Globale, digital vernetzte Lieferketten (Supply Chains) sind in den meisten Industrien heute die Norm. Gleichwohl zeigen uns plötzliche, unerwartete Ereignisse wie die aktuelle Corona-Pandemie die Verletzlichkeit globaler Lieferketten. Überdeutlich werden uns auf der gesamten Prozesskette die Lieferkettenrisiken und massiven Auswirkungen von Störereignissen vor Augen geführt. Beschaffungsseitig mussten wir beobachten, wie viele asiatische Lieferanten Ende 2019, Anfang 2020 ihre Produktionsstätten zeitweise schließen mussten und damit Lieferengpässe für die ganze Welt entstanden. Interkontinentale Transportrouten können durch ausgebuchte Seefrachtverkehre sowie komplexe Import- und Exportrestriktionen teilweise nicht mehr zuverlässig bedient werden. In der Folge bleiben Container in Häfen stehen, Transporte verspäten sich auf dem Seeweg und Fracht muss kostenintensiv per Luftfrachtverkehr transportiert werden. Auf den Absatzmärkten verschiebt sich aufgrund von Lockdowns die Nachfrage zwischen Online- und Offlinekanälen. Mit Vorlauf von wenigen Tagen werden ganze Distributionskanäle vom Markt genommen. Kontrollen und Staus an innereuropäischen Grenzen bremsen die Lkw-Belieferung. Das Supply-Chain-Management muss mehr denn je beweisen, wie robust es mit Störereignissen umgehen kann, wie adaptiv und anpassungsfähig es auf die neuen Herausforderungen reagieren kann und wie schnell Lieferketten auf- und umgebaut werden können (siehe auch [1]).

Im Schwerpunktheft „Ad-hoc-Supply-Chains“ soll für die Leser von Wirtschaftsinformatik & Management ein Blick in den Beitrag der IT zur Bewältigung dieser Herausforderungen geworfen werden. Sei es durch Transparenz über Lagerbestände, Liefertermine und Verfügbarkeiten, durch Schaffung von Flexibilität beim Aufbau neuer Lieferketten und Beschaffungsstrukturen oder durch Auswirkungsprognosen über die Nutzung von Analytics Tools – IT-basierte Lösungsansätze befähigen Unternehmen, schnell und wandlungsfähig auf unerwartete Ereignisse zu reagieren. Im Schwerpunkt werden in mehreren Beiträgen unterschiedliche Perspektiven zum Thema zusammengestellt. Einführend berichtet im Interview Dr. Jan Schneider, Head of Logistics Operations bei der Tchibo GmbH, wie das Logistik- und Supply-Chain-Management eines der größten deutschen Handelsunternehmen auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie reagiert und welche Maßnahmen und IT-Systeme im Einsatz sind. Im Anschluss geht Jörg Geilgens, Technical Sales Manager bei IBM Deutschland, der Frage nach, wie Lieferketten mithilfe von intelligenter Datenintegration und analytischen Systemen robuster und gleichzeitig fit für die Anforderungen von Kunden und Verbrauchern gemacht werden können. Michael Rölli, Global PreSales Lead Digital Supply Chain bei der leogistics GmbH, widmet sich in seinem Beitrag dem Thema Supply Chain Control Tower und welche Potenziale sich für eine unternehmensübergreifende Steuerung von Transportabläufen ergeben. Wie wichtig die Schaffung eines digitalen Rückgrats in Form von Enterprise-Resource-Planning-Software für stabile Unternehmensabläufe ist, beschreiben Andreas Hochschulte, Sachverständiger für Unternehmenssoftware und Logistik sowie Joachim Lumpe, Global Program Manager für SAP und Digitalisierungsprojekte bei der IN3 Group in ihrem Artikel. Einen Blick in zukünftige Ausrichtungen von Lieferketten in Richtung Liefernetzwerke geben Anna Chrikova, Lead Business Development beim AMAG Innovation & Venture Lab, und Thomas Spiess, Mitglied der Geschäftsführung bei der Staufen.Inova AG.

Zusammenfassend darf festgehalten werden. Die Corona-Krise hat viele Unternehmen in Europa schwer getroffen und die Bedeutung des Supply-Chain-Managements hervorgehoben. Präzedenzfälle für derartige Krisen existieren kaum und Unternehmen werden zur Risikoreduzierung künftig mehr denn je gefordert sein, ihr Supply-Chain-Management auf Robustheit, Resilienz und Änderbarkeit auszulegen. Während wir einerseits in den letzten Monaten beobachten konnten, wie Unternehmen in unglaublicher Geschwindigkeit und Agilität neue Lieferketten aufgebaut und das eigene Geschäftsmodell teilweise sogar gewandelt haben, kann die Corona-Krise andererseits auch zu einem Umdenken hinsichtlich Zurückverlagerung von Produktion und damit kürzeren Wertschöpfungsketten führen.

IT-basierte Lösungen leisten bei der Planung, Steuerung und Kontrolle von wandlungsfähigem Supply einen wichtigen Beitrag, sei es durch Unterstützung von Sofortmaßnahmen wie kurzfristigen Änderungen der Produktions- und Absatzplanung oder von langfristigen Maßnahmen wie dem Aufbau von Risikomanagement- und Desaster-Recovery-Systemen.