Die Automobilindustrie braucht agile Methoden. Die Gründe dafür sind uns allen bekannt. Wir müssen die Theorien nur beherzigen und mit einer neuen Führungskultur konsequent umsetzen — und dies gilt es im großen Maßstab zu tun. Ein Bewusstseinswandel ist bereits zu spüren. Waren es anfangs noch zarte Pflänzchen in Form weniger agiler Teams beispielsweise in der Basisentwicklung, arbeiten heute mehrere Hundert Entwickler in standortübergreifenden Teams mit agilen Methoden. Rückendeckung geben deutliche Bekenntnisse seitens fast aller OEMs und Tier-1-Zulieferer.

Ein Maß für den Umsetzungswillen und die Notwendigkeit ist auf Tagungen wie der „3. Agile in Automotive Conference“ in Stuttgart abzulesen. Im November 2017 diskutierten dort 200 Teilnehmer zum Beispiel, wie man große agile Projekte steuert — und dies mit der gewohnt hohen Qualität und unter Einhaltung aller strengen automobilen Standards wie Auto-motive Spice oder ISO 26262. Die Antwort: Ohne einen systematischen Ansatz und digitale Werkzeuge ist das nicht möglich, und so fielen oft die Stichworte CI (Continuous Integration), SAFe (Scaled Agile Framework) und Cross-functional Development Teams. Automobilhersteller und ihre Zulieferer müssen in agilen Projekten zusammenarbeiten können. Hier liegen die größten Herausforderungen.

Was mich in mehreren Diskussionen am meisten beeindruckt hat, war die Besinnung auf alte Werte wie das Entgegenbringen von Vertrauen (Trust). Ohne Vertrauen innerhalb der Entwicklungsteams, aber vor allem gegenüber den Teams — Verantwortung und Disziplin vorausgesetzt — lässt sich nicht agil arbeiten. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Take care of the human factors. Der moderne Entwickler möchte ernst genommen werden und auf Augenhöhe arbeiten. Das Wort Freiheit (Freedom) wird oft genannt. Agile Entwicklung fordert demzufolge vom Management: Gebt uns das Ziel, das erreicht werden soll, beziehungsweise das Problem, welches gelöst werden soll, und lasst uns den Weg dorthin selbst finden. Entscheidungen werden möglichst im Team getroffen und nicht „nach oben“ delegiert oder von oben täglich neu vorgegeben. Agile Methoden scheinen gerade dann besonders hilfreich zu sein, wenn man eben noch nicht bis ins letzte Detail weiß, wie das Produkt beziehungsweise dessen Funktionalität aussehen soll.

Wir kommen um „agil“ nicht mehr herum. Wie gelingt also der Transformationsprozess von den heutigen, vom tradierten V-Modell geprägten, Vorgehensmodellen hin zu einer agilen, flexibleren und dynamischeren Entwicklung? Jedenfalls nicht mit hierarchischen Strukturen und alten Managementmethoden. So hart das klingen mag: Agilität in Unternehmen gelingt erst dann nachhaltig, wenn einige der heutigen Verantwortungsträger in den Ruhestand gehen, so der Tenor der Stuttgarter Tagung. Die Universität Stuttgart leistet mit dem Studienfach „Agile Entwicklungsmethoden automobiler Systeme“ einen kleinen Beitrag für die benötigten Nachwuchskräfte.