Die Deutschen sind Bewegungsmuffel: In keinem Industrieland bewegen sich die Menschen weniger; 42 % erfüllen nach einem aktuellen WHO-Report nicht die Vorgaben von mindestens 150 Minuten körperlicher Aktivität oder 75 Minuten Sport pro Woche. Besonders dramatische Folgen hat der Bewegungsmangel jedoch für psychisch Kranke. Ihre Lebenserwartung ist um bis zu 30 % geringer als die der übrigen Bevölkerung. „Mehr als 60 % dieser Reduktion sind auf körperliche Erkrankungen zurückzuführen“, erläuterte Dr. Tobias Freyer, Ärztlicher Direktor der Parkklinik Wiesbaden Schlangenbad. Der Psychiater stellte Studiendaten vor, nach denen die Rate kardiovaskulärer Erkrankungen bei psychisch Kranken zwei- bis dreifach höher ist als in der übrigen Bevölkerung, zudem ist die Prävalenz eines metabolischen Syndroms mit 40 – 60 % rund doppelt so hoch, dagegen treten Tumoren bei psychisch Kranken kaum oder überhaupt nicht häufiger auf als bei psychisch Gesunden.

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Psychisch Kranke leiden also vor allem an Komorbiditäten, die mit Bewegungsmangel einhergehen. Deutlich mehr körperliche Aktivität könnte zumindest diesen Nachteil etwas ausbügeln. „Die Lebenserwartung steigt deutlich bei mehr Bewegung“, so Freyer, und dafür gebe es mittlerweile eine gute Evidenz.

Sport klappt in der Klinik, aber nicht ambulant

Weniger klar sind hingegen die Auswirkungen auf die psychischen Symptome. Freyer zitierte Metaanalysen zu Angststörungen, Depressionen und Schizophrenie, bei denen sich unterm Strich eine deutliche Reduktion der Ängste und Depressionen, aber auch der Positiv- und Negativsymptome ergab. Allerdings waren die einzelnen Studien sehr heterogen, oft sehr klein und führten für sich genommen häufig zu keinem signifikanten Ergebnis. Der Psychiater ist dennoch überzeugt, dass ein Aktivierungsprogramm in Kliniken ähnlich wichtig ist wie die medikamentöse Behandlung. Sport fördere etwa die Stresstoleranz, die emotionale Stabilisierung und stärke das Selbstwertgefühl.

Jedoch falle es psychisch Kranken noch schwerer als Gesunden, sich körperlich zu betätigten. „Das größte Hemmnis bei Depressiven ist die Depression“, sagte der Experte. Dennoch klappe es in Kliniken recht gut, Patienten für Bewegungsprogramme zu begeistern. Das Problem ergebe sich vor allem dann, wenn die Betroffenen mit einer Restsymptomatik wieder nach Hause kommen und sich nicht alleine motivieren können. Hier fehle es dann an speziellen Sportgruppen und ambulanten Strukturen. Auch sei es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern nicht möglich, Sport auf Rezept zu verordnen.

Sind psychisch Kranke bereit, an einem Bewegungstraining teilzunehmen, sollten Ärzte auf die anfangs geringe Leistungsfähigkeit achten. Meist komme es bereits bei weniger als 100 Watt zu einem Laktatanstieg im Serum. „Solche Menschen sind schon außer Atem, wenn sie mit zwei Einkaufstüten eine Treppe hochgelaufen sind“, sagte Freyer. Beginnen sollten sie das Training mit rund 55 % der maximalen Herzfrequenz, höchstens darf die Belastung auf 89 % der Maximalfrequenz steigen. „Die Patienten müssen aber schon ins Schwitzen kommen.“

Sportmediziner empfehlen ein Training an drei bis besser noch fünf Tagen pro Woche über 20 bis 60 Minuten. „Wenn die Patienten zunächst keine 20 Minuten am Stück schaffen, sind auch mehrfach zehn Minuten in Ordnung“, führte Freyer aus.