Dieses Buch hat einen durch und durch normativen politischen Anspruch. „Insurgent Empire“ von der in Cambridge lehrenden Literaturwissenschaftlerin Priyamvada Gopal möchte einen Kontrapunkt zu der in Zeiten des Brexit wieder aufkommenden Empire-Nostalgie setzen. In diesem Sinne entwirft die Autorin ein Narrativ der „reverse tutelage“ (S. 8), mit dem sie die Tradition des inneren antikolonialen Widerstands in Großbritannien zwischen den 1850er und 1950er Jahren nachzeichnet. „Reverse tutelage“ deswegen, weil Gopals zentrale These lautet, dass sich Haltungen, Einstellungen und Schriften von britischen Intellektuellen, Politikern und Aktivisten (sowie weniger Aktivistinnen) zum Thema Empire zunächst durch die Wahrnehmung antikolonialer Aufstände in der Presse, später durch eigene Reisen in die Kolonien und nicht zuletzt durch die metropolitane Begegnung mit Empire-kritischen Aktivisten aus den Kolonien veränderten. Dieser Lernprozess widerlege, so Gopal, Vorstellungen von der universalen Diffusion aufklärerischer Werte wie Freiheit oder Emanzipation von der Metropole in die Kolonien: „Challenging the ‚pretended universality‘ and the pseudo humanism of the colonizer involved enriching and reconstituting universality through multiple strands of experience and engagement, rather than conceding the logic of absolute difference“ (S. 26). Durch die Formulierung eigener Ansprüche in Form von politischem Protest über Zeit und Raum des Empire hinweg beeinflussten Aktivisten aus den Kolonien metropolitane Vorstellungen von oben genannten Werten und Rechten. Es bildete sich eine diskursive Tradition des British dissent in Bezug auf das Empire, welches den inneren Druck auf die imperialen Eliten in London zur Anerkennung antikolonialer Unabhängigkeitsbestrebungen erhöhte.

Mit dieser These widerspricht Gopal nicht nur sogenannten ‚Empire-Nostalgikern‘ wie etwa dem in Harvard lehrenden Historiker Niall Ferguson (ein gemeinsamer Auftritt mit letzterem bei BBC Radio 4 war ihr zufolge der Auslöser für die Arbeit an diesem Buch). Sie positioniert sich gleichzeitig quer zu der lange Zeit dominanten Sichtweise der postkolonialen Studien, die in ihrer affirmativen (Über‑)Betonung der Handlungsmacht der Kolonisierten in der imperialen Situation die Begegnungen, Allianzen, aber auch Konflikte zwischen Kolonisierten und Kolonisierern vernachlässigte und damit indirekt die Geschichte kolonialer Dichotomien fortschrieb. Gopal nutzt dabei die sich selbst verordnete intellektuelle Freiheit, jenseits disziplinarischer Grenzen zu arbeiten, um anhand von insgesamt zehn Fallstudien dem oben genannten gegenseitigen Lernprozess nachzuspüren: „I make no claims to writing a history; indeed, the methodological principles that have guided my research and writing are enthusiastically generalist. The book is structured as an ensemble of accounts, disparate in many ways yet vitally connected in others, gaining in its amateur ‚sense of excitement and discovery‘, I hope, what it might not offer in specialist terms“ (S. 37). So ist auch aus der Sicht eines Historikers zu entschuldigen, dass Gopal bei manchen Begrifflichkeiten ahistorisch verfährt, wenn sie etwa den für sie zentralen Begriff des dissent nicht in seinem britischen Entstehungskontext der Abspaltungsbewegungen von der anglikanischen Staatskirche im 17. und 18. Jahrhundert verortet.

Tatsächlich ist dieser methodische Eklektizismus der Konzeption des Buches zuträglich. Er schlägt sich unter anderem in dem vergleichsweise langen Untersuchungszeitraum der Studie nieder, welcher es ermöglicht, den Einfluss infrastruktureller Veränderungen auf die Kommunikation von Akteuren aus Metropole und Peripherie nachzuvollziehen. Wurde etwa der Aufstand von Sepoy im Jahre 1857 in der damaligen Kronkolonie Indien noch vorranging durch Zeitungslektüre von britischen Empire-Kritikern rezipiert und für ihren eigenen antikolonialen Widerstand umgedeutet – so in ihrer Fruchtbarmachung für die britische Arbeiterbewegung des Chartismus –, konnten im Falle der vom ägyptischen Obristen Ahmad Urabi initiierten anti-britischen Rebellion von 1882 bereits britische Reiseschriftsteller wie William Blunt ihre überwiegend liberal-imperialistischen Ansichten durch eigene Erfahrungen überdenken und ihren Lernprozess anschließend an das britische Publikum vermitteln. Eine Stärke Gopals ist es, dass sie diese dissidentischen Stimmen als Folge der jeweiligen Krisen in den Kolonien immer wieder zu den in Großbritannien dominanten Ansichten von den ‚rückständigen‘ Kolonisierten und ihren angeblich ‚unzivilisierten‘ Widerstandsformen in Beziehung setzt. Das ist deshalb besonders fruchtbar, weil sie durch diese kontinuierliche Spiegelung eine Entwicklung des britischen dissidentischen Denkens in Form einer Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen des scheinbar universalistischen aufklärerischen Gestus des Empire nachweisen kann. Der pro-imperiale Diskurs hingegen bedient sich größtenteils der immer gleichen Argumente der zivilisatorischen Überlegenheit der ‚weißen Rasse‘ gegenüber den Kolonisierten.

Die dominante imperiale Ignoranz, die sich vor allem aus der rassistischen Abwertung kolonisierter Völker speist, ist in Großbritannien selbst dann noch virulent, als in den 1930er Jahren zunehmend nicht-weiße Aktivisten aus den Kolonien im imperialen Mutterland, vornehmlich in London, leben und von dort aus nun selbst das Bewusstsein der Briten für die Gräuel des Empire schärfen möchten. Das International African Service Bureau (IASB) etwa, dem ein eigenes Kapitel gewidmet wurde, publizierte zu diesem Zweck in den 1930er Jahren eine eigene, auch in der weißen britischen Bevölkerung rezipierte Zeitschrift, in der die Praktiken des Empire immer wieder in Beziehung zur faschistischen Herrschaft in großen Teilen Kontinentaleuropas gesetzt wurden. Gopal weist nach, wie diese These vom kolonialen Faschismus kurze Zeit später auch Eingang in die Wochenzeitung „New Leader“ der Independent Labour Party (ILP) um ihr Aushängeschild Fenner Brockway fand. Für Gopal ist die Transformation der ILP im Allgemeinen und Brockway im Besonderen von liberalen zu radikalen Kritikern des Empire ein weiterer Beweis dafür, dass weiße britische Kritiker des Empire in einer ständigen „pedagogical reversal“ (S. 174) von ihren Alliierten aus den Kolonien lernten und ihren eigenen metropolitanen Aktivismus dementsprechend anpassten.

Aus Platzmangel konnten hier nur einige wenige Beispiele angeführt werden. Sie stehen für eine insgesamt gelungene Arbeit Gopals, in der sie die lange Zeit vernachlässigten Schriften britischer Empire-kritischer Dissidenten in Beziehung zu den sie beeinflussenden Schriften und Akteuren aus den damaligen Kolonien setzt. Das ist deshalb innovativ, weil radikale britische Empire-Kritik bisher überwiegend isoliert von den sie beeinflussenden Stimmen aus den Weiten des Empire betrachtet wurden, während die zahlreichen postkolonialen Forschungen zur Handlungsmacht der Subalternen ebenfalls die wechselseitige Vermittlung von Ideen und Ansichten zwischen Metropole und Kolonie eher kursorisch behandelt haben.

Indem Gopal den Aktivismus als Text begreift, bleiben naturgemäß andere Handlungsformen der Empire-Kritik, die eher auf der alltagsgeschichtlichen und praxeologischen Ebene anzusiedeln sind, größtenteils außen vor. Darüber hinaus bedingt ein solcher intertextueller Zugang einen gewissen historischen Determinismus, sodass bei der Lektüre des Buches teilweise der Eindruck entsteht, es habe eine lineare Entwicklung vom ersten antikolonialen Aufstand im Indien der 1850er Jahre bis zum Krieg gegen die Mau-Mau im Kenia der 1950er Jahre gegeben. Hier ist eine stärker geschichtswissenschaftlich angelegte Forschung jenseits des Intertextualismus nötig, um die Grauzonen und Ambivalenzen des antikolonialen Aktivismus stärker hervorzuheben. Diese Kritik soll jedoch die Pionierleistung Gopals nicht schmälern. Sie hat mit „Insurgent Empire“ eine sehr lesenswerte und gut lesbare Studie kolonialismuskritischer Allianzen vorgelegt, die das dominante Narrativ der einseitigen Verbreitung von Freiheitsvorstellungen von der Metropole in die Kolonien für das nachkoloniale Zeitalter mehr als nur herausfordert und die bisher unterschätzte Rolle antikolonialer Dissidenten in der britischen nationalen Debatte würdigt.