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Am ersten Tag meiner Kurse für die NADA-Akupunktur Austria frage ich gerne die TeilnehmerInnen, woher denn die Ohrakupunktur stamme. Am weitaus häufigsten höre ich, dass sie, wie eben die Körperakupunktur auch, aus China stamme; großes Erstaunen, wenn ich Frankreich und den Namen Paul Nogier nenne.

Zur Geschichte – Kauterisation und Punktur am Ohr

Und so sind wir schon beim ersten Thema.

Von chinesischer Seite wird immer mal wieder und gerne auch sehr vage behauptet, dass es schon in der chinesischen Klassik eine Ohrakupunktur gegeben habe. Was können wir dazu sagen? Die Antwort hierauf erfordert die Durchforstung chinesischer Medizingeschichte auf noch den kleinsten Hinweis zur Therapie über das Ohr. Dazu muss man natürlich einen großen Überblick über die Geschichte der Medizin in China haben und vor allem auch klassisches Chinesisch so lesen können, wie es unter uns eben nur einer kann. Was Michael Hammes zu diesem Thema zu sagen hat, fällt unter die Rubrik historische Detektivarbeit. Aber anders als Sherlock wurde Michael Holmes nicht fündig: Vor dem Jahr 1958 gab es keine Ohrakupunktur in China.

Aber wenn nicht aus China, dann woher? Sie finden in diesem Schwerpunkt einen von mir verfassten historischen Rückblick zur Entwicklung der zumindest seit etwa 2000 Jahren in Europa bekannten Kauterisationsmethode hin zur Aurikulotherapie des Paul Nogier – überwiegend auf Basis von Dokumenten von Paul Nogier und Marco Romoli.

Vor dem Jahr 1958 gab es in China keine Ohrakupunktur

Nur nebenbei: Was wäre uns für schulmedizinischer Gegenwind erspart geblieben, hätte sich dieser in Frankreich geprägte Begriff Aurikulotherapie auch bei uns eingebürgert!

Der einfache und sichere Zugang zur Ohrdiagnostik und -therapie

Ein zweiter Hauptaugenmerk im Schwerpunkt dreht sich um den einfachen Zugang zur Aurikulotherapie – nicht nur, aber besonders – für Einsteiger in das Fach. Hier legen 4 Autoren ihre Erfahrung vor; allen voran der Großmeister der diagnostischen Berührung und Intuition Jochen Gleditsch. Hier haben wir die Form des Interviews gewählt. Es folgt Jan Seeber, der Leserschaft der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur (DZA) noch nicht so bekannt, mit einem ausgefeilten Viererschritt, dem er den Namen Balancierte Ohrakupunktur gab. Einen ähnlichen Zugang finden Sie bei Axel Rubach und Thomas Ots, die aber nur von einer 3‑Schritt-Checkliste sprechen, wissend, dass diese Hilfestellung irgendwann so in Fleisch und Blut übergangen sein wird, dass hierfür kein besonderer Name benötigt wird. Last, not least verrät Antonius Pollmann seine Methodik des punktgenauen Arbeitens und verweist auf eine neue Punktlokalisation.

Durch Detektionsverfahren zur sicheren Ohrkarte

Ein dritter Schwerpunkt betrifft die Frage: Gibt es ein bestes und absolut sicheres Detektionsverfahren des richtigen, weil wichtigen Punkts? Wie verhält es sich mit der Drucktastung auf Sensibilität, dem elektrischen Potentiometer, der visuellen Kontrolle des Ohrs (für die ja der viel zu früh verstorbene Marco Romoli berühmt war) und last, not least dem Nogier-Reflex (auch Reflex auriculo-cardiale [RAC] genannt). Um das Verständnis des RAC unter den LeserInnen der DZA hat sich Gerhard Riehl am intensivsten bemüht, so auch in dieser Ausgabe.

Besonders freut es uns, dass wir jemanden für diese Frage gewinnen konnten, der an der Weiterentwicklung des Nogier-Reflexes in den 1960er-Jahren beteiligt war und weitere Methoden vorgelegt hat. Frank Bahr, ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Akademie für Akupunktur und Aurikulomedizin, zeigt die einzelnen Schritte auf und betont in seinem Beitrag die Wichtigkeit einer genauen und international vergleichbaren Ohrkartographie.

Weiterentwicklungen der Ohrsomatotopie

Unterschiedliche Detektionsmethoden führen nicht selten zu unterschiedlichen Ergebnissen. So wurden über die Jahre doch immer wieder neue Punkte und differierende Punktbeschreibungen in der Ohrakupunktur beschrieben, wieder vorgestellt von Gerhard Riehl. „Nun einigt euch doch mal!“ mögen uns einige zurufen. Aber ist es eine Frage des Sich-nicht-einigen-Könnens oder mehr der Erkenntnis, dass wir uns noch immer in der Experimentierphase befinden. Gibt es mehrere Repräsentationsorte (Korrespondenzpunkte) für dasselbe Organ? Überlappen sich Organe bzw. völlig unterschiedliche Funktionen? Gibt es nicht auch noch reichlich weiße Flecken auf der Ohrkarte?

Die große finale Ohrbibel wurde noch nicht geschrieben

Master Tung aus Taiwan legte vor 50 Jahren eine völlig andersgeartete Akupunkturmethodik vor. Einen kleinen Ausschnitt derselben stellt Peter Macek vor, Zahnarzt sowie Akupunkturkonsiliarius einer großen psychiatrischen Klinik. Da ist noch viel zu tun. Die große finale Ohrbibel wurde noch nicht geschrieben, Austausch ist angesagt.

Kombination der Therapie über Körper und Ohr, Fallberichte, Mitteilungen

Abgerundet wird dieser Schwerpunkt mit einer Beschreibung der eigenen Arbeitsweise von Gerhard Riehl sowie 2 Fallberichten von Michaela Bijak, seit Jahren Mitarbeiterin der Akupunkturambulanz der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur in Wien.

Es folgen einige kürzere Mitteilungen von Hans-Jürgen Weise, für den als Zahnarzt die Therapie über das Ohr seit vielen Jahren eine besondere Wichtigkeit hat, u. a. über die Frage des Setzens von Dauernadeln und Magnetpflastern sowie der Therapie über die Ohrrückseite.

Und damit sehen Sie, dass die Einteilung dieser Einleitung in verschiedene Einheiten zwar sinnvoll, aber natürlich auch etwas willkürlich ist, denn in jedem Beitrag scheinen Dinge auf, die unter eine andere Überschrift fallen könnten.

Unsere Hoffnung

Auch dieser Schwerpunkt ist nur ein weiterer Schritt in der Diskussion um die Aurikulotherapie. Es gibt noch viel aufzuzeigen, z. B. das Ausmaß der Forschung. Was ist eigentlich studienmäßig abgesichert, was nur durch Expertenmeinung? Wir werden diese Diskussion in der DZA weiterführen – nicht so schnell wieder als Schwerpunkt, dafür aber häufiger in kleinen Portionen. Darüber hinaus möchten wir Sie, werte Leserinnen und Leser, eindringlich auffordern, sich daran aktiv zu beteiligen und uns Ihre Erfahrungen und Fragen mitzuteilen .