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Zeiterlebnis

Zur textuellen Authentifizierung in der deutschen Frontlyrik 1914–1918

Experience of time

The textual authentication in German poetry of the First World War

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Wollten sich avantgardistische Frontdichter im Ersten Weltkrieg von der patriotischen Augustlyrik 1914 abgrenzen, mussten sie ihr Kriegserlebnis ›authentifizieren‹. Sie problematisierten daher das veränderte Empfinden von Zeit im Schützengraben, um sich mittels der Ressource ›Erlebnis‹ auf dem literarischen Feld zu positionieren. Der Beitrag widmet sich einigen innovativen Darstellungsverfahren innerer, sozialer und historischer Zeit in der deutschen Weltkriegslyrik.

Abstract

In order to dissociate themselves from the more traditional patriotic poetry of August 1914, avant-garde trench poets in the First World War had to ›authenticate‹ their war experience. One of the strategies which they employed was to focus on the transformed experience of time in the trenches. The article studies some of the innovative techniques of the depiction of time in German poetry of the First World War, and analyzes the close link between historical, social, and interior time.

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Notes

  1. Werner Beumelburg, Die Gruppe Bosemüller. Der große Roman des Frontsoldaten, Berlin 1930, 79 f.

  2. In der Terminologie folge ich Luckmanns Unterscheidung von ›innerer, sozialer und historischer Zeit‹, vgl. Thomas Luckmann, »Zeit und Identität: Innere, soziale und historische Zeit« [zuerst 1986], in: Ders., Lebenswelt, Identität und Gesellschaft. Schriften zur Wissens- und Protosoziologie, hrsg. Jochen Dreher, Konstanz 2007, 165–192. – Zur Herstellung historischer Distanz zwischen Front und Heimat im Ersten Weltkrieg siehe Burckhard Dücker, »Krieg und Zeiterfahrung. Zur Konstruktion einer neuen Zeit in Selbstaussagen zum Ersten Weltkrieg«, in: Thomas F. Schneider (Hrsg.), Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des »modernen« Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film, Bd. 1: Vor dem Ersten Weltkrieg, Osnabrück 1998, 153–172 (allerdings weitgehend ohne Berücksichtigung literarischer Texte).

  3. Das Korpus habe ich an anderer Stelle systematisch ausgewertet und vorgestellt, siehe Nicolas Detering, »Sammeln und Verbreiten. Kriegslyrik in Anthologien«, in: Ders., Michael Fischer, Aibe-Marlene Gerdes (Hrsg.), Populäre Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg, Münster 2013, 119–153. Dort auch einige Überlegungen zum Wandel anthologisierter Lyrik im Ersten Weltkrieg, allerdings ohne Berücksichtigung der Zeitwahrnehmung.

  4. Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, übers. Bernd Schwibs, Achim Russer, Frankfurt a.M. 1999 [zuerst 1992].

  5. Dazu Thomas Anz, »Vitalismus und Kriegsdichtung«, in: Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.), Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, 235–249, hier: 240–242. – Zur Theorie des ›Kriegserlebnisses‹, auch unter Rückgriff auf Dilthey vgl. zuletzt Bernd Hüppauf, Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Krieges, Bielefeld 2013, 147–161.

  6. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 41975, 56 f.

  7. Vgl. Anz (Anm. 5).

  8. Zur Aufwertung von Authentizität im Ersten Weltkrieg siehe auch Nicolas Beaupré, Écrits de guerre 1914–1918, Préface d’Annette Becker, Paris 2006, 78–91.

  9. Vgl. z. B. die Gedichte »An ein ›Großer Stammtischhauptquartier‹ in Hannover«, in: Julius Bab (Hrsg.), »Soldatenlachen«. Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht 1914, H. 7, Berlin 1915, 20; Max Bernstein, »Vom Stammtisch«, in: Paul Warncke (Hrsg.), Heitere Gedichte und Lieder aus Ernster Zeit, Berlin 1918, 9 f., und Peter Scher, »Am Stammtisch«, in: ebd., 35 f.

  10. Vgl. zu den anthologischen Authentifizierungsstrategien auch Detering (Anm. 3), 143–145.

  11. Bruno Frank, »Der neue Ruhm«, in: Conrad Höfer (Hrsg.), Sieg oder Tod. Neue Kriegsgedichte, Jena 1915, 63 f.

  12. F. M., »Morgenrot!«, in: Bogdan Krieger (Hrsg.), Feldgraue Dichter. Kriegsdichtungen unserer Soldaten, Berlin 1916, 58 f.

  13. Zitiert nach Julius Bab (Hrsg.), »Zwischen den Schlachten«. Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht 1914, H. 2, Berlin 1914, 29.

  14. Der tapfere Seehas. Soldatengedichte dreier Kriegsjahre des 6. Badischen Infanterie-Regiments Kaiser Friedrich III. Nr. 114, Zum 50jährigen Bestehen des Regiments hrsg. vom Regiment, Konstanz 1917, 4. – Hervorhebung durch N. D.

  15. Paul Zech, »Es kam ein dicker Mann daher«, in: Ders., Die Häuser haben Augen aufgetan. Ausgewählte Gedichte, Berlin und Weimar 1976 [aus der Sammlung Vor Cressy an der Marne, zuerst 1916; Privatdruck 1918], 60.

  16. Zu poetischen Darstellungen von Hören und Sehen siehe Alexander Honold, Einsatz der Dichtung. Literatur im Zeichen des Ersten Weltkriegs, Berlin 2015, 416–433.

  17. Zur Kriegsdichtung des 19. Jahrhunderts allgemein siehe Hasko Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlands. Religion und Patriotismus in der deutschen Kriegslyrik des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1971.

  18. Friedrich Hussong, »Die Geschichte von Lüttich«, in: Gustav Manz (Hrsg.), Das Volk in Eisen. Kriegsgedichte der Täglichen Rundschau, Berlin 1914, 125. Das Gedicht erschien zuerst in der Täglichen Rundschau und wurde noch in mind. 14 (!) weiteren Gedichtanthologien der ersten beiden Kriegsjahre abgedruckt.

  19. Otto Rudorff, »Vor Lüttich«, in: Krieger (Hrsg.) (Anm. 12), 16 f.

  20. »Und es wallet und siedet und brauset und zischt«, heißt es dort in V. 31 und 67 über den Meeresschlund, in den der Knappe springt, um des Königs Goldbecher zu ertauchen. Vgl. Friedrich Schiller, »Der Taucher«, in: Ders., Sämtliche Werke, Bd. 1: Gedichte. Dramen, hrsg. Albert Meier, München 2004, 368–373.

  21. Zum Motiv des ›Sturmangriffs‹ in der englischen und deutschen Weltkriegslyrik vgl. Martin Löschnigg, Der Erste Weltkrieg in deutscher und englischer Dichtung, Heidelberg 1994, 45 f.

  22. Karl von Eisenstein, »Nächtlicher Überfall«, in: Ders., Lieder im Kampf. Gedichte, Novellen, Skizzen, Berlin und München 1916, 18. Das Gedicht stammt allerdings schon aus dem zweiten Kriegsjahr, wurde jedenfalls bereits 1915 in einer Anthologie abgedruckt, nämlich Julius Bab (Hrsg.), »Die lange Schlacht«. Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht 1914, H. 5, Berlin 1915, 29 f.

  23. Eisenstein (Anm. 22).

  24. Alfred Richard Meyer, »An die zurückgebliebenen Freunde«, in: Ders., Helden. Ein lyrisches Flugblatt aus den August- und September-Tagen 1914, Berlin 1914, 4.

  25. Alfred Richard Meyer, »Sprengung bei Ypern«, in: Krieg in Flandern. Gedichte von Soldaten der 4. Armee, Stuttgart und Berlin 1917, 55.

  26. Zu diesem Problem bei August Stramm und Wilhelm Klemm vgl. Georg Philipp Rehage, »Wo sind Worte für das Erleben«. Die lyrische Darstellung des Ersten Weltkrieges in der französischen und deutschen Avantgarde (G. Apollinaire, J. Cocteau, A. Stramm, W. Klemm), Heidelberg 2003, 181 f. und 225–227.

  27. Franz Theodor Csokor, »Dienst«, in: Julius Bab (Hrsg.), »Durchs zweite Jahr«. Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht 1914, H. 8, Berlin 1916, 22.

  28. Ernst Jünger, Der Kampf als inneres Erlebnis [1922], in: Ders., Sämtliche Werke. Zweite Abteilung, Bd. 7: Essays I. Betrachtungen zur Zeit, Stuttgart 1980, 9–103, hier: 35.

  29. Henri du Fais, »Die Turmuhr«, in: Krieg in Flandern (Anm. 25), 53.

  30. Ebd.

  31. Alfred Richard Meyer, »Die Uhr von Becelaere«, in: Ders., Vor Ypern, Darmstadt 1916.

  32. Karl von Eisenstein, »Das sind die schlimmsten deiner Tage nicht«, in: Ders., Lieder im Kampf (Anm. 22), 17; auch in: Julius Bab (Hrsg.), »Immer noch«. Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht 1914, H. 10, Berlin 1918, 14.

  33. Ernst Stadler, »Der Aufbruch«, in: Ders., Der Aufbruch, Leipzig 1914, 31. – Rudolf Leonhard, »Sieg«, in: Ders., Über den Schlachten, Berlin [um 1918], 16. – Wilhelm Klemm, »Schlacht an der Marne (24. Okt. 1914)«, in: Ders., Ich lag in fremder Stube. Gesammelte Gedichte, hrsg. und mit einem Nachwort von Hanns-Josef Ortheil, München 1981, 15 [zuerst in der Aktion]. – Wilhelm Klemm, »Winterquartier«, in: ebd., 32 [zuerst in Gloria! (1915)].

  34. Richard Dehmel, »Lied an alle«, in: Karl Quenzel (Hrsg.), Des Vaterlandes Hochgesang. Eine Auslese deutscher und österreichischer Kriegs- und Siegeslieder, Leipzig 1914, 24. »Das Lied an alle« darf als erfolgreichstes Gedicht der Augusttage gelten und findet sich allein im Ersten Weltkrieg in über 30 verschiedenen Gedichtanthologien. – Wilhelm Klemm, »An der Front«, in: Franz Pfemfert (Hrsg.), Die AKTIONS-Lyrik, 1914–1916. Eine Anthologie, Berlin-Wilmersdorf 1916, 64.

  35. Julius Maria Becker, »Urlaub«, in: Julius Bab (Hrsg.), »Nach tausend Tagen«. Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht 1914, H. 11, Berlin 1918, 46.

  36. Paul Zech, »Unsere Nächte haben keine Schreie mehr«, in: Ders., Die Häuser haben Augen aufgetan (Anm. 15), 42. Das Gedicht erschien zuerst in Zechs Kriegslyriksammlung Golgatha (Hamburg 1920, 103), die er laut Vorwort bereits 1917/18 verschiedenen Verlagen zur Publikation anbot. Die Golgatha-Gedichte sind chronologisch geordnet, das Sonett steht zwischen den um 1916 und 1917 entstandenen Texten.

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Detering, N. Zeiterlebnis. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 90, 435–450 (2016). https://doi.org/10.1007/s41245-016-0020-0

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