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VII Zwischen ausstehender und erfüllter Zeit

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Part of the book series: Abhandlungen zur Philosophie ((ABPHIL))

Zusammenfassung

Geschichte haben oder sein ‒ Geschichtlicher Sinn? ‒ Machbare und überwältigende Geschichte ‒ Natur und Geschichte ‒ Eschatologisches Erbe ‒ Gegen Zukünftigkeit und Sorge um sich ‒ Die Zeit der natürlichen Welt ‒ Benommenheit von der Zukunft ‒ Leerlaufende Zukünftigkeit und das Gewicht der natürlichen Welt ‒ Ein entfremdeter Skeptiker.

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Notes

  1. 1.

    Einmal ganz abgesehen davon, wie man begründet, wie dies überhaupt möglich ist und wohin die Verkettung kriegerischer Handlungen schließlich führt. Zur ersten, vielfach mit Blick auf Heraklits polémos ontologisch beantworteten Frage vgl. Patočka 2010, 141‒161; mit Blick auf die zweite Frage ist nach wie vor C. v. Clausewitz’ Vom Kriege (1994) mit seiner Theorie eskalierender „Wechselwirkungen“, die zum Äußersten führen und sich jeglicher instrumentellen politischen Handhabung entwinden, bedenkenswert.

  2. 2.

    Hierin liegt offenbar ein Widerspruch vor zur zuletzt (in Kap. „VI Austritt aus der Weltgeschichte?“) angeführten Behauptung Löwiths, der Sinn geschichtlichen Geschehens liege in diesem selbst. Was aber, wenn dieses sich nicht in einem definitiven Ergebnis niederschlägt oder dessen Bedeutung ‚aussteht‘, um immer neues Umschreiben der fraglichen Geschichte erforderlich zu machen?

  3. 3.

    In S2, 256 (1949/1953) legt Löwith nahe, dass diese Schwelle prinzipiell dann überschritten wird, wenn der geschichtliche Prozess als Ganzer, d. h. im Sinne dessen betrachtet wird, was Löwith als nicht mehr zeitgemäße „Geschichtsphilosophie“ tituliert. Jedoch könnte es sein, dass diese Schwelle viel niedriger anzusetzen ist; vgl. Lübbe 1978, 237 ff.

  4. 4.

    S2, 244 (1950). Besonders hier ist darauf zu achten, dass Löwith nicht direkt über seine eigene Position spricht, sondern den Leser im Bericht über das fernöstliche Denken nur indirekt zu verstehen gibt, in welche Richtung sein eigenes, nicht mehr modernes Geschichtsverständnis tendiert. Allerdings erhebt sich hier die Frage, wie Löwith das skizzierte ‚fernöstliche‘ Verständnis etwa auf die Geschichte des sogenannten Dritten Reiches, auf die Konzentrationslager der Nazis, auf deren ‚Vernichtungspolitik‘ oder auch auf die Abwürfe der beiden ersten Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima anwenden würde. Macht denn die (historisch vielfach belegte) Erfahrung des Überwältigtwerdens durch makrogeschichtliche Gewalt jegliche Theoretisierung geschichtlicher Existenz in pragmatischer Absicht sinn- oder gegenstandslos? Löwith selbst sagt, praktisches Wissen sei im Feld der Geschichte ohnehin nur an dem „interessiert, was jetzt und für die nächste Zukunft von Bedeutung ist“ (S1, 317 [1960]). Gilt es zwischen jenen Alternativen (Geschick vs. „Pathos eines selbstgewählten Schicksals“) nicht noch dritte Wege zu erkunden?

  5. 5.

    Besonders mit Blick auf die politische Aktualität, etwa der Folgen des Desasters von Fukushima; vgl. den Bericht des japanischen Philosophen Kenichi Mishima (2011, 54).

  6. 6.

    Zur Kritik an der Antizipation eines letzten Sinns der Geschichte vgl. Danto 1980, Kap. VII; Kracauer 1971; Vf. 2007.

  7. 7.

    Verwiesen sei nur beispielsweise auf Ricœur 1979; 1988; Carr 1986.

  8. 8.

    Wie es wiederum v. a. P. Ricœur getan hat (19881991).

  9. 9.

    Löwiths Absicht ist es offenbar, dem homo temporalis, der nicht von einem terminus a quo, von einem Woher aus, sondern nur aus seinem Wohin, seinem terminus ad quem, bestimmbar erscheint, einen homo naturalis entgegenzusetzen, der von Geschichte wesentlich unbetroffen bleibt ‒ und zwar sowohl als Individuum wie als Gattung; vgl. S1, 250 (1938), sowie Arendt 1979, 106.

  10. 10.

    Vgl. dazu A. Schütz (im Anschluss an Heidegger) 1971, 262.

  11. 11.

    Vgl. Bertaux 1979, 71, 195. Wer in diesem Sinne kein homo progressivus sein und stattdessen in der Gegenwart leben wollte, der würde offenbar freiwillig darauf verzichten, an den kollektiven Lebensstrom angeschlossen zu bleiben; der würde auf der Stelle zum von anderen bereits überlebten „lebendigen Fossil“. Diese Gefahr abwehrend, müssen wir unter den Bedingungen einer komparativen Existenz in der „preoccupation“ durch die Sorge um die Zukunft leben; vgl. Ortega y Gasset 1955, 26, der diese Zusammenhänge 13 Jahre vor seinem Freund Heidegger entdeckt haben will. Fraglich ist, ob selbst dann, wenn der temporalisierende Druck, etwas ‚vorzuhaben‘, ‚nach vorne zu schauen‘ und ‚vorwärts‘ zu müssen, wie Kierkegaard sagt, wegfiele, daran etwas zu ändern wäre, dass erst aus bereits Gegenwart gewordener oder auch aus noch ausstehender Zukunft Vergangenes retrograd sich deuten lässt. Vgl. S8, 205 (1953); S6, 124 (1935).

  12. 12.

    Was nicht ausschließt, vielmehr nahelegt, den Begriff der Existenz neu zu deuten: Vor jedem um sich selbst besorgten ‚Dasein‘ liegt das von einer Anderen zur Welt gebrachte, gebürtige und insofern immer schon in generativ-relationalen Verhältnissen, insofern zwischenzeitlich ‚da seiende‘ Leben.

  13. 13.

    Gewiss: stets bleibt man auf gewisse Weise Kind; aber man kann auf sehr verschiedene Art und Weise „‚auf die Kindheit zurückkommen‘ [revenir à l’enfance]“; und das muss nicht darauf hinauslaufen, „‚zur Kindheit zurück[zu]kehren‘ [retourner en enfance]“. Ersteres würde bedeuten: in gewisser Weise wieder Kind zu werden; letzteres würde bedeuten, „das Kind zu geben“. Hier hat man lt. Vladimir Jankélévitch nur die Wahl zwischen Verjüngung und Verblödung (gâtisme). Jankélévitch 2004, 227.

  14. 14.

    Löwith will „erst ganz an einigen Mittagen im Pozzetto bei Rapallo verstanden“ haben, was es bei Nietzsche mit Zarathustras „Mittag und Ewigkeit“ auf sich hat. Gemeint ist ein Leben „ohne irgendetwas Bestimmtes für die nächste und weitere Zukunft zu tun“, wie es in Löwiths Bericht über seine Italienerfahrungen Mitte der 1930er Jahre heißt; Löwith 2001, 7.

  15. 15.

    Heise 1968.

  16. 16.

    S7, 74 (1936). Würde man das Moment der Kontingenz, das Löwith im Anschluss an Valéry herausstellt (PV, 75 f.), nur ernst genug nehmen, würde sich wohl auch zwischen Anfang und Ende individueller Geschichte(n) das Bild „endloser Genealogien“ ergeben, deren Wuchern unterhalb fiktiver Entwicklungslinien und Kontinuitäten aller Art man auf dem Feld methodologischer Reflexion über Geschichte immer mehr beachtet. Vgl. Kracauer 1971, Kap. VII. Die genetische Integrität einer „geprägten Form, die lebend sich entwickelt“ (Goethe), scheint längst in weite Ferne gerückt.

  17. 17.

    Man denke an Phänomene wie das Verzeihen und die Vergebung, deren geschichtliche Dimension Löwith nicht bedacht hat.

  18. 18.

    Vgl. Vf. 2017.

  19. 19.

    M. Theunissen hat das eindeutig bejaht in seiner Negativen Theologie der Zeit (1991).

  20. 20.

    Nur am Rande kann hier auf die bei Philosophen phänomenologischer Provenienz wie Maurice Merleau-Ponty, Emmanuel Levinas, später auch bei Jean-Luc Marion anzutreffende Untersuchung dieser Fragen verwiesen werden.

  21. 21.

    Vgl. S2, 410 (1963), S8, 23 f. (1933). Im 1967 geschriebenen Nachwort zu LD schreibt Löwith dagegen: „Die Zeit als solche ist dem Fortschritt verfallen und nur in den Augenblicken, in denen die Ewigkeit als die Wahrheit des Seins erscheint, erweist sich das zeitliche Schema des Fortschritts wie des Verfalls als historischer Schein“ (138). Erneut schimmert hier Löwiths zentrale Ambiguität durch: Es muss etwas anderes geben als ein Leben, das rettungslos der Zeitlichkeit der Zeit überantwortet ist; dieses Andere ist die natürliche Welt; doch sie erschließt sich nur in prekären, gefährdeten Augenblicken, die selbst nur Momente in einer dem Fortschritt verfallenen Geschichtlichkeit darstellen. So wird die Erfahrung der natürlichen Welt ständig wieder von der Geschichte eingeholt. Doch auch umgekehrt kehren wir aus der Geschichte zur Erfahrung einer ‚erfüllten Zeit‘ zurück, die, so scheint es, die Geschichte mit ihrer futuristischen Dynamik unterläuft. Aber in dieser Erfahrung genügen wir uns selbst nicht länger als einen Augenblick (vgl. S1, 288 [1957]). Deshalb verweist uns die Erfahrung der natürlichen Welt von selbst zurück auf ein Ungenügen, das nur im Feld des Geschichtlichen zu seinem Recht kommt.

  22. 22.

    Vgl. Koselleck 1982.

  23. 23.

    Vgl. Gadamer 1965, 387‒424, sowie Boehm 1956; Saß 1975.

  24. 24.

    Améry 1988, 73; vgl. S3, 219 (1956), 27 (1930).

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Liebsch, B. (2020). VII Zwischen ausstehender und erfüllter Zeit. In: Verzeitlichte Welt. Abhandlungen zur Philosophie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05131-8_8

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