Zusammenfassung
Aus diskursanalytischer Perspektive diskutiert der Beitrag zunächst allgemein – unter Rückgriff auf einige prominente religiöse und literarische Textstellen – das Verhältnis von Wort und Tat. Daraufhin wird Gesagtes und Gezeigtes fokussiert, das von verschiedenen Instanzen als provokant gewertet wurde und dem neben verschiedenen sprachlichen Handlungen auch mörderische Taten entgegengesetzt wurden. Die herangezogenen exemplarischen Fälle der Rushdie-Affäre und der Konflikte um die Mohammed-Karikaturen aus dem französischen Satiremagazin Charlie Hebdo werden zum Anlass genommen, um die Frage nach der (Um-)Ordnung von Diskursen bzw. der Kontrolle von Sag- und Zeigbarkeiten zu stellen. Dabei zeigen sich strukturelle Ähnlichkeiten bei der Gegenüberstellung von solcherart diskursiven Interventionen, die auf explizit Religiöses Bezug nehmen, und diskurspolitischen Bewegungen ohne religiöse Bezüge, welche aufgrund struktureller Diskriminierung Anerkennung einfordern, wobei besonders die Verletzung von Gefühlen als diskursdisziplinierendes Prinzip in der Aushandlung des Sag- und Zeigbaren herausgestellt werden kann.
»Der Zusammenstoß alternativer symbolischer Sinnwelten wirft automatisch die Machtfrage auf, an welche der konkurrierenden Wirklichkeitsbestimmungen die Gesellschaft ›hängenbleiben‹ wird.«
(Berger und Luckmann 1980, S. 117)
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»When worlds collide« heißt ein SF-Roman aus dem Jahre 1933 von Philip Wylie und Edwin Balme, dessen Verfilmung 1951 in die Kinos kam (https://en.wikipedia.org/wiki/When_Worlds_Collide_%281.951_film%29; zugegriffen: 18. August 2016); ansonsten gibt es zahlreiche alltagskulturelle Verwendungen, etwa bei dem Videospiel »World of Warcraft« ; anlässlich von Filmpremieren (http://www.tageblatt.lu/kultur/story/Wenn-Welten-kollidieren-23624.859; zugegriffen: 18. August 2016), natürlich in der Astronomie (http://www.deutschlandfunk.de/wenn-welten-zusammen-stossen.732.de.html?dram:article_id=105.193; zugegriffen: 18. August 2016).
- 2.
Evangelium des Johannes, Prolog, Vers 1, Sätze 1–3 (zit. nach Die Bibel 1973, Die Heilige Schrift des neuen Bundes: 95).
- 3.
- 4.
Das Buch Genesis Absatz 1, Sätze 3,4, 6 (zit. nach Die Bibel 1973, Die Heilige Schrift des alten Bundes: 1).
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Dazu schreibt die Textmaschine Wikipedia: »Der altgriechische Ausdruck logos (maskulin; griechisch λόγος lógos, lateinisch verbum, hebräisch דבר davar) verfügt über einen außerordentlich weiten Bedeutungsspielraum. Er wird unspezifisch im Sinne von Wort und Rede sowie deren Gehalt (›Sinn‹) gebraucht, bezeichnet aber auch das geistige Vermögen und was dieses hervorbringt (z. B. ›Vernunft‹) wie auch ferner ein allgemeineres Prinzip einer Weltvernunft oder eines Gesamtsinns der Wirklichkeit. Darüber hinaus existieren – je nach Kontext – noch spezifischere Verwendungen, beispielsweise als ›Definition, Argument, Rechnung‹ oder ›Lehrsatz‹. Auch philosophische und religiöse Prinzipien werden mit dem Ausdruck lógos bezeichnet, beispielsweise in den Fragmenten Heraklits und in Texten stoischer Philosophie sowie jüdisch-hellenistischer und christlicher Herkunft. […].
Der Ausdruck Λόγος lógos bezeichnet in der altgriechischen Sprache die (geschriebene) Rede im Sinne ihrer materiellen Basis aus Buchstaben, Wörtern, Syntagmen und Sätzen, in der griechischen Rhetorik die (gesprochene) Rede auch im Sinne ihres Aussagegehalts. Ein einschlägiges Wörterbuch[1] bietet u. a. folgende Übersetzungen an: Sprechen, mündliche Mitteilung, Wort, Rede, Erzählung, Nachricht, Gerücht, (grammatikalischer) Satz, Ausspruch Gottes (NT), Befehl (NT), Weissagung (NT), Lehre (NT), Erlaubnis zum Reden, Beredsamkeit, aufgestellter Satz, Behauptung, Lehrsatz, Definition, Begriffsbestimmung, wovon die Rede ist, Sache, Gegenstand, das Berechnen, Rechenschaft, Rechnung, Rücksicht, Wertschätzung, Verhältnis, Vernunft.« (https://de.wikipedia.org/wiki/Logos; zugegriffen: 18. August 2016).
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Wikipedia erläutert: » Unter dem Titel Charia Hebdo veröffentlichte man am 2. November 2011 ein Sonderheft zum Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien und benannte dabei als Chefredakteur ›Mohammed‹, der auch als Karikatur mit den Worten ›100 Peitschenhiebe, wenn Sie sich nicht totlachen!‹ auf der Titelseite abgebildet war. Am selben Tag wurde ein Brandanschlag auf die Redaktionsräume verübt. Nachdem Charlie Hebdo im September 2012 weitere Mohammedkarikaturen veröffentlicht hatte, wurde in La Rochelle ein Mann festgenommen, der zum Mord an Chefredakteur und Herausgeber Stéphane Charbonnier aufgerufen hatte. Anfang März 2013 wurde Charbonnier als eine von zehn Persönlichkeiten ›tot oder lebendig wegen Verbrechen gegen den Islam‹ im Online-Magazin Inspire ›zur Fahndung‹ ausgeschrieben. Das dem Al-Qaida-Zweig Al-Qaida im Jemen zugeschriebene Magazin verwendete dabei die Slogans ›Eine Kugel am Tag schützt vor Ungläubigen‹ und ›Verteidigt den Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm‹.
Die Titelseite von Charlie Hebdo vom 7. Januar 2015 thematisierte den am selben Tag erschienenen Roman Soumission von Michel Houellebecq, der ein islamisiertes Frankreich des Jahres 2022 beschreibt, in dem die Scharia eingeführt wird.[6][7] In derselben Ausgabe erschien außerdem eine der letzten Karikaturen des Chefredakteurs Charbonnier, mit der Überschrift ›Noch keine Attentate in Frankreich‹ und der gezeichneten Antwort eines bewaffneten Islamisten: ›Warten Sie ab. Man hat bis Ende Januar Zeit, seine Festtagsgrüße auszurichten‹.[8][9]«.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_auf_Charlie_Hebdo; zugegriffen: 18. August 2016).
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Auf die Gewalt gegen DenkerInnen und die Unterdrückung aufklärerischer Schriften in der Geschichte des Christentums kann ich hier nicht eingehen.
- 10.
Hieber (2014) bilanziert in seinem Text »25 Jahre Fatwa. Das verfemte Buch und der größte Triumph des Salman Rushdie« ebenfalls wichtige Ereignisse der Affäre. Unter anderem verweist er auf den syrischen Philosophen Sadik Al-Azm, der von Anfang an das Buch entschieden verteidigte.
- 11.
Vgl. dazu auch die instruktive Diskussion bei Reichertz (2005).
- 12.
Jeanne Favret-Saada (s. o.) hatte übrigens an dem Band und den darin enthaltenen Analysen mitgewirkt.
Literatur
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Asad, Talal. 2008. Reflections on blasphemy and secular criticism. In Religion: Beyond a concept, Hrsg. Hent de Vries. Fordham University Press.
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Beck, Ulrich. 2014. Sinn und Wahnsinn der Moderne. die taz, 14. Oktober. http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ku&dig=2014/10/14/a0108&cHash=52020572c464d88b649177494ae767c5. Zugegriffen: 25. Aug. 2016.
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Eilts, John. 2006. Talal Asad. Stanford University Libraries ©2006. https://prelectur.stanford.edu/lecturers/asad/. Zugegriffen: 18. Aug. 2016.
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Foucault, Michel 1975. Der Fall Rivièr.e Materialien zum Verhältnis von Psychiatrie und Strafjustiz. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Erstveröffentlichung 1973).
Girardin, Daniel und Christian Pirker. 2012. Controversies. A legal and ethical history of photography. Arles: Actes Sud publishers.
Habermas, Jürgen. 1990. Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Erstveröffentlichung 1972).
Hieber, Jochen 2014: Das verfemte Buch und der größte Triumph des Salman Rushdie. Frankfurter Allgemeine Zeitung (Onlineausgabe) v. 14. Februar. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/25-jahre-fatwa-das-verfemte-buch-und-der-groesste-triumph-des-salman-rushdie-12800703.html. Zugegriffen: 13. März 2018.
Honneth, Axel. 1993. Kampf um Anerkennung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
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Novotny, Rudi, Pham, Khuê und Marie Schmidt. 2016. Die neuen Radikalen. Die Zeit Campus Online, 28. Juli 2016, http://pdf.zeit.de/2016/30/linke-bewegungen-studenten-usa-grossbritannien-deutschland.pdf. Zugegriffen: 19. Aug. 2016.
Rabinow, Paul, und Anthony Stavrianakis. 2014. Designs on the contemporary: Anthropological tests. Chicago: University of Chicago Press.
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Keller, R. (2020). Am Anfang war das Wort? Wenn Welten kollidieren. In: Schnettler, B., Szydlik, T., Pach, H. (eds) Religiöse Kommunikation und weltanschauliches Wissen. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21785-3_3
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