Rezensionen zu

Ewelina Mania (2018). Weiterbildungsbeteiligung sogenannter „bildungsferner Gruppen“ in sozialraumorientierter Forschungsperspektive. Bielefeld: wbv (Reihe „Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung“). 216 Seiten, 34,90 €, ISBN: 978-3-7639-1203-2

Claudia Kulmus (2018). Altern und Lernen. Arbeit, Leib und Endlichkeit als Bedingungen des Lernens im Alter. Bielefeld: wbv. 254 Seiten, 47,90 €, ISBN: 978-3-7639-5825-2

Natalie Pape (2018). Literalität als milieuspezifische Praxis. Eine qualitative Untersuchung aus einer Habitus- und Milieuperspektive zu Teilnehmenden an Alphabetisierungskursen. Münster: Waxmann. 214 Seiten, 29,90 €, ISBN: 978-3-8309-3768-5

Wolfgang Seitter, Marianne Friese, Pia Robinson (Hrsg.) (2018). Wissenschaftliche Weiterbildung zwischen Implementierung und Optimierung. Wiesbaden: Springer VS. 388 Seiten, 49,99 €, ISBN: 978-3-658-19651-6

1 Ekkehard Nuissl: Ewelina Mania (2018). Weiterbildungsbeteiligung sogenannter „bildungsferner Gruppen“ in sozialraumorientierter Forschungsperspektive. Bielefeld: wbv

Was für ein abschreckender Titel! Man traut sich ja kaum, das Werk in die Hand zu nehmen. Geht es darum, inwiefern Angehörige bildungsferner Gruppen an Weiterbildung teilnehmen? Und warum oder warum nicht sie dies tun? Oder geht es um eine „sozialraumorientierte Forschungsperspektive“, die möglicherweise für eine kleine Gruppe von Experten und Expertinnen von Bedeutung ist? Warum tut man einem so guten Buch einen solchen Titel an?

Andererseits: Die Genauigkeit des Titels ist zugleich Programm des ganzen Werkes. Denn genau darum geht es auch. Und genau das wird dargelegt. Ein Buch, in dem drin ist, was vorne draufsteht. Das ist leider auch nicht immer selbstverständlich.

Fangen wir mit dem Forschungsinteresse und dem dahinterliegenden gesellschaftlichen Problem an. Wir haben heute, das ist ein Fortschritt gegenüber früheren Jahren und ein Vorsprung gegenüber anderen Regionen, eine Weiterbildungsbeteiligung von ca. 50 % in Deutschland, die Hälfte der Bevölkerung nimmt an Weiterbildung teil. Das bedeutet aber auch: Die Hälfte der Bevölkerung nimmt nicht an Weiterbildung teil. Seit vielen Dekaden ist dieser Sachverhalt, basierend auf Analysen der Teilnehmenden, verbunden mit dem Begriff der „Bildungsferne“, der auch immer wieder mit anderen Begriffen kombiniert wird. Vor vierzig Jahren haben wir – aus den gleichen Gründen wie heute – den Stand der Forschung zu „Sozialen Defiziten in der Weiterbildung“ analysiert (Holzapfel/Nuissl/Sutter 1976), der Begriff „Defizit“ wurde bald durch den der „Benachteiligung“ ersetzt – Mania zeichnet dies übersichtlich nach (S. 29 ff.). Immer ging es um das Ziel, diese Gruppen und Individuen zur Weiterbildung zu motivieren. Mania formuliert dies als die „Normativität der pädagogischen Perspektive“ (S. 37) und entwickelt von da aus einen Ansatz, der weniger die Weiterbildung als vielmehr die Relevanz und Präsenz von (Weiter‑)Bildung in der Lebenswelt der Menschen aufzuspüren versucht, eben in deren Sozialräumen.

Ein guter Ansatz. Denn Bildung und Weiterbildung sind nur ein Aspekt im Leben der Menschen, das wird von den Professionellen in der Weiterbildung (weniger in der Schule) oft unterschätzt. Der Ansatz von Mania steht nicht im luftleeren Raum (hier: „Arbeitsraum“). Ihre Arbeit ist Teilstudie eines Projektes, das unter dem Titel „Lernen im Quartier – Bedeutung des Sozialraums für die Weiterbildung“ (LIQ) von 2010 bis 2013 im Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) in Bonn durchgeführt wurde. Ein empirisches Projekt war dies, in dem Mania die Analyse eines Berliner Bezirks innehatte, eines Sozialraumes, der viel Kiez-Charakter hat, mit vielen Arbeitslosen, Arbeitssuchenden und Migranten, „Bildungsfernen“ eben. Sie suchte die Menschen genau dort auf, in deren Umfeld, und interviewte sie. 49 Personen waren es am Ende, mit denen sie Gespräche führte oder führen konnte, über deren Leben und die Rolle, die Bildung und Weiterbildung dabei spielt. Sie waren im Durchschnitt 45 Jahre alt, zur Hälfte männlich und weiblich, nur 12 waren erwerbstätig, die meisten hatten einen Hauptschulabschluss, 18 waren ohne Berufsausbildung, 27 hatten eine Lehre absolviert, vier einen akademischen Abschluss. Mehrheitlich also, was wir aus früheren Untersuchungen wissen, Angehörige der Gruppe „Bildungsferne“.

Sie fand ihre Gesprächspartner nicht in Bildungseinrichtungen, sondern vor Ort, in nachbarschaftlichen Kontexten, Betrieben, am Rande der Grundschule oder des Horts, im Bürgertreff, Zeitungsladen, Bistro oder der Suppenküche im Kloster. Über die Umstände, in denen sie mit den Interviewten ins Gespräch kam, schreibt Mania wenig, leider zu wenig. Schließt man die Augen und macht sich ein Bild davon, wird man schnell feststellen, wie fern die Bildung von vielen Menschen ist, nicht diese von ihnen. Mania hat die Gespräche intensiv geführt, anhand der nur sehr knappen Interviewauszüge (sie hat die Rede belassen, auch gebrochenes Deutsch) im Buch kommt nur wenig von der Faszination rüber, die ein solches Eintauchen in die soziale Realität der „Bildungsfernen“ hat.

Natürlich hat die Autorin für ihre Untersuchung ein solides methodisches Fundament gelegt – es sollte ja eine Dissertation werden. Sie formulierte die bestehenden Forschungsdesiderate, einen theoretischen Rahmen (die Sozialraumorientierung, SONI: Sozialstruktur, Organisation, Netzwerk, Individuum, S. 43 ff.) und ein empirisches Design, Interviewleitfaden eingeschlossen. Saubere Arbeit, tadellos! Auch ihre Auswertungsschritte, Codieren eingeschlossen (differenziert nach axial und selektiv), sind präzise erläutert und gut begründet. Und, das ist wichtig in einem Buch, das ja einen breiteren Personenkreis und nicht nur die promovierende Kommission im Auge hat, nicht weitschweifig und hypertroph.

Was die Ergebnisse angeht, verfährt die Autorin sehr systematisch. Sie hat die vier Gruppen des SONI-Modells nach Kategorien ausdifferenziert (etwa Vorbildung, Ansprache, Zugehörigkeitsgefühl) und geht diese nun systematisch – jeweils mit Verweis auf kontextuale andere Aspekte – erläuternd und Interviewzitate nutzend durch. Sie sucht nach den „Regulativen“, die beeinflussen, ob jemand an Weiterbildung teilnimmt oder nicht. Es sind teilweise überraschende Einsichten, die das generiert. Weniger, dass Weiterbildung als Begriff mit Beschäftigung assoziiert und daher wenig attraktiv wird, oder dass informationsmäßig eine weitgehende Intransparenz herrscht (trotz der ausliegenden vhs-Programme), eher die durchscheinende Irrelevanz von Weiterbildung unter bestimmten Aspekten. Zum Beispiel die nüchterne Feststellung: „Weiterbildung wird demnach von den Befragten mit sinnlosen Zwangsmaßnahmen und verpassten Bildungschancen in der Vergangenheit assoziiert, wodurch eine Teilnahme an Weiterbildungsangeboten zum Interviewzeitpunkt nicht mehr in Frage kommt“ (S. 110). Es wäre zu wünschen, dass solche Erkenntnisse auch der Arbeitsagentur zur Kenntnis kommen. Oder die Erkenntnis, dass ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl nicht nur von den Migranten, sondern – in diesem Sozialraum – auch von den eingeborenen Deutschen signalisiert wird.

Die Studie stellt eine sehr gut durchstrukturierte Fundgrube von Einsichten zur Weiterbildungsteilnahme dar, die in dieser Stringenz bislang nicht vorlag. Es spricht für die Autorin und das Buch, dass diese Einsichten nicht nur geliefert, sondern auch kritisch reflektiert werden. Unter der Überschrift „Impulse für die Forschung“ (S. 181) formuliert sie einige dieser kritischen Gedanken. Sie schränkt die Ergebnisse ein, weil sie „hypothesengenerierend“ erzeugt worden seien (bei der gegebenen empirischen Basis eine richtige Anmerkung) und formuliert, auch mit Blick auf Forschungsfrage („Welchen Beitrag leistet eine sozialraumorientierte Forschungsperspektive in Bezug auf den bisherigen erwachsenenbildnerischen Forschungsstand zu Regulativen der (Nicht‑)Teilnahme an organisierter Weiterbildung sogenannter ‚bildungsferner‘ Gruppen?“ – zugegeben: ziemlich verdreht formuliert…) und Ansatz: „Die Sozialraumperspektive ist sehr umfassend, was gleichzeitig eine Stärke und eine Schwäche unterstellt, da alle Regulative der Weiterbildung mit Fokus auf den Sozialraum betrachtet werden. Dadurch könnten andere Regulative aus dem Blickfeld geraten“. Oh, wäre doch eine solche Reflexion so manchen anderen erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Arbeiten gegeben!

Die Schlussfolgerungen für die weitere wissenschaftliche Arbeit sind präzise formuliert und schließen den Bogen zum Beginn der Arbeit. Und die Empfehlungen für die Praxis der Weiterbildung sind sehr hilfreich, was Angebote, Informationen, Beratung und Einbettung in soziale Räume angeht. Auch hier, vermutlich ein auch persönliches Forschungsergebnis der Autorin, steht eine weise Einsicht, dass nicht vergessen werden dürfe, dass „die Teilnahme an institutionalisierter Weiterbildung nicht in jedem Kontext und nicht für jede Person in allen Lebensphasen und -lagen passend und vernünftig ist“ (S. 191). Ein Resümee, das gerade in Zeiten des moralischen Drucks eines lebenslangen Lernens nicht oft genug – hier auch empirisch unterlegt – wiederholt werden kann.

Ewelina Mania hat eine ausgezeichnete Arbeit vorgelegt, nicht nur als Dissertation, sondern auch als wissenschaftlicher Beitrag zum Weiterbildungsdiskurs. Auch wenn das Buch sehr flüssig geschrieben ist, wird es vielleicht – und dann leider – keinen allzu großen Leserkreis haben. Sachverhalte so präzise, strukturiert und reflektiert zu bekommen, entspricht nicht unbedingt dem heutigen Leseverhalten einem breiten Kreis von Rezipienten. Das schmälert aber nicht den Wert dieser wissenschaftlichen Arbeit, und wenn ich der Fachwelt einen Rat geben darf: Studieren Sie das Buch aufmerksam! Es enthält viele Stellen, an denen man als Wissenschaftler der Weiterbildung nachdenklich wird und weiterarbeiten möchte.

2 Claudia Stöckl: Claudia Kulmus (2018). Altern und Lernen. Arbeit, Leib und Endlichkeit als Bedingungen des Lernens im Alter. Bielefeld: wbv

In Altern und Lernen. Arbeit, Leib und Endlichkeit als Bedingungen des Lernens im Alter (zugl. Diss. an der Humboldt-Universität zu Berlin) untersucht Claudia Kulmus, „inwiefern der Umgang mit Altern als ‚Lernen‘ verstanden und wie die Teilnahme an Bildungsangeboten dabei eingeordnet werden kann“ (S. 11). Darüber hinaus verfolgt sie die Frage, mit „welchen Grundannahmen es überhaupt gerechtfertigt sein könnte, von einem ‚altersspezifischen‘ Lernen auszugehen“ (ebd.). Damit verbindet sie gekonnt Forschungen zur Teilnahme an Bildungsangeboten mit geragogischen/didaktischen Forschungen sowie Forschungen zu Bildungsinteressen, und fragt überhaupt nach dem Verhältnis von Erwachsenenlernen und Lernen im Alter. Auf diesem Weg untersucht sie implizit auch das vieldiskutierte und keineswegs eindeutige Verhältnis von Erwachsenenbildung/Weiterbildung und Bildung im Alter.

Dabei orientiert Claudia Kulmus sich an den Dimensionen Arbeit, Leib und Endlichkeit, welche sowohl theoretisch und anthropologisch begründet mit der Lebensphase Alter in Verbindung stehen, aber auch empirisch in den Alternserfahrungen älterer Menschen zum Ausdruck kommen, welche in Gruppendiskussionen an dem Forschungsprojekt beteiligt waren.

Zwar ist dieser Zugang im Kontext wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Rationalitäten selten geworden, doch sowohl Planung und Praxis als auch die Analyse von Bildungsarbeit mit älteren Menschen profitieren von phänomenologischen und anthropologischen Grundlagenfragen und komplementären Perspektiven dieser Art. Gerade deshalb bietet die Studie lesenswerte Einsichten in die Zusammenhänge von „Alternserfahrungen, Umgangsweisen mit Altern und Lernen“ (S. 219; Hervorh. CS). Claudia Kulmus leistet dabei permanent Übersetzungsarbeit zwischen den philosophischen und anthropologischen Konzepten einerseits und den Äußerungen der älteren Menschen selbst, wie sie auch durchgehend Brücken zu bildungs- und lerntheoretischen Auseinandersetzungen schlägt.

Die Fragestellungen sind gesellschaftlich und wissenschaftlich höchst aktuell, gelten Lernen und Bildung im Alter doch weithin als Lösungen für sehr unterschiedliche Herausforderungen, die mit dem demographischen Wandel individuell, institutionell, sozial und gesellschaftlich verbunden sind. Auf die Komplexität des Untersuchungsfeldes antwortet Claudia Kulmus mit einer mehrperspektivischen theoretischen und empirischen Herangehensweise und Auseinandersetzung, welche differenziert sowohl Grenzen als auch Möglichkeiten des lernenden Umgangs mit dem Altern und „Identität und Anerkennung als Perspektiven für Lernen im Alter“ (211 f.) aufzeigen.

Altern und Lernen richtet sich an ein breites Zielpublikum (aus Wissenschaft, Praxis, Entscheidungspositionen in Bildungsinstitutionen, Politik oder Wirtschaft). Den diversen Ansprüchen der Adressatenkreise wird Claudia Kulmus durch die schlüssige und übersichtliche Gliederung in insgesamt neun Kapiteln gerecht. Alle Themen werden auf „Erträge für die vorliegende Arbeit“ hin untersucht, eingeschätzt und zusammengefasst. Dies ermöglicht selbständiges Navigieren im komplexen Themenfeld der Untersuchung und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen bei der Lektüre, ohne je den Gesamtzusammenhang aus den Augen zu verlieren. Die detaillierten und differenzierten Darstellungen der Gruppendiskussionen zeigen nicht nur, wie die Autorin im Detail methodisch vorgegangen ist, sondern bieten darüber hinaus informative Einblicke in die Lebenswelten, Denkweisen und Selbstverständnisse der beteiligten älteren Personen und zeigen exemplarisch, wie Äußerungen älterer Teilnehmerinnen und Teilnehmer verstanden werden können oder wie ältere Menschen soziale und individuelle Alternserfahrungen äußern. Sie können als Fallbeispiele in vielfältigen Kontexten in der Aus‑, Fort- und Weiterbildung Anwendung finden und auch in anderen Feldern ein Verständnis für die „Zielgruppe“ älterer Menschen vermitteln. Nicht zuletzt nutzt Claudia Kulmus graphische Darstellungen, um die vielperspektivischen Ergebnisse übersichtlich und dicht zugänglich zu machen.

An vielen Stellen geht die Autorin über bestehende Rahmen und Zuordnungen hinaus und verbindet unterschiedliche Konzepte und Perspektiven. Damit weitet sie den Blick für die komplexen Begründungen und Funktionen von Bildung im Kontext des Alterns. Sie bietet sachlich fundiert und empirisch rückgebunden „Ideen, wie man von einer reinen Programmatik ‚positiver Altersbilder‘ zu veränderten Anerkennungsstrukturen gelangen … könnte“ (S. 228) und ruft in Erinnerung, dass Bildungsangebote (in einem weiten Sinn) auch unbeabsichtigt emanzipatorische Nebenwirkungen entfalten können, wie sie umgekehrt nicht notwendigerweise eine Antwort auf „Identitäts- und Anerkennungsgefährdungen“ im Alter sein müssen.

3 Ewelina Mania: Natalie Pape (2018). Literalität als milieuspezifische Praxis. Eine qualitative Untersuchung aus einer Habitus- und Milieuperspektive zu Teilnehmenden an Alphabetisierungskursen. Münster: Waxmann

Alphabetisierung und Grundbildung bekommen vor dem Hintergrund der Ergebnisse der LEO-Studie 2018 wieder neue Aufmerksamkeit. Stärker als in der ersten leo. – Level-One Studie aus dem Jahre 2010 werden nun Fragen der Teilhabe, Alltagspraktiken und Kompetenzen in ausgewählten Bereichen in den Blick genommen. Analysiert werden unter anderem digitale, finanzbezogene, gesundheitsbezogene sowie politische Praktiken und Grundkompetenzen.

Der Fokus auf Literalität und laterale Praktiken von Erwachsenen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten zeichnet die Dissertation von Natalie Pabst aus. Dabei wird Literalität erstmals mit dem Konzept der „sozialen Milieus“ untersucht, das auf Bourdieus Theorie von Habitus und Feld aufbaut. Damit soll ein Beitrag zu der Frage geleistet werden, wie der individuelle Umgang mit Schriftsprache mit sozialen Logiken bzw. strukturellen gesellschaftlichen Bedingungen verknüpft ist. Forschungsleitend sind folgende Fragen: „Aus welchen sozialen Milieus kommen Teilnehmende an Alphabetisierungskursen? Über welche habitus- und milieuspezifische Zugänge zu Schriftsprache verfügen sie? Wie ist die Teilnahme an einem Alphabetisierungskurs in die milieuspezifische Alltagspraxis eingebettet?“ (S. 17).

Die Arbeit ist übersichtlich aufgebaut und beginnt nach den einleitenden Worten mit der Zusammenfassung des Forschungsstands. Relevante Begriffe und Studien werden überblickshaft präsentiert und im Hinblick auf die Forschungsfragen der Dissertation nachvollziehbar beleuchtet. Im Kapitel 3 wird das theoretische Fundament der Arbeit dargestellt. Die Autorin verbindet dabei sehr überzeugend und fruchtbar das Habitus-Feld-Konzept von Bourdieu mit dem daran anschließenden Ansatz der sozialen Milieus sowie mit dem Konzept der Literalität als soziale Praxis von Street. Die Anknüpfung an die Unterscheidung zwischen dem autonomen und ideologischen Modell von Literalität ist im Kontext einer milieuspezifischen Analyse sinnvoll und eröffnet den Blick für die Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Die verschiedenen „standort- und milieubezogenen Zugänge zur Schriftsprache und die damit verbundene Benachteiligungen“ (S. 64) lassen sich unter Rückgriff auf die drei Konzepte differenziert betrachten.

Im Kapitel 4 wird das Forschungsdesign der Arbeit vorgestellt. Die empirischen Daten wurden im Rahmen des Forschungsprojekts „Interdependenzen von Schriftsprachkompetenzen und Aspekten der Lebensweltbewältigung“ erhoben. Insgesamt wurden von der Autorin selbst 36 leitfadengestützte Interviews mit 19 Teilnehmenden an Alphabetisierungskursen durchgeführt, die an einer Basis- und Folgebefragung im Abstand rund eines Jahres teilnahmen. Hilfreich wäre in dem Zusammenhang ein Einblick in den Interviewleitfaden, der nicht beigefügt wurde. Der Zugang zum Feld wird ausführlich dargestellt, wobei das Vorgehen zwar kleinschrittig dargelegt wird, ohne jedoch die Auswahl der Fälle ausreichend theoretisch zu begründen und zu reflektieren. So stellt sich die Frage, welche Rolle die Auswahl der Einrichtung mit ihren Angebotsformaten, Zielgruppen und Veranstaltungsorten für den Zugang zu bestimmten Milieus spielt. Zudem haben Kursleitende „geeignete Lernende“ (S. 70) vorgeschlagen, was zu einer gewissen Vorauswahl geführt hat, die nicht näher reflektiert wird. Die Datenauswertung erfolgt im Anschluss an die Habitus-Hermeneutik. Zentral für die Auswertung sind „vier Eckfälle, die ‚besonders kontrastive Grundmuster im Umgang mit Schriftsprache zeigten‘“ (S. 79). Unklar bleibt, nach welchen Kriterien die vier Eckfälle ausgewählt wurden. Die empirischen Ergebnisse der Arbeit werden entlang dieser Fälle ausführlich vorgestellt. Dabei werden vier zentrale handlungsleitende Habitus-Muster (1. Respektabilität und Status, 2. Autonomie und Pragmatismus, 3. Anspruch und (begrenzte) Selbstverwirklichung, 4. Vermeidung von Ausgrenzung) und dazugehörige Grundmuster der Literalität (1. Angestrengt-ambitionierte Literalität, 2. Sachbezogen-pragmatische Literalität, 3. Prätentiös-elaborierte Literalität, 4. Gelegenheitsorientierte Literalität) unterschieden, die vor dem Hintergrund der Milieusystematik eingeordnet werden. Die Benennung der Muster entspricht der milieuspezifischen Perspektive der Untersuchung, auch wenn die Sprache mitunter stigmatisierend und defizitorientiert erscheint. Nichts desto trotz ermöglichen die bildlichen Fallbeschreibungen einen differenzierten Einblick in die Denkmuster, Motive, Werte, Haltungen, Bildungsorientierungen und Lebensziele von Teilnehmenden in den Kursen. Dies ist ein großer Verdienst der Autorin und ein wertvoller Beitrag für die Literalitätsforschung.

Da die Ergebnisse zur Entwicklung passender Ansprachestrategien in der Grundbildung genutzt werden können, ist die gut lesbare Lektüre nicht nur für Forschende in dem Bereich von Interesse, sondern auch für die Praxis der Weiterbildung.

4 Eva Cendon: Wolfgang Seitter, Marianne Friese, Pia Robinson (Hrsg.) (2018). Wissenschaftliche Weiterbildung zwischen Implementierung und Optimierung. Wiesbaden: Springer VS

Der vorliegende Sammelband komplementiert die Reihe, die das Verbund-Förderprojekt WM3 Weiterbildung Mittelhessen der Justus Liebig Universität Gießen, der Philipps Universität Marburg und der Technische Hochschule Mittelhessen, gefördert in der ersten Wettbewerbsrunde des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“, über den Verlauf der Projektzeit verfasst hat, so die Herausgeberinnen Marianne Friese und Pia Robinson und der Herausgeber Wolfgang Seitter, in ihrer Einleitung. Dabei soll der Band insbesondere die Forschung in den Blick nehmen „mit dem Ziel, zentrale Gelingensbedingungen der Angebotsgestaltung zu erforschen und entsprechende Optimierungspotenziale abzuleiten“ (S. 2). Folgende Abschnitte geben die Struktur: Bedarf, Angebote/Teilnehmende, Personal und Organisation/Vernetzung. Die Beiträge präsentieren ausgewählte Forschungs- und Entwicklungsergebnisse und versuchen, den Bogen von der Implementierung wissenschaftlicher Weiterbildung bis hin zu ihrer Optimierung zu spannen. Zentraler Bezugsrahmen der vorrangig qualitativ und explorativ angelegten Beiträge ist die wissenschaftliche Weiterbildung an den drei beteiligten Hochschulen.

Der einzige Beitrag im Abschnitt Bedarf befasst sich mit der Kooperationsanbahnung und dem Kooperationsmanagement von Hochschulen und Unternehmen auf Basis einer explorativen Fallstudie. Fazit ist, dass sich Hochschulen in Unternehmen als Weiterbildungsanbieter ins Bewusstsein rufen müssen und eine aktive, auf die Spezifika des Unternehmens zugeschnittene Kooperationsanbahnung erforderlich ist.

Im Abschnitt Angebote und Teilnehmende fokussiert der erste Beitrag auf Zeitvereinbarungsstrategien von Teilnehmenden in der wissenschaftlichen Weiterbildung. Das Prüfen nimmt ein weiterer Beitrag in den Blick und arbeitet unterschiedliche fachspezifische Verständnisse des Prüfens auf Basis von drei Studiengängen heraus. Aspekte der Qualitätssicherung von Studienmaterialien stehen im Fokus des nächsten Beitrags, der einen Kriterienkatalog zur qualitätsgesicherten Verbesserung von Studienmaterialien enthält. Das Optimieren des Prüfungswesens durch E‑Prüfungen steht im Mittelpunkt eines weiteren Beitrags, der einerseits die bereits vorhandene Literatur zu E‑Prüfungen zusammenfasst und andererseits Erwartungen zu Prüfungen sowohl bei Studierenden als auch bei Studienverantwortlichen erfragt. Im Rahmen der Vorstellung von Optimierungsmöglichkeiten durch Studiengangsevaluationen wird auf eine Integration stärker kommunikativ gestalteter Elemente verwiesen, um Ergebnisse an die unterschiedlichen Akteursgruppen zurück zu spiegeln.

Zentrale Funktionen und Aufgabenbereiche im Rahmen der Entwicklung und Durchführung von weiterbildenden Studienangeboten werden im Abschnitt Personal untersucht. Ein bislang wenig erforschter und strukturierter Bereich sind die Studiengangskoordination und deren vielfältiges Aufgabenspektrum. Die Unterstützung und Beratung von Professorinnen und Professoren bei der Entwicklung von Weiterbildungsangeboten ist ein zweiter Bereich, der ausgeleuchtet wird. Kooperationen und ihr Management bilden einen dritten Schnittstellenbereich, der neben Beziehungsarbeit auch Managementkompetenzen erfordert. Eine bislang noch nicht geschlossene Forschungslücke sind Beratungsstrukturen an Hochschulen auf unterschiedlichen Ebenen sowie die besonderen Beratungsbedarfe von nicht-traditionellen Studierenden. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Beitrag zur Anrechnungsberatung, der sich auf die Suche nach vorhandenem Beratungswissen und Prozessstrukturen bei den Beratenden an den drei Hochschulen macht und die benannten Optimierungsbedarfe bündelt – mit einer ernüchternden Bilanz.

Unter Organisation und Vernetzung werden zunächst Websites als Vertriebswege für wissenschaftliche Weiterbildung analysiert und dabei der Blick über die drei Verbundhochschulen hinaus gelenkt. Ein weiterer Beitrag untersucht Informations- und Kommunikationsprozesse in hochschulinternen und hochschulexternen Kooperationsaktivitäten. Der Historie und Zukunft der Kooperation der drei Verbundhochschulen geht der letzte Beitrag nach. Kooperation, so die These der Autorinnen und Autoren, bietet „durch die ihnen inhärenten Reflexions- und Beobachtungschancen […] vielfältig zu nutzende Möglichkeitsräume zur Optimierung wissenschaftlicher Weiterbildung an Hochschulen“ (S. 357). Dabei thematisieren sie die vielfältigen Rollen der Projektagierenden und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen.

In der abschließenden Gesamtschau schlagen die Herausgeberinnen und der Herausgeber „Matching“ als neuen Begriff für die Verbindung von Angeboten mit internen und externen Zielgruppen vor. Zentrale Elemente sind Kommunikation und Kooperation, die „als Modus des Agierens so einfach zu benennen, in ihrer praktischen Umsetzung jedoch so anspruchsvoll, voraussetzungsreich und schwierig zu realisieren sind“ (S. 384).

Insgesamt finden sich in dem Sammelband interessante Fragestellungen und spannende Einblicke. An manchen Stellen wünscht sich die Leserin allerdings mehr Tiefe, was zum Teil den noch vorläufigen Ergebnissen geschuldet zu sein scheint. Insofern lohnt wohl auch der Blick auf die WM3-Website wmhochdrei.de, auf der sich für weiter Interessierte die finalen (Forschungs‑)Berichte zu den jeweiligen Beiträgen finden.