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Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union – ein Vorschlag für ein besseres Verfahren

Taking the rule of law seriously—how the EU could foster its own values

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Zusammenfassung

Die Rechtsstaatlichkeit als ein fundamentaler Wert der Europäischen Union (EU) ist in einigen Mitgliedstaaten unter Druck geraten. Die Antwort der EU auf diese Herausforderung ist kritisiert worden als langsam, zögerlich und von taktischen Politiküberlegungen geprägt. In diesem Beitrag entwickle ich einen Reformvorschlag, mit dem das derzeitige Verfahren verbessert werden könnte.

Abstract

The rule of law as a fundamental value of the European Union (EU) has come under stress in a number of member states. The response by the EU has been criticized as politicized, slow, and uncertain. This brief contribution develops a proposal how the current procedure could be improved.

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Abb. 1

Notes

  1. Diese Position wird von der Kommission geteilt und ist von ihr explizit entwickelt worden in ihren Überlegungen zur Rechtsstaatlichkeit (IP/14/237).

  2. In einem ähnlichen Fall, in dem es um die vorzeitige Pensionierung von Richtern in Polen ging, hat das Gericht jüngst entschieden, dass das zugrundeliegende polnische Recht sowohl gegen die Prinzipien der Unabsetzbarkeit und der Unabhängigkeit von Richtern verstößt (C619/18). Einige der zwangspensionierten Richter kehrten tatsächlich auf ihre Stellen zurück, allerdings ist mir keine offizielle Zahl bekannt.

  3. Der Sargentini-Bericht fordert den Rat auf, ein Verfahren nach Art. 7(1) des EUV auszulösen.

  4. Es ist argumentiert worden, dass die Eröffnung eines Art. 7(1) Verfahrens gegen Polen im Dezember 2017 – also deutlich vor Ungarn, obwohl die ungarische Regierung bereits weit länger im Amt ist – auch damit begründet werden kann, dass die von der regierenden Partei PiS entsandten Abgeordneten nicht der EVP-Fraktion angehören, sondern der Fraktion der Konservativen. Deren Relevanz ist im Parlament jedoch ungleich geringer, so dass man auf die polnischen Europaparlamentarier weit weniger Rücksicht nehmen musste.

  5. In einer früheren Studie (Gutmann und Voigt 2019a) haben wir gezeigt, dass Verminderungen der Medienfreiheit sowie der Freiheit zivilgesellschaftlicher Organisationen, sich zu entfalten, regelmäßig Vorboten eines reduzierten Respekts der Regierungen für verfassungsmäßige Beschränkungen sind.

  6. Ob die jeweilige Regierung die Schwächung der Rechtsstaatlichkeit absichtlich oder unabsichtlich herbeigeführt hat, ist irrelevant, wenn man an der Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit interessiert ist.

    Es könnte eingewandt werden, dass es mit der sogenannten Venedig-Kommission des Europarats, die seit 1990 aktiv ist, bereits ein solches Expertengremium gebe. Obwohl die Kommission eine hohe Reputation genießt, hat ein auf die EU begrenztes Komitee verschiedene Vorteile. Inzwischen ist die Venedig-Kommission sehr groß geworden: zu ihren derzeit 62 Mitgliedern zählen auch Israel, Mexiko und die Vereinigten Staaten. Ihre Mühlen mahlen deshalb eher langsam. Da es auch keine formalisierte Beziehung zur EU gibt, kann über den Umgang mit den Empfehlungen der Kommission auch mehr oder weniger freihändig entschieden werden. Um die Rechtsstaatlichkeit vor potentiellen Autokraten zu schützen, ist jedoch ein schnelles Verfahren erforderlich.

  7. Die Bewertung der Frage, ob eine Regierung angemessen reagiert hat oder nicht, sollte – der grundlegenden Idee dieses Vorschlags entsprechend – nicht von Politikern vorgenommen werden, die sich gegenüber ihren Wählern in den Mitgliedstaaten verantworten müssen. Das Expertenkomitee selbst sollte diese Bewertung auch nicht vornehmen. Eine Option könnte darin bestehen, eine kleine Gruppe von „Weisen“ zu schaffen, die zum Beispiel aus pensionierten EuGH-Richtern oder Generalanwälten rekrutiert werden könnte. Nur zur Erinnerung: Mit Verfahren nach Artikel 7(1) wird festgestellt, ob die „Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der in Artikel 2 genannten Werte vorliegt.

  8. Der anonyme Gutachter vermutet, dass diese Überlegung zu optimistisch ist, schließlich beriefen sich Populisten ja gern auf den durch Wahlen dokumentierten Volkswillen. Das kann ich natürlich nicht ausschließen. Andererseits haben Experten, die nach allgemein bekannten Kriterien in transparenter Art und Weise zu Empfehlungen gelangen, in den meisten Ländern noch immer einen sehr guten Ruf. Meine Hoffnung besteht dann darin, dass ein solches Komitee die inländischen Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit unterstützen könnte.

  9. Als letzter Ausweg sollte die Möglichkeit, Mitgliedstaaten aus der EU auszuschließen zumindest diskutiert werden. Im Moment wird im Vertrag nur der Austritt aus der Union geregelt, aber nicht der Ausschluss. Man stelle sich vor, dass ein Militärputsch in einem Mitgliedstaat erfolgreich ist und das Militär dort fest im Sattel sitzt. In einer solchen Situation könnte der Ausschluss eine Notwendigkeit sein.

  10. In der Literatur, in der die Gründe analysiert werden, warum Politiker Kompetenzen an nicht gewählte Organisationen delegieren, wird dies als „responsibility shifting“ bezeichnet (Voigt und Salzberger 2002 enthält einen Überblick über diese Literatur).

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Danksagung

Der Autor dankt einem anonymen Gutachter dieser Zeitschrift für Kritik und konstruktive Anregungen.

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Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser auf Einladung des wirtschaftspolitischen Ausschusses des Vereins für Socialpolitik im Februar 2019 in Budapest gehalten hat.

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Voigt, S. Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union – ein Vorschlag für ein besseres Verfahren. List Forum 45, 213–223 (2019). https://doi.org/10.1007/s41025-019-00179-8

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