FormalPara Überblick
  • Die Hypothese der differenziellen Exposition geht davon aus, dass der Zusammenhang von sozialem Status und Gesundheit auch deswegen besteht, weil untere Statusgruppen über weniger soziale Kontakte und geringere soziale Unterstützung verfügen.

  • Die Hypothese der differenziellen Vulnerabilität geht davon aus, dass sich gerade in unteren sozialen Statusgruppen fehlende soziale Beziehungen stärker gesundheitlich auswirken.

  • Bisherige Studienergebnisse können mehrheitlich die Hypothese der differenziellen Exposition bestätigen (Mediator-Effekt sozialer Beziehungen).

  • Der Forschungsstand zur Hypothese der differenziellen Vulnerabilität ist eher uneinheitlich, es finden sich wenige Hinweise für einen moderierenden Effekt des sozialen Status auf den Zusammenhang von sozialen Beziehungen und Gesundheit.

1 Einführung

Das vorliegende Kapitel möchte einen Überblick über die Forschung zu den Zusammenhängen zwischen sozialen Beziehungen, sozialem Status und Gesundheit bieten. Soziale Beziehungen werden im vorliegenden Beitrag als übergeordneter Begriff verstanden, unter dem sich unterschiedliche Aspekte sozialer Beziehungen wiederfinden. In kaum einer Studie lassen sich umfangreiche Indikatoren sozialer Netzwerke identifizieren (siehe Kap. „Netzwerkanalyse“). In den Studien zum Themengebiet reichen die verwendeten Indikatoren von quantitativen Aspekten wie sozialer Integration, der Anzahl sozialer Kontakte über qualitative Aspekte sozialer Beziehungen wie soziale Unterstützung und sozialem Kapital gemessen auf kleinräumiger Ebene. Einige Studien verwenden nur einzelne Indikatoren, in anderen werden mehrere verwendet. Dieser Vielfalt entsprechend wird soziale Beziehung als Oberkategorie verwendet.

Im Rahmen dieses Kapitels wird der Forschungsstand zu zwei zentralen Fragestellungen aufbereitet:

  • Mediator-Effekt von sozialen Beziehungen: Gibt es Studien, die einen Beitrag von sozialen Beziehungen zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen sozialem Status und Gesundheit finden konnten?

  • Moderator-Effekt des sozialen Status: Inwiefern konnten bereits Hinweise darauf gefunden werden, dass sozialer Status den Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit moderiert, also der Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit in verschiedenen Statusgruppen variiert?

Die erste Fragestellung zielt darauf ab, dass sich sozialer Status auf die Gesundheit auswirkt, gerade weil verschiedene Statusgruppen mit unterschiedlichen sozialen Beziehungen ausgestattet sind (siehe Abb. 1). Diese sogenannte Hypothese der differenziellen Exposition (differential exposure hypothesis) geht davon aus, dass der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit erklärt werden kann, weil untere Statusgruppen über weniger soziale Kontakte und geringere soziale Unterstützung verfügen und sich deshalb die gesundheitlichen Risiken eines niedrigen sozialen Status stärker ausprägen (Krause 2001). Die sozialen Beziehungen könnten so zu einer Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten beitragen, da sie als Mediator zwischen sozialem Status auf der einen und Gesundheit auf der anderen Seite fungieren.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Erklärungsbeitrag der sozialen Beziehungen zum Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit (c-c’) (These der statusspezifischen Exposition).

Die zweite Fragestellung basiert auf der Annahme, dass die Zusammenhänge zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit je nach Statusgruppe variieren (siehe Abb. 2). Demnach besteht insbesondere in unteren Statusgruppen eine höhere gesundheitliche Vulnerabilität gerade aufgrund unzureichender sozialer Kontakte und sozialer Unterstützung. Diese Annahme findet sich in der Hypothese der differenziellen Vulnerabilität (differential vulnerability hypothesis) wieder (Krause 2001). Daraus lässt sich ableiten, dass sich insbesondere in unteren Statusgruppen ein stärkerer Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit finden lässt, der soziale Status den Zusammenhang demzufolge moderiert.

Abb. 2
figure 2

(Quelle: Eigene Darstellung)

Moderierender Effekt des sozialen Status (a) auf die Assoziationen zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit (b) (These der statusspezifischen Vulnerabilität).

2 Stand der Forschung

2.1 Mediator-Effekt der sozialen Beziehungen

Dass verschiedene Aspekte sozialer Beziehungen eine Mediatorfunktion für die Zusammenhänge zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheit einnehmen können, findet sich im sogenannten Pfad-Modell von Berkman und Krishna wieder (siehe dazu Abb. 3, Berkman und Krishna 2014). Im Modell werden die möglichen Pfade von u. a. sozioökonomischen Faktoren auf unterschiedliche Aspekte sozialer Beziehungen und schließlich auf die Gesundheit dargestellt. Die Mediatorfunktion von sozialen Beziehungen, die Frage also, inwiefern soziale Beziehungen den Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit erklären können, wurde bereits in verschiedenen Studien untersucht.

Abb. 3
figure 3

(Quelle: Nach Berkman und Krishna 2014, eigene Darstellung)

Das Pfad-Modell zum Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit nach Berkman.

Cohen und Kollegen untersuchten die Zusammenhänge zwischen sozialer Unterstützung, sozialem Status und subjektiver Gesundheit (Cohen et al. 1999). Nachdem sie zeigen konnten, dass soziale Unterstützung sowohl mit höherem sozialem Status als auch mit wahrgenommener Gesundheit positiv assoziiert ist, wurde der Erklärungsbeitrag von sozialer Unterstützung untersucht. Der Erklärungsbeitrag sozialer Beziehungen war in den untersten Statusgruppen am stärksten ausgeprägt (Cohen et al. 1999).

Gorman und Sivaganesan fanden keine Hinweise auf einen vollständigen Mediatoreffekt von sozialen Beziehungen. Jedoch zeigten ihre Subgruppenanalysen, dass die Zusammenhänge zwischen einzelnen Statusindikatoren und subjektiver Gesundheit sich verringern, nachdem für soziale Beziehungen kontrolliert wurde. Insbesondere Arbeitslose schienen hinsichtlich ihrer subjektiven Gesundheit von sozialer Integration zu profitieren, da hier der negative Effekt auf die Gesundheit durch soziale Integration deutlich abgemildert werden konnte (Gorman und Sivaganesan 2007).

Dahl und Malmberg-Heimonen fanden in ihren Analysen auf der Grundlage querschnittlicher, repräsentativer Daten aus Norwegen keinen Mediatoreffekt für soziale Beziehungen in Bezug auf den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheit (Dahl und Malmberg-Heimonen 2010). Soziale Beziehungen wurden insbesondere auf der Ebene des sozialen Kapitals erfasst, wobei als Indikatoren sowohl emotionale als auch instrumentelle Unterstützung als auch die Anzahl persönlicher Kontakte verwendet wurden. Es zeigte sich jedoch, dass keiner der verwendeten Indikatoren zu einer signifikanten Verringerung des Zusammenhangs zwischen sozialem Status und Gesundheit beitrug. Als Gesundheitsindikatoren wurden in der Studie subjektive Gesundheit sowie Angaben zu chronischen Erkrankungen verwendet (Dahl und Malmberg-Heimonen 2010).

Von dem Knesebeck und Geyer (2007) untersuchten ebenfalls, inwiefern soziale Unterstützung möglicherweise zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen sozialem Status, gemessen anhand der Bildung, und subjektiver Gesundheit beiträgt. Sie beschränkten sich in ihrer Analyse auf emotionale Unterstützung. Auf Grundlage von Auswertungen des European Social Survey aus dem Jahr 2003 fanden die Autoren wenige Hinweise, dass emotionale Unterstützung zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten beitragen kann. In der länderspezifischen Auswertung fanden sich nur für einzelne Staaten Erklärungsbeiträge der emotionalen Unterstützung, die mehr als 10 % des Zusammenhangs zwischen sozialem Status und subjektiver Gesundheit betrugen. Auch fanden sich keine Hinweise, dass die Hinzunahme von emotionaler Unterstützung zu unterschiedlichen Erklärungsbeiträgen zu gesundheitlicher Ungleichheit zwischen Männern und Frauen führt.

Kroll und Lampert (2011) fanden einen Effekt von sozialer Unterstützung auf den Zusammenhang zwischen Erwerbslosigkeit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Es zeigte sich, dass insbesondere diejenigen Erwerbslosen, welche ausreichend soziale Unterstützung angaben, höhere Wahrscheinlichkeiten für geringe gesundheitliche Beeinträchtigungen hatten als diejenigen, die über wenig soziale Unterstützung verfügen konnten. Dies ergaben die Analysen auf Grundlage einer querschnittlichen, repräsentativen, telefonischen Befragung in Deutschland.

Huurre et al. (2007) fanden in ihrer Studie, basierend auf Daten aus einer finnischen Kohortenstudie, keine Hinweise darauf, dass soziale Unterstützung zur Aufklärung des Zusammenhangs zwischen sozioökonomischem Status und Depressionen bei jungen Erwachsenen beitragen kann.

Einen weiteren Hinweis, dass möglicherweise soziale Beziehungen gerade für ältere Menschen die Zusammenhänge zwischen sozialem Status und Gesundheit abfedern können, lieferten Aida et al. (2011). Anhand ihrer Analyse auf der Basis eines Querschnitts aus einer laufenden japanischen Kohortenstudie konnten die Autoren zeigen, dass für die untersuchte Population insbesondere soziales Kapital auf Gemeindeebene, wie etwa die Anzahl an Vereinsmitgliedschaften sowie ein generelles Vertrauen in der Gemeinde, zu einer Verringerung des Zusammenhangs zwischen sozialem Status und subjektiver Gesundheit beitragen konnte. Jedoch fanden sich keine Beiträge zur Erklärung für Indikatoren des sozialen Kapitals auf Individualebene.

In Analysen hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit, sozialer Kohäsion und mentaler Gesundheit konnten Fone et al. (2007) zeigen, dass nicht allein der sozioökonomische Status die Wahrscheinlichkeit schwächerer mentaler Gesundheit beeinflusst, sondern dass gerade das Zusammenspiel zwischen niedrigem Status und gleichzeitig schwacher sozialer Kohäsion innerhalb der Nachbarschaft die Wahrscheinlichkeit schlechter mentaler Gesundheit deutlich erhöhten.

Insgesamt finden sich unterschiedliche Hinweise auf den Erklärungsbeitrag von sozialen Beziehungen zu gesundheitlichen Ungleichheiten. Je nach verwendeten Gesundheitsindikatoren oder erfassten Aspekten von sozialen Beziehungen variieren die gefundenen Erklärungsanteile, zudem spielt die Auswahl der Zielpopulation eine wichtige Rolle, wie etwa die Forschungsarbeiten zu sozialen Beziehungen im höheren Lebensalter zeigen. In einem Review bezüglich der Frage, inwiefern materielle, psychosoziale oder verhaltensbezogene Aspekte einen größeren Beitrag zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten liefern, kommen Moor et al. (2017) nach Analyse der Literatur zu dem Schluss, dass insbesondere materielle Aspekte zur Erklärung beitragen. Jedoch betonen die Autoren, dass Effekte materieller Aspekte auch indirekt über psychosoziale und verhaltensbezogene Aspekte auf gesundheitliche Ungleichheit wirken.

2.2 Moderator-Effekt des sozioökonomischen Status

Hinweise darauf, dass der sozioökonomische Status die Zusammenhänge zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit moderiert, finden sich auf Grundlage einer französischen Querschnittstudie (Heritage et al. 2008). Die Autoren konnten zeigen, dass insbesondere in unteren Statusgruppen die Assoziationen zwischen schwachen sozialen Beziehungen und schlechter subjektiver Gesundheit am stärksten sind, während sich in oberen Statusgruppen die Zusammenhänge weniger deutlich zeigten.

Gorman und Sivaganesan finden deutliche Unterschiede im Zusammenhang zwischen Bluthochdruck und sozialer Integration – gemessen anhand der Kontakte zu Familien und Freunden in den letzten zwei Wochen vor der Befragung – zwischen verschiedenen Statusgruppen (Gorman und Sivaganesan 2007). Gemessen anhand des Bildungsgrads ergab sich, dass diejenigen ohne qualifizierten Schulabschluss mit steigender sozialer Integration auch höhere Risiken für Bluthochdruck zeigten. Dieses Bild wandelt sich jedoch komplett, wenn man die Ergebnisse der Studie für höhere Bildungsgruppen betrachtet: Hier gilt, dass mit steigender sozialer Integration auch die Wahrscheinlichkeit für Bluthochdruck abnimmt (Gorman und Sivaganesan 2007). In Bezug auf subjektive Gesundheit zeigte sich, dass insbesondere in höheren Statusgruppen mit steigender sozialer Kontaktfrequenz auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für gute subjektive Gesundheit einherging. Auch diese Analysen beruhen jedoch auf Querschnittsanalysen.

Eine Analyse auf Grundlage von Daten aus der französischen GAZEL-Kohortenstudie lieferte Hinweise darauf, dass sozioökonomischer Status den Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit moderiert (Melchior et al. 2003). Jedoch fanden sich hier unterschiedliche Ergebnisse zwischen den Geschlechtern. Insbesondere für Männer in höheren beruflichen Positionen zeigten sich die stärksten Assoziationen zwischen sozialen Beziehungen und subjektiver Gesundheit: Ein geringes Ausmaß an sozialer Unterstützung führte zu einem deutlich höheren Risiko einer schlechten subjektiven Gesundheit als in den anderen untersuchten Berufsgruppen. Für Frauen zeigten sich über die verschiedenen Berufsgruppen hinweg sehr ähnliche Zusammenhänge (Melchior et al. 2003).

Auf Basis einer für die ältere Bevölkerung (60 Jahre und älter) repräsentativen telefonischen Befragung in Deutschland aus dem Jahr 2001 konnte eine weitere Studie zeigen, dass sozialer Status den Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit auch in der älteren Bevölkerung moderiert. Es fanden sich insbesondere in der höchsten Statusgruppe signifikante Zusammenhänge von sozialen Beziehungen und den verwendeten Gesundheitsindikatoren (subjektive Gesundheit, funktionale Einschränkungen, Depressivität). Auch fanden sich, wie bereits oben angedeutet, Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede, jedoch in konträrer Form zu den oben genannten: Insbesondere für Frauen zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Statusgruppen (Knesebeck 2005).

Auch in einer finnischen Kohortenstudie an Jugendlichen und Heranwachsenden fanden sich Hinweise darauf, dass die Stärke des Zusammenhangs zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit je nach sozialem Status variiert (Huurre et al. 2007). Als Gesundheitsoutcome wurde Depression verwendet. Soziale Beziehungen wurden durch Angaben zu sozialer Unterstützung und zur Größe des persönlichen Netzwerks erfasst. Es zeigte sich, dass insbesondere in Familien, deren Haupteinkommensbezieher in manueller Tätigkeit arbeitete, der Zusammenhang zwischen Depression und Indikatoren von sozialen Beziehungen stärker ausgeprägt war als in Familien, deren Haupteinkommensbezieher in nicht-manueller Tätigkeit arbeitete (Huurre et al. 2007).

3 Diskussion und Bedeutung sozialer Netzwerke

3.1 Mediator

Der Erklärungsanteil von sozialer Integration verweist auf das soziale Umfeld, auf den sozialen Raum, in dem Interaktionen stattfinden. Und der soziale Raum meint auch die unterschiedlichen Strukturen, in denen diese Handlungen vollzogen werden, aber auch die Kontexte, in denen diese stattfinden und welche Interaktionen diese beeinflussen. Denn Maßnahmen, welche die Interaktion von Individuen in einem bestimmten Raum positiv verändern sollen, stellen auch eine Veränderung des Kontextes dar. Die Bedeutung von Kontexten für die Entstehung von Krankheit, aber auch für das Fortbestehen gesundheitlicher Ungleichheiten, rückt zunehmend die Struktur und weniger individuelle Faktoren in den Mittelpunkt (Frohlich et al. 2001). Zentral ist hierbei die Frage, welche Kontexte dafür sorgen, dass sich eben solch individuelle Unterschiede etablieren und dauerhaft halten können, wie sie sich in der gesundheitlichen Ungleichheit widerspiegeln. Ein Beitrag von sozialer Integration zur Abmilderung gesundheitlich negativer Effekte von geringem sozialen Status verweist auf Umstände, die weniger mit den einzelnen Individuen, als vielmehr mit dem sozialen Umfeld und den darin stattfindenden sozialen Beziehungen verknüpft sind. Hierzu schreiben Frohlich und Kollegen: „Consequently, material/structural factors in health inequalities research are frequently studied as proxies for social structure and each variable is not understood in terms of its relation to other elements in the system, nor in terms of how it is manifested in and reinforced by social practices“ (Frohlich et al. 2001, S. 781). Der Verweis auf die sozialen Praktiken deutet an, dass eben die Bedeutung von sozialen Beziehungen für die Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit auf mehr verweist, als auf die bloße Existenz individueller Risikofaktoren. Hier geht es darum, auf Strukturen innerhalb von Gesellschaften zu verweisen, welche individuelles Verhalten beeinflussen. Und zu diesen zählt ganz sicherlich auch das soziale Umfeld. Der Kontext individueller Handlungen resultiert aus dem Zusammenspiel von Einschränkungen und Möglichkeiten, individuelles Handeln wird so auf einer strukturellen Ebene erklärbar. Gleichzeitig wird aber auch der Kontext durch individuelle Handlungen verändert und neu interpretiert. Diese Mechanismen der Rekursivität zwischen Kontext und Individuum sorgen aus Sicht der Autoren dafür, dass individualisierende Konzepte wie das der „Lifestyles“ nicht zu einer Erklärung kollektiver sozialer Praktiken beitragen können, insbesondere nicht, wie und wodurch sich diese Praktiken und Lebensstile verändern (Frohlich et al. 2001). Da die Ergebnisse dieser Arbeit darauf hinweisen, dass soziale Beziehungen, hier insbesondere soziale Integration, zu einer Erklärung der Zusammenhänge zwischen sozialem Status und subjektiver Gesundheit beitragen können, so verweist dies auch auf die Rolle der vermittelnden Faktoren („agency“), welche soziale Integration spielt und welche möglicherweise mit der Entwicklung und Aufrechterhaltung von bestimmten sozialen Praktiken innerhalb begrenzter sozialer Räume assoziiert ist.

Es wurden auch bereits Ansätze zur Intervention in soziale Beziehungen diskutiert, um so auch gesundheitliche Ungleichheiten reduzieren zu können. Diese reichen von einer Anpassung der Lebensumgebung (Eriksson und Emmelin 2013) bis zu einer Beeinflussung des gesundheitsrelevanten Verhaltens und damit einhergehend der Verstärkung sozialer Kontrolle (Conklin et al. 2014). Wenn der Effekt sozialer Beziehungen auf die Gesundheit genutzt werden kann, dann spielt die Qualität der unmittelbaren Lebensumgebung, in denen soziale Interaktionen stattfinden, eine wichtige Rolle. Kawachi und Berkman haben in ihrer Übersichtsarbeit bereits dargelegt, dass soziale Integration und ein hohes Maß an sozialer Interaktion eher zu gesundheitsförderlichem Verhalten und der Entwicklung gesundheitsförderlicher Normen beiträgt. Zudem kann angenommen werden, dass innerhalb gut organisierter Nachbarschaften und Gemeinden der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und auch zu gesundheitsrelevantem Wissen erleichtert wird (Kawachi und Berkman 2001). Wie bereits erwähnt, sind qualitative Merkmale von Wohn- und Lebensverhältnissen, welche die Integration und Interaktion fördern oder hemmen können, eng mit sozioökonomischen Ressourcen, insbesondere dem Einkommen, verknüpft, und diese strukturellen Unterschiede wirken sich in den Lebensbedingungen auch auf die Nutzbarmachung protektiver Faktoren der Wohnbedingungen aus. Nicht jeder hat die Möglichkeiten, von günstigen Wohnbedingungen zu profitieren. Ungünstige Wohnbedingungen innerhalb von sozioökonomisch benachteiligten Nachbarschaften und Gemeinden wirken sich negativ auf die Gesundheit aus, wie einige Studien bereits zeigen konnten (Dragano et al. 2007; Mujahid, et al. 2008; Dragano et al. 2009).

Gerade vor dem Hintergrund einer komplexeren Erfassung sozialer Beziehungen und den daraus resultierenden unterschiedlichen Erklärungsbeiträgen von Indikatoren des sozialen Netzwerks oder der qualitativen Aspekte sozialer Beziehungen ergeben sich auch unterschiedliche Möglichkeiten der Intervention. Während ein höherer Erklärungsbeitrag von sozialer Unterstützung deutlicher auf Ressourcen innerhalb von sozialen Beziehungen hinweist, so verweist ein größerer Mediator-Effekt von sozialen Netzwerkindikatoren stärker auf die mögliche Verbesserung von sozialen Interaktionsmöglichkeiten in der jeweils untersuchten Population. Zu ähnlichen Einschätzungen kamen auch schon vorhergehende Forschungsarbeiten. In ihrer querschnittlichen Untersuchung zeigten Salonna et al. (2011), dass nicht alle Aspekte sozialer Beziehungen per se zu einer Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten beitragen können. Ihre Publikation enthält die Aufforderung an zukünftige Forschungsarbeiten zum Thema, soziale Beziehungen möglichst differenziert zu erfassen. Im Sinne der hier gefundenen Ergebnisse kann diesem Appell nur zugestimmt werden. Darüber hinaus sollten weitere Forschungsarbeiten neben den quantitativen und qualitativen Aspekten sozialer Beziehungen auch weitere Facetten sozialer Beziehungen untersuchen: Dauerhafte Konflikte, die Reichweite sozialer Netzwerke und auch die zunehmende Bedeutung virtueller sozialer Netzwerke sollten zukünftige Forschungsarbeiten berücksichtigen.

Soziale Beziehungen können auch nicht per se als positiv bewertet werden (siehe dazu auch Kap. „Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten“). Nicht jede Form von sozialer Unterstützung oder sozialer Kontakte kann dazu beitragen, die negativen gesundheitlichen Effekte eines niedrigen sozialen Status abzumildern. Für die hier präsentierten Ergebnisse bedeutet dies, dass eine zukünftige ausführliche Berücksichtigung negativer Aspekte wie beispielsweise soziale Isolation oder Konflikte innerhalb sozialer Beziehungen einen Einfluss auf den ermittelten Erklärungsbeitrag sozialer Beziehungen zu gesundheitlichen Ungleichheiten haben könnte. Möglich ist, dass insbesondere statusschwächere Individuen und Gruppen aufgrund von Exklusionsprozessen weniger Zugang zu Ressourcen innerhalb von Gemeinschaften haben und dadurch letztlich auch gesundheitlich vulnerabler sein können (Portes 1998; Abel 2012; Uphoff 2013). Soziale Prozesse, welche die Exklusion von statusniedrigen Gruppen fördern und somit deren Zugang zu sozialem Kapital innerhalb von Gemeinschaften hemmen, haben häufig auch entsprechende gesundheitliche Konsequenzen (Subramanian et al. 2002; Uphoff et al. 2013). Daher erscheint es aus dieser Perspektive wichtig, dass zukünftige Forschungsprojekte zum Thema negative Aspekte sozialer Beziehungen miterfassen und in die Analysen einbeziehen. Auch Überforderung innerhalb sozialer Netzwerke kann gesundheitlich negative Konsequenzen haben. Personen, die besonders aktiv in sozialen Beziehungen partizipieren, können dies auch als Überforderung wahrnehmen, wenn nicht genügend Zeit bleibt, die entsprechenden sozialen Rollen innerhalb dieser Netze auch in einem zufriedenstellenden Rahmen auszufüllen (Macinko und Starfield 2001; Mansyur et al. 2008; Gorman und Sivaganesan 2007).

3.2 Moderator

Insgesamt stellen sich die Ergebnisse der bisherigen Studienlage hinsichtlich eines moderierenden Effekts des sozialen Status auf die Zusammenhänge zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit weitgehend uneinheitlich dar. Die gefundenen Studien zum Thema variierten erheblich hinsichtlich der verwendeten Status- und Beziehungsindikatoren, auch zeigten sich unterschiedliche Ergebnisse je nach verwendeten Gesundheitsindikatoren. In einem Review zum Thema zeigen Uphoff et al. (2013) eine Übersicht zu Studien, die den moderierenden Effekt des sozialen Status auf den Zusammenhang von sozialem Kapital und Gesundheit untersuchen. Einige der Studien, die in den Review eingeschlossen wurden, kommen zu dem Ergebnis, dass insbesondere Personen aus unteren Statusgruppen von Effekten des sozialen Kapitals gesundheitlich profitieren. In Studien, die diese Zusammenhänge bestätigen, finden sich deutlich stärkere Assoziationen zwischen sozialem Kapital und Gesundheit in unteren als in oberen Statusgruppen. Jedoch sind die Ergebnisse einiger der aufgeführten Studien hinsichtlich ihrer gewählten Populationen und ihrer gewählten Gesundheitsoutcomes kaum zu verallgemeinern.

Auf der Grundlage seiner Ausführungen zu den verschiedenen Formen von Kapital erörterte Bourdieu auch die gegenseitige Bedingtheit der drei wesentlichen Kapitalformen (Bourdieu 1983). Demnach können soziale Beziehungen und das in ihnen enthaltene soziale Kapital erst dann richtig genutzt und eingesetzt werden, wenn auch entsprechend ökonomisches und kulturelles Kapital zur Verfügung steht, welches wiederum den Zugang zu sozialen Kontakten und deren Aufrechterhaltung ermöglicht. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass Personen aus unteren Statusgruppen über weniger soziales Kapital verfügen und dies auch weniger effektiv für ihre Gesundheit einsetzen können, sie also von den möglichen positiven Effekten nicht profitieren können (Uphoff et al. 2013). Dies muss nicht zwangsläufig im Kontrast zu den bisherigen Forschungsergebnissen stehen: Personen in unteren Statusgruppen mögen insbesondere von bindendem sozialen Kapital (bonding social capital) profitieren, jedoch fehlt ihnen das überbrückende soziale Kapital (bridging social capital). Eine weitere Annahme zum Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und Gesundheit lautet hier, dass es innerhalb von sozialen Gemeinschaften mit ausreichend sozialem Kapital auch Menschen gibt, die hiervon nicht profitieren. Wenn soziales Kapital insbesondere denjenigen mit höherem sozialem Status zur Verfügung steht, so kann es Exklusionsprozesse beschleunigen und zu dauerhaftem Ausschluss anderer Personen führen. Dies trifft insbesondere auf kontextuelles soziales Kapital zu, also solches, welches innerhalb von sozialen Gemeinschaften verfügbar, aber eben doch nicht jedem innerhalb der Gemeinschaft gleichermaßen zugänglich ist. Insofern kann ein solcher Prozess auch zur Verstärkung gesundheitlicher Ungleichheit beitragen, da dauerhafter Ausschluss sich auch negativ auf die Gesundheit auswirken kann (Uphoff et al. 2013).

Zudem konnte gezeigt werden, dass ein moderierender Effekt des sozialen Status nicht für alle Aspekte sozialer Beziehungen gleichermaßen auftritt, sondern dass zwischen quantitativen und qualitativen Aspekten differenziert werden sollte, da diese auch vor dem Hintergrund des sozialen Status unterschiedlich mit Gesundheit assoziiert sein können (Knesebeck 2005).

4 Zusammenfassung und Fazit

Es konnte gezeigt werden, dass bereits eine große Vielfalt an Studien zu den verschiedenen Zusammenhängen zwischen sozialem Status, sozialen Beziehungen und Gesundheit existiert. Jedoch lässt diese Vielfalt, insbesondere aufgrund der jeweils verwendeten Indikatoren, eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse nur bedingt zu. Dies bezieht sich vor allem auf die unterschiedlichen Indikatoren für soziale Beziehungen, trifft aber auch auf Gesundheits- und mit gewissen Einschränkungen auch auf die Statusindikatoren zu. Mit den moderierenden Effekten des sozialen Status sowie der Frage nach einem möglichen Erklärungsbeitrag sozialer Beziehungen zu gesundheitlichen Ungleichheiten lassen sich zwei große Forschungsstränge identifizieren, deren Hauptergebnisse im vorliegenden Kapitel dargestellt wurden. Zu beiden Forschungsfragen sind die Studienlagen eher heterogen, für einen moderierenden Effekt des sozialen Status finden sich insgesamt gesehen eher weniger Hinweise als für einen Erklärungsbeitrag sozialer Beziehungen zu gesundheitlichen Ungleichheiten. Für Letzteren finden sich stärkere Belege, auch auf Basis von Längsschnittanalysen. Jedoch bleibt der Erklärungsbeitrag in den meisten Fällen eher gering und bleibt im Vergleich zu anderen Erklärungsansätzen eher zurück. Hinsichtlich der Frage, wie die einzelnen Erklärungsansätze gesundheitlicher Ungleichheiten einander gegenseitig bedingen und wie diese zusammen hängen, gibt es nach wie vor noch Forschungsbedarf (siehe auch Moor et al. 2017).

Eine komplexere Erfassung von sozialen Beziehungen könnte in Bezug auf beide Forschungsstränge positive Effekte haben. Mit einer komplexeren und multidimensionalen Erfassung sozialer Netzwerke, welche unterschiedliche Aspekte sozialer Beziehungen umfassen, könnte eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse über verschiedene Netzwerk- und Beziehungsindikatoren hinweg erreicht werden. Zudem können mit einer Erfassung engerer sozialer Netzwerke auch Aussagen über das soziale Umfeld gemacht werden, welche über den bisherigen Standard der egobasierten Befragung hinausgehen. In welcher Beziehung stehen die Netzwerkmitglieder untereinander, wie genau sind Ressourcen innerhalb der Netzwerke verteilt und welchen Einfluss haben solche Aspekte auf die Gesundheit? Diese Fragen könnten dann auch mit Bezug auf den sozioökonomischen Status sowohl der Befragten als auch der Netzwerkmitglieder konkreter beantwortet werden. Inwiefern dies aber tatsächlich zu einer besseren Beantwortung der zwei zentralen Forschungsfragen in diesem Bereich führt, bleibt abzuwarten. Mit den steigenden technischen Möglichkeiten, verbesserten Erhebungsinstrumenten und komplexeren Analysemethoden wäre es jedoch wünschenswert, wenn dies in Zukunft versucht werden würde.

Leseempfehlungen

Berkman, L. F., & Krishna, A. (2014). Social network epidemiology. In L. F. Berkman & I. Kawachi (Hrsg.), Social Epidemiology (S. 234–289). Oxford: University Press. Ausführlicher und systematischer Überblick zu den Zusammenhängen von sozialen Netzwerken und Gesundheit.

Uphoff, E.P., Pickett, K.E., et al. (2013). A systematic review of the relationships between social capital and socioeconomic inequalities in health: a contribution to understanding the psychosocial pathway of health inequalities. International Journal for Equity in Health, 12, S. 54. Eine der sehr wenigen systematischen Übersichtsarbeiten im Feld, die sowohl Aspekte sozialer Beziehungen, sozialen Status und Gesundheit berücksichtigt.

Moor, I., Spallek, R., Richter, M. (2017) Explaining socioeconomic inequalities in self-rated health: a systematic review of the relative contribution of material, psychosocial and behavioural factors. Journal of Epidemiology & Community Health, 71, S. 565–575. Aktuelle Übersichtsarbeit zur Frage, wie sich gesundheitliche Ungleichheiten erklären lassen und welche Aspekte besonders zu einer Erklärung beitragen.