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Proto-Soziologie außerirdischer Zivilisationen

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Die Gesellschaft der Außerirdischen

Zusammenfassung

Ein weiteres Herzstück des Bandes ist dieses Kapitel zur Proto-Soziologie außerirdischer Zivilisationen. Hier wird gefragt, was auf Basis irdischen Wissens überhaupt über außerirdische Zivilisationen ausgesagt werden kann. Das Kapitel geht von der analytisch zentralen Differenz zwischen biologischen und postbiologischen Gesellschaften aus. Während über den letzteren Typus heute nur wenig ausgesagt werden kann, ermöglicht die Evolutionstheorie eine Reihe von Annahmen hinsichtlich der Entwicklung, Struktur und Funktionsweisen der von biologischen Spezies dominierten fremden Zivilisationen.

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Notes

  1. 1.

    Unter ‚Zivilisation‘ im Gegensatz zu ‚Gesellschaft‘ verstehen wir hier (in Abweichung vom üblichen sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch) die historische Gesamtheit der Formen des Zusammenlebens, die die dominierende intelligente Spezies eines Planeten (oder auch eines anderen, für uns heute noch unvorstellbaren Ortes im Universum) hervorgebracht hat. Nach diesem Sprachgebrauch gibt es eine menschliche Zivilisation auf der Erde, aber, in langem historischen Wandel, eine Vielzahl von menschlichen Gesellschaften (oder Kulturen, was wir hier ausnahmsweise synonym verwenden). Die Besonderheit der aktuellen Epoche der Menschheitsgeschichte besteht darin, dass alle derzeit noch parallel existierenden Kulturen dabei sind, in einer Weltgesellschaft (Stichwort: Globalisierung) aufzugehen. Falls dieser Prozess sich so fortsetzt, besteht unsere menschliche Zivilisation schließlich nur noch aus einer einzigen Gesellschaft – womit dann Gesellschafts- und Zivilisationsanalyse zusammenfallen (was bei außerirdischen Zivilisationen nicht notwendig der Fall sein muss).

  2. 2.

    Wir könnten aus theoretischen Erwägungen heraus einen weiteren Typus anfügen: exotische Tertiärzivilisationen, zu denen jene technologischen Zivilisationen sich eines fernen Tages weiterentwickeln könnten (vgl. Smart 2012). Die Science Fiction kennt solche Entwicklungsstufen, etwa in Form von Intelligenzen, die jede körperliche Form hinter sich gelassen haben und nur noch aus Energie bzw. Information bestehen oder sich in einem uns heute noch völlig unbekannten Daseinszustand befinden. Solche exotischen Zivilisationen gehen derartig weit über unser menschliches (durch Materie und Biologie geprägtes) Verständnis hinaus, dass wir über sie schlicht nichts auszusagen vermögen. Deshalb widmen wir solchen exotischen Zivilisationen im weiteren Text keine Aufmerksamkeit.

  3. 3.

    Martinez (2014, S. 341) weist zu Recht auf die Tatsache hin, dass solche postbiologischen Zivilisationen, dies ist ja ihr Definitionsmerkmal, ihren Ursprung in biologischen Spezies haben: „However, at the core of the search for extraterrestrial intelligence lies in essence a biological problem since even post-biological extraterrestrial intelligences must have had an origin based on self-replicating biopolymers.“ (vgl. hierzu auch Lestel 2014, S. 228). Dabei ist uns allerdings nicht klar, was aus dieser Feststellung hinsichtlich der Struktur oder den Motiven solcher Sekundärzivilisationen abgeleitet werden könnte.

  4. 4.

    Einen guten Überblick über seine Thesen und die möglichen Implikationen für die zukünftige Entwicklung der Intelligenz auf der Erde liefert Tim Urban (2015) in seinem Text „The AI Revolution: Our Immortality or Extinction“. Urban stellt – im Gegensatz zu Bostrom selbst – auch einen direkten Zusammenhang zwischen der Superzivilisationsthese und dem Fermi-Paradoxon her: Vor dem Hintergrund der vermuteten Tendenz zur Entwicklung künstlicher Superintelligenzen wird es für ihn nur noch unerklärlicher, warum wir bislang keine Anzeichen solcher technologisch hochstehenden Superzivilisationen entdeckt haben. Mit dem Thema ‚extraterrestrische Superzivilisationen‘ beschäftigt sich auch der Sammelband von Harald Zaun (2010).

  5. 5.

    Erst vor wenigen Jahren hatten der niederländische Atmosphärenforscher Paul Crutzen (2002; siehe auch Crutzen et al. 2011; Ellis 2018, passim) und andere das Zeitalter des „Anthropozän“ ausgerufen – eine erdgeschichtliche Epoche, in der die Entwicklung des globalen Ökosystems von menschlichen Einflüssen dominiert wird. Zur gleichen Zeit, während in den Naturwissenschaften die Debatte über eine solche erdgeschichtliche Einordnung Fahrt aufnimmt, arbeiten multinationale Konzerne (vielfach nationalstaatlich finanziert) bereits daran, diese Epoche schon wieder zu beenden: Sie entwickeln autonome Roboter und netzwerkbasierte künstliche Intelligenzen, die – und dies ist Bostroms Kernthese – innerhalb weniger Jahrzehnte die menschliche Zivilisation nicht nur ergänzen, sondern als solche ablösen könnten.

  6. 6.

    Das entscheidende Argument für diese Einschätzung folgt menschlichen Rationalitätskriterien: Ein handlungsmächtiger Akteur mit einem konkreten Ziel „hätte in vielen Situationen konvergente instrumentelle Gründe dafür, unbegrenzte physische Ressourcen zu erwerben und, soweit möglich, auch potentielle Gefahren für sich und sein Zielsystem zu beseitigen. Menschliche Wesen könnten eine solche Gefahr sein […]“ (Bostrom 2014, S. 165).

  7. 7.

    Hier geht es etwa um die Annahmen über die Zielorientierung und den Wertekanon einer solchen extraterrestrischen Superintelligenz.

  8. 8.

    Über solche Fehler schreibt Bostrom (2014, S. 170): „Es gibt jedoch noch andere Möglichkeiten zu scheitern, die wir als ‚bösartig‘ oder ‚katastrophal‘ bezeichnen könnten, da sie zu einer existenziellen Katastrophe führen. Ein solcher Fehler zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass man ihn nur ein einziges Mal begehen kann …“. Die Erschaffung einer künstlichen Superintelligenz gehört nach Bostroms fester Überzeugung zu dieser Art von nicht wieder gut zu machenden zivilisatorischen Fehlern der Menschheit.

  9. 9.

    Ein anderer Grund könnte ein technologischer sein: Wenn man sich die Entwicklung der menschlichen Erforschung des Weltraums ansieht, scheint es nach einer kurzen ‚explosiven‘ Phase in den sechziger und frühen siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts (für die Gründe vgl. Schetsche 2005) zu einer deutlichen Stagnation gekommen zu sein, in der die Menschheit nicht einmal in der Lage (oder politischen Willens) ist, das bisher schon Erreichte noch einmal zu wiederholen. Bei der heute vorherrschenden Geschwindigkeit der Entwicklung der irdischen Weltraumtechnologie rückt der Zeitpunkt, an dem ‚wir‘ mit Raumsonden (von Raumschiffen gar nicht zu reden) ferne Planetensysteme zu erreichen vermögen, in nicht einmal mehr prognostizierbare Ferne. Möglicherweise haben wir es hier mit einem Grundproblem von biologisch basierten Zivilisationen zu tun: An einem lebensfreundlichen Ort entstandenen Organismen fällt es nicht leicht, den im Großen und Ganzen höchst lebensfeindlichen Weltraum selbst zu erforschen (vgl. Shostak 2015, S. 950). Falls diese Annahme richtig ist, kann man prognostizieren, dass Zivilisationen erst nach der Überwindung ihrer biologischen Phase mit Vehemenz in den Weltraum vordringen werden. Sollte dies zutreffen, wird es umso wahrscheinlicher, dass unsere Gegenüber in einem Artefakt- oder Begegnungsszenario technische und nicht biologische Wesenheiten sein werden.

  10. 10.

    Dies wurde kürzlich selbst von Seth Shostak, einem der Hauptvertreter des traditionellen SETI-Paradigmas, eingeräumt: „Within a few dozen years, we are likely to invent generalized artificial intelligence – devices functionally equivalent (or superior) to the human brain. We will have gone from the invention of practical radio to the invention of nonbiological cognition in a time period of a few centuries or less. This stunningly brief interval suggests that, if technologically competent sentience is out there, the majority of it will be artificial, not biological. Extraterrestrial Intelligence is likely to reside in machines, not protoplasm“ (Shostak 2015, S. 950).

  11. 11.

    Was allerdings nicht bedeutet, dass die wissenschaftliche Zukunftsforschung sich nicht deutlich intensiver als bisher mit den Risiken der Entstehung bzw. Erschaffung einer Superintelligenz auf der Erde beschäftigen sollte. Dies ist hier allerdings nicht unser Thema.

  12. 12.

    Bereits im Jahre 1966 führte uns die legendäre deutsche SF-Fernsehserie Raumpatrouille die „Frogs“ genannten Außerirdischen vor – silberglänzende, kristallartige Intelligenzen, die im Vakuum existieren und für die Sauerstoff giftig ist.

  13. 13.

    Zum Grundprobleme der Abgrenzung von unbelebter Natur und lebendigen Wesen außerhalb der Erde vgl. Cleland und Chyba (2002).

  14. 14.

    Wir verfolgen diesen Gedanken hier nicht weiter, weil das Verhältnis zwischen einer erschaffenden und einer erschafften Zivilisation zu einem höchst komplexen Bedingungsgefüge führen würde, das unseres Erachtens vor der Konfrontation mit einer solchen biologischen Sekundärzivilisation analytisch nicht handhabbar ist.

  15. 15.

    Für die Diskussion typisch sind hier etwa die Annahmen von Levin et al. (2017, S. 1): „If life arises on other planets, then the evolutionary theory should be able to make similar predictions about it.“ Die Grundannahme ist hier, dass sich zumindest komplexe Lebensformen nicht ohne eine Art von Evolution entwickeln können. Und die Autoren meinen, dass die auf Darwin zurückgehende Evolutionstheorie auch die Evolution auf fremden Planeten zumindest vom Grundsatz her korrekt zu beschreiben und zu erklären vermag: „Consequently, if we find complex organisms, we can make predictions about what they will be like“ (Levin et al. 2017, S. 6).

  16. 16.

    Da die Axiome der Evolutionstheorie zum Allgemeinwissen gehören, setzen wir sie hier als bekannt voraus (für eine Einführung vgl. Storch et al. 2013; Kutschera 2015). Die innerbiologischen Debatten über die genaue Formulierung der einzelnen Regeln und über mögliche Grenzfälle und Ausnahmen können wir hier vernachlässigen – die religiös motivierte nichtwissenschaftliche Kritik ignorieren wir vorsätzlich.

  17. 17.

    Die Frage, ob dies so ohne Weiteres zu entscheiden ist, klammern wir zunächst einmal aus; wir kommen am Ende des vierten Unterkapitels („Sonderfall hybride Zivilisationen“) noch einmal darauf zurück.

  18. 18.

    Das Leben auf der Erde (letztlich auch das der Menschen) ist durch verschiedene Zyklen gekennzeichnet: Tag- und Nachtzyklus, Jahresverlauf, zyklisch wiederkehrende kosmische Einflüsse. Man kann sich durchaus Zivilisationen vorstellen (siehe beispielhaft den Roman Eine Tiefe am Himmel von Vernor Vinge aus dem Jahre 2003), bei denen die Umweltbedingungen ihres Entstehungsortes zu extremen Zyklen von Aktivität und Passivität oder auch zu massiven zyklischen Änderungen im Phänotypus, in den Verhaltensweisen und in der sozialen Organisation der Spezies führen. (Hier ließe sich auch noch der Science Fiction-Roman Die drei Sonnen von Cixin Liu, der 2016 in deutscher Übersetzung erschien, anführen).

  19. 19.

    Die meisten eusozialen Insektenarten auf der Erde zeichnen sich dadurch aus, dass die überwiegende Mehrheit der Einzelwesen (Arbeiter, Kriegerinnen usw.) nicht direkt an der Fortpflanzung beteiligt sind (vgl. Levin et al. 2017).

  20. 20.

    Wir entnehmen diese Idee den Science Fiction-Romanen A Fire Upon the Deep von Vernor Vinge (2003) und Der Schwarm von Frank Schätzing (2004).

  21. 21.

    Eine solche ‚singuläre Intelligenz‘ und die Probleme, die sie in der Kommunikation mit individualisierter Intelligenz wie der menschlichen hätte, beschreibt der polnische Schriftsteller und Futurologe Stanislaw Lem in seinem berühmten Roman Solaris (1972).

  22. 22.

    Dessen Problemhaftigkeit haben wir im Kap. 4 diskutiert.

  23. 23.

    Um nur ein (für uns) ‚augenfälliges‘ Beispiel anzuführen: Lebewesen, die sich in einer Umwelt bewegen, in der kaum elektromagnetische Strahlung entsprechender Wellenlängen zu finden ist, werden keine Rezeptoren für das entwickeln, was wir ‚Licht‘ nennen. Sie werden keine Augen haben, sich nicht an dieser Art von Strahlung orientieren und sie werden dieses Licht auch nicht zur Kommunikation nutzen (können). Es ist also nicht zu sagen, ob Außerirdische uns Menschen sehen werden – und wenn, dann vielleicht in einem ganz anderen Bereich des elektromagnetischen Spektrums, als wir ihn nutzen. (Ein schönes filmisches Beispiel hierfür liefert der aktuelle (2018) SF-Thriller A Quiet Place von John Krasinski.) Hingegen kann man davon ausgehen, dass eine Berührungssensorik irgendeiner Art bei jedem körperlich-materiellen Wesen existiert. Der Berührungs- oder Tastsinn stellt zumindest auf der Erde die primäre Sinnesfähigkeit aller Lebewesen dar – selbst Mikroorganismen verfügen über ihn und reagieren auf Berührungsreize (Zur Bedeutung des Tastsinns für Lebewesen vgl. Grunwald 2012).

  24. 24.

    Bei uns Menschen sind dies heute Hören (Sprechen) sowie Sehen (Gestik, Mimik, Positionierung im Raum usw.). Die Kommunikation über Haptik, Geruch und Geschmack ist in der Moderne weit in den Hintergrund gerückt. Dies hängt mit dem Primat von Wort, Schrift und Bild in der technisch vermittelten Kommunikation zusammen, ist aber wohl auch ein Stück weit artspezifisch und folgt aus der Lebensweise und Umweltanpassung unserer tierischen Vorfahren.

  25. 25.

    Mehrfach ist in der SETI-Literatur (exemplarisch: Raybeck 2014a) die Frage diskutiert worden, ob zivilisationsbildende Spezies mit größerer Wahrscheinlichkeit von Prädatoren abstammen. Dafür spricht, dass zumindest auf der Erde Jäger in aller Regel intelligenter sind als ihre Beute (so Schulze-Makuch und Bains 2017, S. 153–154; die Jagdfähigkeit stellt für diese Autoren einen wichtigen Faktor bei der Entwicklung von Intelligenz dar). Zu fragen bleibt allerdings, ob alle fremden Biosphären eine Aufteilung in ‚Jäger‘ und ‚Beute‘ kennen, wie sie auf der Erde üblich ist. Und es stellt sich natürlich die Frage, was aus der Abstammung einer intelligenten Spezies von Prädatoren zu folgern wäre.

  26. 26.

    Hinzu kommt die Schwierigkeit, aufgrund äußerlich sichtbarer Merkmale die Entscheidung zu treffen, ob es sich um eine oder mehrere Spezies handelt, solange nichts über die körperliche Variabilität der Fremden bekannt ist. Auf uns Menschen sehr unterschiedlich wirkende Wesenheiten können zur selben Spezies gehören (siehe allein die funktionsabhängigen extremen Größenunterschiede zwischen den einzelnen Entitäten bei irdischen Insekten).

  27. 27.

    Was nicht ausschließt, dass diese Raumfahrzeuge den primären Lebensraum darstellen, weil diese Zivilisation ihre planetaren Wurzeln lange hinter sich gelassen hat. Der in der Science Fiction vielfach diskutierten Idee einer Zivilisation aus ‚Weltraumnomaden‘ können wir an dieser Stelle nicht weiter nachgehen; wir weisen mit diesem Beispiel nur darauf hin, dass die sozial-technologischen Lebensweisen fremder Zivilisationen extrem unterschiedlich sein können.

  28. 28.

    Ein Nebengedanke: Falls die Ökonomie der Außerirdischen bei einem Begegnungsszenario auch nur einer Art kapitalistischer Verwertungslogik folgt, ist unser Schicksal wohl besiegelt.

  29. 29.

    Aus evolutionsbiologischen Grundannahmen folgern Levin et al. (2017, S. 6–7), dass es stets Mechanismen geben wird, die Interessen ausgleichen und Konflikte zwischen kleineren Einheiten beseitigen, um das Kollektiv insgesamt funktionsfähig zu halten. Es müsste mithin Institutionen geben, die Konflikte innerhalb der Sozietät bearbeiten, und Prozesse irgendeiner Art, die überindividuelle Entscheidungen in einer Kultur herbeiführen.

  30. 30.

    Die nicht nur in der Science Fiction, sondern auch in der SETI-Forschung gelegentlich diskutierte Frage nach ‚interstellaren‘ Organisationen oder auch ‚galaktischen‘ Zusammenschlüssen verschiedener außerirdischer Zivilisationen lassen wir hier einmal außen vor. Bereits das Nachdenken über eine außerirdische Zivilisation gestaltet sich als schwierig genug.

  31. 31.

    Dem Aufsatz von Levin et al. (2017, S. 6–7) entnehmen wir in diesem Kontext die These der Vielgliedrigkeit: Es wird sich bei komplexen Lebewesen um Entitäten handeln, die aus einer Vielzahl kleinerer Einheiten zusammengesetzt sind – und wahrscheinlich handelt es sich um verschachtelte Hierarchien mit mehreren Ebenen. Und zumindest auf den höheren Ebenen wird es eine Spezialisierung und Funktionsteilung der Untereinheiten geben. Auf intelligentes Leben übertragen prognostiziert diese These die hohe Wahrscheinlichkeit einer funktionalen Differenzierung in komplexen Gesellschaften. Letztlich sind wir uns aber nicht ganz sicher, ob diese Übertragung aus der Biologie in die Soziologie zulässig und wie erkenntnisträchtig sie ist.

  32. 32.

    Raybeck (2014b, S. 154) weist zu Recht darauf hin, dass uns beim Erstkontakt viele Informationen über die fremde Kultur nicht zur Verfügung stehen werden – dies gilt auch für einen physischen Direktkontakt: „They may come from a civilization as politically, culturally, and ethnically divided as our own. However, for purposes of initial interaction, this diversity may not be salient, as we are liable to be contacted by a single sociocultural entity.“

  33. 33.

    Bereits Harrison (1993) hatte im Anschluss an die Living System Theory (von James G. Miller) ein sehr abstraktes Analyseschema für außerirdische Zivilisationen vorgelegt, das auf drei „systems levels (organism, society, supranational system)“ und zwei „basic processes (matter-energy processing and information processing)“ abstellt. Der Erkenntnisgewinn dieses Ansatzes bezüglich hypothetischer außerirdischer Zivilisationen scheint letztlich aber gering zu bleiben – und so wundert es nicht, dass dieses Konzept, soweit wir die einschlägige Literatur überblicken, in der SETI-Forschung bislang nur wenig Beachtung gefunden hat.

  34. 34.

    Das Axiom scheint einem Zirkelschluss entsprungen, da die Existenz solcher kollektiven Wissensbestände Teil der Definition von Zivilisation ist. Wir könnten deshalb mit gutem Recht unser Axiom auch umkehren und feststellen: Als zivilisationsbildend erachten wir eine Spezies, die gemeinsame Wissensbestände teilt, neues Wissen schöpft, kollektiv verteilt und ihre Handlungsprogramme in Abhängigkeit vom neuen Wissen reformiert (vgl. Traphagen 2014, S. 163–164; Wason 2014, S. 117–119).

  35. 35.

    Beim zu erwartenden asymmetrischen Kulturkontakt, bei dem die Menschheit die technologisch unterlegene Zivilisation ist, manifestieren diese Fragen sich in einem Worst Case-Szenario nicht nur in Form der Unterscheidung zwischen Krieg oder Frieden, sondern letztlich auch in jener zwischen Auslöschung und Weiterexistenz unserer Spezies. Zumindest dies sollte ein guter Grund dafür sein, sich über den Erstkontakt und über die geplanten METI-Projekte Gedanken zu machen (vgl. Kap. 6).

  36. 36.

    Die Frage nach einer Methodologie für die Untersuchung außerirdischer Zivilisationen klammern wir an dieser Stelle mit Bedacht aus – hier hängt zu viel von der Art des Erstkontakts ab, um sich über diesen Punkt ausführlicher Gedanken zu machen.

  37. 37.

    Nicht anfreunden können wir uns mit dem Konzept einer cosmic convergent evolution, wie es Martinez (2014) vertritt. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Leben überall im Universum die Tendenz inhärent ist, sich zu immer komplexeren Formen zu entwickeln und schließlich auch Intelligenz und technologische Zivilisationen hervorzubringen, die den Weltraum erforschen. Der Autor vertritt ein teleologisches – und damit letztlich auch anthropozentrisches (vgl. Traphagen 2014, S. 169) – Konzept einer Entwicklung des Universums und des Lebens, das schließlich, geradezu unausweichlich, zu einer postbiologischen Maschinen-Zivilisation führen muss: „Quite ironically, the assumed biogenicity of the Universe would eventually lead towards global adaptive processes in which the cosmologically extended biosphere is favoring the emergence of artificial or post-biological forms of intelligence from organic substrate […] In such a scenario the Biocosm transforms it self naturally into a Silico- or Technocosm during a final epoch of one developmental cycle“ (Martinez 2014, S. 345–346).

  38. 38.

    Die Autoren vertreten die These, dass zur Nutzung von Energieressourcen und zur Herstellung komplexer Werkzeuge wahrscheinlich die ‚Herrschaft über das Feuer‘ gehört, was bedeuten würde, dass eine technologische Zivilisation nicht im Wasser bzw. unter Wasser entstehen kann (Schulze-Makuch und Bains 2017, S. 170–171). Für die Suche nach technischen Zivilisationen im All würde dies bedeuten, dass sog. Wasserwelten, deren Oberflächen gänzlich von einem Ozean gebildet werden, von einer Untersuchung von vornherein ausgenommen werden könnten.

  39. 39.

    Einfache Tauschoperationen hingegen finden wir auf der Erde bei vielen Spezies, nicht nur bei Primaten, sondern etwa auch bei Ratten.

  40. 40.

    Chick (2014, S. 217–218) weist explizit darauf hin, dass die kulturelle Komplexität einer Zivilisation keine Rückschlüsse auf ihre technologische Entwicklung erlaubt. Es mag in den Weiten des Universums überaus hoch entwickelte Zivilisationen geben, die keinen technologischen Pfad im irdischen Sinne beschritten haben oder deren Technologie nicht auf die Erforschung des Weltraums hin ausgerichtet ist. In beiden Fällen würden wir erst dann in Kontakt mit einer solchen Zivilisation kommen, wenn wir selbst sie aufzusuchen in der Lage sind.

  41. 41.

    Wir argumentieren hier anders als Stevenson und Large (2017), die der Frage nachgehen, wie auf fernen Planeten aus einfachen Lebensformen komplexes Leben und schließlich Intelligenz entstehen könnte. Ihrer Auffassung nach sind es zwei Faktoren, die die Entstehung von intelligentem Leben evolutionstheoretisch wahrscheinlich machen: erstens die Zahl der ökologischen Nischen auf einem Planeten und zweitens die Informationsdichte der Umgebung, in der sich Leben entwickelt – was wiederum mit der Zahl der vorhandenen ökologischen Nischen in einer Lebenswelt korrespondiert. „In terms of evolutionary pace, the driving factor is the growth in information complexity of the environment in which organisms exist […] Low information landscapes (including aquaplanets) can never evolve complex or intelligent life because the information available to organisms is limited“ (Stevenson und Large 2017, S. 4).

  42. 42.

    Bereits in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts führte die Heft-Serie Perry Rhodan mit den Dolans die Idee gezüchteter biologischer Raumschiffe in die deutsche Science Fiction ein.

  43. 43.

    Leider ist es uns nicht möglich, an dieser Stelle weiter auf diesen Punkt einzugehen – eine Skizze für eine transhumane Wissenssoziologie steht noch aus.

  44. 44.

    Man könnte an dieser Stelle die These aufstellen, dass die Konfrontation mit einer ‚Maschinenzivilisation‘ wegen der fehlenden biologischen Gemeinsamkeiten die menschliche Beunruhigung eher noch steigern würde.

  45. 45.

    Die Camouflage-These, nach der Außerirdische nach längerer Beobachtung der Erde für die Erforschung unseres Planeten oder auch für die Kontaktaufnahme als Träger ihres Bewusstseins künstliche Körper erschaffen, die den menschlichen zum Verwechseln ähnlich sehen, klammern wir hier einmal aus (vgl. Schetsche 2008, S. 244–245). Dies ist ein gerade in Zeiten allgemeiner Unterwanderungs- und Invasionsangst beliebtes Ausgangszenario der Science Fiction – siehe etwa die US-amerikanische Fernsehserie The Invaders aus dem Jahre 1967.

  46. 46.

    Im Anschluss an eine der möglichen Auflösungen des Fermi-Paradoxons, nämlich der Überlegung, dass postbiologische Sekundärzivilisationen wenig Interesse an einem Kontakt mit einer biologischen Spezies haben und mit der Kontaktaufnahme entsprechend warten, bis auch auf der Erde ‚die Maschinen‘ die Macht übernommen haben, könnte man auch folgern: Wenn ein Direktkontakt stattfindet, haben wir es wahrscheinlich mit einer biologischen oder mit einer hybriden Zivilisation zu tun. Dies setzt allerdings voraus, dass die Prämisse dieser Überlegungen zutreffend ist. Auch in dieser Hinsicht sind wir uns alles andere als sicher.

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Schetsche, M., Anton, A. (2019). Proto-Soziologie außerirdischer Zivilisationen. In: Die Gesellschaft der Außerirdischen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21865-2_10

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