Schmerzen zählen zu den wichtigsten Symptomen in der Palliativmedizin, erklärte Prof. Roman Rolke, Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Aachen. Für etwa zwei Drittel der Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen stellen sie ein Problem dar.

Nozizeptiv oder neuropathisch?

Eine der zentralen Fragen ist, ob ein Schmerz nozizeptiver oder neuropathischer Genese ist. Im ersten Fall geht die Therapie eher in Richtung NSAR oder Opioide, im zweiten Fall in Richtung Antidepressiva/Antikonvulsiva.

Ein nozizeptiver Schmerz geht auf eine Gewebeschädigung zurück, bei der nozizeptive Nervenendigungen aktiviert werden. Durch Freisetzung von Entzündungsmediatoren kommt es zur peripheren und mit der Zeit auch zentralen Sensibilisierung. Diese kann medikamentös nur mühsam herunterreguliert werden. Ein neuropathischer Schmerz beruht auf einer Axonschädigung im somatosensiblen Nervensystem. Er ist gekennzeichnet durch sensible Funktionsausfälle und ektope Aktivierung entlang der nozizeptiven Bahnen, d. h. Impulse entstehen auch in gesunden Nerven und führen zu einer Schmerzprojektion ins Gehirn.

Gemischtes Schmerzsyndrom

Viele Patienten haben ein Mischbild aus beiden Schmerzformen. So kann ein Tumor, der im Gewebe sitzt, einen nozizeptiven Schmerz hervorrufen. Wenn er weiter wächst und Nervenfasern komprimiert, kommt ein neuropathischer Schmerz hinzu.

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© Marcel Mittelsiefen / dpa (Symbolbild mit Fotomodell)

Als Beispiel stellte Rolke eine 57-jährige Patientin mit Mammakarzinom und massiver Knochenmetastasierung vor. Tagsüber hatte sie in Ruhe Schmerzen einer Stärke 3–4 auf der numerischen Rating-Skala (NRS). Bei kleinen Bewegungen des Beckens bekam sie starke Schmerzattacken, die bis zu 30 Minuten andauerten. Die Schmerztherapie bestand aus NSAIDs, 2 × 30 mg Morphin ret. als Basis- und 10 mg schnell wirksames Morphin als Bedarfsmedikation. Für die nozizeptive Komponente dieses Schmerzsyndroms war dies korrekt. Aber es fehlte eine Therapie für die neuropathische Komponente. Diese ergibt sich daraus, dass sich nicht nur im Periost, sondern auch in der Spongiosa des Knochens sehr viele Schmerzfasern befinden. Eine Ergänzung mit Antidepressiva oder Antikonvulsiva erschien deshalb angebracht.

Basis- und Bedarfsmedikation

Die Basismedikation mit einem retardierten Opioid muss immer nach einem festen Zeitschema gegeben werden, bevorzugt oral. Ergänzt wird sie durch eine Bedarfsmedikation mit einem schnell wirksamen Opioid — i. d. R. ein Sechstel der Tagesdosis. Nicht vergessen darf man bei einer Neueinstellung Metoclopramid gegen die Übelkeit und Laxanzien als Obstipationsprophylaxe. Bis zu drei Bedarfsgaben sind ok. Sind es mehr, werden am nächsten Tag alle Bedarfsgaben des Vortages zur Basismedikation hinzuaddiert und die Bedarfsmedikation wird nach oben angepasst, sodass sie wieder ein Sechstel beträgt. „So kommt man relativ schnell an das Ziel einer suffizienten Schmerztherapie“, sagte Rolke.

Opioidwechsel kann sich lohnen

Bleiben starke Schmerzen trotz Dosiserhöhung bestehen oder treten Nebenwirkungen wie Halluzinationen auf, kann man einen Opioidwechsel versuchen. Es könnte sein, dass ein Opioid wegen einer individuell etwas anderen Konfiguration der μ-Rezeptor-Bindungsstelle nicht perfekt passt. Ein anderes Opioid könnte dann wieder in geringerer Dosis wirksam sein, da es keine Kreuztoleranz gibt. Deshalb sollte man bei Berechnung der Äquivalenzdosis die Dosis um 25–50% reduzieren. Geht die Rechnung auf, sprechen die Schmerzen besser an und die Nebenwirkungen verschwinden.

Bei der Auswahl von Opioiden muss man auch an eingeschränkte Organfunktionen denken. Viele Palliativmediziner setzen gerne Hydromorphon ein, weil dieses sowohl bei Nieren- als auch bei Leberinsuffizienz geeignet ist. Das gilt auch für Fentanyl — eine gute Alternative für Patienten, die nicht schlucken können. Morphin, Hydromorphin und Tapentadol zeigen keine relevanten Cytochrom-P450-abhängigen Interaktionen.