Definition

Sepsis ist eine systemische entzündliche Reaktion des Organismus (auch als SIRS bezeichnet, systemic inflammatory response syndrome ) auf eine Infektion mit Bakterien, Viren, Pilzen oder Parasiten. Bei der Sepsis ist die Reaktion des Organismus so heftig, dass es zu Temperaturerhöhungen, Tachykardie, Tachypnoe, arterielle Hypotension und disseminierter intravasaler Gerinnung kommen kann.

Sepsis

Diagnostische Kriterien einer Sepsis im Kindesalter sind nach der International Consensus Conference on Pediatric Sepsis aus dem Jahr 2001 (Tab. 92.1):

Tab. 92.1 Altersabhängige sepsisdefinierende Grenzwerte für Herzfrequenz, Atemfrequenz, Leukozytenzahlen und systolischen Blutdruck
  1. 1.

    Hyperthermie (>38,5 °C) oder Hypothermie (<36,0 °C)

  2. 2.

    Tachykardie (Herzfrequenz >2SD über der altersentsprechenden Norm) oder Bradykardie (Herzfrequenz <10. Perzentile) im Alter <1 Jahr

  3. 3.

    Tachypnoe (Atemfrequenz >2SD über der altersentsprechenden Norm)

  4. 4.

    Leukozytose oder Leukozytopenie oder Linksverschiebung (>10 % unreife Neutrophile),

  5. 5.

    Nachweis oder Verdacht auf eine Infektion

Im Kindesalter werden mindestens 2 der Kriterien 1–4 gefordert, wobei eines der Kriterien die abnormale Körpertemperatur oder die Leukozytenzahl sein muss.

Schwere Sepsis

Bestehen zusätzlich Zeichen einer gestörten Organfunktion, dann liegt eine schwere Sepsis vor. Dazu gehören:

  1. 1.

    kardiovaskuläre Organdysfunktion: Trotz Gabe von isotoner intravaskulärer Flüssigkeit von ≥40 ml/kg in 1 h

    1. a

      Arterielle Hypotonie (systolischer Blutdruck <5. Perzentile oder <2 SD der altersentsprechenden Norm)

    2. b.

      Notwendigkeit einer vasoaktiven Therapie mit Dopamin (>5 µg/kg/min), Dobutamin, Adrenalin oder Noradrenalin

    3. c.

      Mindestens 2 der folgenden klinischen oder laborchemischen Zeichen:

      • Metabolische Azidose (Basendefizit >5 mmol/l)

      • Laktaterhöhung (arteriell gemessen >2 SD der Altersnorm)

      • Oligurie (Urinausscheidung <0,5 ml/kg/h)

      • Verlängerte kapillare Füllungszeit (>5 s)

      • Diskrepanz von Körperkern- zu peripherer Temperatur (>3 °C)

  2. 2.

    Respiratorische Dysfunktion oder ARDS (acute respiratory distress syndrome) mit:

    1. a.

      PaO2/FiO2 <300 in Abwesenheit eines zyanotischen Herzfehlers oder einer präexistierenden Lungenerkrankung oder

    2. b.

      PaCO2 >65 mbar oder >20 mmHg über dem Ausgangswert oder

    3. c.

      FiO2-Bedarf von >50 %, um eine Sättigung von ≥92 % zu erhalten oder

    4. d.

      Notwendigkeit einer nichtelektiven invasiven oder nichtinvasiven mechanischen Beatmung,

  3. 3.

    ≥2 andere Organdysfunktionen:

    1. a.

      Glasgow Coma Score (GCS) ≤11 oder akute Vigilanzstörung (mit Abnahme des GCS ≥3 Punkte gegenüber dem Ausgangswert),

    2. b.

      Thrombozytopenie <80.000/µl oder Abnahme >50 % gegenüber dem höchsten Wert in den vorangegangenen 3 Tagen oder International Normalized Ratio (INR) >2

    3. c.

      Serum-Kreatinin ≥2-Fache der altersentsprechenden Norm oder mindestens 2-facher Anstieg gegenüber dem Ausgangswert

    4. d.

      Gesamt-Bilirubin ≥4 mg/dl (gilt nicht für Neugeborene bis zum 28. Lebenstag) oder GPT bzw. ALT ≥2-Fache der altersentsprechenden Norm.

Persistiert eine arterielle Hypotension trotz adäquater Flüssigkeitstherapie (definiert als ≥40 ml/kg isotonische intravaskuläre Flüssigkeitsmenge in 1 h), liegt ein septischer Schock vor. Hierdurch werden lebenswichtige Organe wie Leber, Niere, Herz, Lunge und Gehirn in ihrer Funktion beeinträchtigt, so dass man von einem Multiorganversagen spricht.

Epidemiologie

Die Sepsis ist bei Kindern weltweit eine der häufigsten Todesursachen und zeigt einen Altersgipfel in der Neugeborenenperiode (betroffen sind vor allem Frühgeborene) und einen im frühen Kindesalter. Die Inzidenz lag in den USA Ende der 1990iger Jahre bei 0,56 pro 1000 hospitalisierte Kinder. Die absoluten Zahlen haben in den letzten 20 Jahren aufgrund einer steigenden Anzahl von immunsupprimierten Patienten zugenommen. Auf Kinderintensivstationen wird ein Viertel der Patienten wegen einer Sepsis behandelt, in 20 % handelt es sich dabei um nosokomiale Infektionen. Neben den in Tab. 92.2 aufgeführten Risikofaktoren spielen für die Entwicklung der Sepsis noch Unterernährung, chronische Krankheiten, Traumen, Verbrennungen, vorausgegangene Virusinfektionen und lang andauernde Krankenhausaufenthalte eine Rolle. Ein septischer Schock entwickelt sich in bis zu 25 % der Fälle.

Tab. 92.2 Erregerspektrum der Sepsis bei Risikofaktoren

Auch beim Erregerspektrum ist ein Wandel zu verzeichnen. Gramnegative Erreger (25 % der kindlichen Sepsisfälle) verlieren an Bedeutung, während grampositive Erreger (65 %, am häufigsten koagulasenegative Staphylokokken) und Pilze (10 %) zunehmen. Werden Erwachsene eingeschlossen, so ist die Sepsis für mehr Todesfälle verantwortlich als alle Krebserkrankungen und fordert genauso viele Todesfälle wie die koronare Herzkrankheit.

Ätiologie

Das Erregerspektrum der Sepsis ist abhängig vom Alter. Bei der Sepsis des Neugeborenen findet man andere Keime (vor allem B-Streptokokken und E. coli) als bei der Sepsis des Säuglings und des Kleinkindes (vor allem Pneumokokken, Haemophilus influenzae und Meningokokken – ohne entsprechende Impfungen, sonst Staphylokokken, Streptokokken und Salmonellen). In Mitteleuropa sind bei gesunden Kindern die häufigsten Sepsiserreger Pneumokokken, Streptokokken, Meningokokken, Staphylokokken, Haemophilus influenzae, Salmonella spp. und Mykoplasmen. Tropenspezifische Sepsiserreger sind Salmonella typhi, Yersinia pestis, Burkholderia pseudomallei und Malaria.

Bei Vorliegen einer Grundkrankheit wandelt sich das Erregerspektrum. In Tab. 92.2 sind einige Krankheiten und Situationen aufgeführt, bei denen das Immunsystem endogen und exogen beeinträchtigt ist und bei denen es leichter zu einer Sepsis kommen kann. Polymikrobielle Septikämien treten bei Hochrisikopatienten (Malignom, Neutropenie, Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes, zentrale Venenkatheter) auf.

Pathogenese

Die Pathogenese der Sepsis hängt zum einen von der Virulenz des Mikroorganismus und von Wirtsfaktoren ab. Zu den Wirtsfaktoren gehören der Immunstatus und die Anwesenheit weiterer Risikofaktoren, wie Grunderkrankungen, aber auch Lebensalter, Geschlecht und genetischer Hintergrund.

Die Pathogenese der Sepsis ist am besten bei gramnegativen und -positiven Bakterien untersucht und stellt ein Modell dar (Abb. 92.1). Trotz Gemeinsamkeiten ist die Pathogenese der grampositiven Sepsis signifikant unterschiedlich zur gramnegativen Sepsis. Die Unterschiede betreffen in erster Linie die Initiierung der Sepsiskaskade und die unterschiedlichen Strategien der Bakterien, die Immunantwort des Wirts zu umgehen. So können z. B. Exotoxine von grampositiven Erregern als Superantigene agieren und die Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren durch T-Lymphozyten und Monozyten/Makrophagen auslösen und so ein toxisches-Schock-Syndrom verursachen. Nichtmethylierte CpG-Abschnitte der bakteriellen DNA induzieren ebenfalls direkt eine Sekretion proinflammatorischer Mediatoren, außerdem können B-Zellen nicht nur durch nichtmethylierte CpG-Abschnitte, sondern auch durch Peptidoglykane von grampositiven Bakterien direkt stimuliert werden. Für gramnegative Bakterien sind vergleichbare Mechanismen bisher nicht bekannt.

Abb. 92.1
figure 1

Pathogenesemodell der bakteriellen Sepsis. (Modifiziert nach Sáez-Llorens u. McCracken 1993)

Nach einer Kolonisation von Schleimhäuten oder Fremdkörpern (z. B. zentrale Venenkatheter) folgt die Gewebeinvasion, die dann zu einer Bakteriämie führt. Verschiedene Bestandteile der Bakterienzellmembran, die bei der Abwehr durch das Immunsystem freigesetzt werden, wirken als Auslöser der Sepsiskaskade. Bei gramnegativen Erregern sind dies Lipopolysaccharid (LPS oder Endotoxin ) und Lipoproteine . Ein LPS-Äquivalent konnte bisher bei grampositiven Erregern nicht identifiziert werden, die Bedeutung von Lipoteichonsäure und Peptidoglykan wird kontrovers beurteilt. Am Beispiel von LPS sollen die weiteren Reaktionsschritte erläutert werden.

Das LPS bindet an ein in der Leber gebildetes Serumprotein, das LPS-bindende Protein (LBP), der LPS-LBP-Komplex bindet über das Glykoprotein CD14 und MD2 an Zielzellen, in erster Linie Monozyten/Makrophagen, aber auch an Endothelzellen, polymorphkernige neutrophile Granulozyten (PMN) und andere Zellen. Als essenzielle Korezeptoren auf Monozyten/Makrophagen fungieren sog. Toll-like-Rezeptoren (TLR). Sie gehören zu den PRR (pattern-recognition receptors), erkennen PAMPs (pathogen-associated molecular patterns , d. h. exogene Liganden auf Mikroorganismen) oder auch DAMPs (danger-associated molecular patterns , d. h. endogene Liganden der Wirtszellen) und spielen die zentrale Rolle bei der Vermittlung der Immunantwort im Rahmen der Sepsis. TLR4 vermittelt die Aktivierung durch LPS, während Lipoteichonsäure TLR2 und bakterielle DNA TLR9 als Rezeptoren benutzen.

Daneben spielen weitere PRR-Moleküle der unspezifischen Immunantwort (z. B. mannosebindende Lektine [MBL], alternatives Komplementsystem, aber auch intrazelluläre Nod-like Rezeptoren [NLR]) eine Rolle in der Initiierung der Sepsiskaskade. Aktivierte Monozyten/Makrophagen sezernieren primäre Mediatoren.

Die wichtigsten Mediatoren in der frühen, als hyperreaktive Immunantwort bezeichneten Phase sind proinflammatorische Zytokine, vor allem Tumornekrosefaktor-(TNF-)α, Interleukin-(IL-)1β, IL-2, IL-6, IL-8, IL-12, IL-17, IL-18, Interferon-(IFN-)γ, macrophage migration inhibitory factor (MIF) und High-mobility-group-box-1-Protein (HMGB-1). Der zentrale Mediator der Sepsis ist dabei TNF-α. Zusammen mit IL-1β und IL-6 ist er direkt verantwortlich für eine Vielzahl von Symptomen wie Fieber, myokardiale Suppression, Kapillarleck, Gerinnungsaktivierung und Erhöhung der Akute-Phase-Proteine.

Über eine vermehrte Expression von Adhäsionsmolekülen (Selektine, Integrine) auf Endothelzellen und Granulozyten wird die Adhärenz von Monozyten und Granulozyten an Endothelzellen gesteigert. Dies bewirkt konsekutiv eine Degranulation und Freisetzung von Enzymen, Proteasen und Oxidanzien, die zu einer Endothelzellschädigung führt. Die Folge ist eine gesteigerte Gefäßpermeabilität mit Verlust von intravasaler Flüssigkeit in das Interstitium, es entsteht ein sog. Kapillarlecksyndrom.

Die Stimulierung von Granulozyten wird über aktiviertes Komplement unterstützt. Die Interaktion von Endothelzellen mit Granulozyten bewirkt die Freisetzung einer Reihe sekundärer Mediatoren wie plättchenaktivierender Faktor (PAF), Leukotriene, Prostaglandine (Prostazyklin, Thromboxan), Histamin, Serotonin, Proteasen, freie Sauerstoff- und Stickstoffradikale. Vor allem über Stickoxid (NO) wird eine Vasodilatation der Blutgefäße vermittelt, die durch eine Kontaktaktivierung mit vermehrter Bradykininsekretion unterstützt wird. Die Kontaktaktivierung (sog. Kallikrein-Kinin-System) wird über eine Aktivierung des Gerinnungsfaktors XII (Hageman-Faktor) induziert. Faktor XII ist auch das Startermolekül der Aktivierung der intrinsischen Gerinnungskaskade. Hauptursache für die aktivierte Gerinnung ist jedoch die Anstoßung der extrinsischen Gerinnungskaskade über den durch Endotoxin aktivierten tissue factor (TF). Die Aktivierung beider Gerinnungskaskaden führt zum klinischen Bild einer disseminierten intravasalen Gerinnung (disseminated intravasal coagulation, DIC). Die Bildung von Mikrothromben über die aktivierte Gerinnung wird durch den Verbrauch von Inhibitoren der Gerinnung wie Antithrombin III, Protein C, Protein S, C1-Esteraseinhibitor und tissue factor pathway inhibitor (TFPI) unterstützt. Das Auflösen der Mikrothromben verhindert eine Inhibition der Fibrinolyse über eine Stimulierung des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors (PAI-1).

Der Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und die Thrombozytopenie erklären die vermehrte Blutungsneigung im Rahmen der Sepsis. Das Blutungsrisiko ist bei Neugeborenen und Säuglingen mit Sepsis am höchsten. Zur Thrombozytopenie kommt es durch den Verbrauch der Blutplättchen in den Fibrinablagerungen, durch die Adhäsion an alterierten Endothelzellen und durch eine vermehrte Sequestrierung in Leber und Lunge. Die DIC mit Bildung und Ablagerung von Fibrinthromben in den Organen spielt zusätzlich zur Minderperfusion die wesentliche pathogenetische Rolle beim Multiorganversagen.

Das aktuelle pathogenetische Konzept der Sepsis geht davon aus, dass proinflammatorische Zytokine per se physiologische Reaktionen des Körpers als Ausdruck der frühen Immunantwort auf die Invasion von mikrobiellen Erregern triggern. Eine überschießende Produktion/Aktivierung von proinflammatorischen Zytokinen führt zum SIRS. Die systemische Reaktion wiederum setzt in einer späten Phase der Sepsis, die als Phase der hyporeaktiven Immunantwort bezeichnet wird, antiinflammatorische Zytokine/Mediatoren frei. Diese Phase wird als compensatory anti-inflammatory response syndrome (CARS) bezeichnet. Zu den wichtigsten Mediatoren gehören IL-4, IL-10, IL-11, IL-13, Transforming growth factor β (TGF-β), lösliche TNF-Rezeptoren (sTNFR) und IL-1-Rezeptor-Antagonisten (IL-1RA), die die proinflammatorische Antwort herunterregeln und die systemische Antwort des Organismus beenden. Die Herunterregulation der proinflammatorischen Immunantwort wird durch neuronale Mediatoren, z. B. Glukokortikoide, Adrenalin, Acetylcholin, VIP (vasoactive intestinal peptide) und PACAP (pituitary adenylate cyclase activating peptide), unterstützt.

Ein Überwiegen der antiinflammatorischen Antwort kann zu einer Suppression der Immunantwort führen und die Sepsiskaskade unterhalten. Zusätzlich wird eine vermehrte Apoptose von CD4-positiven T-Lymphozyten, B-Lymphozyten und follikulären dendritischen Zellen induziert, die zu einer Anergie führt und die Immunsuppression unterstützt. Als Folge der Immunsuppression können in der Spätphase der Sepsis sekundäre Infektionen oder Virusreaktivierungen auftreten. Nur eine Balance zwischen proinflammatorischen und antiinflammatorischen Mediatoren führt zur Homöostase des Immunsystems, die die Erregerelimination ohne überschießende und somit schädliche Entzündungsantwort gewährleistet (Abb. 92.2).

Abb. 92.2
figure 2

Gleichgewicht zwischen proinflammatorischer und anti-inflammatorischer Immunantwort bei Sepsis. (Modifiziert nach Annane et al. 2005)

Septischer Schock

Der septische Schock ist eine Verteilungsstörung des Blutvolumens mit Zunahme des venösen Blutpools durch Vasodilatation im großen Kreislauf. Die Folge ist eine Störung der Mikrozirkulation mit verminderter Perfusion und verminderter O2-Aufnahme bei gleichzeitig vermehrtem O2-Bedarf. Zur Aufrechterhaltung der Gewebeoxygenierung reagiert der Körper über eine vermehrte Katecholaminsekretion mit einer Steigerung des Herzzeitvolumens. Diese hyperdyname Reaktion der Makrozirkulation kennzeichnet die frühe oder warme Phase des septischen Schocks. Im Kindesalter erfolgt die Steigerung des Herzzeitvolumens primär über die Herzfrequenz, da die Steigerungskapazität des Schlagvolumens beschränkt ist. Allerdings ist auch dieser Kompensationsmechanismus durch die Abhängigkeit der Perfusion der Koronargefäße in der diastolischen Füllung begrenzt. Kann das Herzzeitvolumen die Verteilungsstörung nicht mehr kompensieren, entsteht die sog. späte oder kalte Phase des septischen Schocks, die zu einem Multiorganversagen und evtl. zum Tod führt.

Klinische Symptome und Verlauf

Primäre Symptome der Sepsis sind Hyperthermie (>38 °C) oder Hypothermie (<36 °C), Schüttelfrost, Tachykardie und Tachypnoe. Septisches Fieber ist durch Fieberzacken bis 41 °C charakterisiert, zwischen Körperkerntemperatur (rektal) und peripherer Hauttemperatur ergibt sich häufig eine Differenz von >3 °C. Im Gesicht imponiert eine ausgeprägte Rötung, die Haut ist initial warm und gut durchblutet. Mit zunehmender Zentralisation des Kreislaufs werden die Extremitäten kühl, die Mikrozirkulation ist gestört. Eine Zyanose zeigt sich häufig zuerst an den Ohren und an der Nasenspitze. Hautveränderungen erlauben gewisse Rückschlüsse auf mögliche Erreger: Petechien oder Purpura bei Meningokokken, Ecthyma gangraenosum bei Pseudomonas aeruginosa. ZNS-Symptome sind Unruhe, Verwirrtheit, Agitiertheit und Angst. Bei fortgeschrittener Sepsis werden die Patienten lethargisch und somnolent. Mit zunehmender Kreislaufinsuffizienz treten Zeichen der Organdysfunktion hinzu. Initiale lokale Symptome können auf einen möglichen Ausgangsfokus hinweisen.

Ein septischer Schock kann sich entweder fulminant innerhalb weniger Stunden entwickeln (z. B. Meningokokken-Sepsis oder toxisches Schocksyndrom) oder schleichend verlaufen (z. B. Candida-Sepsis). Die Prognose ist abhängig von Faktoren wie Lebensalter, Grundkrankheit, Art des Erregers, Infektionsherd, Ausmaß der Organbeteiligung und Zeitpunkt des Therapiebeginns. Jenseits des Neugeborenenalters verlaufen 5‒15 % aller Sepsisereignisse tödlich. Je nach Grunderkrankung und Ausmaß einer vorbestehenden Immunsuppression (größtes Risiko Knochenmarktransplantation) erhöht sich die Rate auf bis zu 40 %. Ungünstige Prognosefaktoren sind arterielle Hypotension, Koma, Hypothermie, Thrombozytopenie (<100.000/µl), Leukozytopenie (<5000/µl), disseminierte intravasale Gerinnung, eingeschränkte Myokardfunktionen, erniedrigte Antithrombin-(AT-)III-Spiegel, erniedrigte Fibrinogenspiegel und erhöhte Laktat-, Procalcitonin-, IL-6-, IL-8-, IL-10-, TNF-β- und TREM-1-Spiegel.

Genetische Faktoren (z. B. Polymorphismen in den CD14-, MBL-, TNF-α-, IL-1α-, IL-1-Rezeptor-Antagonist-, IL-6-, IL-8-, IL-10-, Protein C- und Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1-Genen) beeinflussen ebenfalls die Prognose der Sepsis.

Prognose

Die Prognose der Sepsis ist nicht nur durch das Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko in der Akutphase bestimmt, sondern auch durch Langzeitkomplikationen (sog. protrahierte Syndrome). Fast jeder 2. Patient mit schwerer Sepsis wird innerhalb des 1. Jahres nach Diagnose einer schweren Sepsis (in der Regel mit Organdysfunktionen) wieder hospitalisiert und eine vergleichbare Anzahl an Patienten (wie in der Akutphase der Sepsis) verstirbt innerhalb von 2 Jahren. Betroffen sind hiervon vor allem Patienten mit onkologischen bzw. immunologischen Grunderkrankungen und hämatologischen bzw. neurologischen Organdysfunktionen in der Akutphase.

Diagnose

Für die Diagnose Sepsis ist der klinische Verdacht entscheidend, da sämtliche bisher in der Routine verfügbaren Laborparameter unspezifisch sind. Die Entzündungsparameter Blutsenkungsgeschwindgkeit (BSG), C-reaktives Protein (CRP) und Leukozyten sind erhöht. Eine Differenzierung zeigt vermehrt unreife Vorstufen (>10 %), das Verhältnis unreifer Vorstufen zu reifen Leukozyten (sog. I:T-Quotient) ist über 0,2 erhöht. Die Leukozyten können toxische Granulationen, Vakuolen und Döhle-Einschlusskörperchen aufweisen. Im Verlauf entwickelt sich häufig eine Leukozytopenie (<4000/µl), die, wenn sie initial besteht, auf einen schweren Verlauf hinweist. Derzeit der beste Marker, um eine bakterielle Sepsis von anderen Ursachen eines SIRS zu unterscheiden, ist der Nachweis eines erhöhten Procalcitoninspiegels (PCT). Ein Procalcitoninnachweis von <0,25‒0,5 ng/ml schließt eine bakterielle Sepsis nahezu aus und kann bei serieller Bestimmung bei der Indikation zur Beendigung einer Antibiotikatherapie helfen.

Die Frühphase einer Sepsis (vor allem bei Neu- und Frühgeborenen) wird am zuverlässigsten durch erhöhte Zytokintiter (z. B. IL-6, IL-8) erfasst. Die Spezifität der Zytokine ist allerdings ähnlich niedrig wie beim CRP oder PCT. Keiner der potenziellen neuen Biomarker (z. B. CD64, pro-Adrenomedullin (proADM) oder soluble triggering receptor expressed on myeloid cell-1 (sTREM-1)) hat bisher den Weg in die Routinediagnostik gefunden. Thrombozyten sind sehr häufig vermindert. Bei aktivierter Gerinnung sind die Gerinnungsparameter wie folgt verändert:

  • Quick↓

  • Partielle Thromboplastinzeit (PTT)↑

  • Fibrinogen↑

  • Thrombinzeit↑

  • ATIII↓

  • Fibrinmonomere↑

  • Thrombin-Antithrombin-III-Komplex (TAT)↓

  • Fibrin(ogen)spaltprodukte↑

  • D-Dimere↑

Verlaufskontrolle

Folgende klinisch-chemische Parameter können verändert sein und weisen auf Organdysfunktionen hin, sie dienen daher in erster Linie der Verlaufskontrolle:

  • Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT)

  • Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT)

  • γ-Glutamyl-Transferase (γ-GT)

  • Bilirubin gesamt und direkt

  • Kreatinin und Harnstoff

Durch häufige Elektrolytkontrollen muss rechtzeitig eine Hyponatriämie, Hypokaliämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie, Hypo- oder Hyperglykämie erfasst werden. Die Blutgasanalyse weist anfangs eine kompensierte respiratorische Alkalose bei Tachypnoe auf, im Verlauf entwickelt sich aufgrund der Gewebehypoxie eine metabolische Acidose mit Laktaterhöhung. Die Laktatbestimmung ist wichtig bei der Bestimmung des Schweregrads der Sepsis und stellt einen Prognosefaktor dar. Bei respiratorischer Verschlechterung besteht eine kombinierte Azidose.

Bildgebung

Bildgebende Verfahren dienen primär dem Nachweis von Infektionsherden und zur Beurteilung einer Organdysfunktion.

Zur Erfassung der Ätiologie gehört der Erregernachweis in entsprechenden Kulturen. Wenn es der Zustand des Patienten erlaubt, sollten immer mehrere Blutkulturen (idealerweise 3 Blutkulturen) abgenommen werden, bei Patienten mit zentralem Venenkatheter sowohl aus dem Katheter als auch aus peripheren Venen. Entscheidend ist die Entnahme eines ausreichend großen Blutvolumens (mindestens 0,5 ml bei Neugeborenen, >1 ml bei Säuglingen und Kleinkindern bis 36 Monate, >4 ml bei älteren Kindern). Anaerobe Blutkulturen sind nur bei konkretem Verdacht auf Beteiligung von Anaerobiern (z. B. Infektfokus im Gastrointestinaltrakt, Aspirationspneumonie, Abszesse und bei Neutropenie) notwendig. In der Mehrzahl der Fälle bleiben Blutkulturen negativ. Möglicherweise helfen hier zukünftig nichtkulturelle Verfahren, wie die PCR, die in Entwicklung sind. Bei entsprechendem klinischem Infektionsverdacht sollten auch Kulturen von Liquor, Pleura, Aszites, Urin, Trachealsekret und Abstriche von Wunden und Drainagen entnommen werden.

Therapie

Antibiotika

Die frühzeitige Diagnose und Therapieeinleitung einer Sepsis ist der Schlüssel zum Therapieerfolg. Zur kausalen Therapie der Sepsis gehört der frühzeitige und hochdosierte Einsatz von Antibiotika (idealerweise innerhalb der ersten Stunde nach Diagnosestellung), nachdem zuvor entsprechende Kulturen gewonnen wurden. Die Auswahl der Substanzen erfolgt initial empirisch und wird später je nach isoliertem Erreger und Antibiogramm modifiziert. Das Antibiotikaregime sollte alle 48-72 h reevaluiert werden und je nach Erregernachweis das Spektrum entsprechend eingeengt werden. Bei der empirischen Auswahl spielen Faktoren wie Alter des Patienten, Immunstatus, Grunderkrankungen, nosokomial erworbene Infektion, Zustand nach Antibiotikatherapie, lokale Resistenzlage, Gewebegängigkeit und Nebenwirkungsspektrum eine Rolle.

Therapieempfehlungen

Es gelten folgende Therapieempfehlungen:

  • Neugeborene (Kap. 45) 1.‒3. Lebensmonat: Ampicillin oder Breitspektrum-Penicillin/β-Laktamase-Inhibitor plus Aminoglykosid (oder plus Cefotaxim)

  • >3. Lebensmonat, ohne Grundkrankheit: Breitspektrum-Penicillin/β-Laktamase-Inhibitor (oder Cephalosporine der 3. Generation; aufgrund des assoziierten Risikos einer Selektion von ESBL-bildenden gramnegativen Bakterien sollten Cephalosporine restriktiv eingesetzt werden)

  • Nosokomial erworben: Breitspektrum-Penicillin/β-Laktamase-Inhibitor (oder Cephalosporine der 3. Generation) plus Aminoglykosid

  • Verdacht auf methicillinresistente Staphylokokken (MRSA), penicillinresistente Pneumokokken: s. oben plus Vancomycin oder Linezolid (bei Verdacht auf MRSA-Pneumonie aufgrund der besseren Gewebegängigkeit bevorzugt einsetzen)

  • Infektionsherd im Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt: Breitspektrum-Penicillin/β-Laktamase-Inhibitor (oder Cephalosporine der 3. Generation) plus Aminoglykosid, in Kombination mit Metronidazol oder Clindamycin

  • Neutropenie: Gegen Pseudomonas wirksames β-Laktam-Antibiotikum/β-Laktamase-Inhibitor mit oder ohne Aminoglykosid mit oder ohne Vancomycin

  • Verdacht auf Rickettsiose: Doxycyclin

  • Verdacht auf Pilzinfektion (bei Risikofaktoren und fehlendem Ansprechen der Antibiotikatherapie nach 72–96 h): Amphotericin B

  • Verdacht auf Herpes-simplex-Virusinfektion: Aciclovir

  • Verdacht auf Zytomegalievirus-Infektion: Ganciclovir

Weitere Maßnahmen

Soweit möglich sollte eine vorhandene Infektionsquelle beseitigt werden, z. B. durch chirurgische Herdsanierung oder durch Entfernen von Fremdkörpern.

Neben der kausalen Therapie spielt die Supportivtherapie eine ganz entscheidende Rolle. Die Behandlung mit kristalloiden und kolloidalen Lösungen, vasoaktiven Medikamenten, Bikarbonat, Sauerstoff und Beatmung wird an anderer Stelle ausführlich besprochen (▶ Teil XIV, Notfall- und Intensivmedizin).

Für die Sepsisbehandlung gelten ein paar spezifische Modifikationen:

Eine frühzeitige, zielgerichtete Flüssigkeitstherapie (early goal-directed therapy, EGDT), d. h. Aufrechterhalten eines bestimmten – bislang nur für das Erwachsenenalter definierten – mittleren arteriellen Drucks, zentralen Venendrucks und einer zentral-venösen Sauerstoffsättigung) reduziert die Letalität. Bei Kindern werden große Flüssigkeitsboli (bis 60 ml/kg KG/h) benötigt, um den Kreislauf zu stützen. Eine strikte Blutzuckereinstellung auf Werte von 80–110 mg/dl ist nach neueren Studien bei Erwachsenen nicht mit einer besseren Überlebenschance verbunden und wird bei Kindern wegen des größeren Risikos für Hypoglykämien nicht empfohlen. Bei Erwachsenen mit Sepsis wird eine Insulintherapie nach den aktuellen Leitlinien erst bei Blutzuckerwerten >180 mg/dl empfohlen

Bezüglich der Prophylaxe und Therapie der Verbrauchskoagulopathie gilt zurzeit: Eindeutig indiziert ist die Gabe von Thrombozytenkonzentraten bei Blutungen und Thrombozytenwerten <30.000/µl sowie die Gabe von Fresh-frozen-Plasma oder Kryopräzipitaten bei Blutungen und erniedrigten Gerinnungsfaktoren. Die Behandlung mit Antithrombin III oder Heparin hat bei Erwachsenen zu keiner Verbesserung der Überlebensraten geführt. Eine generelle Heparinisierung wird nicht empfohlen.

Eine Vielzahl adjuvanter antiinflammatorischer Substanzen ist bei der Sepsis erprobt worden. Auch rekombinantes humanes aktiviertes Protein C (rAPC, Drotrecogin α) hat in der PROWESS-SHOCK-Studie bei schwerer Sepsis im Erwachsenenalter – nach initial positiven Studiendaten – nicht zu einer Senkung der Letalität geführt. Die RESOLVE-Studie bei Kindern wurde wegen einer erhöhten Blutungsrate in der rAPC-Gruppe abgebrochen. Das Medikament ist in Folge der negativen Studienergebnisse im Oktober 2011 vom Markt genommen worden.

Granulozytentransfusionen sind für Patienten mit schwerer Neutropenie, die nicht auf eine antimikrobielle Therapie ansprechen, reserviert. Zur Prophylaxe von Infektionen bei Neutropenie kommen Granulozyten-koloniestimulierender Faktor (G-CSF) und Granulozyten-Makrophagen-koloniestimulierender Faktor (GM-CSF) zum Einsatz, bei manifester Sepsis sind sie hingegen ineffektiv.

Hoch dosierte Applikation von Kortikosteroiden verbessert die Prognose des septischen Schocks und des frühen ARDS (acute respiratory distress syndrome) nicht und ist daher nicht routinemäßig indiziert. Mögliche Indikationen für eine niedrig dosierte Hydrokortisontherapie sind der refraktäre septische Schock trotz adäquater Flüssigkeitstherapie und Einsatz von Katecholaminen bei akuter Nebennierenrindeninsuffizienz (z. B. Blutung bei Waterhouse-Friderichsen-Syndrom) sowie die durch Hämophilus influenzae Typ b verursachte Meningitis (zur Verhinderung einer Innenohrschädigung). Die Diagnose einer akuten Nebenniereninsuffizienz sollte durch die Bestimmung eines erniedrigten Serumkortisolspiegels (<150 µg/l bzw. <90 µg/l nach ACTH-Gabe) gesichert werden.

Die Therapie des Versagens der einzelnen Organe wird in den entsprechenden Kapiteln besprochen.

Prophylaxe

 Gegen einzelne Sepsiserreger gibt es wirksame Impfungen (z. B. Haemophilus influenzae Typ b, Pneumokokken, Meningokokken, Typhus; Kap. 10). Treten in der unmittelbaren Umgebung Fälle von Meningokokken oder Haemophilus influenzae auf, erhalten enge Kontaktpersonen eine Antibiotikaprophylaxe (z. B. Rifampicin). Bei sehr kleinen Frühgeborenen (<1500 g) ist – bei erhöhter lokaler Candidämie-Inzidenz – der prophylaktische Einsatz von Fluconazol in den ersten 28–45 Lebenstagen sinnvoll. Es reduziert die Kolonisationsrate mit Pilzen und die Rate an invasiven Pilzinfektionen. Ein Überlebensvorteil konnte bisher jedoch nicht gezeigt werden.

Risikofaktoren für nosokomiale Infektionen sollen minimiert werden, z. B. sollte die Indikation für invasive Interventionen und Katheter streng gestellt werden und ständig überdacht werden. Katheter- oder Drainageeintrittsstellen, sowie Wundflächen müssen regelmäßig inspiziert und bei Infektionsverdacht entsprechend behandelt werden. Die wichtigste Prophylaxe für nosokomiale Sepsisfälle ist die strikte Einhaltung von Hygienevorschriften.