Zusammenfassung
Der große historische Prozeß, welcher sich seit 1922 in bald beschleunigtem, bald verlangsamtem Tempo vollendete, führte mit unbeugsamer Folgerichtigkeit zur Herrschaft einer einzigen Partei, der fascistischen. Italien wurde aus dem Parteienstaat zum Ein-Partei-Staat. Die Verschmelzung war zunächst eine personale; sie äußerte sich darin, daß der Führer zum Ministerpräsidenten, die Parteihäupter zu Staatswürdenträgern aufrückten. Das ist selbstverständlich, mag die siegende Partei die orleanistische, bonapartistische oder bolschewistische sein. Interessanter war es, daß die Institutionen der Partei vom neuen Staate übernommen wurden. So wurden die Gewerkvereine, welche der Fascismus sich als politische Machtmittel geschaffen hatte, zu staatlich anerkannten Syndikaten. Die Kampfverbände, zur Milizia nazionale verschmolzen, erhielten staatliche Aufgaben übertragen wie Grenzschutz, Aufrechterhaltung der Ordnung, besonders in öffentlichen Betrieben, sowie militärische Jugendausbildung. Ein verzweigtes Institut zur Bildung und Unterhaltung der Arbeiter in den Freistunden (Dopolavoro), welches ursprünglich den Gewerkschaften angegliedert war, ist auf den Staat übergegangen, ebenso wie eine sozialpolitische Organisation für Hülfe und Raterteilung (Patronato nazionale) und manches andere. Aber das wichtigste in jenem Assimilationsprozeß des Staates an die Partei war unzweifelhaft die Übernahme der fascistischen Organisationsidee nebst ihren Konsequenzen für die Praxis: Ämterhierarchie, Disziplin und Kontrolle. Es sei nochmals darauf hingewiesen, wie diese Idee sich bei der in Verbänden organisierten Wirtschaft aus! wirkt. Von Anfang an hatte der Fascismus die Syndikate in Abhängigkeit gehalten, um so das Schisma zwischen Parteileitung und Gewerkschaftszentrale zu verhindern, welches den Untergang des italienischen Sozialismus einleitete. Das Verhältnis blieb das gleiche, als sich der vom Fascismus eroberte Staat die Verbände einbaute: in der Auswahl der leitenden Personen, aber auch in finanzieller Beziehung, wurden die Syndikate seiner Kontrolle unterworfen; gleichzeitig errichtete man die Hierarchie zwischen den Verbänden, wonach Syndikate höheren Grades die niederen Ranges führen und beaufsichtigen und diese wiederum ihre Mitglieder (su1)).
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Notes
Marschak (a. a. O., Bd. 53, S. 106) spricht innerhalb des fascistischen Staates von der „Niederlage des korporativen Prinzipes“. Der korporative Gedanke bedeute „Bindung des Gesellschaftslebens“. Diejenige Klasse jedoch, welche die herrschende Partei entscheidend beeinflussen könne, lehne die Bindung ab, wo sie ihr „hinderlich“ sei. Demgegenüber wäre zu betonen, daß sich neuerdings die Korporationsidee in Italien realisiert; die Hierarchie der Verbände wird dabei der des Staates untergeordnet. Von einem Siege der „Hierarchie“ — das Wort, wie stets, ohne jeden mystischen Beiklang genommen — kann man deshalb nicht reden, weil das eine Prinzip das andere nicht ausschließt. Das wäre der Fall, wenn, wie Marschak vor drei Jahren annehmen konnte, eine bestimmte Klasse auf die Dauer den „entscheidenden“ Einfluß auf die herrschende Partei ausüben würde; das ist jedoch in Italien nicht der Fall.
Der Ausdruck Elite wurde bisher in dieser Studie angewendet auf jene kleinen Gruppen, welche im demokratisch-parlamentarischen und fascistischen Italien die Minister gestellt haben. Im obigen Zusammenhang umfaßt sie auch die höheren Sphären von Beamtentum und Heer. Während in den Spitzen der Staats-und Lokalverwaltung die Personen im neuen Italien durchweg gewechselt haben, gilt das nicht von jenen Sphären, die großen Teils zum neuen Regime übergetreten sind. Die gleiche Erscheinung, allerdings in viel geringerem Umfang, findet sich in der Sowjetunion. Es ist z. B. eine Tatsache, daß heute die Gesetzgebungsarbeit in Rußland von alten zaristischen Juristen geleistet wird. Über die Amalgamierung alter und neuer Eliten: Michels: Corso di Sociologia politica, p. 67 ss. Milano 1927.
Hier ist, beiläufig bemerkt, wieder ein Punkt, wo die fascistische Theorie von der Paretos abweicht. Obgleich dieser die grobe Vereinfachung der Klassenkampflehre ablehnte, hat er die Existenz der Klasse nicht geleugnet. Dazu Michels: l. c., p. 16.
Diese Definition, welche auf Feudalismus und Kapitalismus gemünzt ist, steht in der „Deklaration der Rechte des werktätigen und ausgebeuteten Volkes“ von 1918. Schlesinger, M. L.: Das bolschewistische Rußland, S. 75. Breslau 1926.
Es liegt in der gleichen Richtung, wenn, wie anzunehmen, das Korporationsministerium sich zu einer Art Zentralstelle der Wirtschaft ausbildet (Statistik, Erforschung des Weltmarktes, Konjunkturbeobachtung usw.). Bei diesem Ministerium ist ein Rat eingesetzt, der aus Mitgliedern von Spitzenbehörden, aus Vertretern der obersten Verbände und der großen Wohlfahrts-und Erziehungsämter besteht und den alten Volkswirtschaftsrat voraussichtlich überflüssig machen wird.
Schlesinger: a. a. O., S. 77.
Lenin: a. a. O., S. 548.
Das ist die alte, uns wohlbekannte These Gorradinis. Sie findet offizielle Anerkennung in der Begründung des Gewerkschaftsgesetzes, Gostamagna: p. 457 s.
Hin und wieder finden sich bei Lenin Sätze, welche den Einfluß Sorels, jedenfalls die geistige Verwandtschaft zwischen beiden, verraten: so, wenn der Klassenkampf als „Grundlehre des Sozialismus“ angesprochen wird, a. a. O., S. 512.
Mussolini ist von dem Redakteur einer großen Madrider Tageszeitung einmal gefragt worden, ob Nietzsche, Jaurès oder Sorel auf ihn den größten Einfluß gehabt habe. Er entschied sich für Sorel — und verbot einige Jahre später den Streik. Trotzdem war die Antwort richtig. Mussolini akzeptierte für seine Bewegung die Methode der Gewalt, aber führte sie einem andern Ziel zu, als der grève générale. Gaétan Pirou: Georges Sorel, p. 53. Paris 1927.
Hierzu einige Bemerkungen bei Pirou: p. 47 ss.
Bernhard: a. a. O., S. 33 ff.
Die Strafen, denen politische Vergehen unterliegen, bestehen zum Teil in Gefängnis-und Geldbußen; aber daneben gibt es, wie wir wissen, auch andere: Tod, Verlust des Bürgerrechts, Konfiskation der Güter, Verbannung (confino di polizia).
Über Rußland vgl. die glänzende Analyse des heutigen politischen Systems von N. N. Alexejew: Die Entwicklung des russischen Staates in den Jahren 1923 bis 1925, Jahrb. d. öff. Rechtes, Bd. XIV, S. 316 ff. Auf S. 332 steht der Satz: „Zugleich befinden sich die gewerkschaftlichen Verbände unter strenger Aufsicht der kommunistischen Partei.“
Alexejew: a. a. O., S. 318.
Il Popolo d’Italia, 27. Mai 1927.
Aus der eben zitierten Rede Mussolinis.
Sombart, W.: Der moderne Kapitalismus, Bd. I, S. 832. München 1919. Es ist für die fascistische Doktrin charakteristisch, daß die Arbeit nicht wegen ihres Trägers geschützt wird, sondern weil sie eine „soziale Pflicht“ darstellt und folglich die Gesamtheit an ihrer Erhaltung interessiert ist. Der Fascismus hat übrigens die Sozialversicherung und den Arbeiterschutz des Landes weitgehend umgestaltet. Wir können darauf nicht eingehen. Vgl. Noaro, G. C.: Nuovo Manuale completo di Legislazione sociale, Roma 1927. Weitere Konsequenzen sollen sich aus der Carta del Lavoro ergeben (den Erklärungen über soziale Fürsorge, Unterstützung usw.).
Sombart: a. a. O., S. 363.
Mussolini hat diesen Gedanken in seiner Mai-Rede vor der Kammer unterstrichen. Er verurteilte die Teilung der Gewalt in den Provinzen — „Teilpacht der Gewalt“ nannte er sie plastisch — und bezeichnete es als lächerlich, den squadrismo als eine Sache, die ihren Zweck in sich selbst trage, anzusehen.
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v. Beckerath, E. (1927). Zusammenfassung. In: Wesen und Werden des fascistischen Staates. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99662-7_16
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