Zusammenfassung
Mit dem Träumen und seinem Rätsel ist bereits eine lange Tradition philosophischer, psychologischer und kulturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen verbunden. Es fordert bereits in der Antike dualistische Vorstellungen von Körper und Seele heraus – oder fungiert als Begründung für diese; es unterläuft Annahmen von Souveränität und Autonomie – oder verstärkt diese, etwa in den Erwartungen, auf die Träume Einfluss zu nehmen. Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, was sich im Träumen über das Subjekt zeigt, wenn sich diesem phänomenologisch und praxistheoretisch genähert wird. Während mit der ersten Analyseperspektive die leibliche Verfasstheit der Subjekte explizit thematisch wird, lässt sich mit praxistheoretischen Zugängen der handelnde Körper der Subjekte in den Blick nehmen.
Abstract
Dreaming and its mysteries are bound to a long tradition of debates in philosophical, psychological and cultural sciences. Already in ancient times, dreaming challenges the dualistic understanding of body and mind – or serves as a reason for this differentiation; it undermines assumptions of sovereignty and autonomy – or amplifies the same, for example through the expectations to get control over the dreams. This contribution pursues the question what dreaming reveals about the subject if this is approached from a phenomenological and practice-theoretical point of view. While from the first analysis the bodily constitution of the subject is focussed, the acting body of the subject can be envisioned applying practice-theoretical positions.
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Notes
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Wir danken ganz herzlich Thomas Sarbacher, der mit seiner faszinierenden Lesereihe „Geschichten aus der arabischen Welt“ im Zürcher Theater Winkelwiese 2016 nicht nur auf die Werke des in Irak geborenen Schriftstellers Hassan Blasim aufmerksam machte, sondern auch auf jene von zahlreichen weiteren Autor*innen aus Syrien, dem Libanon, aus Marokko, Algerien, Libyen, Ägypten und dem Sudan.
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Schlafwandeln und Handeln im Schlaf lassen sich nur ohne Zugrundelegung eines autonomen Subjekts denken. In diesen ‚Tätigkeiten‘, in denen die Gesetze der Willensfreiheit nicht greifen, wird die romantische Vorstellung eines souveränen Subjekts, das stets Herr über sein Handeln ist, konterkariert (vgl. Košenina 2005, S. 248).
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Auch lässt sich an dieser Stelle auf den sogenannten „Schmetterlingstraum“ von Dschuang Dsï (1972, S. 51–52) verweisen, eine Geschichte, in welcher Dschuang Dschou träumt, ein Schmetterling zu sein, der von Dschuang Dschou nichts wusste – und auch wenn er sich seiner selbst im Wachzustand erneut gewiss wurde, es doch ungeklärt bleiben muss, ob nicht der Schmetterling den Traum hatte, Dschuang Dschou zu sein. Über die Unterscheidung zwischen Traum- und Wachzustand hinaus geht es in dieser Erzählung um die Unmöglichkeit der Differenzierung zwischen Träumer*in und Geträumtem.
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Auch wenn hier psychoanalytische Auseinandersetzungen mit dem Träumen nahezu ausgeklammert sind, ließe sich in Bezug auf Carlos Fuentes psychoanalytisch inspiriert fragen, warum sich der Traum als Durchgang der Erinnerungen durch das Unbewusste in Bildern ereignet, die das Handeln bzw. Nicht-handeln-Können thematisieren. Damit würde sich das Träumen auch als Resonanz erlebter Handlungs(un)möglichkeit reflektieren lassen.
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In der allgemein-erziehungswissenschaftlichen Tradition Dietrich Benners (2015) wird ebenfalls ein weiterer Begriff von Praxis vertreten.
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Hillebrandt ist derjenige unter den Vertreter*innen der Praxistheorie, der nach einer Möglichkeit sucht, phänomenologische und poststrukturalistische leib- und körpertheoretische Perspektiven zusammenzubringen. Der Körper „ist zwar Disziplinierungen ausgesetzt – gerade in der Gegenwartsgesellschaft –, lässt sich aber nicht auf sein mechanisches Funktionieren reduzieren, weil mit ihm immer Performanz bzw. Artikulation verbunden ist, die sich eben nicht mechanisch fassen lässt“ (Hillebrandt 2014, S. 76). Aufgrund der Leiblichkeit versteht der Autor die Ausdrucksweisen des Körpers als kontingent und durch Disziplinierungen uneinholbar.
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Zu den Differenzen zwischen soziologischen Praxistheorien und der artikulationstheoretischen Perspektive vgl. Hoffarth (2017).
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So wird im Beitrag streng genommen nicht praxistheoretisch argumentiert – sofern unter Praxistheorie eine bestimmte soziologische „Praxis der Theoretisierung von Praktiken“ verstanden wird.
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Gerade ihre Konzeption von Diskurs und seine prinzipielle Unabgeschlossenheit bieten die Grundlage, über einen Praxisbegriff nachzudenken, der sowohl die Souveränität des Subjekts als auch die Produktivität des Handelns in ihrer Unverfügbarkeit thematisch macht.
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Kathrin Ganz sieht daher im Artikulationsbegriff eine epistemologische Installation, in welcher sich die Verzahnung von Praktiken und Diskursen, des Partikularen und des Strukturellen, begrifflich fassen lassen, ohne der Logik einer Gegenüberstellung von Diskurs und Subjekt verhaftet zu bleiben (vgl. Ganz 2012, S. 140).
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Hoffarth, B., Magyar-Haas, V. (2019). Zur Unverfügbarkeit träumender Subjekte. Phänomenologische und praxistheoretische Perspektiven. In: Brinkmann, M., Türstig, J., Weber-Spanknebel, M. (eds) Leib – Leiblichkeit – Embodiment. Phänomenologische Erziehungswissenschaft, vol 8. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25517-6_9
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