Die gezielte humangenetische Untersuchung bei Verdacht auf eine erbliche neurologische Erkrankung gehört essenziell zum Spektrum der neurologischen Diagnostik, wie die klinische Neurophysiologie, Ultraschalldiagnostik oder Schnittbildgebung. Sie dient der Einordnung oft komplexer neurologischer Krankheitsbilder, der prognostischen Beratung von Betroffenen und Angehörigen und nicht zuletzt der Identifikation von homogenen Patientenkollektiven, die bei den oft seltenen Erkrankungen für gezielte klinische Studien zur Verfügung stehen. Es ist daher selbstverständlich, dass die Kenntnis neurogenetischer Untersuchungtechniken und die Einordnung humangenetischer Befunde zum festen Bestandteil der neurologischen Weiterbildung zählt. Bedauerlicherweise steht jedoch für die Mehrzahl der monogenetischen Erkrankungen bis heute keine spezifische Behandlung zur Verfügung. Besonders enttäuschend ist dies beispielsweise bei der Huntington-Erkrankung, bei der ja seit Jahrzehnten eine präsymptomatische Diagnostik mit allen ethischen Implikationen aufgrund der fehlenden Behandlungskonsequenzen verfügbar ist. Eine Ausnahme bilden seltene Stoffwechselerkrankungen mit der Möglichkeit zur Enzymersatztherapie (z. B. Morbus Fabry). Diese Patienten werden in der Regel in interdisziplinären Spezialambulanzen betreut und die wenigsten klinisch tätigen Neurologen werden mit den speziellen Anforderungen einer Enzymersatztherapie in Kontakt kommen.

Nehmen wir als ein Alltagsbeispiel die Parkinson-Krankheit, bei der in Deutschland geschätzt etwa 5 % der Betroffenen an einer der mehr als 20 monogenen Varianten leiden. Auch wenn sich einige Besonderheiten im klinischen Verlauf bei bestimmten Varianten ergeben, wie etwa ein früherer Krankheitsbeginn oder ein höheres Demenzrisiko, die von wissenschaftlichem Interesse sind, so deckt sich die variable klinische Präsentation dieser monogenen Erkrankungen doch mit dem breiten Spektrum der sogenannten idiopathischen Parkinson-Krankheit. Konsequenzen für die individuelle Behandlung ergeben sich für die Betroffenen nicht, wenn etwa eine LRRK2-Mutation entdeckt würde. Ähnliches gilt für andere neurodegenerative Erkrankungen, wie die spinozerebellären Ataxien (SCAs), die erblichen Demenzvarianten, das sich erweiternde Spektrum der hereditären Motoneuronerkrankungen, aber auch für erbliche Funktionsstörungen des Zentralnervensystems, wie die Dystonien oder Epilepsien. Es ist daher falsch zu behaupten, dass die Kenntnis des Genotyps heute bereits Einfluss auf klinische Alltagsentscheidungen hätte, auch wenn ich mir persönlich wünsche, den Zeitpunkt zu erleben, an dem ich meinen Patienten eine kausale genetische Therapie anbieten kann.

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Prof. Dr. Jens Volkmann, FEAN