Zusammenfassung
Im Spannungsfeld zwischen bedingungslosem Willkommen-Heißen sowie einer Politik der partiell offenen Grenzen einerseits und konservativ-chauvinistischen Diskursinterventionen und repressiven Reaktionen andererseits lässt sich entlang des Flüchtlingsdiskurses ein Deutungskampf um die diskursive sowie materielle Form und Verfasstheit gegenwärtiger Grenzregime erkennen (vgl. Georgi 2016, S. 185). Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse eines einjährigen empirischen Forschungsprojektes dar und untersucht aus diskurstheoretischer und historisch-materialistischer Perspektive, inwiefern und entlang welcher Konflikte sich eine Verschiebung in der hegemonialen Kräfteformation von einer bedingungslosen Willkommenskultur zu einer konditionalen Willkommenskultur zwischen Sommer 2015 und Sommer 2017 in Frankfurt am Main erkennen lässt. Nach einer kurzen Darstellung der theoretischen und methodischen Grundlagen werden auf Basis der empirischen Datengrundlage (FAZ, FNP, FR) die lokalen Konfliktdynamiken, Akteur*innen und Diskursstrategien rekonstruiert und hegemonietheoretisch eingeordnet. Der Artikel schließt mit einem Ausblick über aktuelle Entwicklungen und Handlungsspielräume in Frankfurt.
Abstract
Between the poles of unconditional welcome politics and a policy of partially open borders, on the one hand, and conservative-chauvinistic discourse interventions and repressive reactions, on the other hand, a debate begins to show about the discursive and material form and the constitution of present border regimes during the refugee discourse. This paper presents the results of a one-year empirical research project and examines from a discourse-theoretical and historical-materialistic perspective to what extent and along which conflicts a shift can be revealed in the hegemonic forces formation from an unconditional welcoming culture to a conditional welcoming culture in Frankfurt a. M. between summer 2015 and summer 2017. After a brief description of the theoretical and methodological foundations the local conflict dynamics, actors and discourse strategies are reconstructed and classified according to the hegemony theory based on the empirical data basis (FAZ, FNP, FR). The article ends with an outlook on current developments and scopes of action in Frankfurt a. M.
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Notes
- 1.
Der Beitrag basiert auf den Ergebnissen eines umfangreichen Lehrforschungsprojektes, welches die Autor*innen im Zeitraum von 2017 bis 2018 durchgeführt haben.
- 2.
Diese wurde maßgeblich von der Transit Migration-Forschungsgruppe und dem IMIS in Osnabrück in der deutschsprachigen Diskussion etabliert.
- 3.
- 4.
- 5.
Die folgende narrative Darstellung stellt unsere Ergebnisse aus den drei HMPA-Analyseschritten (Kontext, Akteur*innen, Konfliktprozess) bewusst nicht getrennt gelistet dar, sondern versucht diese zu verbinden, indem sie zwischen chronologischer Rekonstruktion, Akteur*innenanalyse und Kontextualisierung wechselt.
- 6.
Siehe bspw. den Fall Hirse et al. gegen Italien vor dem EGMR (vgl. EGMR 2012).
- 7.
Während im Mai 2015 ca. 18.000 Fliehende in Griechenland die EU betreten, steigt diese Zahl kontinuierlich. Im kompletten Jahr 2015 kommen mehr als 800.000 Geflüchtete in Griechenland und zusätzlich 150.000 in Italien an (vgl. Georgi 2016, S. 189 f.; IOM 2015). Die häufig genutzte Route in die EU über das Mittelmeer fordert weltweit die meisten Todesopfer. So sind allein vom Januar 2014 bis 30. Juli 2017 14.595 Tote registriert worden. Die Dunkelziffer kommt hinzu. Auch dies ist Folge des tödlichen europäischen Migrationsregimes (vgl. IOM 2017).
- 8.
Hier zeigt sich besonders die (neo-)liberale Färbung innerhalb des sozialliberalen Hegemonieprojektes – die Arbeitsmarktintegration von Fliehenden und die daraus resultierende Nutzung des Humankapitals für die Mehrheitsgesellschaft.
- 9.
So lobte etwa Ministerpräsident Volker Bouffier die ehrenamtlich Tätigen der Frankfurter Bevölkerung als die „stillen Helden dieser Tage“ (vgl. Bebenburg 2015) und die rapide sowie erfolgreiche Kooperation zwischen Ehrenamt und Behörden erlaube es „mit Fug und Recht von Willkommenskultur“ (vgl. Bebenburg 2015) zu sprechen.
- 10.
Beispielhaft für die offensiven und ablehnenden Reaktionen gegenüber Fliehenden in anderen Teilen der BRD sind die gewaltvollen Angriffe auf Unterkünfte für Geflohene wie bspw. im Spätsommer 2015 in Heidenau (Sachsen). Hier zeigt sich in Gewalttaten die ablehnende Haltung gegenüber jeglicher Form der Migration deutlich (vgl. Dassler und Keilholz 2015, in Tagesspiegel).
- 11.
Um wen es sich dabei eigentlich handelt, bleibt häufig nebulös. Gezeigt werden kann das an der Verwendung unterschiedlichster Begriffe (mit auch unterschiedlichen Bedeutungen) im Kontext der Diskussion in der Konstruktion von Fliehenden: „Flüchtlinge“, „diese Menschen“, „Menschen von außerhalb“, „eigene Asylbewerber“, „anerkannte Flüchtlinge“, „unbegleitete minderjährige Schützlinge“, „Zuwanderer“, „Personen“, „anerkannte Asylbewerber“, „Migranten“ (vgl. Euler und Ochmann 2016). Dass hier nur von männlich* wahrgenommenen Fliehenden gesprochen wird, verstärkt die Assoziationskette Fliehend – männlich – gefährlich.
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Lill, AC., Schneider, J., Schneider, S. (2019). Konfliktdynamiken im langen Sommer der Migration. Das Beispiel Frankfurt am Main. In: Blättel-Mink, B., Noack, T., Onnen, C., Späte, K., Stein-Redent, R. (eds) Flüchtigkeiten . Sozialwissenschaften und Berufspraxis . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27216-6_5
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