Zusammenfassung
Welchen Zugang zur Forschung im Kontext von Flucht und Migration bietet die Dokumentarische Methode? Welche Herausforderungen sind in der Forschung zu FluchtMigration zu konstatieren und wie kann mit diesen methodisch umgegangen werden? Im Beitrag werden grundlegende methodologische Annahmen der Dokumentarischen Methode als Methode rekonstruktiver Sozialforschung sowie die einzelnen Analyseschritte vorgestellt. Methodologisch zentral ist die Unterscheidung von kommunikativ-generalisiertem Wissen und Konjunktiven Wissen sowie die komparative Analyse von Daten. Anhand von einigen Studien im Kontext von FluchtMigration wird aufgezeigt, welche Perspektiven und Erkenntnismöglichkeiten sich daraus ergeben. Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Forschung zu FluchtMigration, die insbesondere die Datenerhebung betreffen, sind dabei ebenso zu berücksichtigen, wie die kritische Reflexion der sample-Bildung. Eine systematische komparative Analyse und die Berücksichtigung von verschiedenen Dimensionen sozialer Zugehörigkeit können einen Ausweg aus problematischen Fremdzuschreibungen bieten ohne inhärente Machtassymetrien in der Forschung gänzlich aufzulösen.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsNotes
- 1.
Siehe dazu die umfangreiche Literaturliste zur Dokumentarischen Methode unter: https://www.hsu-hh.de/systpaed/wp-content/uploads/sites/755/2018/03/LitdokMeth18-03-15.pdf.
- 2.
- 3.
Der Begriff „FluchtMigration“ verweist darauf, dass eine Abgrenzung zwischen Flucht und anderen Formen der Migration, die auch Zwangscharakter haben können, beispielsweise bei sogenannter Arbeitsmigration oder auch Armutsmigration, häufig nicht möglich ist und auch Mischformen existieren. Die Begriffe Migration und Flucht rufen nicht nur rechtliche Differenzen, sondern auch verschiedene Vorstellungen im Alltag auf. FluchtMigration soll daher auf den fluiden und dynamischen Prozess verweisen, in welchem sich sowohl mobile Menschen als auch Diskurse über Mobilität/Flucht/Migration bewegen (vgl. dazu auch Goebel et al. 2018, S. 4).
- 4.
In ihrer Studie zu jugendlichen Hip-Hop-Gruppen in São Paulo und Berlin reflektiert Wivian Weller die Fremdheit zwischen Forscherin und Beforschten sowohl als Problem als auch als grundlegendes methodisches Prinzip (vgl. Weller 2010, S. 120). Dieser Perspektive schließe ich mich an.
- 5.
„Der Orientierungsrahmen ist im ganz elementaren, im primordialen Sinne ein sozialer, ein kollektiver und entspricht damit den Kollektivvorstellungen beziehungsweise dem konjunktiven Erfahrungsraum nach Mannheim“ (Bohnsack 2017, S. 81), welcher dadurch charakterisiert ist, dass „ihre Angehörigen, ihre Träger durch Gemeinsamkeiten des Schicksals, des biographischen Erlebens, Gemeinsamkeiten der Sozialisationsgeschichte miteinander verbunden sind“ (Bohnsack 2014, S. 113).
- 6.
Solche Auseinandersetzungen sind beispielsweise bei Carolin Sprenger (2016) zu finden, die auf der Basis ihrer Bachelorarbeit zu Orientierungen von geflüchteten Menschen im transnationalen Raum fragt, welchen Nutzen die Untersuchten aus der Teilnahme am Forschungsprojekt ziehen können und auch, wie sie sich als Forscherin positionierte (ebd., S. 155).
- 7.
Hiermit sind Personen gemeint, die aus dem gleichen Land/Region einer Person kommen, aber möglicherweise Angehörige der Opposition/eines geschassten Regimes/einer anderen religiösen Gruppe etc. sind und aufgrund dieser Tatsache Misstrauen entsteht.
- 8.
Einige der in den letzten Jahren durchgeführten Forschungen im Kontext von FluchtMigration wurden in Lehr-Forschungsprojekten realisiert, mit entsprechenden Einschränkungen, etwa in Bezug auf Dauer und auch Erfahrungen der Erhebenden. Dies betrifft auch eigene Forschungen an der TU Chemnitz im Projekt FIS. Die Arbeiten sind als Feldbericht veröffentlicht (siehe: Forschungen zur Aufnahme von Geflüchteten in Sachsen – ein Feldbericht. Online abrufbar unter: https://www.tu-chemnitz.de/phil/europastudien/geographie/Publikationen/ChHG/ChHG_online_5_2018.pdf).
Literatur
Bohnsack, R. (2014). Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden (9. Aufl.). Opladen: Budrich.
Bohnsack, R. (2017). Praxeologische Wissenssoziologie. Opladen: utb.
Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge. (2016). Persönliche Anhörung. http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/AblaufAsylv/PersoenlicheAnhoerung/persoenliche-anhoerung-node.html. Zugegriffen: 8. Febr. 2019.
Citak, S., Kubisch, S., Lüngen, S., & Ottersbach, M. (2017). Erste Erkenntnisse des Forschungsprojekts „Bürgerschaftliches Engagement für Flüchtlinge und von Flüchtlingen und Soziale Arbeit in NRW“ (BEFSA) Förderlinie: „Forschung zu Flucht und Integration“, Working Paper. https://www.connectnrw.de/media/content/BEFSA_Working%20Paper092017.pdf. Zugegriffen: 24. Aug. 2018.
Eppenstein, T., & Ghaderi, C. (2017). Perspektiven auf Flüchtlinge und Fluchtdynamiken – Eine Einführung. In C. Ghaderi & T. Eppenstein (Hrsg.), Flüchtlinge. Multiperspektivische Zugänge (S. 1–28). Wiesbaden: Springer VS.
Fritsche, A. (2016). Kultur(en) und Sprache(n) der Asylwirklichkeit – Herausforderungen empirischer Forschung im Kontext von Unsicherheit, Verrechtlichung, Interkulturalität und Mehrsprachigkeit. Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 41(2), 165–190.
Gildemeister, R., & Wetterer, A. (1992). Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung. In G. A. Knapp & A. Wetterer (Hrsg.), TraditionenBrüche. Entwicklungen feministischer Theorie (S. 201–254). Freiburg: Kore.
Glaser, B. G., & Strauss, A. L. (2005). Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. 2 (korrigierte Aufl.). Bern: Huber.
Glorius, B., Schondelmayer, A. C., & Dörfel, R. (2018). „Wandel durch Annäherung“? Gesellschaftliche Konflikte im Kontext der Flüchtlingsunterbringung im ländlichen Sachsen. In S. Goebel, T. Fischer, F. Kießling, & A. Treiber (Hrsg.), FluchtMigration und gesellschaftliche Transformationsprozesse (S. 111–139). Wiesbaden: Springer VS.
Glorius, B., & Schondelmayer, A. C. (2019a). Perspektiven und Handlungslogiken der Integration von Geflüchteten am Beispiel berufsbildender Schulen (i. E.).
Glorius, B., Schondelmayer, A. C. (2019b). Erfahrungsräume der FluchtMigration (i. E.).
Goebel, S., Fischer, T., Kießling, F., & Treiber, A. (Hrsg.). (2018). FluchtMigration und gesellschaftliche Transformationsprozesse. Transdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS.
Hagemann-White, C. (2016). Grundbegriffe und Fragen der Ethik bei der Forschung über Gewalt im Geschlechterverhältnis. In C. Helfferich, B. Kavemann, & H. Kindler (Hrsg.), Forschungsmanual Gewalt (S. 13–31). Wiesbaden: Springer VS.
Jahr, D., & Nagel, F. (2018). Politikdidaktische Forschung mit der Dokumentarischen Methode. In M. Maier, C. Keßler, U. Deppe, A. Leuthold-Wergin, & S. Sandring (Hrsg.), Qualitative Bildungsforschung. Methodische und methodologische Herausforderungen in der Forschungspraxis (S. 191–210). Wiesbaden: Springer VS.
Koop, D., Jahr, D., & Hempel, C. (2016). Pegida als Gegenstand des Politikunterrichts. Ergebnisse und fachdidaktische Reflexion einer rekonstruktiven Unterrichtsanalyse an einem Gymnasium in Sachsen. Gesellschaft – Wirtschaft – Politik, 65(3), 397–406.
Kron, S. (2011). Intersektionalität oder Borderland als Methode? In S. Hess, N. Langreiter, & E. Timm (Hrsg.), Intersektionalität revisited (S. 197–221). Bielefeld: transcript.
Kubisch, S., Citak, S., Ertik, S., & Ottersbach, M. (2018). Zur Wahrnehmung geflüchteter Menschen als Adressat_innen Sozialer Arbeit Erkenntnisse des Forschungsprojekts „Bürgerschaftliches Engagement für Flüchtlinge und von Flüchtlingen und Soziale Arbeit in NRW“ (BEFSA) Förderlinie: „Forschung zu Flucht und Integration“, 2. Working Paper. https://www.connectnrw.de/media/content/Working_Paper_BEFSA_03_2018.pdf . Zugegriffen: 24. Aug. 2018.
Lamprecht, J. (2012). Rekonstruktiv-responsive Evaluation in der Praxis, Neue Perspektiven dokumentarischer Evaluationsforschung. Wiesbaden: VS Verlag.
Niedrig, H., & Seukwa, L. H. (2010). Die Ordnung des Diskurses in der Flüchtlingskonstruktion: Eine postkoloniale Re-Lektüre. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 2, 181–193.
Nohl, A. M., & Pusch, B. (2017). „Wir schaffen das“: Politische Erziehung im Zuge der CDU-Flüchtlingswende 2015. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 93(3), 324–344.
Palenga-Möllenbeck, E. (2018). „Unsichtbare ÜbersetzerInnen“ in der Biographieforschung: Übersetzung als Methode. In H. Lutz, et al. (Hrsg.), Handbuch Biographieforschung (S. 669–680). Wiesbaden: Springer VS.
Rosenthal, G. (2002). Biographisch-narrative Gesprächsführung: zu den Bedingungen heilsamen Erzählens im Forschungs- und Beratungskontext. Psychotherapie und Sozialwissenschaft, 4(3): 204–227. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-56763.
Schittenhelm, K. (2012). Sampling und die Suche nach fallübergreifender Gültigkeit. In K. Schittenhelm (Hrsg.), Qualitative Bildungs- und Arbeitsmarktforschung (S. 407–437). Wiesbaden: Springer VS.
Schittenhelm, K., & Schneider, S. (2017). Official standards and local knowledge in asylum procedures: Decision-making in Germany’s asylum system. Journal of Ethnic and Migration Studies, 43(10), 1696–1713. https://doi.org/10.1080/1369183x.2017.1293592.
Sprenger, C. (2016). Mittendrin oder nur dabei? Probleme der Positionierung am Beispiel der Erforschung von Flucht. In J. Wintzer (Hrsg.), Herausforderungen in der Qualitativen Sozialforschung (S. 152–158). Berlin: Springer Spektrum.
Schondelmayer, A. C. (2018). Wissenschaftliche Begleitung bei der Entwicklung eines therapeutischen Begleitprogrammes zur Stabilisierung von Asylsuchenden mit besonderem psychosozialen Unterstützungsbedarf unter besonderer Berücksichtigung einer interkulturell-sensiblen Perspektive. Chemnitz: SFZ Förderzentrum gGmbH. (Unveröffentlichter Abschlussbericht).
Weiß, A. (2010). Die Erfahrung rechtlicher Exklusion. Hochqualifizierte MigrantInnen und das Ausländerrecht. In A. M. Nohl, K. Schittenhelm, O. Schmidtke, & A. Weiß (Hrsg.), Kulturelles Kapital in der Migration: Hochqualifizierte Einwanderer und Einwanderinnen auf dem Arbeitsmarkt (S. 123–137). Wiesbaden: VS Verlag.
Weiß, A., Ofner, U. S., & Pusch, B. (2010). Migrationsbezogene biographische Orientierungen und ihre ausländerrechtliche Institutionalisierung. In A. M. Nohl, K. Schittenhelm, O. Schmidtke, & A. Weiß (Hrsg.), Kulturelles Kapital in der Migration: Hochqualifizierte Einwanderer und Einwanderinnen auf dem Arbeitsmarkt (S. 197–210). Wiesbaden: VS Verlag.
Weller, W. (2010). HipHop-Gruppen in São Paulo und Berlin. Ästhetische Praxis und kollektive Orientierungen junger Schwarzer und Migranten. In R. Bohnsack, A. Przyborski, & B. Schäffer (Hrsg.), Das Gruppendiskussionsverfahren in der Forschungspraxis (S. 109–122). Opladen: Budrich.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2019 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Schondelmayer, AC. (2019). Potenziale der dokumentarischen Methode für die Forschung zu FluchtMigration. In: Behrensen, B., Westphal, M. (eds) Fluchtmigrationsforschung im Aufbruch. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26775-9_16
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-26775-9_16
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-26774-2
Online ISBN: 978-3-658-26775-9
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)