Zusammenfassung
Das Konzept des Just Policing geht auf einen friedensethischen Dialog zwischen Mennoniten und Katholiken um die Jahrtausendwende zurück und wurde im Verlauf der 2000er Jahre weiterentwickelt (vgl. die Einleitung von Ines-Jacqueline Werkner in diesem Band). Es entstand somit in einer Phase, in der einerseits die Idee der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) in der internationalen Politik und im Völkerrecht institutionalisiert wurde, andererseits die Euphorie über die neuen Formen des Einsatzes von Streitkräften, die gemeinhin mit Schlagworten wie Peacekeeping, Statebuilding beziehungsweise Nationbuilding umschrieben werden, verflogen war und sich in der Folge die Kritik an internationalen Militäreinsätzen wie in Afghanistan und im Irak verschärfte. So gut sich die Einwände gegen derartige Missionen angesichts damit verbundener negativer Folgen für die Zivilbevölkerung (sogenannte Kollateralschäden; vgl. hierzu Gillner und Stümke 2014) nachvollziehen lassen, scheint der Just Policing-Ansatz nur bedingt anschlussfähig an sozialwissenschaftliche Debatten über staatliche Gewalt und internationale Militäreinsätze zu sein. Im Folgenden beleuchte ich zunächst anhand von zwei Beispielen entsprechende Diskrepanzen der jeweiligen Perspektiven (Abschnitt 2), bevor ich am Beispiel des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr einige zentrale Probleme internationaler Militärmissionen aufzeige, wie sie sich anhand der vorliegenden empirischen Forschungsergebnisse herauskristallisieren (Abschnitt 3).
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Literatur
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Leonhard, N. (2019). Just Policing – eine Replik aus (militär-)soziologischer Sicht. In: Werkner, IJ., Heintze, HJ. (eds) Just Policing. Gerechter Frieden. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28079-6_4
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