Zusammenfassung
Anhand des Exempels einer Praktizierenden des Theravāda-Buddhismus bietet Harth in seinem Beitrag einen empirisch geleiteten Zugang zu habituellen Transformationsprozessen, wie sie im Rahmen spiritueller Suchbewegungen auftauchen können. Mit Blick auf die Sinngebungsprozesse sozialer Praxis werden durch die Dokumentarische Methode modi operandi herausgearbeitet, die veränderte Selbst- und Weltbezüge erkennen lassen. Dem Autor zufolge wird dieser transformierte Habitus durch die Kommunikation religiös formatierten Wissens und die Vermittlung des sinnstiftenden soteriologischen Versprechens in der Interaktion mit Lehrern und durch Lektüre einschlägiger Schriften initiiert und zeigt exemplarisch die Integration der buddhistischen Lehren in die spezifische Lebenspraxis.
»Ein Wechsel der Kontextur und damit des Strukturprinzips, das ist jedenfalls Günthers Verstehensangebot, bedeutet, einen Stellungswechsel im Sein zu vollziehen, bedeutet, sich und die Welt von einem anderen ontologischen Ort, der eine neue Weise existenzieller Rechtfertigung ermöglicht, aus zu sehen, zu verstehen und auszulegen.«
(Marotzki 1990, S. 225)
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Notes
- 1.
Die empirische Basis stammt aus dem DFG-Projekt »Buddhismus im Westen: eine praxistheoretisch informierte Rekonstruktion buddhistischer Schulungsinstitutionen im deutschsprachigen Raum« (siehe hierzu Vogd und Harth 2015). Im Rahmen dieses Projekts (Laufzeit 2013–2016) wurden insgesamt 120 Interviews mit Praktizierenden und Lehrenden aus sechs unterschiedlichen buddhistischen Schulen geführt.
- 2.
So findet sich zudem auch der Hinweis, dass der in den Strom Eingetretene (sotāpanna) noch bis zu sieben Mal wiedergeboren werden muss, um endgültig in nibbāna aufzugehen (Nyanatiloka 1989, S. 213).
- 3.
Siehe hierzu ausführlicher auch Vogd (in diesem Band) und Vogd und Harth (2015, S. 61 ff.).
- 4.
- 5.
- 6.
Siehe zu einer ausführlicheren Darstellung der Abläufe von Vipassanā-Kursen in der Tradition S. N. Goenkas Hart (2006).
- 7.
Das Interview mit Frau Henschel wurde Ende 2013 geführt und selbstverständlich wurden alle Daten, die auf die tatsächliche Person rückschließen lassen könnten, komplett verfremdet.
- 8.
Siehe hierzu vor allem die Visuddhi-Magga (dt. Der Weg zur Reinheit), die älteste Lehrsystematik des Theravāda-Buddhismus, die im fünften Jahrhundert n. Chr. von dem Mönch Buddhaghosa in Sri Lanka verfasst wurde (Buddhaghosa 1993).
- 9.
Lernen II stellt eine Änderung der Prämissen der vom Individuum konstruierten Orientierungsmuster dar. So auch Winfried Marotzki: »Auf der Lernebene II gilt, daß Prämissen der Weltaufordnung geändert werden. Genauer: Prämissen der Weltaufordnung bzw. der Erfahrungsverarbeitung werden durch andere ersetzt, die dann dominant werden und für die dann der Selbstbestätigungscharakter wiederum gilt.« (Marotzki 1990, S. 44).
- 10.
Zudem lässt sich anmerken, dass sich in dem von uns erhobenen Sample der Gesamtstudie nur sehr wenige Fälle dokumentieren, wo sich überhaupt eine Ahnung von Nibbāna in dem hier dargestellten Sinne zeigt. Gerade auch am Fall »Henschel« sollte deutlich werden, dass »Erleuchtung« bzw. »Befreiung« keine unmittelbaren und direkten Ergebnisse eines dezidierten Lehr- oder Lernplans sein können, sondern sich vermutlich (wenn überhaupt) stets nur ungeplant, spontan und auf unvorhergesehene Weise einstellen mögen.
Literatur
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Vogd, Werner. (in diesem Band). Die Sinnlichkeit der Leere – negativsprachlicher Figuren in der buddhistischen Befreiungslehre und ihre Verkörperung.
Vogd, Werner, und Jonathan Harth. 2015. Die Praxis der Leere. Zur Verkörperung buddhistischer Lehren in Erleben, Reflexion und Lehrer-Schüler-Beziehung. Weilerswist: Velbrück.
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Harth, J. (2020). Das Versprechen von Nibbāna. Habituelle Veränderungsprozesse auf dem buddhistischen Schulungsweg. In: Schnettler, B., Szydlik, T., Pach, H. (eds) Religiöse Kommunikation und weltanschauliches Wissen. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21785-3_10
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