Rezensionen zu:

Petra H. Steiner (2018). Soziale Welten der Erwachsenenbildung. Eine professionstheoretische Verortung. Bielefeld: Transcript. 264 Seiten, 39,99 €, ISBN 978-3-8376-4328-2

Anke Hoffsten (2017). Das Volkshaus der Arbeiterbewegung in Deutschland. Gemeinschaftsbauten zwischen Alltag und Utopie. Wien, Köln, Weimar: Böhlau. 724 Seiten, 90,00 €, ISBN 978-3-412-50734-3

Angela Pilch-Ortega (2018). Lernprozesse sozialer Bewegung(en), Biographische Lerndispositionen in Auseinandersetzung mit Erfahrungen sozialer Ungleichheit. Wiesbaden: Springer. 511 Seiten, 69,99 €, ISBN 978-3-658-19297-6

1 Julia Schütz: Petra H. Steiner (2018). Soziale Welten der Erwachsenenbildung. Eine professionstheoretische Verortung. Bielefeld: Transcript

Das Buch basiert auf der Dissertationsschrift von Petra H. Steiner, die sich an der Weiterbildungsakademie Österreich mit Kompetenzanerkennung und Professionalisierung von Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildnern auseinandersetzt. Das Werk gliedert sich in neun Kapitel, von denen exemplarisch drei vorgestellt werden. Es richtet sich einerseits an die Disziplin der Erwachsenenbildungsforschung und andererseits an die Profession der praktizierenden Erwachsenenbildnerinnen und -bildner (S. 9). Ein Ziel der Forschungsarbeit ist es, für die Erwachsenenbildung „einen Vorschlag für den begrifflichen und argumentativen Zugriff auf ihre eigene Professionalisierung“ zu entwickeln (S. 10). Petra H. Steiner identifiziert zwei Herausforderungen, denen sie mit ihrer Forschungsarbeit begegnen möchte.

Erstens: Eine ungenügende Erfassung der Vielgestaltigkeit von Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildnern und damit ein Fehlen „disziplininterner Verständigungsprozesse darüber, welche Methoden und Zugänge [in der Erwachsenenbildungsforschung] bestehen [und] welche wofür geeignet sind“ (S. 17). Zweitens: Die Notwendigkeit, erwachsenenbildnerische Praxis sozialwissenschaftlich zu verorten (S. 18).

Folgende zentrale Forschungsfragen werden formuliert: „1. Wie kann und muss Professionalisierung heute definiert werden und was hat die Erwachsenenbildungsforschung bislang zu dieser Frage bearbeitet? 2. Wie sieht ein theoretisch angeleitetes Modell aus, welche erlaubt sowohl kohäsive Elemente innerhalb der beruflich ausgeübten Erwachsenenbildung sichtbar zu machen als auch deren Diversität tiefer gehend zu analysieren und damit Hinweise auf Gelingensfaktoren struktureller Professionalisierung zu geben?“ (S. 23). Beide Fragen wirken auf Anhieb komplex und ambitioniert. Die Beantwortung dieser Fragen basiert primär auf einer Literaturrecherche und Theoriearbeit, gleichwohl werden einige explorative Interviews mit Expertinnen und Experten geführt.

Dem ersten Kapitel, in dem Problemaufriss, Erkenntnisinteresse, Fragestellungen, methodologische Überlegungen und Aufbau der Untersuchung beschrieben sind, schließt sich das Kapitel zur „Professionalisierung – ein umkämpfter Begriff“ an. Dieses Kapitel beinhaltet einen kurzweiligen Abriss über die genutzten Arbeitsbegriffe und liefert einen Überblick über prominente, professionstheoretische Debatten in der Erwachsenenbildung. Bemerkenswert ist, dass in diesen Ausführungen deutlich wird, dass die Professionsforschung gewissermaßen stehengeblieben ist. Dies zeigen nicht nur die zitierten Belege (der überwiegende Anteil stammt aus dem ersten Jahrzehnt des aktuellen Jahrtausends), sondern auch Steiners Resümee hinsichtlich eines tragfähigen Professionskonzeptes, welches sich aufgrund der Heterogenität in der Erwachsenenbildung als Herausforderung zeigt: „Sowohl eine professions- als auch eine disziplininterne Lösung dieser Frage steht noch aus“ (S. 49). Natürlich ließe sich fragen, ob es ein spezifisches Professionskonzept für die Erwachsenenbildung überhaupt braucht.

Im dritten Kapitel findet sich zunächst eine eher lehrbuchartige, gleichfalls notwendige Aufarbeitung der Begriffe „Beruf“ und „Profession“ und damit verbunden die Frage, ob es sich bei „Erwachsenenbildner/in“ um einen traditionellen Beruf (S. 54) oder eine traditionell verstandene Profession (S. 58) handelt. In diesem Zusammenhang werden unterschiedliche Konzepte der Berufssoziologie vorgestellt, die die Entstehung neuer Berufe und Professionen beschreiben. Dieses Kapitel ist wichtig, liefert jedoch wenig neue Erkenntnisse. Ganz anders verhält es sich im Abschnitt 3.2: Hier stellt die Autorin neue Konzepte für Beruflichkeit und Profession vor (S. 72). Der Weg des Lesens zu diesen neuen Konzepten ist für professionstheoretisch interessierte Leserinnen und Leser sicherlich nicht lang und vielleicht auch noch unbekannt; aufgeklärte Professionsforscherinnen und -forscher dürfen gerne etwas vorblättern bis zu Steiners Konklusion. Sie konstatiert, dass „das klassische Konzept von Professionen […] hinfällig“ ist, beziehungsweise verändert werden muss (S. 81). Ihr neues Konzept zielt auf eine strukturell verankerte und dynamisch-offene Profession (S. 87 ff.).

Das Werk von Petra H. Steiner zeichnet sich durch eine präzise Sprache aus. Die Leserinnen und Leser bekommen durch viele (auch) rhetorische Fragestellungen immer wieder Anregungen, über die eigene Disziplin und Profession nachzudenken. Nicht alles Geschriebene ist im Erkenntniswert als besonders herausragend zu bezeichnen, es braucht viel Vorlauf, um zum Kern des Buches zu gelangen. Dieser steckt einerseits in dem von Petra H. Steiner entwickelten neuen Professionsverständnis (S. 87 ff.) und andererseits in den Beschreibungsmodellen (Kapitel 6 und 7). Sie liefert, ausgehend vom Begriff der Berufskultur, zwei Beschreibungsmodelle: das der „Professionsspezifischen Subkulturen“ und das der „Sozialen Welten in Arenen“. Dieser Kern der Arbeit regt, so ist zu wünschen, eine professionstheoretische Debatte an und stärkt zugleich den Diskurs um berufspraktische und disziplinrelevante Fragen. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen.

2 Paul Ciupke: Anke Hoffsten (2017). Das Volkshaus der Arbeiterbewegung in Deutschland. Gemeinschaftsbauten zwischen Alltag und Utopie. Wien, Köln, Weimar: Böhlau.

Volkshäuser gehören zum kulturellen Erbe der Jugend- und Erwachsenenbildung. Leider ist der Begriff „Volkshaus“ ebenso weitgehend aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden wie das materielle Pendant. Vielleicht kennen noch manche das nach wie vor existierende prachtvolle Volkshaus in Jena, das u. a. von Ernst Abbe angeregt, mit Geldern der Zeiss-Stiftung finanziert wurde und in dem Veranstaltungen der Volkshochschule Jena in den 1920er Jahren stattfanden. Noch heute funktioniert das Haus nach dem alten Prinzip der Integration verschiedener kultureller und pädagogischer Aufgaben. Volksbildung um 1900 hatte ein erheblich breiteres Arbeitsprofil als die Weiterbildung heute: So gut wie alles, was mit der Vermittlung von Wissen, sowie Kulturidealen und ihren Praxisformen zu tun hatte bzw. dafür eingesetzt werden konnte, zählte zum Aufgabenfeld.

Der deutsche Volkshaus-Bund gehörte nach dem Ersten Weltkrieg, als in der Weimarer Republik die Volksbildung Verfassungsrang bekam, zu den wichtigen Antreibern und Ideenlieferanten für die Gründung von Volkshochschulen, die allerdings damals auch nicht dem entsprachen, was man heute gemeinhin unter einer Volkshochschule versteht. Während heute Volkshochschulen fast immer staatlich geförderte kommunale Einrichtungen sind, kamen in den 1920er Jahren die Volkshochschulinitiativen aus der Mitte der Gesellschaft, waren also, wie wir heute sagen würden, zivilgesellschaftliche Aktionsgruppen.

Die hier vorzustellende Studie fokussiert auf solche Volkshäuser, die der Arbeiterbewegung und hier vor allem der Sozialdemokratie nahestanden. Das waren teilweise auch Bauten, die als Volksheim, Arbeiterheim oder Gewerkschaftshäuser bezeichnet wurden, aber multifunktionalen Zwecken dienten. Die Untersuchungsperspektive ist architekturhistorisch ausgerichtet. Aus Sicht einer allgemeinen historischen Erwachsenenbildungsgeschichtsforschung sind das natürlich Einengungen des Untersuchungsgegenstandes, die sich auch im Text selbst immer wieder bemerkbar machen, wenn z. B. Deutungen und Bestrebungen nicht auch als aus der Volksbildungsbewegung kommend erkannt werden.

Das umfangreiche Werk besteht aus einem historischen Teil, in dem zunächst die Geschichte der Volkshäuser dargestellt und danach die Architektur im zeitgeschichtlichen Kontext, aber auch im Rahmen einer baulichen Typologie bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten analysiert wird. Diesen ca. 220 Seiten folgen zwei umfangreiche Abbildungsteile und ein Katalog aller zwischen 1890 und 1933 nachweisbaren Volkshäuser. Zu jedem Volkshaus werden die wichtigsten Baudaten, die Baugeschichte und relevante Quellen und Literaturnachweise aufgeführt. Abgerundet wird das mehr als 700 Seiten umfassende Buch mit einem Personen- und Ortsregister. Das Kompendium kann daher auch angesichts der bisher nicht besonders umfangreichen und nur Ausschnitte behandelnden Literatur zum Thema als das neue Standardwerk angesehen werden.

Anke Hoffsten sieht in den Volkshäusern „Heimstätten der Arbeiterkultur“ und Orte der „Gegenöffentlichkeit“, dem kann man aus der Perspektive der Arbeiterbewegung der Kaiserzeit und der Weimarer Zeit weitgehend zustimmen. Volkshäuser fungierten aber nicht nur milieuverbunden, sondern auch milieuübergreifend und vor allem multifunktional. Sie waren Versammlungs‑, Veranstaltungs- und Bildungshäuser, Kultureinrichtungen, Bibliotheken, Gaststätten und Kneipen, dienten der Sozialfürsorge wie der Geselligkeit, Unterhaltung und Erholung. Manche Volkshäuser hatten eigene Parkanlagen. Sie waren eine Art selbstorganisierter Sozialstaat im Kleinen. Das Vorbild der englischen und amerikanischen Settlements ist unverkennbar. In den Milieus der Arbeiterbewegung gab es durchaus verschiedene Vorstellungen einer „Veredelung“ des Arbeiters durch Kultur und Bildungsarbeit. Oftmals war der Arbeiterkultur der bürgerlichen Hochkultur nachempfunden, manchmal war es Gegenkultur und zugespitzt politische Kampfkultur. Entsprechend vielfältig sind auch die Baustile der Volkshäuser: Wir finden historistische Opulenz, aber auch die neuen Strömungen einer sachlichen Architektur. Ein Meister des Neuen Bauens wie Max Taut gestaltete die Gewerkschaftshäuser in Berlin und Frankfurt a.M. und baute sie nach deren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wieder auf. Erich Mendelsohn entwarf das Haus des Deutschen Metallarbeiterverbands, das ebenfalls in Berlin steht.

Die Bauten repräsentieren in ihrem Stil die ganze Bandbreite von eigenem Sendungsauftrag, politischen Erwartungen und Interessen: Gemeinschaftssehnsüchte, Heimat, Kampf oder Avantgarde. Wie Anke Hoffsten feststellt, fungierten sie als Projektionsflächen. Viele der damals gebauten Häuser wurden im Krieg zerstört oder sind inzwischen umgenutzt, vergessen, abgerissen: Der Bestand an Volkshäusern hat stark gelitten.

Die lesenswerte Studie von Hoffsten bietet einen Blick von der Seite auch auf die ähnlich gerichteten Bemühungen der Volks- und Erwachsenenbildung der Kaiserzeit und vor allem der Weimarer Zeit, eigene Häuser und Lernorte zu entwickeln. Der deutliche Mangel an eigener historischer Bildungsforschung, insbesondere in kulturgeschichtlicher Absicht, zwingt dann, sich bei Nachbardisziplinen ansatzweise zu vergewissern.

3 Martin Beyersdorf: Angela Pilch-Ortega (2018). Lernprozesse sozialer Bewegung(en), Biographische Lerndispositionen in Auseinandersetzung mit Erfahrungen sozialer Ungleichheit. Wiesbaden: Springer Verlag.

Als Erstes sind mir bei dem Titel eingefallen: „Rückkehr nach Reims“ und „Gesellschaft als Urteil“ (Didier Eribon) – diese Literatur habe ich aber nicht im Anhang gefunden. Und auch nicht die biografischen Reflexionen von Oskar Negt („Überlebensglück“). Schließlich fehlte mir auch der engere Bezug zu den Neuen Sozialen Bewegungen in Deutschland, wie zum Beispiel die Veröffentlichungen von Roland Roth und Dieter Rucht. Nun denn, es gibt unterschiedliche Zitationswelten und beim Blick in das Literaturverzeichnis ist fast alles und umfangreich zur Biographieforschung und zu prekären Lebensverhältnissen vertreten.

Im Mittelpunkt des Buches steht die Frage: Wie gelingt es Menschen in benachteiligten und prekären Lebenslagen Prozesse der Reproduktion und Transformation sozialer Ungleichheit zu bewältigen? „Empirisch nähert sich die vorliegende Arbeit der Fragestellung von Lernprozessen in der Auseinandersetzung mit Erfahrungen sozialer Ungleichheit mittels narrativ-biographischer Interviews an“ (S. 7). Und auch ebenda: „Die vorliegende Arbeit versteht sich … als Beitrag, theoretische Erkenntnisse über die lernende Auseinandersetzung mit Ungleichheit erzeugenden Dynamiken sowie in Bezug auf Handlungsmuster des transformierenden Gestaltens sozialer Wirklichkeit zu generieren.“

Die analysierten Bewegungsmuster verdeutlichen Formen sozialer Mobilität (z. B. Bildungsaufstiegsorientierung) und umfassendere soziale und zivilgesellschaftliche Lernprozesse (z. B. in Form von sozialen Initiativen und Bewegungen). „Im Besonderen verweisen soziale Bewegungen auf eine Form der Reflexivität, die Selbstvergewisserungsprozesse auch mit politischem Handeln verschränkt. Das Sprechen im hegemonialen Raum sowie das Eintreten für relevant erachtete Bedürfnisse und Interessen müssen hierbei auch erlernt, erprobt und weiterentwickelt werden“ (S. 491). Damit sind Anschlüsse an die Erwachsenen- und Weiterbildung definiert, die sich auch im Abseits sicherer Räume realisiert, wie es Peter Brückner einmal formulierte.

Die Gliederung des Buches ist gut nachvollziehbar, verlangt aber den Leserinnen und Lesern Einiges an Disziplin ab. Grounded Theory wird als Anlage gewählt und die Bezüge werden vielfältig ausgewoben.

Beim Blick in das Inhaltsverzeichnis finden Leserin und Leser folgende Kapitel:

  • Dynamiken sozialer Ungleichheit und soziale Bewegungsformen

  • Biographie und biographisches Lernen

  • Methodologisches Rahmenkonzept der empirischen Studie

  • Strukturelle Beschreibung der Lernfiguren und Lerndispositionen

  • Biographische Dimensionen von Lerndispositionen im Kontext sozialer Ungleichheitserfahrungen

  • Lernende Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit zwischen Heteronomie und Autonomie

  • Lernprozesse sozialer Bewegung(en)

Die Lektüre ist für alle die empfehlenswert, die sich für die Lernprozesse sozialer Bewegung(en) interessieren – sei es nun sozial-räumlich, sozial-emergent oder sozial-expansiv.