Zusammenfassung
Das Recht als menschengemachtes und anthropozentrisch geprägtes Ordnungssystem gesteht dem Tier bis heute nur eine untergeordnete Objektstellung zu, die nur vereinzelt oder in Spezialgesetzen tierspezifisch ausgestaltet wird. Im Vergleich zur umfangreichen Diskussion um moralische Rechte bzw. der ethischen Relevanz moralischer Rechte, lässt sich von einer eigenständigen Strömung der Human-Animal Studies (HAS) in der rechtswissenschaftlichen Diskussion im deutschsprachigen Raum noch nicht ernsthaft sprechen. Da das Recht jedoch selten der Auslöser gesellschaftlicher Veränderungen ist, sondern regelmäßig auf diese reagiert, werden zunehmend die Fragen nach juridischen Rechten von Tieren laut: Welche Stellung haben Tiere im Recht und entspricht diese unserem heutigen gesellschaftlichen Verständnis? Wie werden ihre Bedürfnisse vom Recht geschützt? Haben Tiere bereits heute basale eigenständige Rechte? Falls nicht, sollten sie diese haben und wie könnte man diese in dem geltenden Rechtssystem verankern?
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In der Schweiz ist die Würde der Kreatur seit 1992 in der Verfassung verankert (vgl. Art. 120 II BV; Richter 2007) und Deutschland hat bereits seit 1933 ein eigenständiges Tiersch utzgesetz. (Zur Kritik an den Ursprüngen der deutschen Tierschutzgesetzgebung im Nationalsozialismus siehe Gall 2016, 52). Von einem internationalen Tierrecht auf völkerrechtlicher Ebene lässt sich noch nicht verlässlich sprechen (Peters 2016, 371).
- 2.
Geschützte Tiere im Sinne des TierSchG sind alle lebenden Tiere unabhängig von ihrem Entwicklungsgrad (Hirt et al. 2016, § 1 Rn. 11).
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Außerhalb des TierSchG findet das Tier in der deutschen und europäischen Rechtsordnung – insbesondere im Zivilrecht – nur selten explizite Erwähnung, z. B. wenn es um den Eigentumswert des Tieres, Schadensersatzpflichten für Tierhalter bzw. die Eigentumserlangung am Tier geht (vgl. §§ 251 II 1, 833, 960 BGB, § 811c ZPO). In all diesen Fällen bleiben Tiere regelmäßig Objekt unserer menschlichen Rechtsverhältnisse, auch wenn diese Normen Besonderheiten von Tieren gegenüber sonstigen körperlichen Gegenständen teilweise Rechnung tragen (vgl. Obergfell 2016 mwN). Seit der Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung hat der Gesetzgeber keine nennenswerten gesetzlichen Aufwertungen des Tierschutzes im Zivilrecht vorgenommen (Obergfell 2016, 412).
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Bereits rein statistisch liegt das durchschnittliche Kontrollintervall je Betrieb in Deutschland bei 22,5 Jahren (in Bayern bei gut 48 Jahren und mit Ausnahme von Berlin nirgends unter 7 Jahren); vgl. BT-Drs. 19/3195, 3.7.2018, 6 (vgl. auch Martinez 2016, 463).
- 5.
Bundesweit bestanden im Jahr 2017 nur 11 % der verhängten Sanktionen in der Einleitung eines Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahrens. In allen übrigen Fällen wurde Gelegenheit zur Beseitigung gegeben (BT-Drs. 19/3467, 18.7.2018, 3).
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Solche Modelle wurden in anderen Ländern schon getestet (z. B. der Tieranwalt im Kanton Zürich, Tierschutzombudsstellen in Österreich) und waren erfolgsversprechend (Goetschel 1994).
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Laut verschiedener Umfragen würde die Aufzucht der männlichen Küken den Eierpreis um vier Cent pro Stück erhöhen, 52 % der Konsumenten wären bereit, sechs Cent und mehr zu zahlen (Verbraucherzentrale NRW 2017).
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Dennoch bleibt zu hoffen, dass von der Entscheidung eine positive Folgewirkung ausgeht, da sie den Eigenwert des tierlichen Lebens und den Verfassungsrang des Art. 20a GG, welcher menschliche Grundrechte einschränken kann, explizit betont hat. In der offiziellen Begründung des Urteils (BVerwG Urt. von 13.6.2019 – 3 C 28.16, BeckRS 2019, 20524, beck-online) heißt es: „Als Belang von Verfassungsrang ist der Tierschutz im Rahmen von Abwägungsentscheidungen zu berücksichtigen und kann geeignet sein, ein Zurücksetzen anderer Belange von verfassungsrechtlichem Gewicht – wie etwa die Einschränkung von Grundrechten – zu rechtfertigen“ (Rz. 20) und „Eine derartige Verfahrensweise widerspricht in fundamentaler Weise dem ethisch ausgerichteten, das Leben als solches einschließenden Tierschutz, wie er dem Tierschutzgesetz zugrunde liegt. Dem Leben eines männlichen Kükens aus Legelinien wird jeder Eigenwert abgesprochen.“ (Rz. 25).
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Die Rechtsprechung hinsichtlich solcher Stallbetretungen ist jedoch nicht einheitlich. In einem ähnlich gelagerten Fall nahm das OLG Stuttgart (Beschluss vom 4.9.2018, Az. 2 Rv 26 Ss 145/18) einen Hausfriedensbruch an und verneinte eine Notstandssituation, da nur „in der Hoffnung“ auf das Vorfinden von Tierschutzverstößen in den Stall eingedrungen worden sei.
Literatur
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Raspé, C. (2020). Tiere im Recht. In: Jaeger, F. (eds) Menschen und Tiere. Cultural Animal Studies, vol 9. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05625-2_9
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