die Erkrankung wird über den Speichel übertragen. Nicht immer ist eine Unterscheidung zu einer Streptokokken-Angina einfach, bzw. teilweise ist die Diagnosestellung schwierig. Diese ist jedoch essentiell, da sich die Behandlungsregime grundlegend unterscheiden und deswegen eine möglichst frühe und eindeutige Diagnosestellung notwendig ist.

Als Komplikation kommt es bei ca. 50 % der IM-Erkrankten zu einer Splenomegalie. Die Gefahr einer Spontanruptur der Milz hierunter beträgt (vor allem in den ersten 3 Wochen) ca. 0,5 %. Aufgrund des erhöhten Risikos kann es hierbei auch schon bei leichten Traumata zu Rupturen kommen, so dass jegliches Trauma oder plötzliche intraabdominelle Druckerhöhungen nach Möglichkeit vermieden werden sollten.

Die Therapieoptionen für die IM sind eher limitiert und beschränken sich auf adäquate Ruhe, Hydration und Analgesie sowie symptomatische Therapie. Sollte ein Antibiose aufgrund möglicher bakterieller Superinfektionen notwendig sein, sollte hierbei nach Möglichkeit sowohl auf Penicillin oder Aminopenicilline wegen der Gefahr eines juckenden, mehrere Tage bestehenden Exanthems verzichtet werden.

Als Algorithmus zur Freigabe bei Leistungssportlern in Bezug auf Sport wird folgendes Vorgehen (mit allerdings eher geringem Evidenzlevel aufgrund der nur limitiert vorhandenen Literaturlage) wie in Abb. 17.6 dargestellt vorgeschlagen. Für Freizeitsportler sollte mehr Zeit eingeplant werden, so dass hier primär der linke Pfad der Abb. 17.6 (»Sportler außerhalb der Saison«) zur Anwendung kommen sollte. Kontaktsport oder Sport mit Erhöhung des intraabdominellen Drucks sollte im Freizeit-, Präventions- oder Rehabilitationssport frühestens 4 Wochen nach Normalisierung der Milzgröße wiederaufgenommen werden. Aufgrund der deutlichen interindividuellen Varianz können oben genannte Empfehlungen allerdings nur als Entscheidungshilfe gesehen werden; die jeweilige Entscheidung sollte individuell getroffen werden.

Abb. 17.6
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Empfehlung zur Wiederaufnahme des Sports nach IM. (Modifiziert und übersetzt nach Becker u. Smith 2014; Purcell 2007 mit freundlicher Genehmigung)

Eine vollständige Ausheilung dauert im Mittel ca. 2 bis 3 Monate, vereinzelt auch länger.