Einleitung

Die Osteoporose zählt zu den sog. Volkskrankheiten bzw. chronischen nichtübertragbaren Erkrankungen. Frauen sind aufgrund des menopausebedingten Östrogenabfalls am häufigsten von ihr betroffen. Die Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) zur Prävention, Diagnostik und Therapie wurden 2020 aktualisiert [1].

Definition, Häufigkeiten und Versorgungssituation in der Schweiz

Die Osteoporose ist eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes charakterisiert und mit einer vermehrten Knochenbrüchigkeit assoziiert ist. Man unterscheidet eine primäre (80–90 %; v. a. postmenopausal), sekundäre (10–20 %) und idiopathische (selten) Osteoporose. In der Schweiz erleidet jede zweite Frau nach dem 50. Lebensjahr eine Fragilitätsfraktur [2]. Die primäre und sekundäre Prävention sind auch in der Schweiz ungenügend, da weniger als 10 % der Personen mit Osteoporose eine spezifische Osteoporosetherapie erhalten [3].

Management der Knochengesundheit

In ihrem Update 2020 geht die SVGO zunächst auf die Risikostratifizierung und darauf aufbauend auf die risikoadaptierte Therapie ein.

Risikostratifizierung

Schritt 1: Anamnese und FRAX

Der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte Algorithmus FRAX (WHO Fracture Risk Assessment) schätzt das absolute 10-Jahres-Risiko für Hüftfrakturen und das 10-Jahres-Risiko für weitere schwere Frakturen (Hüfte, Wirbelsäule, Unterarm, proximaler Humerus; www.shef.ac.uk/FRAX [4]). Die Evaluation des 10-Jahres-Frakturrisikos mit FRAX basiert auf dem Alter und den folgenden Risikofaktoren (Tab. 1). Ausserdem soll das Sturzrisiko (z. B. > 1 Sturz pro Jahr, Komorbiditäten wie Morbus Parkinson, Harninkontinenz etc.) berücksichtigt werden [1].

Tab. 1 Klinische Risikofaktoren für Frakturen gemäss FRAX [4, 5]

Ein Vorteil von FRAX ist, dass es bis zum heutigen Zeitpunkt das beste Tool darstellt, welches leicht erfassbare Risikofaktoren berücksichtigt, für beide Geschlechter zulässig ist und weltweit validiert wurde. Die Einschränkungen von FRAX sind z. B., dass es nur bei unbehandelten Patienten angewendet werden kann (Ausnahme: Gabe von Kalzium und Vitamin D) und die Wirbelsäule nicht mitbeurteilt wird („FRAX is spineless“). Erhöhte Knochenabbaurate, Stürze und eingeschränkte Mobilität werden ebenfalls nicht berücksichtigt. Es ist nur ab einem Alter ≥ 45 Jahre anwendbar. FRAX und die Knochendichtemessung per Densitometrie (DXA) wirken nicht alternativ, sondern komplementär, mit dem Ziel der weiteren Erhöhung des prädiktiven Werts der DXA-Messung bezüglich des Frakturrisikos.

Schritt 2: Bildgebung

Wenn basierend auf den klinischen Risikofaktoren (Tab. 1) ein erhöhtes Osteoporoserisiko vorliegt, soll eine Knochendichtemessung (Densitometrie) durchgeführt werden. Die Densitometrie per Dual-X-ray-Absorptiometrie(DXA)-Messung wird an der LWS (Mittelwert der beurteilbaren Wirbel L1–L4), am Gesamtfemur und am Femurhals (Einzelmessung oder Mittelwert aus Femur links und rechts) durchgeführt. Für die Abschätzung des 10-Jahres-Frakturrisikos ist der niedrigste Wert von LWS, Femurhals und Gesamtfemur ausschlaggebend.

Die densitometrische Klassifikation der Osteoporose erfolgt nach WHO (gilt nur für die DXA-Messung der Wirbelsäule oder des proximalen Femurs; Tab. 2). Als Referenzwert gilt der Mittelwert junger Erwachsener (T-Wert). Ein 10%iger Knochendichteverlust entspricht in etwa −1 Standardabweichung beim T‑Wert. Der Z‑Wert vergleicht die gemessene Knochendichte mit der eines gesunden, altersgleichen Kollektivs. Ein normaler Z‑Wert (> −1) zeigt an, dass die Knochendichte alterstypisch ist. Bei der Indikationsstellung einer Therapie spielt er eine untergeordnete Rolle.

Tab. 2 Densitometrische Klassifikation der Osteoporose nach WHO

Wenn möglich, sollte per DXA zusätzlich ein vertebrales Frakturassessment durchgeführt und der trabekuläre Knochenscore („trabecular bone score“) erhoben werden.

Schritt 3: Zuordnung der Frakturrisikogruppe

Es werden neu fünf Frakturrisikogruppen unterschieden (Tab. 3).

Tab. 3 Frakturrisikogruppen [1]

Differenzialdiagnostik

Auch wenn der Östrogenmangel bei Frauen die wahrscheinlichste Ursache der Osteoporose bzw. des erhöhten Frakturrisikos ist, sollten andere Ursachen ausgeschlossen werden. Hauptziel der Laboruntersuchung ist daher der Ausschluss bzw. Nachweis der häufigsten sekundären Osteoporoseursachen und anderer Osteopathien.

Eine Laboruntersuchung ist indiziert bei 1) Frakturen nach Bagatelltraumen und 2) Hinweisen für eine sekundäre Grunderkrankung aus Anamnese und/oder klinischer Untersuchung [6]. Die Laboruntersuchung umfasst folgende Parameter (Tab. 4).

Tab. 4 Laborchemische Differenzialdiagnostik bei Osteoporose bzw. erhöhtem Frakturrisiko

Biochemische Parameter des Knochenmetabolismus im Urin und/oder Blut werden aufgrund mangelnder Standardisierung nicht generell im Rahmen der Routinediagnostik empfohlen.

Bei stattgehabten Frakturen nach Bagatelltraumata sollten selbstverständlich auch andere Ursachen ausgeschlossen werden; das ist Aufgabe der Hausärzte, Orthopäden, Onkologen etc.

Therapie

Nach dem Ausschluss anderer Ursachen der Osteoporose bzw. eines erhöhten Frakturrisikos erfolgt nun die Therapie in Abhängigkeit von der Frakturrisikogruppe (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

BP Bisphosphonat, DXA Dual-X-ray-Absorptiometrie, HRT Hormonersatztherapie, MOF „major osteoporotic fracture“, SERM selektiver Östrogenrezeptormodulator, TPT Teriparatid, ZOL Zoledronat

Für jede Risikogruppe wird die Umsetzung der Basismassnahmen empfohlen (Tab. 5).

Tab. 5 Basismassnahmen zum Erhalt der Knochengesundheit

Für die spezifische Therapie stehen verschiedene Substanzklassen zur Verfügung (Tab. 6).

Tab. 6 Substanzklassen zur spezifischen Osteoporosetherapie

Konkret bedeutet dies für die fünf Frakturrisikogruppen folgendes Vorgehen, wobei die jeweiligen Kontraindikationen der Präparate berücksichtigt werden müssen (Abb. 1):

  • Sehr hohes/imminentes Frakturrisiko bei Zustand nach vertebraler Fraktur: Teriparatid für 18–24 Monate, gefolgt von einer Erhaltungstherapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab

  • Sehr hohes/imminentes Frakturrisiko bei Zustand nach Hüftfraktur: Bisphosphonat Zoledronat (Alternative: Denosumab)

  • Sehr hohes/imminentes Frakturrisiko bei Zustand nach jedweder osteoporotischen Fraktur an Wirbelkörper, Hüfte, Humerus, Radius oder Becken: Romosozumab für ein Jahr (Zurückhaltung bei erhöhtem kardiovaskulärem Erkrankungsrisiko), gefolgt von Bisphosphonaten oder Denosumab

  • Hohes Frakturrisiko: Bisphosphonate oder Denosumab (Alternative: Teriparatid bei Zustand nach vertebraler Fraktur oder T‑Wert < −3,5 SD an der Wirbelsäule)

  • Moderates Risiko: HRT [7], SERM, evtl. orale Bisphosphonate, falls Knochenstoffwechselmarker (CTX, PINP) oberhalb des prämenopausalen Referenzbereichs liegen

  • Niedriges Risiko: evtl. HRT bei klimakterischem Syndrom [7]

Die Verlaufskontrollen der Densitometrie richten sich nach der Frakturrisikogruppe. Mit Ausnahme der niedrigen Risikogruppe (DXA erst nach 5–10 Jahren) sollte eine Verlaufskontrolle jeweils nach 2 Jahren erfolgen.

Fazit für die Praxis

Die Osteoporose (der Frau) wird weltweit, auch in der Schweiz, unzureichend erkannt und behandelt. Und das, obwohl in den letzten Jahren einige neue Präparate auf den Markt gekommen sind, sodass für jede betroffene Frau ein passendes, d. h. mit der medizinischen Vorgeschichte kompatibles Medikament ausgewählt werden kann. Die aktuellen Empfehlungen der SVGO ermöglichen eine Risikostratifizierung mit risikoadaptierter Therapie. Die Therapie der Osteoporose ist interdisziplinär. Die Aufgabe der Frauenärzte/-innen liegt v. a. im Bereich der Prävention (Basismassnahmen), Risikostratifizierung und Therapie der Frauen mit niedrigem bzw. moderatem Frakturrisiko.