10 Jahre nach seinem Gespräch mit Jürgen Weber in der ersten Ausgabe der Zeitschrift für Controlling und Management (ZFCM) ist Jürgen Weise, Bundesagentur für Arbeit, überzeugt: Ohne Controlling wäre der Erfolg der BA nicht möglich gewesen. Welche Ansätze sich als besonders erfolgreich erwiesen haben und welche Rolle das Controlling in Zukunft in der BA spielen soll, erläutert Weise im Dialog mit Jürgen Weber.
Frank-Jürgen Weise Dr. rer.pol. h.c. Frank-Jürgen Weise, geboren am 8.10.1951 in Radebeul/Dresden, begann seine Laufbahn bei der Bundeswehr, wo er neben der Ausbildung zum Offizier Betriebswirtschaft studierte. Nach Einsätzen als Kompaniechef wechselte er in die Wirtschaft und arbeitete als Controller beim Automobilzulieferer VDO. Anschließend war er Vorsitzender der Geschäftsführung der Braunschweiger Hüttenwerk GmbH, Geschäftsführer einer Beratungsgesellschaft in Frankfurt und Basel und Vorstand der FAG Automobiltechnik AG. Im Jahr 2000 war er Mitgründer und später Vorsitzender des Vorstands der Microlog-Logistics AG, Frankfurt. 2002 wechselte Frank-Jürgen Weise zur Bundesagentur für Arbeit, zunächst als Vorstand für Finanzen, Personal und IT. Seit 2004 ist er Vorsitzender des Vorstands.
Lieber Herr Weise, Sie haben uns vor genau zehn Jahren, im ersten Heft der ZfCM, ein Interview über die Bundesagentur für Arbeit gegeben, deren Leitung Sie gerade übernommen hatten. Zehn Jahre später, im ersten Heft der neuen Controlling & Management Review, können und wollen wir zurückschauen. Beginnen wir mit der damaligen Ausgangslage. Ich darf Sie zitieren: „Die Bundesanstalt für Arbeit verfolgt das Ziel, der beste Marktplatz zu sein für Menschen, die Arbeit suchen, und für Unternehmen, die Arbeit brauchen. Diesen Auftrag erfüllen wir heute aber zum einen nur sehr unzureichend […], zum anderen stellt sich die Finanzierungslage derzeit geradezu dramatisch dar“. Wie würden Sie heute, nach zehn Jahren, die Situation der BA beschreiben?
Die Situation hat sich wesentlich verbessert. Wir sind bei den Bürgern und auch in der Politik weitgehend anerkannt und unsere Leistungsfähigkeit hat sich immens gesteigert. Heute begegnen wir unseren Kunden freundlich und serviceorientiert, wir sind kompetent und bearbeiten die Anliegen schnell. Das bestätigen unsere regelmäßigen Umfragen bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Entscheidend bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind folgende Faktoren: Wie lange dauert es? Was kostet es? Was ist das Ergebnis? Von Jahr zu Jahr konnten wir hier optimieren. Das zeigt sich auch in den Finanzen. Im Jahr 2008, also genau zu Beginn der Finanzkrise, hatten wir 18 Milliarden Euro Rücklage, die wir dann gegen die Krise einsetzen konnten. Gleichzeitig war es möglich, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung mehr als zu halbieren. Auch wenn ich natürlich immer noch eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten sehe, ist meine Gesamtbilanz positiv. Nicht umsonst gelten wir in Europa inzwischen als Vorbild.
Sie haben vor zehn Jahren auch festgestellt, dass es erhebliche Defizite im Controlling gab. In Ihren damaligen Worten: „Es gibt kein Berichtswesen, das übergreifend den Zielen und Strategien der BA gerecht wird, zum einen, weil wir bisher weder Ziele noch Strategien eindeutig definiert haben, zum anderen, weil wir auch kein Führungssystem haben, das Verantwortlichkeit klar definiert“. Und weiter: „Die Ziele zu beschreiben wird wahrscheinlich der schwierigste Prozess sein. Arbeitslosigkeit zu reduzieren ist kein Ziel, sondern eine diffuse Vorstellung“. Auch hier die Frage: Wie weit sind Sie in den vergangenen zehn Jahren gekommen?
Im Controlling haben wir einen Stand erreicht, der keinen Vergleich mit den besten Unternehmen der Wirtschaft scheuen muss. Wir haben die Steuerungsgrößen definiert und können heute für jede einzelne Arbeitsagentur sehen, wo sie steht und wie sie ihren lokalen Markt begreift. Die wesentliche Größe ist für mich dabei die sogenannte Dauer der faktischen Arbeitslosigkeit. Damit bilden sich zwei wichtige Themen ab: Erstens für die betroffenen Menschen, denn wenn Arbeitslosigkeit kurz anhält, verliert sie ihren Schrecken und zweitens für die Finanzen. Je kürzer Arbeitslosigkeit dauert, desto weniger Geld kostet sie den Beitragszahler. Im Controllingprozess haben wir inzwischen eine professionelle Routine. Wir erarbeiten mit den Führungskräften unserer Regionaldirektionen die Zielgrößen und halten das in regelmäßigen Performance-Dialogen nach. Die Regionaldirektionen verfahren genauso mit den Arbeitsagenturen in ihrem Bezirk. Die Zielerreichung an sich erfassen wir weitestgehend automatisiert über unsere IT-Systeme. Viele Daten liefert auch unsere eigene Statistik. Wir haben aber erkannt, dass man auch zu viele einzelne Ziele setzen und abfragen kann. Hier haben wir gegengesteuert.
„Die wesentliche Steuerungsgröße ist die Dauer der faktischen Arbeitslosigkeit“
Wenn Sie Ihre Erfahrungen mit einem solchen Steuerungsprozess reflektieren, welchen Rat können Sie hier anderen öffentlichen Institutionen mitgeben?
Zunächst kann ich einen solchen Steuerungsprozess nur jedem empfehlen, denn nur umfassende Transparenz über handfeste Zahlen ergibt eine gute Argumentationsbasis. Natürlich muss man Anfangswiderstände überwinden und Verständnis für den Prozess schaffen. Das erreicht man nur durch geduldiges Erklären, durch Einbinden der Führungskräfte schon am Anfang. Nur dann, wenn die Vorteile des Steuerungsprozesses jedem klar sind, tragen alle ihn mit. Wir haben unsere Kolleginnen und Kollegen intensiv geschult und tun das auch laufend weiter, und wir beziehen das Thema Steuerung konsequent in die Beurteilung der Führungskräfte mit ein.
Herr Weise, Sie haben den Prozess der Umgestaltung der Bundesagentur als langwierig vorausgesagt. Werden Sie in der Rückschau in dieser Einschätzung bestätigt? Hätte es nicht auch schneller gehen können?
Schneller wohl kaum. Wir haben die ersten zwei, drei Jahre mit Hilfe von externen Beratern und hohem Druck von oben nach unten die Reformen in die Organisation getrieben. Das war für alle Mitarbeitenden eine hohe Belastung, manchmal auch eine Zumutung. Dazu gibt es in einer so großen Behörde auch Gremien, die beteiligt werden müssen, einen Verwaltungsrat, eine Personalvertretung, ein Ministerium. Die kann und darf man nicht übergehen. Vor allem war die Unterstützung durch unseren Verwaltungsrat und unseren Personalrat ausschlaggebend für den Erfolg der Reformen. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft. Das heißt, es war richtig, sich die Zeit zu nehmen, um diese Mitstreiter zu gewinnen.
Sie haben für das Controlling eine wesentliche Rolle im Umgestaltungsprozess prognostiziert. Um Sie wieder zu zitieren: „Wir haben in der Bundesagentur einen grundlegenden, tiefgreifenden und langwierigen Umgestaltungsprozess vor uns. In diesem möchte ich die Controller und das Controlling zu einer Elite in der Organisation machen, die bei allen Entwicklungen vorne mitmarschiert“. Haben sich Ihre Ziele bestätigt? Konnten die Controller diese ambitionierte Mission wirklich umsetzen? Ist das Controlling heute wirklich eine Elite in der Bundesagentur?
Ich würde heute das Wort Elite vermeiden, weil es so klingt, als wären die Controller etwas Besseres in der BA. Aber im Sinne von Exzellenz kann ich sagen: Das hat unser Controlling geschafft. Es ist eine erstklassige Einheit, die keinen Vergleich scheuen muss und die Vorbildcharakter für andere Abteilungen hat, was Professionalität und Beitrag zum Gesamtergebnis angeht.
„70 Prozent der Vorhaben sind gelungen“
Wenn Sie die zehn Jahre Revue passieren lassen: Was waren die größten Fehler, was hat sich nicht so entwickelt, wie Sie das gedacht haben?
Wie viel Platz haben Sie in Ihrer Zeitschrift? Insgesamt gesehen würde ich sagen, 70 Prozent der Vorhaben sind gelungen, bei 20 Prozent mussten wir nachbessern, 10 Prozent sind misslungen. Auf das Controlling bezogen hatten wir etwas zu viel Begeisterung für Zahlen hervorgerufen und ab einem bestimmten Punkt zu viele Daten abgefragt. Das hat bei den Beratern und Vermittlern vor Ort dazu geführt, dass sie teilweise bis zu 80 Einzelziele erfassen mussten, was Frustration auslöste. In anderen Bereichen ist die IT zu nennen, die wir früher und schneller hätten sanieren müssen. Im operativen Geschäft haben wir die Arbeitgeber zu lange stiefmütterlich behandelt. Den heutigen Arbeitgeberservice hätten wir wohl früher einführen sollen.
War die Einführung der neuen Steuerung und des Controllings in Ihren Augen, Herr Weise, alles in allem erfolgreich?
Absolut. Ohne Steuerung und Controlling wüssten wir bis heute nicht, wohin die Gelder fließen, ob sie Wirkung zeigen oder wie unsere eigene Leistungsfähigkeit ist. Der Erfolg der BA, der sich auch in sinkender Arbeitslosigkeit, in kürzerer Dauer von Arbeitslosigkeit und in den soliden Finanzen zeigt, war nur durch Controlling möglich. Und zwar nicht allein im Sinne von Überprüfen der Zielerreichung, sondern auch im Sinne von Verständnis des Marktes, in dem wir uns bewegen.
Blicken wir zum Abschluss des Interviews nicht mehr zurück, sondern nach vorne. Welche Vision haben Sie für die nächsten Jahre sowohl für die BA insgesamt als auch für das Controlling im Speziellen?
Die BA muss sich vor dem Hintergrund der Megatrends — also beispielsweise der demografischen Entwicklung und der Internationalisierung — weiter wandeln und an die Märkte anpassen. Wir müssen neue Kommunikationswege für uns erschließen, besser und individueller beraten, Langzeitarbeitslose intensiver betreuen. Wir müssen vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs Arbeitgeber und deren Bedürfnisse stärker im Auge haben. Die Vision ist eine Organisation, an deren Leistungsstärke kein Zweifel besteht, die schnell hilft und berät, die sich flexibel auf jede wirtschaftliche Entwicklung einstellt, die Bürokratie auf das Nötigste beschränkt, die ihre eigene Verwaltung und Sachbearbeitung hocheffizient und geräuschlos erledigt. Das Controlling muss das Erreichen dieser Vision unterstützen und im Idealfall Werkzeuge entwickeln, die den Umgang mit Steuerung und Controlling weiter vereinfachen und alle Vorgänge für jeden Mitarbeiter jederzeit transparent machen.
Eine letzte Frage habe ich noch an Sie, Herr Weise: Was würden Sie vor Ihrem Erfahrungshintergrund anderen öffentlichen Institutionen raten? Ist für jene ein ähnlicher Weg möglich wie für die Bundesagentur für Arbeit?
Ja, ein ähnlicher Weg ist möglich. Mir ist immer noch unverständlich, wie viele öffentliche Bereiche noch keine wirkungsorientierte Steuerung haben. Sie fahren alle im Nebel. Es gilt die alte Controller-Weisheit: Nur was ich messen kann, kann ich auch steuern. Ich bin daher ein entschiedener Verfechter von Steuerung und Controlling im öffentlichen Bereich, schon im Sinne des Bürgers und Steuerzahlers. Ich will gar nicht ausmalen, wie viel Verschwendung in den Systemen vermieden werden könnte. Ich kann nur empfehlen, sich einmal mit dem Arbeitskreis Steuerung und Controlling zusammenzusetzen. Das sollte jedem die Chancen von professioneller Steuerung und professionellem Controlling erschließen.
Herr Weise, ich bedanke mich sehr für das Gespräch
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Springer Fachmedien Wiesbaden. 10 Jahre später: Erfolg der BA war nur durch Controlling möglich. Control Manag Rev 57, 72–76 (2013). https://doi.org/10.1365/s12176-013-0684-7
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